Entscheidungsstichwort (Thema)

Berücksichtigung von Vordienstzeiten bei Berechnung der Versorgungsrente von Beschäftigten im öffentlichen Dienst

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Wird bei der Berechnung der Versorgungsrente der Halbanrechnungsgrundsatz auf Vordienstzeiten für Versicherte, die bis zum 31.12.2000 versorgungsberechtigt geworden sind, angewendet, verstößt dies nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG.

2. Ist mit der Halbanrechnung von Vordienstzeiten eine Ungleichbehandlung gegenüber denjenigen Versicherten verbunden, die ihr ganzes Leben im öffentlichen Dienst verbracht haben, hält sich diese Ungleichbehandlung im Rahmen einer zulässigen Typisierung und Generalisierung einer komplizierten und sehr großen Gruppe betreffenden Materie.

 

Normenkette

GG Art. 3 Abs. 1

 

Verfahrensgang

OLG München (Urteil vom 04.02.2003; Aktenzeichen 25 U 4433/02)

 

Tenor

Die Revision gegen das Urteil des 25. Zivilsenats des OLG München v. 4.2.2003 wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt von der Beklagten eine höhere Zusatzrente mit Wirkung ab 1.1.2001.

Er ist 1941 geboren und war im öffentlichen Dienst bei einem Dienstherrn beschäftigt, der an der beklagten Versorgungsanstalt beteiligt ist. Seit 1.11.1998 bezieht der Kläger eine Zusatzrente wegen Erwerbsunfähigkeit von der Beklagten. Nach § 33 Abs. 2 Buchst. a, Doppelbuchst. aa ihrer Satzung (im Folgenden: BVKS) in der für die Berechnung der Rentenhöhe des Klägers maßgebenden Fassung berücksichtigte die Beklagte für den Faktor der gesamtversorgungsfähigen Zeit, von dem die Höhe ihrer Zusatzrente abhängt, außer den Umlagemonaten, in denen ein Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes mit Umlagezahlungen an die Beklagte für die Altersversorgung des bei ihm beschäftigten Klägers beigetragen hat, darüber hinaus andere, außerhalb des öffentlichen Dienstes zurückgelegte Beschäftigungszeiten nur zur Hälfte (sog. Halbanrechnungsgrundsatz). Andererseits war nach der seinerzeit geltenden Satzung bei der Berechnung der Versorgungsrente grundsätzlich von der vollen Höhe der an den Kläger gezahlten gesetzlichen Rente auszugehen; diese wurde durch die von der Beklagten gewährte Zusatzversorgung lediglich insoweit aufgestockt, wie die gesetzliche Rente hinter der nach der Satzung berechneten Gesamtversorgung zurückblieb (§ 31 BVKS a.F.). Das BVerfG hat in der Halbanrechnung von Vordienstzeiten bei voller Berücksichtigung der gesetzlichen Rente einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG gesehen, der nur bis zum Ablauf des Jahres 2000 hingenommen werden könne (BVerfG, Beschl. v. 22.3.2000 - 1 BvR 1136/96, VersR 2000, 835 = NJW 2000, 3341). Der Kläger hat daher beantragt die Beklagte zu verpflichten, ab 1.1.2001 seine vollen, nicht im öffentlichen Dienst zurückgelegten Rentenversicherungszeiten zu berücksichtigen, bis eine neue, die Regelung der Vordienstzeiten ändernde Satzung in Kraft trete.

LG und OLG haben die Klage abgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision bleibt ohne Erfolg.

1. Nach Auffassung des Berufungsgerichts gehören zwar auch Berechtigte, die - wie der Kläger - am 31.12.2000 schon Renten von der Beklagten bezogen haben, zu dem Personenkreis, für den das BVerfG die streitige Regelung beanstandet hat. Selbst wenn man aber annehme, dass auch für diese Gruppe von Rentenberechtigten die Halbanrechnung unzulässig und § 33 Abs. 2 Buchst. a, Doppelbuchst. aa BVKS a.F. seit dem 1.1.2001 insoweit unwirksam sei, könne die Klage keinen Erfolg haben. Denn es stehe eine Grundentscheidung der beteiligten Sozialpartner in Frage, die jedenfalls hier nicht vom Gericht im Wege ergänzender Auslegung eines lückenhaft gewordenen Vertrages geschlossen werden könne.

Es sei nicht Aufgabe der Gerichte, an Stelle der Tarifvertragsparteien durch Auslegung der Satzung eine Berechnung vorzunehmen, die nicht dem Willen der Tarifvertragsparteien entspreche oder mit dem geltenden Betriebsrentenrecht möglicherweise nicht in Einklang stehe. Daher habe das BVerfG auch in seiner Entscheidung zu § 18 BetrAVG (BVerfG v. 15.7.1998 - 1 BvR 1554/89, 1 BvR 963/94, 1 BvR 964/94, BVerfGE 98, 365 = VersR 1999, 600) keine eigenständige Regelung getroffen, sondern die Tarifvertragsparteien aufgefordert, ab dem 1.1.2001 eine Neuregelung zu schaffen, die den verfassungsrechtlichen Vorgaben entspreche. Eine solche Neuregelung sei nunmehr mit der rückwirkend zum 1.1.2001 in Kraft getretenen Satzung der Beklagten v. 1.3.2002 geschaffen worden. Sie enthalte eine Grundentscheidung der beteiligten Sozialpartner darüber, inwieweit die Versorgung der Arbeiter und Angestellten im öffentlichen Dienst an die Beamtenversorgung angeglichen werden solle. Diese Grundentscheidung hätten Gerichte grundsätzlich hinzunehmen, wobei die Beklagte auch bei der Umsetzung der Grundentscheidung eine weit gehende Gestaltungsfreiheit habe.

Diesen Spielraum habe die Beklagte mit ihrer neuen Satzung nicht überschritten. Sie habe die vor dem 1.1.2001 bestehende Ungleichbehandlung dadurch aufgehoben, dass sie das bisherige Gesamtversorgungssystem durch ein kapitalgedecktes Betriebsrentensystem ersetzt habe, welches beitragsbezogen sei und nunmehr ausschließlich Zeiten und Entgelte während einer Beschäftigung im öffentlichen Dienst berücksichtige. Damit stelle sich das Problem der Halbanrechnung von außerhalb des öffentlichen Dienstes zurückgelegten Beschäftigungszeiten nicht mehr. Zwar werde der Kläger durch das neue System nicht unmittelbar erfasst, weil er seine bisherige Rente nach der Satzung als - ab 2002 dynamisierte - Bestandsrente weitererhalte (vgl. § 69 Abs. 1 und 2 BVKS n.F.). Er werde dadurch jedoch nicht mehr in verfassungswidriger Weise benachteiligt, da unstreitig die Bestandsrente höher sei als die Rente, die dem Kläger nach dem neuen Betriebsrentensystem zustünde.

Allerdings setze sich innerhalb der Gruppe der Bezieher von Bestandsrenten die Ungleichbehandlung zwischen denjenigen Rentnern, die keine Anrechnungszeiten außerhalb des öffentlichen Dienstes zurückgelegt hätten, zu denjenigen, welche solche Anrechnungszeiten aufwiesen, fort. Doch halte sich dies noch im Rahmen einer zulässigen Generalisierung, weil die Beklagte angesichts der hochkomplizierten Regelungsmaterie zu Vereinfachungen gezwungen, davon eine nur verhältnismäßig kleine Zahl von Personen betroffen und der Verstoß gegen den Gleichheitssatz nicht sehr intensiv sei. Zusätzlich werde die Ungleichbehandlung künftig auch durch die Dynamisierung der Besitzstandsrenten teilweise kompensiert.

2. Dem ist jedenfalls im Ergebnis zuzustimmen.

a) Das BVerfG hat in seinem Beschluss v. 22.3.2000 (BVerfG, Beschl. v. 22.3.2000 - 1 BvR 1136/96, VersR 2000, 835 = NJW 2000, 3341), auf den sich der Kläger stützt, die Verfassungsbeschwerde einer 1921 geborenen Rentnerin, die seit Anfang 1983 eine Zusatzversorgungsrente erhielt und im Ausgangsverfahren erfolglos deren Erhöhung wegen Unwirksamkeit von Satzungsbestimmungen verlangt hatte, nicht zur Entscheidung angenommen. Soweit sich die dortige Beschwerdeführerin gegen die volle Berücksichtigung ihrer Sozialversicherungsrente bei der Bestimmung der Höhe der Zusatzversorgung einerseits, aber die nur halbe Berücksichtigung von Zeiten vor Aufnahme ihrer Tätigkeit im öffentlichen Dienst bei der Bemessung der gesamtversorgungsfähigen Zeit andererseits gewandt hatte, hat das BVerfG die Regelung in § 42 Abs. 2 S. 1 Buchst. a Doppelbuchst. aa der Satzung der Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder (VBLS) a.F., welcher im hier entscheidenden Punkt der Regelung in § 33 Abs. 2 Buchst. a, Doppelbuchst. aa BVKS a.F. entspricht, zwar im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 GG beanstandet, eine Verletzung von Grundrechten der dortigen Beschwerdeführerin aber "(noch) nicht" festgestellt. Die Ungleichbehandlung sei zwar gravierend, halte sich derzeit jedoch noch im Rahmen einer zulässigen Generalisierung. Der Satzungsgeber sei wegen der hochkomplizierten Materie zu gewissen Vereinfachungen gezwungen. Dabei dürfe er Ungleichbehandlungen in Kauf nehmen, solange davon nur eine verhältnismäßig kleine Zahl von Personen betroffen und der Verstoß gegen den Gleichheitssatz nicht sehr intensiv sei. Das treffe auf die Rentnergeneration der Beschwerdeführerin zu, wie das BVerfG feststellt. Für die jüngeren Versichertengenerationen sei ein bruchloser Verlauf der Erwerbsbiografie im öffentlichen Dienst angesichts stark gestiegener Teilzeitarbeit und einer stärkeren Diskontinuität des Erwerbslebens allerdings nicht mehr in hinreichender Weise typisch. Angesichts dieser Entwicklung könne die Benachteiligung der Rentner durch volle Anrechnung der in Vordienstzeiten erworbenen Rentenansprüche bei nur hälftiger Berücksichtigung dieses Teils ihrer Lebensarbeitszeit im Rahmen der Berechnung der gesamtversorgungsfähigen Dienstzeit nicht länger als bis zum Ablauf des Jahres 2000 hingenommen werden. Zu diesem Zeitpunkt sei der Träger der Zusatzversorgung durch die Entscheidung BVerfGE 98, 365 = VersR 1999, 600 (BVerfG v. 15.7.1998 - 1 BvR 1554/89, 1 BvR 963/94, 1 BvR 964/94, BVerfGE 98, 365 = VersR 1999, 600) ohnehin zu einer grundlegenden Änderung seiner Satzung gezwungen.

b) Dieser Beschluss des BVerfG mag auch bei den Rentenempfängern der Beklagten die Erwartung geweckt haben, ihnen stehe vom Jahr 2001 an eine höhere Rente zu, wie sie sich bei voller Berücksichtigung der Vordienstzeiten aus der früher geltenden Fassung der BVKS ergeben würde. Anders als das Berufungsgericht meint, bezieht sich die Entscheidung des BVerfG aber nicht auf Rentenberechtigungen, die - wie beim Kläger - bereits vor dem 1.1.2001 entstanden sind (vgl. dazu BGH, Urt. v. 26.11.2003 - IV ZR 186/02, MDR 2004, 447 = BGHReport 2004, 295 = VersR 2004, 183 ff.). Der Kläger des vorliegenden Verfahrens gehört damit nicht zu jenen jüngeren Versichertengenerationen, für die die angegriffene Halbanrechnung nach Auffassung des BVerfG nicht mehr hinnehmbar ist. Das BVerfG hat die Halbanrechnung trotz verfassungsrechtlicher Bedenken noch als zulässige Typisierung und Generalisierung im Rahmen einer komplizierten Materie angesehen, weil ein bruchloser Verlauf der Erwerbsbiografie im öffentlichen Dienst erst für die jüngeren Versichertengenerationen nicht mehr hinreichend typisch sei. Bis zum Ablauf des Jahres 2000 könne die Halbanrechnung aber noch hingenommen werden. Mithin ist das BVerfG davon ausgegangen, dass alle Versicherten, die vor Ablauf des Jahres 2000 Rentner bei Zusatzversorgungsträgern wie der Beklagten geworden sind, noch zu denjenigen Generationen zählen, für die ein bruchloser Verlauf der (bei Rentenbeginn abgeschlossenen) Erwerbsbiografie als typisch angesehen werden kann. Soweit die Versicherten im Revisionsverfahren diese Annahme des BVerfG mittels statistischen Materials und unter Berufung auf ein einzuholendes Sachverständigengutachten in Zweifel gezogen haben, ist dies in Bezug auf die rein wertende Abgrenzung der Versichertengenerationen durch das BVerfG unerheblich. Der Kläger bezieht bereits seit 1998 eine Zusatzrente von der Beklagten. Für ihn und für die Generation, der er angehört, ist die Halbanrechnung der Vordienstzeiten also noch hinzunehmen.

Die Unterscheidung, die das BVerfG zwischen der Rentnergeneration der dortigen Beschwerdeführerin einerseits und den jüngeren Versichertengenerationen andererseits trifft, verlöre ihren Sinn, wenn auch Personen, die vor dem Stichtag schon Rentner bei der Beklagten waren, nach dem Stichtag als Angehörige der jüngeren Versichertengeneration hätten gelten sollen. Dass auch die dortige Beschwerdeführerin (und nicht nur die am Verfahren vor dem BVerfG nicht beteiligten jüngeren Versichertengenerationen) vom Stichtag an einen Anspruch auf Änderung der sie benachteiligenden, gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstoßenden Satzungsbestimmungen gehabt hätte, ist nicht ersichtlich.

c) Der Senat folgt dem BVerfG darin, dass die Anwendung des Halbanrechnungsgrundsatzes aus § 42 Abs. 2 S. 1 Buchst. a Doppelbuchst. aa VBLS a.F. (entsprechend hier § 33 Abs. 2a, aa BVKS a.F.) bei der Berechnung der Versorgungsrente für solche Versicherte, die - wie der Kläger - bis zum 31.12.2000 versorgungsberechtigt geworden sind, nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstößt. Damit liegt auch kein Verstoß gegen §§ 9 AGBG, 307 BGB vor. Dabei kann auf sich beruhen, ob den Erwägungen des BVerfG zur Ungleichbehandlung der von der Halbanrechnung betroffenen Versichertengruppe trotz Kritik von Seiten der Versorgungsträger in jedem Punkte zu folgen ist (vgl. auch Hebler, ZTR 2000, 337 ff.). Denn mit dem BVerfG ist der Senat der Auffassung, dass - ist mit der Halbanrechnung eine Ungleichbehandlung gegenüber denjenigen Versicherten verbunden, die ihr ganzes Berufsleben im öffentlichen Dienst verbracht haben - sich die Ungleichbehandlung jedenfalls im Rahmen einer zulässigen Typisierung und Generalisierung einer komplizierten, eine sehr große Gruppe von Versicherten betreffenden Materie hielt. Diese Ungleichbehandlung hat ein Versicherter, der bis zum Ablauf des Jahres 2000 Zusatzrentenempfänger geworden ist, nicht zuletzt auch im Interesse der Erhaltung der finanziellen Leistungsfähigkeit des Versorgungsträgers hinzunehmen, selbst wenn für die Zukunft eine andere, eine die Ungleichbehandlung für zukünftige Rentenempfänger vermeidende Regelung zu treffen ist.

d) Der Kläger wird auch ggü. Versicherten, deren Rente sich nach der ab 1.1.2001 geltenden Neufassung der BVKS richtet, nicht in rechtlich erheblicher Weise benachteiligt. Nach unwidersprochenem Vortrag der Beklagten ist das Niveau der von ihr in Zukunft auf Grund ihrer neuen Satzung zu leistenden Versorgungsrenten generell niedriger als bisher. Dass der Kläger trotz der dynamisierten Besitzstandsrente, die er nach der neuen Satzung der Beklagten erhält, wirtschaftlich im Ergebnis schlechter stehe als Berechtigte, deren Versorgungsrente nach neuem Satzungsrecht ohne Rücksicht auf Vordienstzeiten außerhalb des öffentlichen Dienstes berechnet wird, ist von ihm weder dargetan noch ersichtlich. Der in der Halbanrechnung von Vordienstzeiten vom BVerfG gesehene Verstoß gegen den Gleichheitssatz ist - wie das Berufungsgericht zutreffend dargelegt hat - für die Zukunft ausgeräumt. Im Hinblick darauf stehen Rentenempfängern alten Rechts wie dem Kläger über die Wahrung ihres Besitzstandes hinaus auch nach dem 31.12.2000 keine weiter gehenden Ansprüche aus Gründen der Gleichbehandlung zu.

 

Fundstellen

NVwZ-RR 2005, 837

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