Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialversicherung

 

Leitsatz (amtlich)

Zum Rückgriff des SVT gegen einen Fahrer, dem die Leistungsfreiheit des Kfz-Haftpflichtversicherers wegen Prämienverzugs des Halters und VN nicht bekannt war.

 

Normenkette

RVO § 1542; SGB X § 116

 

Tatbestand

Der Beklagte zu 2 fuhr am Steuer einer Taxe, deren Halter der Beklagte zu 1 war, in der Nacht zum 5. Februar 1983 durch das Dorf G. und überfuhr dabei einen bei der Klägerin pflichtversicherten Fußgänger, der schwer verletzt wurde. Mit der Klage verlangte die Klägerin von beiden Beklagten Erstattung der Hälfte ihrer auf 12 461,92 DM bezifferten Aufwendungen für den Fußgänger.

Der Haftpflichtversicherer der Taxe gewährt, weil der Beklagte zu 1, der Versicherungsnehmer, die Erstprämie nicht fristgerecht gezahlt hat, den Beklagten keinen Versicherungsschutz. Dem Beklagten zu 2 war vor Fahrtantritt die Tatsache der nicht fristgerechten Zahlung der Versicherungsprämie unbekannt.

Das Landgericht hat beide Beklagte - den Beklagten zu 1 durch inzwischen rechtskräftiges Versäumnisurteil - gesamtschuldnerisch zur Zahlung von 6 040,96 DM nebst Zinsen verurteilt. Hiergegen hat der Beklagte zu 2 Berufung eingelegt. Er ist der Meinung, er sei für das Unfallgeschehen nicht verantwortlich. Auf jeden Fall müsse seine Haftung aus Rechtsgründen ausgeschlossen sein, weil er auf das Bestehen des Versicherungsschutzes habe vertrauen dürfen.

Das Oberlandesgericht hat die Klage gegen den Beklagten zu 2 in vollem Umfang abgewiesen. Die zugelassene Revision der Klägerin führte zur Aufhebung und Zurückverweisung.

 

Entscheidungsgründe

Das Berufungsgericht hat gemeint, der Rückgriff der Klägerin gegen den Beklagten zu 2 sei aus Rechtsgründen ausgeschlossen. Dem kann nicht gefolgt werden.

1.

Nach § 10 Abs. 2c) AKB ist in der Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung der Fahrer mitversichert. Daher liegt hinsichtlich des Fahrers versicherungsrechtlich eine Versicherung für fremde Rechnung nach §§ 74 ff. VVG vor, die einem Vertrag zugunsten Dritter ähnlich ist. Daraus ergibt sich, daß Einwendungen des Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherers gegenüber dem Versicherungsnehmer auch dem Versicherten gegenüber geltend gemacht werden können (§ 334 BGB, § 3 Abs. 3 Satz 1 AKB). Das führt in dem hier vorliegenden Fall der Leistungsfreiheit des Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherers wegen Nichtzahlung der Erstprämie (§ 38 Abs. 2 VVG, § 1 Abs. 2 Satz 4 AKB) für den mitversicherten Fahrer zu folgender Rechtslage:

Der Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherer ist auch ihm gegenüber leistungsfrei. Er haftet zwar dem Geschädigten nach Maßgabe des § 3 Nr. 4 PflVG, kann jedoch gegenüber dem Fahrer - abgesehen von dem noch zu erörternden Verzicht der Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherer - im Grundsatz vollen Regreß nehmen, weil die Regreßregelungen in § 3 Nr. 9-11 PflVG im Verhältnis zum mitversicherten Fahrer anwendbar sind, soweit der Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherer gegenüber dem Fahrer nicht zur Leistung verpflichtet ist (vgl. Schirmer VersR 1987, 19, 22 m. w. Nachw.). Diese Rechtslage ist für die Fälle als unbefriedigend empfunden worden, in denen der Fahrer ohne Verschulden auf das Bestehen einer Haftpflichtversicherung vertraut hat (vgl. Deichl DAR 1972, 296, 297; ZVR 1974, 193, 194; Klingmüller DAR 1972, 296, 297; Lorenz NJW 1969, 471; 1971, 2145 und 1972, 2281; Sieg VersR 1982, 913, 914; Schirmer ZVersWiss 1981, 12, 130 ff.; VersR 1987, 19, 29; Steffen VersR 1987, 529 ff.; Theda DAR 1980, 292, 294).

2.

Die Problematik ist noch dadurch verschärft worden, daß die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherer in Nr. 2 der Geschäftsplanmäßigen Erklärung von 1973 (VerBAV 1973, 103, der Änderung des § 7 V AKB angepaßt in der Geschäftsplanmäßigen Erklärung in VerBAV 1975, 157) erklärt haben, daß sie bei Leistungsfreiheit wegen Prämienverzuges in der Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung auf die Geltendmachung des aus diesem Grunde bestehenden Regreßanspruchs gegen mitversicherte Personen verzichten, es sei denn, daß die mitversicherte Person von der Nichtzahlung wußte oder grob fahrlässig keine Kenntnis hatte. Damit ergibt sich haftungsmäßig für den hier vorliegenden Fall des hinsichtlich des Bestehens einer Haftpflichtversicherung gutgläubigen Fahrers, der von einem Sozialversicherungsträger in Regreß genommen wird, eine ähnliche Rechtslage, wie sie der Senat zuletzt in BGHZ 88, 296 ff. für den Fall einer Obliegenheitsverletzung vor Eintritt des Versicherungsfalles wegen der Regreßbeschränkung des Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherer in der genannten Geschäftsplanmäßigen Erklärung von 1975 auf 5 000 DM bei einem Regreß des Sozialversicherungsträgers zu entscheiden hatte. War der Geschädigte nicht sozialversichert, muß der Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherer ihm gegenüber einstehen und kann wegen des Regreßverzichts in der genannten Geschäftsplanmäßigen Erklärung von 1973 gegen den mitversicherten gutgläubigen Fahrer keinen Regreß nehmen. Der gutgläubige Fahrer genießt also praktisch vollen Versicherungsschutz und braucht daher selbst nichts zu zahlen. Anders liegt es jedoch, wenn der Geschädigte sozialversichert war und deshalb nach dem für den Unfallzeitpunkt maßgeblichen § 1542 RVO, an dessen Stelle jetzt § 116 SGB X getreten ist, Ansprüche auf den Sozialversicherungsträger übergegangen sind. Nach § 3 Nr. 6 PflVG in Verbindung mit § 158 c Abs. 4 VVG haftet der Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherer gegenüber dem Sozialversicherungsträger nicht. Der Sozialversicherungsträger kann sich daher nur an den Versicherungsnehmer und an den mitversicherten Fahrer halten, die als Gesamtschuldner haften. Da die Sozialversicherungsträger im Gegensatz zu den Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherern keinen Regreßverzicht hinsichtlich des gutgläubigen Fahrers abgegeben haben, ist dieser in vollem Umfang dem Regreßanspruch des Sozialversicherungsträgers ausgesetzt. Seine finanzielle Belastung ist daher unterschiedlich, je nachdem, ob der Geschädigte sozialversichert ist oder nicht.

3.

Die in der Literatur unternommenen Versuche, diese Ungleichbehandlung zu vermeiden, sind vielfältig. Sie können jedoch sämtlich nicht zu dem Ergebnis führen, daß nach der derzeitigen Rechtslage der Sozialversicherungsträger keinen Regreß bei dem gutgläubigen Fahrer nehmen dürfe.

a)

Klingmüller (aaO S. 298) und Steffen (aaO S. 532) sehen eine Abhilfemöglichkeit nur in einer Gesetzesänderung. Der Gesetzgeber hat jedoch eine solche Änderung bisher nicht vorgenommen, obwohl das Problem seit vielen Jahren bekannt ist und seine Lösung dringlich wäre. Er hat es sogar bei der Beratung des an die Stelle des § 1542 RVO getretenen § 116 SGB X bewußt abgelehnt, die unter 2. erwähnte Ungleichbehandlung, die sich aus der Geschäftsplanmäßigen Erklärung der Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherer von 1975 ergibt, zu beseitigen und die Abhilfemöglichkeiten nach § 31 Abs. 2 HGrG oder § 76 Abs. 2 SGB IV als ausreichend und als ausschließlich angesehen (vgl. dazu BGHZ 88, 296, 299 f.). Auch der Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Pflichtversicherungsgesetzes (Bundesrat Drucksache 202/87) sieht keine entsprechende Gesetzesänderung vor. Er beschränkt sich vielmehr in Art. 1 Nr. 2 darauf, in den Fällen, in denen das Fahrzeug den Bau- und Betriebsvorschriften der Straßenverkehrszulassungsordnung nicht entsprach oder von einem unberechtigten Fahrer oder von einem Fahrer ohne die vorgeschriebene Fahrerlaubnis geführt wurde, dem Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherer die Verweisung auf den Sozialversicherungsträger zu verweigern, und löst damit in den genannten Fällen den Konflikt nicht zu Lasten des Sozialversicherungsträgers, sondern des Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherers.

b)

Die Gerichte sind an diese Entscheidung des Gesetzgebers gebunden. Seine in BGHZ 80, 332 erwähnten Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit der vorerwähnten Ungleichbehandlung hat der Senat aus den in BGHZ 88, 296, 300 erwähnten Gründen aufgegeben. Die gleichen Gründe müssen auch für die hier vorliegende Ungleichbehandlung gelten. Insbesondere hat der Senat in BGHZ 88, 296, 300 ausgesprochen, daß bei Vorliegen der Voraussetzung des § 31 Abs. 2 HGrG oder des § 76 Abs. 2 SGB IV der Sozialversicherungsträger verpflichtet ist, den Regreß entsprechend zu beschränken.

c)

Aus den unter a) und b) genannten Gründen kann auch der Ansicht von Sieg (aaO S. 914) nicht gefolgt werden, die Geschäftsplanmäßige Erklärung von 1973 entspreche allgemeinem Konsens und stehe daher dem Regreß des Sozialversicherungsträgers im Wege.

d)

Deichl (DAR 1972, 301) hat gemeint, das Problem könne durch die damals schon in Aussicht genommene Geschäftsplanmäßige Erklärung der Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherer gelöst werden. Es kann auf sich beruhen, ob er dabei an den Regreß des Sozialversicherungsträgers gedacht hat oder davon ausging, die Sozialversicherungsträger würden einen entsprechenden Regreßverzicht erklären. Denn die Sozialversicherungsträger haben eine entsprechende Verzichtserklärung nicht abgegeben. Der Senat hat in BGHZ 88, 296 entschieden, daß die Regreßbeschränkung der Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherer in der Geschäftsplanmäßigen Erklärung von 1975 den Regreß des Sozialversicherungsträgers nicht ausschließt. Gleiches muß auch für den hier in Rede stehenden Regreßverzicht der Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherer in der Geschäftsplanmäßigen Erklärung von 1973 gelten.

e)

Schirmer (ZVersWiss 1981, 121, 127 und VersR 1987, 19, 29) will den Regreß des Sozialversicherungsträgers im Wege doppelt analoger Anwendung des § 158i VVG ausschließen (erste Analogie: Sozialversicherungsträger = Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherer; zweite Analogie: Nichtzahlung der Prämie = Obliegenheitsverletzung). Eine ähnliche Ansicht vertritt wohl auch Theda (DAR 1980, 292, 294), der meint, Rechtspflichtverletzung und Obliegenheitsverletzung seien hier gleichzusetzen, weil bei einer Rechtspflichtverletzung des Versicherungsnehmers der Fahrer ebenso schutzwürdig sei wie bei einer Obliegenheitsverletzung. Auch dem kann nicht gefolgt werden.

Nach § 158i VVG ist der Regreß des Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherers gegen den mitversicherten Fahrer ausgeschlossen, wenn nur der Versicherungsnehmer, nicht aber der Fahrer Obliegenheiten verletzt hat und dadurch auch zum Nachteil des Fahrers Leistungsfreiheit des Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherers eingetreten ist. Da der Gesetzgeber das bei dem Regreß des Sozialversicherungsträgers in diesem Fall entstehende Problem und die für den mitversicherten Fahrer entstehende Lücke im Versicherungsschutz übersehen hat, hat der ehemalige IV. Zivilsenat in BGHZ 67, 138, 147, 151 im Wege der rechtsfortbildenden Lückenfüllung dem Sozialversicherungsträger einen auf § 1542 RVO gestützten Regreßanspruch gegen den mitversicherten Fahrer nach dem Vorbild des § 158i VVG versagt, sofern der Fahrer wegen einer nur vom Versicherungsnehmer (Kraftfahrzeughalter) verschuldeten Obliegenheitsverletzung den Versicherungsschutz gegenüber dem Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherer verloren hat. Von dieser Entscheidung ist der Senat in BGHZ 88, 296 nicht abgerückt (vgl. die Anm. LM Nr. 126 zu § 1542 RVO Bl. 2 unten; Steffen aaO S. 532 Fn. 27).

Ebenfalls der ehemalige IV. Zivilsenat hat jedoch in BGHZ 55, 281, 284 unter Hinweis auf die Amtliche Begründung zum Pflichtversicherungsgesetz vom 5. April 1965 klargestellt, daß § 158i VVG nur bei Obliegenheitsverletzungen, nicht aber auch bei einer Verletzung der Prämienzahlungspflicht gilt und daher sogar der Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherer bei Verletzung der Prämienzahlungspflicht gegenüber dem mitversicherten Fahrer zum Regreß berechtigt ist. Die Entscheidung hat überwiegend Zustimmung gefunden (vgl. OLG Hamm aaO; OLG Nürnberg VersR 1973, 1135; OLG Düsseldorf VersR 1971, 71; OLG Köln VersR 1975, 725; Bauer NJW 1972, 932; Roth-Stielow NJW 1972, 1357; Prölss/Martin, VVG 24. Aufl § 158i Anm. 2; Stiefel/Hofmann, Kraftfahrtversicherung 13. Aufl. § 3 Rdn. 14). Dieser im Gesetzgebungsverfahren zum Ausdruck gebrachte klare Wille verbietet auch bei einem Regreß des Sozialversicherungsträgers eine analoge Anwendung des § 158i VVG (ebenso Steffen aaO S. 532). Der Senat hat daher bereits in seinem die Prozeßkostenhilfe versagenden Beschluß vom 6. Mai 1987 - IVa ZA 7/87 - in einem gleichgelagerten Fall (OLG Hamm VersR 1987, 604) darauf hingewiesen, daß kein Anlaß besteht, von der Entscheidung in BGHZ 55, 281 abzuweichen.

Aus den vorgenannten Gründen kann auch der Ansicht von Lorenz (NJW 1969, 741; 1971, 2145 und 1972, 2281) der eine Teilanalogie bei angestellten Kraftfahrern aus arbeitsrechtlichen Gründen befürwortet, nicht gefolgt werden (dagegen auch Schirmer ZVersWiss 1981, 121, 141 Fn. 71).

 

Fundstellen

BGHZ, 52

NJW 1988, 1267

JZ 1988, 769

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