Leitsatz (amtlich)

Sittenwidrig ist grundsätzlich die Vereinbarung einer über 20 Jahre hinausgehenden Mindestlaufzeit einer (beschränkten persönlichen) Dienstbarkeit, die der Sicherung einer Bierbezugsverpflichtung dient und nach welcher ohne Zustimmung des Berechtigten der Betrieb einer Gast- und Schankwirtschaft oder einer sonstigen Bierabsatzstätte nicht gestattet ist.

 

Verfahrensgang

OLG Braunschweig (Entscheidung vom 08.06.1977)

 

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des 3. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Braunschweig vom 8. Juni 1977 wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über das Bestehen einer beschränkten persönlichen Dienstbarkeit.

Der Beklagte ist Eigentümer des Grundstücks W.-..., A. Straße ..., auf dem die K. GmbH, deren Hauptgesellschafter und Geschäftsführer der Beklagte ist, ein Hotel betreibt. Im Grundbuch ist zugunsten der Klägerin eine beschränkte persönliche Dienstbarkeit eingetragen, nach welcher "der Betrieb einer Gast- und Schankwirtschaft oder einer sonstigen Bierabsatzstätte nicht gestattet ist, es sei denn die Berechtigte stimmt zu". Die Klägerin verlangt vom Beklagten die Einstellung des Gast- und Schankbetriebs; der Beklagte hält die Dienstbarkeit für zwischenzeitlich erloschen.

Die Eintragung der Dienstbarkeit beruht auf der Bewilligung der früheren Grundstückseigentümerin Frau S., die dort gemeinsam mit ihrem Ehemann eine Gaststätte unterhielt. Ab Mitte 1963 stellte die Klägerin den Eheleuten mehrere Darlehen in einer Gesamthöhe von etwa 28.500 DM zur Verfügung. Die Darlehen sollten eine Laufzeit von insgesamt 22 Jahren haben. Als Gegenleistung übernahmen die Eheleute die Verpflichtung, ihren gesamten Bierbedarf sowie ihren Bedarf an alkoholfreien Getränken, soweit diese sich im Sortiment der Klägerin befänden, ausschließlich bei dieser zu decken. In der Vereinbarung vom 18. September 1965 heißt es weiter:

"Die vorgesehene zeitliche und mengenmäßige Mindestabnahmeverpflichtung für Bier bleibt auch bei einer vorzeitigen Rückzahlung des Darlehens bestehen."

Ferner bestellten die Eheleute der Klägerin eine Grundschuld über 25.000 DM sowie die Dienstbarkeit. Nach der Eintragungsbewilligung, auf die im Grundbuch Bezug genommen ist, erlischt die Dienstbarkeit mit Beendigung des Bezugsvertrags, jedoch nicht vor dem 1. August 1985.

Im Jahre 1969 veräußerte Frau S. das Grundstück an einen Dritten, von dem es der Beklagte 1973 erwarb. Bereits 1970 waren die den Eheleuten S. gewährten Darlehen vorzeitig getilgt worden.

Das Landgericht hat der Klage auf Unterlassung des Betriebs einer Gast- und Schankwirtschaft oder einer sonstigen Bierabsatzstätte stattgegeben und die Widerklage auf Löschung der Dienstbarkeit abgewiesen.

Auf die Berufung des Beklagten hat das Berufungsgericht der Widerklage entsprochen und die Klage abgewiesen.

Mit der zugelassenen Revision erstrebt die Klägerin die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.

Der Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet.

Das Berufungsgericht hat zutreffend die Klage abgewiesen und der Widerklage stattgegeben. Die beschränkte persönliche Dienstbarkeit auf dem Grundstück des Beklagten ist erloschen.

Das Berufungsgericht führt aus, die Dienstbarkeit erlösche hier nach dem Inhalt der Eintragungsbewilligung mit Beendigung des Bierbezugsvertrages (auflösende Bedingung), weil die Vereinbarung einer Mindestlaufzeit von insgesamt 22 Jahren (bis 1. August 1985) sittenwidrig und damit nichtig sei. Unter Berücksichtigung des Vertragsinhalts dauere die Bezugsverpflichtung nur bis zum 1. August 1977. Da das Darlehen bereits im Jahr 1970 zurückgezahlt worden sei, habe der Bierlieferungsvertrag den Zeitpunkt der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung (18. Mai 1977) nicht überdauert.

1.

Ohne Erfolg macht die Revision geltend, das Berufungsgericht verknüpfe in unzulässiger Weise das "rechtliche Schicksal der Dienstbarkeit mit dem des zugrundeliegenden schuldrechtlichen Geschäfts". Der Beklagte habe das dinglich belastete Grundstück erworben, seine wirtschaftliche Freiheit werde deshalb durch die Bezugsverträge der Klägerin mit dem Ehepaar Schmidt nicht beeinträchtigt. Eine Nichtigkeit der Bierlieferungsverträge könne nur zu Bereichungsansprüchen des Ehepaars Schmidt führen. Solche Ansprüche würden hier - wie das Berufungsgericht richtig gesehen habe - nicht geltend gemacht.

Diese Rüge geht schon deshalb fehl, weil die Dienstbarkeit nach dem festgestellten Inhalt der maßgeblichen Eintragungsbewilligung mit Beendigung des Bierbezugsvertrages erlischt. Diese Regelung hat das Berufungsgericht als auflösende Bedingung (§ 158 Abs. 2 BGB; Senatsurteil vom 20. September 1974, V ZR 44/73 = NJW 1974, 2123, 2124) für die Dienstbarkeit verstanden, was die Revision nicht angreift. Das deckt sich mit der Auffassung des Senats, der den Inhalt der Grundbucheintragung selbständig auslegen kann (BGHZ 37, 147, 148). Darüber hinaus ist die Dienstbarkeit hier nach den Feststellungen des Berufungsgerichts zur Sicherung einer Bezugsverpflichtung bestellt worden; dies ist zulässig und hat zur Folge, daß die von der Rechtsprechung aufgestellten Grundsätze über die Wirksamkeit von Bierlieferungsverträgen in bestimmtem Umfang auch die Dienstbarkeitsbestellung beeinflussen (vgl. das zum Abdruck in BGHZ bestimmte Senatsurteil vom 18. Mai 1979, V ZR 70/78). Darauf kommt es hier jedoch mit Rücksicht auf den ausdrücklich vereinbarten Inhalt der Dienstbarkeit nicht mehr entscheidend an.

2.

Der Bierbezugsvertrag ist beendet, mithin die auflösende Bedingung eingetreten.

Entgegen der Auffassung der Revision hat das Berufungsgericht ohne Rechtsverstoß angenommen, daß die Bezugsbindung nach den Umständen des hier vorliegenden Falles gegen die guten Sitten verstoße (§ 138 BGB).

Es behandelt alle abgeschlossenen Bierlieferungsverträge als Einheit (vgl. BGH Urteil vom 16./17. September 1974, VIII ZR 116/72 = WM 1974, 1042, 1043) und kommt so zu einer Gesamtlaufzeit von 22 Jahren. Dagegen erinnert auch die Revision nichts. Das Berufungsgericht folgt der gefestigten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes, nach der u.a. für den Normalfall eine Ausschließlichkeitsbindung von insgesamt 15 Jahren gerade noch zu billigen und nur im Sonderfall - den die Revision selbst hier nicht in Anspruch nimmt - eine Bindungsdauer von 20 Jahren als oberste Grenze noch hinzunehmen ist (vgl. das schon erwähnte BGH Urteil vom 16./17. September 1974; ferner die BGH Urteile vom 21. Mai 1975, VIII ZR 215/72 = WM 1975, 850, 852; vom 17. Januar 1979, VIII ZR 262/77 = NJW 1979, 865; Hiddemann, WM 1975, 942, 945). Eine Sittenwidrigkeit innerhalb dieses zeitlichen Rahmens liegt dann vor, wenn durch die Ausschließlichkeitsbindung und ihre Ausgestaltung im Einzelfall die wirtschaftliche Bewegungsfreiheit und Selbständigkeit des Gastwirts in unvertretbarer Weise eingeengt werden und er dadurch in eine mit den Anschauungen des redlichen Geschäftsverkehrs nicht mehr zu vereinbarende Abhängigkeit von der Brauerei gerät. Je größer die Gegenleistungen der Brauerei sind, desto einschneidender können im Einzelfall die Bindungen sein, die der Gastwirt im Interesse einer sachgerechten Risikobegrenzung auf Seiten der Brauerei noch hinnehmen muß. Die erforderliche Abwägung ist weitgehend eine Sache tatrichterlicher Würdigung, die im Revisionsrechtszug nur beschränkt nachprüfbar ist (vgl. BGHZ 54, 145, 154; BGH Urteil vom 7. Oktober 1970, VIII ZR 202/68 = WM 1970, 1402, 1403; Urteil vom 22. Januar 1975, VIII ZR 243/73 = WM 1975, 307, 309 m.w.N.).

Diesen Grundsätzen trägt das Berufungsgericht Rechnung, soweit es in einer umfassenden Gesamtwürdigung des Vertragsinhalts bei einer Laufzeit von 22 Jahren Sittenwidrigkeit bejaht.

Unzutreffend ist die Auffassung der Revision, daß hier an die Bewertung des Bierlieferungsvertrages andere Maßstäbe angelegt werden müßten, weil sich nicht die Vertragspartner als Prozeßparteien gegenüberstünden.

Erfolglos rügt die Revision, das Berufungsgericht habe die Interessen der Eheleute Schmidt unzutreffend gewürdigt, weil das Gastwirtsehepaar sich auf eine teilweise Unwirksamkeit der Bezugspflichten nie berufen habe und sich infolge Verwirkung auch nicht hätte berufen können. Die Nichtigkeit einer Vereinbarung wegen Sittenwidrigkeit tritt unabhängig davon ein, ob die Betroffenen sich darauf berufen. Für die Voraussetzungen der Verwirkung gibt der festgestellte Sachverhalt nichts her; die Revision rügt auch nicht, daß das Berufungsgericht hierzu einschlägigen Vortrag übergangen habe.

Nicht zu beanstanden ist, daß und auch in welchem Umfang das Berufungsgericht die Tatsache einer zusätzlichen Absicherung der Darlehen durch eine Grundschuld bewertet hat. Die Rechtsprechung läßt langfristige Bierlieferungsverträge gerade zu dem Zweck zu, daß sich die Gastwirte durch Eingehung einer Bezugsbindung eine Kreditgrundlage schaffen können. Wird ein solcher Brauereikredit aber durch eine Grundschuld abgesichert, die nach den Feststellungen des Berufungsgerichts für die Klägerin jedenfalls einen gewissen Wert besaß, so kann dies bei der Würdigung nicht außer Betracht bleiben. Daß der Tatrichter hierbei die ihm gezogenen Grenzen überschritten hätte, vermag die Revision nicht aufzuzeigen.

Im Ergebnis ohne Erfolg wendet sich die Revision auch dagegen, daß das Berufungsgericht die vorzeitige Tilgung des Darlehens in seine Überlegungen mit einbezogen hat. Die vorzeitige Rückzahlung des Darlehens kann als nach Vertragsabschluß eingetretener Umstand nicht berücksichtigt werden, wenn zu prüfen ist, ob der abgeschlossene Vertrag nach § 138 BGB nichtig ist. Ob und unter welchem rechtlichen Gesichtspunkt diese Darlehensrückzahlung von Bedeutung sein kann, mag hier dahinstehen, denn rechtsbedenkenfrei (vgl. BGH Urteile vom 14. Juni 1972, VIII ZR 14/71 = WM 1972, 1224, 1226; vom 31. Januar 1973, VIII ZR 131/71 = WM 1973, 357; vom 16./17. September 1974, wie oben) stellt das Berufungsgericht weiter fest, daß der Vertrag auch ohne Berücksichtigung der Darlehensrückzahlung "spätestens am 1. August 1977" ende. Dieser Zeitpunkt ist jedenfalls zwischenzeitlich eingetreten, was das Revisionsgericht berücksichtigen darf. Damit wird nicht eine neue Tatsache verwertet (§ 561 ZPO), sondern nur auf der Grundlage des vom Berufungsgericht festgestellten Sachverhalts die jetzt notwendige (unter Berücksichtigung des Zeitablaufs) rechtliche Folgerung gezogen (vgl. auch BGH Urteil vom 29. Oktober 1952, IV ZR 75/53 = LM BGB § 240 Nr. 1).

3.

Zutreffend hält das Berufungsgericht schließlich die Vereinbarung der Mindestfrist (bis 1. August 1985) für sittenwidrig. Die Dienstbarkeit wurde zur Sicherung einer Bierbezugsverpflichtung bestellt. In einem solchen Fall ist eine zeitlich völlig unbeschränkte Dienstbarkeit nichtig (§ 138 BGB; vgl. auch das oben schon erwähnte Senatsurteil vom 18. Mai 1979). Sittenwidrig ist dann auch die Vereinbarung einer Mindestfrist, die - wie hier - die von der Rechtsprechung aufgestellte höchstzulässige Grenze von 20 Jahren überschreitet. Was der Senat im erwähnten Urteil zur zeitlich unbeschränkten Dienstbarkeitsbestellung ausgeführt hat, gilt in gleichem Maß auch für den vorliegenden Fall. Der Grundstückseigentümer wäre in seiner wirtschaftlichen Bewegungsfreiheit und Selbständigkeit durch die dingliche Absicherung unvertretbar eingeschränkt, wenn diese im Regelfall länger als 20 Jahre bei Bestand bliebe. Ob die Dienstbarkeit - ähnlich wie die Bezugsverpflichtung - unter Anwendung von § 139 BGB auf eine zeitlich kürzere Laufzeit zurückgeführt werden kann, bedarf hier nicht der Entscheidung. Denn - wie vom Berufungsgericht für die Bezugsbindung ausgeführt - käme eine Geltungsdauer über den 1. August 1977 hinaus nicht in Betracht.

Da das angefochtene Urteil auch sonst keine Rechtsfehler zum Nachteil der Klägerin erkennen läßt, war die Revision mit der Kostenfolge des § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 3018760

DB 1979, 2177 (Volltext mit amtl. LS)

NJW 1979, 2149-2150 (Volltext mit amtl. LS)

DNotZ 1980, 45

DNotZ 1980, 45-47

MDR 1980, 46 (Volltext mit amtl. LS)

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