Entscheidungsstichwort (Thema)

Beamtenrechtliche Beschränkungen von verletzten Beamten beziehungsweise Hinterbliebenen bei Geltendmachung von Ersatzansprüchen nach den allgemeinen gesetzlichen Vorschriften aus einem Dienstunfall

 

Leitsatz (amtlich)

Die beamtenrechtlichen Beschränkungen des verletzten Beamten bzw. seiner Hinterbliebenen bei der Geltendmachung von Ersatzansprüchen nach den allgemeinen gesetzlichen Vorschriften aus einem Dienstunfall stehen einem Übergang solcher Ansprüche auf einen Sozialversicherungsträger jedenfalls dem Grunde nach nicht entgegen (Fortführung von BGHZ 6, 3).

 

Normenkette

BeamtVG § 46 Abs. 2; DBG a.F. § 124 Abs. 2; RVO a.F. § 1542; BGB §§ 839, 844 Abs. 2

 

Tenor

  1. Auf die Rechtsmittel der Klägerin werden das Urteil des 3. Zivilsenats des Oberlandesgerichts in Saarbrücken vom 29. Mai 1987 aufgehoben und das Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Saarbrücken vom 31. Mai 1985 abgeändert:

    1. Das beklagte Land wird verurteilt, an die Klägerin 30.358,60 DM nebst 4 % Zinsen ab dem 2. Mai 1984 zu zahlen.
    2. Es wird festgestellt, daß das beklagte Land verpflichtet ist, der Klägerin alle Leistungen zu ersetzen, die diese für die Zeit vom 1. Januar 1984 bis 31. Dezember 1986 an die Witwe Hermine W., L.straße ..., Wadgassen, kraft Gesetzes oder Satzung aufgrund des Unfalltodes deren Ehemanns Emil Anton W. zu erbringen verpflichtet ist, und zwar im Rahmen des übergangsfähigen Schadens unter Berücksichtigung des Quotenvorrechts der Klägerin sowie einer Mithaftung des Getöteten von 1/3.
  2. Die Kosten des Rechtsstreits hat das beklagte Land zu tragen.
 

Tatbestand

Am 5. April 1956 erlitt der Polizeimeister W. als Beifahrer in einem Polizeifahrzeug des beklagten Landes tödliche Verletzungen, als das Fahrzeug, das der als Fahrlehrer eingesetzte Polizeimeister H. steuerte, mit einer entgegenkommenden Straßenbahn kollidierte. Die beiden Beamten hatten eine am Vormittag des Unfalltages begonnene Fahrt, die der Vorbereitung des W. auf die Führerscheinprüfung diente, wegen Schneefalls vorzeitig abgebrochen. Sie hatten sich vom frühen Mittag bis etwa 17.00 Uhr in einer Gaststätte aufgehalten und dort in erheblichem Umfang alkoholische Getränke zu sich genommen. Der Unfall geschah gegen 20.50 Uhr. H. wurde wegen fahrlässiger Tötung verurteilt.

Das beklagte Land erkannte den Unfall des W. als Dienstunfall an, erbrachte an seine Hinterbliebenen Versorgungsleistungen und machte gegen H. Regreßansprüche geltend. Am 14. Juli 1961 verpflichtete sich H. in einem Vergleich, dem beklagten Land die unfallbedingten Aufwendungen zu 2/3 zu ersetzen; am 24. Januar 1968 verpflichtete sich der Haftpflichtversicherer des H. in einem Abfindungsvertrag, alle noch bestehenden Schadensersatzansprüche des beklagten Landes durch Zahlung zu erledigen. Auf dieser Basis ist der Schaden reguliert.

W. war vor Eintritt in das Beamtenverhältnis von 1929 bis 1945 bei der klagenden Landesversicherungsanstalt pflichtversichert gewesen. Seine Witwe hat bei der Klägerin erst 1981 einen Rentenantrag gestellt. Inzwischen hat die Klägerin für die Zeit vom 1. Januar 1977 bis zum 31. Dezember 1983 an die Witwe W. Rentenleistungen in Höhe von 30.358,60 DM erbracht.

Mit der Klage begehrt die Klägerin - gestützt auf § 1542 RVO a.F. - die Verurteilung des beklagten Landes zur Erstattung ihrer bisherigen Rentenleistungen an die Witwe W. sowie die Feststellung der Verpflichtung des beklagten Landes zum Ersatz ihrer zukünftigen unfallbedingten Leistungen unter Berücksichtigung eines Mitverschuldens des W. von 1/3. Das beklagte Land habe - so macht die Klägerin geltend - durch die Vereinbarungen mit H. und seinem Haftpflichtversicherer sowie die Entgegennahme der Ersatzleistungen über die ihr zustehenden bevorrechtigten Schadensersatzansprüche mitverfügt. Diese Verfügungen seien ihr gegenüber wirksam, so daß ihr das beklagte Land nach § 816 Abs. 2 BGB zur Herausgabe des ihr zustehenden Anteils an den Schadensersatzleistungen des H. bzw. seines Haftpflichtversicherers verpflichtet sei.

Nach Auffassung des beklagten Landes sind auf die Klägerin keine Schadensersatzansprüche übergegangen; da es sich um einen Dienstunfall gehandelt habe, habe der zur Unfallzeit geltende § 124 DBG einem Anspruchsübergang entgegengestanden.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, das Oberlandesgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen.

Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter.

 

Entscheidungsgründe

I.

Nach Auffassung des Berufungsgerichts hat das beklagte Land mit der Entgegennahme der Schadensersatzleistungen des H. bzw. seines Versicherers nicht über Ansprüche verfügt, die der Klägerin zugestanden haben. Zwar lägen die Voraussetzungen für einen Anspruchsübergang auf die Klägerin nach § 1542 RVO a.F. an sich vor, insbesondere bestehe zwischen ihren Rentenleistungen und dem Anspruch der Witwe W. aus § 844 Abs. 2 BGB Deckungsgleichheit. Ein Anspruchsübergang sei aber an § 124 Abs. 2 DBG, der hier anzuwenden sei, gescheitert. Diese Vorschrift, die dem Beamten bzw. seinen Hinterbliebenen Ansprüche aus den allgemeinen gesetzlichen Vorschriften zwar nicht von Grund auf entziehe, solche Ansprüche aber einschränke, wirke sich zum Nachteil der Klägerin aus, die in die Rechtsposition der Witwe W. gelangt sei. Die Einschränkung des Anspruchsausschlusses des § 124 Abs. 2 DBG, die sich aus § 1 des Gesetzes über die erweiterte Zulassung von Schadensersatzansprüchen bei Dienst- und Arbeitsunfällen vom 7. Dezember 1943 (RGBl. I 674) ergebe, komme hier nicht zum Tragen; der Unfall habe sich nicht bei der Teilnahme am allgemeinen Verkehr, sondern bei einer dienstlich veranlaßten Fahrt ereignet. Das beklagte Land habe damit nur über Ansprüche verfügt, die es nach dem damals geltenden § 139 DBG aufgrund seiner Versorgungsleistungen an die Hinterbliebenen des W. erlangt habe.

II.

Diese Erwägungen halten den Angriffen der Revision im Ergebnis nicht stand.

1.

Zu Recht ist allerdings das Berufungsgericht davon ausgegangen, daß die Witwe W. gegen H. nach § 844 Abs. 2 BGB einen Schadensersatzanspruch wegen Entziehung ihres Rechts auf Unterhalt erlangt hat. Der Verkehrsunfall, bei dem W. getötet worden ist, beruhte auf dem Verschulden des H.. Zwar hat die Fahrt der beiden Polizeibeamten der Vorbereitung des W. auf die Polizeiführerscheinprüfung gedient. Das hat jedoch nicht zur Folge, daß es sich bei den aus dieser Fahrt entstandenen Schadensersatzansprüchen um Amtshaftungsansprüche aus einer hoheitlichen Betätigung von H. handelte, für die nach § 839 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 120 der Verfassung des Saarlandes das beklagte Land als Dienstherr des H. und nicht H. selbst einzustehen hatte. Allerdings erfolgen Dienstfahrten, die der Fahrausbildung von Polizeibeamten dienen, grundsätzlich in Ausübung eines öffentlichen Amtes (vgl. BGHZ 49, 267, 274 f.). Dabei ist indes vorauszusetzen, daß zwischen der Dienstfahrt und ihrer hoheitlichen Zielsetzung ein so enger äußerer und innerer Zusammenhang besteht und bestehen bleibt, daß die Fahrt als Bestandteil der Erfüllung der hoheitlichen Aufgabe gelten muß (vgl. BGH, Urteil vom 2. November 1978 - III ZR 183/76 - VersR 1979, 225, 226). Zu Recht geht das Berufungsgericht mit den Parteien ersichtlich davon aus, daß ein solcher Zusammenhang hier im Zeitpunkt des Unfalls nicht bestanden hat. Die beiden Beamten hatten ihre Ausbildungsfahrt schon etwa acht Stunden vor dem Unfall beendet und in der Zwischenzeit im Verlauf von etwa vier Stunden in erheblichem Umfang alkoholische Getränke zu sich genommen. Sie hatten mit diesem Verhalten ihre dienstliche Zielsetzung - die Fahrausbildung des W. - aufgegeben, was auch darin zum Ausdruck kommt, daß auf der Unfallfahrt H. und nicht W. das Fahrzeug geführt hat. Damit war die ursprünglich vorhandene innere Beziehung der Fahrt zur Amtsausübung entfallen. Dies bedeutet, daß sich die Ersatzansprüche wegen der Tötung von W. gegen H. selbst richten.

2.

Der Senat teilt jedoch nicht die Auffassung des Berufungsgerichts, daß der Übergang des Anspruchs der Witwe W. auf die Klägerin an einem aus § 124 Abs. 2 DBG folgenden Anspruchsausschluß gescheitert ist. Vielmehr erweist sich diese Vorschrift hier als nicht einschlägig. § 124 DBG lautete (RGBl. I 1937, 39):

"(1)

Aus Anlaß eines Dienstunfalls haben Ansprüche der Beamte nur in den Grenzen der §§ 107 bis 112 und 121 Abs. 1, 2 und 4, die Hinterbliebenen nur in den Grenzen der §§ 113 bis 118 und 121 Abs. 3. ...

(2)

Weitergehende Ansprüche auf Grund allgemeiner gesetzlicher Vorschriften können gegen eine öffentliche Verwaltung oder ihre Bediensteten nur dann geltend gemacht werden, wenn der Unfall durch eine vorsätzliche unerlaubte Handlung eines Bediensteten verursacht ist.

(3)

Ersatzansprüche gegen andere Personen bleiben unberührt."

Seit BGHZ 6, 3 ff legt der Bundesgerichtshof diese Vorschrift - ihrer Zweckbestimmung folgend - eng aus. Dabei läßt er sich von folgender Erwägung leiten: Die Anspruchseinschränkung, die § 124 DBG ausspricht, beruht darauf, daß dem verletzten Beamten bzw. seinen Hinterbliebenen mit dem Anspruch auf die beamtenrechtlichen Versorgungsleistungen eine Existenzsicherung zuwächst, die es nach Auffassung des Gesetzgebers rechtfertigt, die allgemeinen Ansprüche des Beamten und seiner Hinterbliebenen gegen eine öffentliche Verwaltung oder ihre Bediensteten einzuschränken. Diese Vorstellung von einer Wechselbeziehung zwischen Vorteilsgewährung und Rechtsbeschränkung beherrscht Inhalt und Reichweite der Anspruchseinschränkung des § 124 DBG; das führt dazu, daß die Rechtsbeschränkung nur so weit wirkt wie die Wechselwirkung trägt.

Deshalb nimmt § 124 DGB - anders als die verwandte Vorschrift des § 636 RVO - die materiellen Ersatzansprüche nach allgemeinen Vorschriften gegen den Dienstherrn oder öffentliche Bedienstete nicht von Grund auf, sondern schränkt sie nur der Höhe nach in der Hand des verletzten Beamten bzw. seiner Hinterbliebenen ein. Dies findet auch in dem Wortlaut der Vorschrift Ausdruck, der nur die Möglichkeit der Geltendmachung von Ansprüchen einschränkt. Da der Dienstunfall nur für den Beamten bzw. seine Hinterbliebenen Versorgungsansprüche auslöst, die eine Einschränkung in der Geltendmachung der Ersatzansprüche innerlich rechtfertigen, hat der Bundesgerichtshof anerkannt, daß § 124 DGB den Übergang von Ansprüchen aufgrund der allgemeinen gesetzlichen Vorschriften auf den Dienstherrn des Beamten nicht hindert (vgl. BGH, a.a.O. S. 12 bis 16; vgl. ferner Senatsurteil vom 29. März 1977 - VI ZR 52/76 - VersR 1977, 649, 650 m.w.N.). Dies gilt jedenfalls, soweit die Ersatzansprüche nach allgemeinen Vorschriften die Unfallfürsorgeleistungen nicht übersteigen.

Diese Erwägungen können für den Sozialversicherungsträger, auf den gemäß § 1542 RVO a.F. die Schadensersatzansprüche des Versicherten oder seiner Hinterbliebenen übergehen, nicht anders gelten. Er befindet sich, da er ebenso wie der Dienstherr außerhalb der Wechselbeziehung von Rechtsgewinn und Rechtseinbuße steht, in einer Position, die der des Dienstherrn vergleichbar ist. Auch für ihn ist deshalb jedenfalls in dem bezeichneten Umfang die Anspruchseinschränkung nach § 124 DGB innerlich nicht gerechtfertigt; dies umso weniger, als sie hier zu einer Zurücksetzung des Sozialversicherungsträgers als Regreßgläubiger im Verhältnis zu dem Dienstherrn führen würde, dem das Gesetz, wie gesagt, die Regreßforderung beläßt. Im übrigen ist nicht erkennbar, daß es in der Zielrichtung des Gesetzgebers gelegen hätte, mit einer beamtenrechtlichen Regelung anspruchseinschränkend in das sozialversicherungsrechtliche Leistungs- und Ausgleichssystem einzugreifen; dies hätte einer ausdrücklichen, die Rechtsfolgen klar bezeichnenden Regelung bedurft.

Da § 124 DGB nicht eingreift, kann es auf sich beruhen, ob die tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts seine Auffassung tragen, der Unfall habe sich nicht bei der Teilnahme am allgemeinen Verkehr im Sinne von § 1 des Gesetzes über die erweiterte Zulassung von Schadensersatzansprüchen bei Dienst- und Arbeitsunfällen vom 7. Dezember 1943 ereignet.

3.

Die Schadensersatzansprüche der Witwe W. aus § 844 Abs. 2 BGB sind somit - ungehindert durch § 124 DBG - auf die Klägerin übergegangen, und zwar im Zeitpunkt des Schadensereignisses (BGHZ 48, 181, 188). Dasselbe gilt für einen Anspruchsübergang auf das beklagte Land gemäß § 139 DBG (vgl. Senatsurteil vom 24. März 1964 - VI ZR 179/62 - VersR 1964, 640, 642). Allerdings gehen die Ansprüche des öffentlichen Dienstherrn den Ansprüchen des Sozialversicherungsträgers nach der im Streitfall anzuwendenden Regelung des § 1542 RVO a.F. nach, da dieser das sog. Quotenvorrecht vor dem öffentlichen Dienstherrn besitzt (st. Rspr., vgl. etwa Senatsurteil vom 13. Oktober 1970 - VI ZR 31/69 - VersR 1971, 127, 128 und vom 30. März 1971 - VI ZR 190/69 - VersR 1971, 637, 639, jeweils m.w.N.).

Damit ist das beklagte Land im Umfang der vorrangigen Anspruchsberechtigung der Klägerin nicht Inhaber der Schadensersatzansprüche der Hinterbliebenen des W. gegen den Schädiger H. geworden; es ist deshalb gegenüber der Klägerin insoweit nicht befugt gewesen, über diese Schadensersatzansprüche zu verfügen. Dieser Rechtslage hat das beklagte Land mit seinem Vorgehen gegenüber H. bzw. dessen Haftpflichtversicherer indes nicht Rechnung getragen. Nach dem Inhalt des Abfindungsvergleichs sollten alle Ansprüche aus dem Unfallereignis abgegolten werden, wobei die Beteiligten davon ausgegangen sind, daß allein das beklagte Land anspruchsberechtigt sei. Die Klägerin ist mit ihrer vorliegenden Klage aber von der Wirksamkeit dieser Verfügung des beklagten Landes über die ihr zustehenden Ansprüche ausgegangen; sie hat die Verfügung damit genehmigt (§ 185 Abs. 2 BGB). Dies bedeutet, daß die Leistungen des H. bzw. seines Haftpflichtversicherers der Klägerin gegenüber wirksam sind mit der Folge, daß ihr gegen das beklagte Land gemäß § 816 Abs. 2 BGB ein Anspruch auf Herausgabe dieser Leistungen im Umfang ihrer vorrangigen Anspruchsberechtigung zusteht.

Das beklagte Land hat die (im Klageantrag konkludent enthaltene) Behauptung der Klägerin, die empfangenen Leistungen des H. bzw. seines Haftpflichtversicherers beliefen sich mindestens auf den Betrag ihrer Rentenleistungen, nicht bestritten. Damit ist dem Klagebegehren aus § 816 Abs. 2 BGB stattzugeben, wobei der Senat zum Zwecke der Klarstellung im Feststellungsausspruch den Zusatz "ab dem 05.04.1956" gestrichen hat.

 

Unterschriften

Dr. Steffen

Dr. Kullmann

Dr. Ankermann

Dr. Lepa

Dr. Birkmann

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1456291

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