Leitsatz (amtlich)

Zur Frage, unter welchen Voraussetzungen ein Schlagersänger als „im Unternehmen” eines Konzertveranstalters „tätiger Versicherter” anzusehen ist (hier: Engagement für eine sog. Hitparaden-Tournee).

 

Normenkette

RVO § 539 Abs. 1 Nr. 3, § 636 Abs. 1

 

Verfahrensgang

OLG Stuttgart (Urteil vom 29.06.1982)

LG Ravensburg

 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des 6. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 29. Juni 1982 wird zurückgewiesen.

Die Kosten der Revision fallen den Beklagten zur Last.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Der Kläger ist Schlagersänger. Die Beklagten betreiben in Form einer Gesellschaft bürgerlichen Rechtes eine Konzertdirektion in O. Sie führten in der Zeit vom 1. März bis 30. April 1977 eine sogenannte Hitparaden-Tournee durch mehrere Städte in der Bundesrepublik und im benachbarten Ausland durch. Über sie schlossen die Parteien am 27. Oktober 1976 einen „Engagement-Vertrag”. Der Kläger verpflichtete sich zur Teilnahme an der Tournee und zum Auftritt bei den vorgesehenen Veranstaltungen als Schlagersänger. Er sollte dafür eine Gage von 2.750,– DM je Auftritt erhalten; für den Fall schuldhafter Nichterfüllung des Vertrages waren Konventionalstrafen vereinbart. Unter der Bezeichnung „Tournee-Betreuung, künstlerische Leitung, Promotion, DB-Musikproduktion” unterzeichneten diesen Vertrag auch die Herren B. und N., die sich ihrerseits in einem gesonderten Vertrag den Beklagten gegenüber zu entsprechenden Leistungen verpflichteten.

Im Rahmen der Tournee war für den 23. März 1977 eine Veranstaltung in der Oberschwabenhalle in R. geplant. Die Beklagten mieteten die Halle zu diesem Zweck von der früheren Mitbeklagten, der Stadt R. Diese hatte in der Halle eine, neue Bühne installieren lassen, die am 23. März 1977 erstmalig verwendet wurde. Sie bestand aus einem 1,35 m hohen, zum Publikum hin nach vom und weitgehend auch nach den Seiten hin offenen Podium, das an der Rückseite durch eine etwa 1,40 m hohe Holzwand abgesichert war, über eine ca. 2 m breite Treppe konnte das Podium von hinten durch eine Lücke in der Holzwand betreten werden. Vor der Holzwand waren in einem Abstand von ca. 0,50 m zwei Vorhänge angebracht, die nach beiden Seiten hin über den Bühnenrand hinaus reichten. An sie schloß sich, etwas von den mittleren Vorhängen überdeckt, jeweils ein weiterer Vorhang an, der schräg nach hinten führte und die Seite des Podiums verdeckte. Die seitlichen Podiumsränder waren nicht gesichert. Der Kläger, der die Örtlichkeiten nicht kannte, wurde vor seinem Auftritt von der hinter der Bühne gelegenen Garderobe über die genannte Treppe auf den etwa 50 cm breiten Raum zwischen Rückwand der Bühne und Vorhängen geleitet; er sollte nach vorn durch eine Lücke der mittleren Vorhänge auf die Bühne kommen. Bevor er ins Rampenlicht trat, ging er (in Richtung Publikum gesehen) hinter den Vorhängen einige Schritte nach rechts und stürzte dabei über den ungesicherten seitlichen Bühnenrand auf den Hallenboden. Dabei erlitt er Verletzungen.

Die Berufsgenossenschaft der Banken, Versicherungen, Verwaltungen, freien Berufe und besonderen Unternehmen hat den Unfall des Klägers als Arbeitsunfall anerkannt und an ihn unter Vorbehalt der Rückzahlung Leistungen erbracht.

Der Kläger nimmt die Beklagten als Gesamtschuldner auf Ersatz seines materiellen Schadens in Anspruch. Er trägt vor, er habe wegen des Unfalls an weiteren 31 Veranstaltungen der Hitparade nicht teilnehmen können; abzüglich ersparter Aufwendungen seien ihm deshalb Gagen in Höhe von 83.700 DM entgangen, die ihm zuständen. Ferner habe er vereinbarte 10 Autogrammstunden für die Firma H. nicht wahrnehmen und an Veranstaltungen im ZDF und NDR nicht teilnehmen können; insoweit betrage sein Schaden einschließlich angefallener Anwaltskosten weitere 50.492,86 DM. Darüber hinaus hat der Kläger von beiden Beklagten ein Schmerzensgeld von 9.000 DM verlangt. Zur Begründung macht er im wesentlichen geltend, die Beklagten hätten ihm gegenüber vertragliche Fürsorgepflichten und allgemeine Verkehrssicherungspflichten verletzt, weil sie nicht für eine ordnungsgemäße Absicherung der Bühne gesorgt und ihn mindestens nicht vor den Gefahren gewarnt hätten.

Die Beklagten bestreiten, gegen ihnen obliegende vertragliche oder Verkehrssicherungspflichten verstoßen zu haben, und berufen sich darauf, daß ihre Haftung nach § 636 RVO ausgeschlossen sei, weil sie als Unternehmer für den Unfall des Klägers nicht einzustehen hätten.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die Beklagten als Gesamtschuldner zur Zahlung von 80.600 DM (entgangene Gagen) sowie gemeinsam mit der früher mitverklagten Stadt R. zur Zahlung der weiter geforderten 50.492,86 DM, ferner den Erstbeklagten und die Stadt R. auch zur Zahlung eines Schmerzensgeldes von 4.000 DM verurteilt und die Klage im übrigen abgewiesen.

Mit ihrer Revision begehren die Beklagten die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.

 

Entscheidungsgründe

I.

Das Berufungsgericht hält den Anspruch des Klägers auf Zahlung entgangener Gagen für die Teilnahme an der Hitparaden-Tournee nach § 324 Abs. 1 BGB in Höhe von 80.600 DM für gerechtfertigt, weil dem Kläger die Erfüllung des Engagement-Vertrages aus Umständen unmöglich geworden sei, die die Beklagten zu vertreten hätten. Der Erstbeklagte – so meint es – hätte als Veranstalter der Hitparade vor Beginn der Vorstellung die Bühne eingehend und sorgfältig auf ihre Verkehrssicherheit überprüfen müssen. Die Bühne sei gegen das Abstürzen von auftretenden Personen nicht ausreichend gesichert gewesen. Ihr Zustand habe auch gegen gesetzliche Vorschriften und Unfallverhütungsvorschriften verstoßen. Wegen schuldhafter Vertragsverletzung hätten die Beklagten außerdem dem Kläger den entgangenen Verdienstausfall für Teilnahme an Sendungen des NDR und des ZDF sowie an 10 Autogrammstunden bei der Firma H. zuzüglich zur Abwehr von Ansprüchen dieser Firma entstandener Anwaltskosten, insgesamt einen Betrag von 50.492,86 DM zu ersetzen. Der Erstbeklagte, der in R. anwesend gewesen sei, hafte auch aus unerlaubter Handlung nach § 823 Abs. 1 und 2 BGB. Dem Kläger sei kein Mitverschulden anzulasten. Er habe mit der fehlenden Absicherung der Bühne nach den Seiten hin nicht zu rechnen brauchen. Daß er unmittelbar vor dem Auftritt aus Nervosität einige Schritte nach der Seite gegangen sei, könne ihm, nicht vorgeworfen werden. Der Erstbeklagte hat schließlich nach Ansicht des Berufungsgerichts auch gemäß § 847 BGB dem Kläger für die erlittenen Verletzungen ein Schmerzensgeld zu zahlen, dessen Höhe mit 4.000 DM gerechtfertigt sei. Die vertraglichen Erfüllungsansprüche des Klägers würden durch § 636 Abs. 1 RVO ohnehin nicht ausgeschlossen. Aber auch im übrigen greife das Haftungsprivileg nicht zugunsten der Beklagten ein, weil der Kläger zwar nach § 539 Abs. 1 Nr. 3 RVO unfallversichert, aber nicht als Versicherter im Unternehmen der Beklagten tätig gewesen sei. Er habe den Beklagten vielmehr als freischaffender, persönlich und wirtschaftlich unabhängiger Künstler ähnlich einem selbständigen Unternehmer sein Programm gegen Entgelt überlassen.

II.

Die dagegen gerichteten Revisionsangriffe sind unbegründet.

1. Mit Recht hat das Berufungsgericht darin, daß der Erstbeklagte es vor dem Auftritt des Klägers unterlassen hat, die Verkehrssicherheit der Bühne zu prüfen, eine Verletzung der Betreuungspflicht aus dem Engagementvertrag vom 27. Oktober 1976 gesehen. Nach den rechtlich einwandfrei getroffenen und von der Revision auch nicht in Zweifel gezogenen Feststellungen des Berufungsgerichts waren die Beklagten die Veranstalter der Tournee, denen die technische Durchführung voll und ganz oblag. Sie waren es, die für die Sicherheit der unter Vertrag genommenen Künstler in den von ihnen angemieteten Veranstaltungsräumen, insbesondere auf der Bühne, verantwortlich waren. Der Erstbeklagte hat sich auch tatsächlich um die Lage und den Zustand der Örtlichkeiten, insbesondere der Garderoben und der Bühne gekümmert. Er hat das aber, wie das Berufungsgericht richtig erkannt hat, nicht mit der erforderlichen Sorgfalt getan. Die Bühne war für den auftretenden Künstler, der sie nicht kannte, gefährlich; zutreffend bezeichnet das Berufungsgericht sie als „Menschenfalle”. Vor dem Auftritt wurde der Künstler in einen schmalen, dunklen Raum zwischen Rückwand und Vorhang geleitet, der nach den Seiten hin – für ihn nicht erkennbar – ungesichert war. Nur wenige Schritte zur Seite bedeuteten die Gefahr des Absturzes, die sich im Falle des Klägers verwirklicht hat. Es ist nichts Außergewöhnliches, daß ein Künstler unmittelbar vor seinem Auftritt, weil er Lampenfieber hat, nervös einige Schritte hin und her geht, und das konnte ihm bei der Konstruktion der Bühne zum Verhängnis werden. Es versteht sich von selbst, daß dieser bauliche Zustand der Bühne auch gegen Unfallverhütungsvorschriften verstieß. Für die Haftung der Beklagten ist das jedoch ebenso ohne Belang wie die Frage, ob sich eine nach der VO des Innenministeriums von Baden-Württemberg über Versammlungsstätten vom 10.8.1974 (GBl S. 330, dort § 64 Abs. 2) ergebende Absicherungsverpflichtung auch an den Veranstalter richtete oder nur an die Stadt R. als Eigentümerin der Halle. Der Erstbeklagte hatte für den Kläger jedenfalls die Sicherheit der Bühne zu kontrollieren. Ihr gefährlicher Zustand war nach den Feststellungen des Berufungsgerichts ohne weiteres erkennbar. Schon deswegen vermag es die Beklagten nicht zu entlasten, daß der Erstbeklagte, wie die Revision geltend machen will, nur wenig Zeit für eine intensive Untersuchung der Räumlichkeiten gehabt habe und in der Hektik kurz vor Beginn des Programms „nicht alle möglichen Eventualitäten” hätte bedenken können. Er durfte sich auch nicht darauf verlassen, daß die ihm aus früheren Veranstaltungen her bekannte Bühne in der Zwischenzeit nicht verändert worden war. Das Berufungsgericht hat danach die Anforderungen an die Sorgfaltspflicht des Erstbeklagten nicht überspannt.

2. Danach hat das Berufungsgericht zu Recht die Ansprüche des Klägers auf Zahlung der restlichen Gagen abzüglich seiner Ersparnisse nach § 324 Abs. 1 BGB für begründet gehalten, weil seine Leistung infolge eines Umstandes unmöglich geworden ist, den die Beklagten zu vertreten haben. Begründet sind auch die Ansprüche auf Ersatz des weiteren Verdienstausfalles wegen schuldhafter Verletzung des Engagementvertrages. Über die Höhe der Ansprüche besteht kein Streit mehr.

Dem steht, wie das Berufungsgericht richtig erkannt hat, nicht die Klausel des Engagementvertrages entgegen:

„Bei schuldhafter Nichterfüllung des Vertrages gilt eine Konventionalstrafe in Höhe der Gage als vereinbart. Weitere Schadensersatzansprüche können nicht gestellt werden.”

Ansprüche aus unerlaubter Handlung, die mindestens gegenüber dem Erstbeklagten bestehen (dazu gleich), werden dadurch ersichtlich nicht berührt. Aber auch Ansprüche wegen schuldhafter Vertragsverletzung sind damit nicht insgesamt ausgeschlossen worden. Alles spricht dafür, daß die Vertragsparteien nur den Fall haben regeln wollen, daß der Kläger sein Engagement nicht antritt oder daß die Beklagten für die Absage einer geplanten Veranstaltung mit dem Kläger verantwortlich sind. Dagegen kommt in der Vertragsklausel zumindest nicht hinreichend deutlich zum Ausdruck, daß der Kläger auf weitergehende Schadensersatzansprüche auch für den Fall verzichten wollte, daß die Beklagten bei Durchführung der Veranstaltung ihm gegenüber obliegende vertragliche Schutzpflichten verletzten; diese Unklarheit geht zu Lasten der Beklagten als der Aufsteller der Formularbedingung (§ 5 AGBG).

3. Der Kläger hat gegen den Erstbeklagten auch einen Anspruch auf Zahlung eines Schmerzensgeldes nach §§ 823, 847 BGB, weil er seine ihm dem Kläger gegenüber obliegende Verkehrssicherungspflicht schuldhaft verletzt und dadurch dessen Körperverletzung verursacht hat. Zwar war für den gefährlichen Zustand der vermieteten Halle, hier insbesondere der Bühne, in erster Linie ihre Eigentümerin und Vermieterin, die Stadt R., verantwortlich. Neben deren Verkehrssicherungspflicht tritt aber die der Beklagten als der Mieter der Halle und der Veranstalter der Hitparade (vgl. Steffen in RGRK-BGB, 12. Aufl., § 823, Rdn. 215 m.w.N.). Jedenfalls der am Ort anwesende Erstbeklagte hatte für das Publikum im Saal und für die auftretenden Künstler auf der Bühne mit der Veranstaltung einen Verkehr geschaffen, den er in eigener Verantwortung nach Möglichkeit gefahrenfrei zu halten hatte. Dazu gehörte der sichere Zugang des Klägers von der Garderobe auf die Bühne. Wie oben ausgeführt, hat der Erstbeklagte insoweit die erforderlichen und ihm zumutbaren Kontrollmaßnahmen schuldhaft unterlassen.

4. Richtig ist auch die Ansicht des Berufungsgerichts, die Ansprüche des Klägers minderten sich nicht nach § 254 Abs. 1 BGB wegen eines Mitverschuldens an seinem Sturz und der dadurch verursachten Körperverletzung. Es war, was die Revision verkennt, nicht Sache des Klägers, sich vor seinem Auftritt mit den ihm fremden Örtlichkeiten vertraut zu machen. Gerade das hatten die Beklagten vertraglich für ihn übernommen. Er durfte sich darauf verlassen, daß seine Sicherheit damit gewährleistet war. Er konnte vor allem nicht wissen, daß er nicht, ohne Absturzgefahr einige Schritte nach links oder rechts gehen konnte. Wenn er kurz vor seinem Auftritt nervös hin- und herging, war das kein ungewöhnliches Verhalten, sondern wegen seines Lampenfiebers verständlich und angesichts dessen, daß er das trotz der herrschenden Dunkelheit für völlig ungefährlich halten durfte, keine vorwerfbare Selbstgefährdung.

5. Den Beklagten kommt, wie das Berufungsgericht schließlich zutreffend angenommen hat, auch nicht das Haftungsprivileg des § 636 Abs. 1 RVO zugute.

a) Vertragliche Erfüllungsansprüche, um die es sich bei der Forderung des Klägers auf Zahlung der Gagen für die vorgesehenen weiteren Auftritte während der Tournee handelt, werden durch § 636 Abs. 1 RVO ohnehin nicht berührt. Die Bestimmung gilt ihrem eindeutigen Wortlaut nach nur für Schadensersatzansprüche aus Arbeitsunfällen. Eine weitere Freistellung des Arbeitgebers von etwaigen vertraglichen Erfüllungsansprüchen entspricht auch nicht dem Sinn und Zweck der Regelung.

b) Schadensersatzansprüche des Klägers sind nach § 636 Abs. 1 RVO deswegen nicht ausgeschlossen, weil er seinen Unfall nicht als „im Unternehmen der Beklagten tätiger Versicherter” erlitten hat.

aa) Der Kläger war allerdings nach § 539 Abs. 1 Nr. 3 RVO als „Person, die zur Schaustellung oder Vorführung künstlerischer oder artistischer Leistungen vertraglich verpflichtet” war, bei einem Arbeitsunfall in der gesetzlichen Unfallversicherung versichert. Das steht im übrigen aufgrund der Bescheide der zuständigen Berufsgenossenschaft vom 21. April/22. Juni 1978 bzw. 12. Juni 1979 auch für die Zivilgerichte bindend fest (§ 638 RVO). Daraus folgt aber nicht schon, daß Ansprüche des Klägers gegen die Beklagten als seine Vertragspartner ausscheiden. Der Unfallversicherungsschutz nach § 539 RVO löst nicht notwendig immer auch eine Haftungsersetzung aus. Vielmehr ist Voraussetzung für die Anwendung des § 636 Abs. 1 RVO, daß der Versicherte als Arbeitnehmer oder wenigstens arbeitnehmerähnlich in dem Unternehmen (oder „Betrieb”, wie § 637 Abs. 1 RVO sagt) des Schädigers tätig ist (vgl. für den Fall eines Nothelfers das Senatsurteil vom 2. Dezember 1980 – VI ZR 265/78 – NJW 1981, 760 = VersR 1981, 260; ferner Steffen bei LM Nr. 6 zu § 539 RVO a.E.). Das folgt wiederum aus dem Wortlaut der Bestimmung und ihrem Sinn und Zweck, den Arbeitsfrieden von Störungen durch betriebsbedingte Schadensersatzansprüche freizuhalten.

bb) Mit Recht hat das Berufungsgericht den Kläger im Streitfall nicht als Arbeitnehmer im Unternehmen der Beklagten angesehen. Entgegen der Ansicht der Revision folgt anderes nicht bereits aus dem Umstand, daß es sich bei den in § 539 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 RVO aufgeführten Personengruppen um die Kerngruppe der Arbeitnehmer und arbeitnehmerähnlichen Personen handelt. Gerade die in Nr. 3 aufgeführten Schausteller, Künstler und Artisten sind in die gesetzliche Unfallversicherung ohne Rücksicht darauf einbezogen worden, ob sie im Einzelfall als Arbeitnehmer anzusehen sind. Vielmehr kommt es bei ihnen nach Wortlaut und Zweck des Gesetzes nur darauf an, daß sie aufgrund einer vertraglichen Verpflichtung tätig werden; unerheblich ist es, wie dieses vertragliche Verhältnis zu dem Veranstalter im Einzelfall rechtlich zu beurteilen ist (BSG 13, 217 = NJW 1961, 750; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, Bd. II, S. 472 p). Entscheidend ist, wie das Berufungsgericht richtig erkannt hat, mithin, ob nach dem Gesamtbild der tatsächlichen und rechtlichen Beziehung des Klägers zu den Beklagten der Kläger als abhängig Beschäftigter der Beklagten oder als selbständig Tätiger anzusehen ist (vgl. dazu und zu den dabei zu beachtenden Kriterien BSG 45, 199 ff und Brackmann, a.a.O., S. 476 e und f, jeweils m.w.N.). Im Streitfall hat der Kläger den Unfall in der Spähre der von ihm als „eigenwirtschaftlicher” Unternehmer übernommenen eigenen Vertragsaufgabe erlitten und nicht bei einer Tätigkeit, für die der „fremdwirtschaftliche” Aufgabenbereich der Beklagten im Vordergrund gestanden hatte. Der Kläger hatte sich ohnehin vertraglich nur beschränkt der Direktionsbefugnis der Beklagten unterworfen. So unterlag er keinen Weisungen, was den Vortrag seiner Lieder anbelangte, und er hatte such sonst seine Arbeitskraft nicht innerhalb festgesetzter Arbeitszeiten nach den Weisungen der Beklagten zur Verfügung zu halten. Entscheidend ist, daß er sich nur wie ein selbständiger Unternehmer verpflichtet hatte, zu bestimmten Zeiten und an bestimmten Orten gegen Entgelt seine künstlerische Leistung durch Vortrag seiner Lieder abzuliefern; er hatte mithin sozusagen sein Produkt an die Beklagten „verkauft”. Dementsprechend enthielten die vertraglichen Vereinbarungen der Parteien auch keine Regelungen über das Arbeitsverfahren, Kündigung und etwaige Urlaubsansprüche. Vielmehr haben sich die Parteien für den Fall schuldhafter Nichterfüllung des Vertrages gegenseitig Konventionalstrafen versprochen und insoweit weitergehende Ersatzansprüche ausgeschlossen. Ferner reiste der Kläger selbständig zu den jeweiligen Veranstaltungen an und verfügte im übrigen frei über seine Zeit außerhalb der von ihm zu bestreitenden Hitparaden. Das alles läßt ihn in der Tat als „freischaffenden Künstler” und nicht als abhängigen Beschäftigten der Beklagten erscheinen, sodaß für die Anwendung der §§ 636 f RVO kein Raum ist.

 

Unterschriften

Dr. Hiddemann, Dr. Steffen, Dr. Kullmann, Dr. Ankermann, Dr. Lepa

 

Fundstellen

Haufe-Index 1372867

NJW 1985, 2133

Nachschlagewerk BGH, ja zu II. 5)

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