Leitsatz (amtlich)

Verlangt der Geschädigte für erlittene Körperverletzungen uneingeschränkt ein Schmerzensgeld, so werden durch den Klageantrag nach dem Grundsatz der Einheitlichkeit des Schmerzensgeldes alle diejenigen Schadensfolgen erfasst, die entweder bereits eingetreten und objektiv erkennbar waren oder deren Eintritt jedenfalls vorhergesehen und bei der Entscheidung berücksichtigt werden konnte (st.Rspr.: vgl. zuletzt Senat, Urt. v. 20.1.2015 - VI ZR 27/14, VersR 2015, 772 Rz. 7 f. m.w.N.).

 

Normenkette

BGB § 823 Abs. 1, §§ 249, 253

 

Verfahrensgang

OLG Karlsruhe (Urteil vom 08.04.2015; Aktenzeichen 7 U 188/14)

LG Karlsruhe (Entscheidung vom 29.08.2014; Aktenzeichen 3 O 524/12)

 

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 7. Zivilsenats des OLG Karlsruhe vom 8.4.2015 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als das Berufungsgericht die Berufung der Klägerin gegen die Abweisung ihrer Klage auf Zahlung eines Schmerzensgeldes nebst Zinsen zurückgewiesen hat.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Revisionsverfahrens - an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Rz. 1

Die Klägerin nimmt die Beklagte als Erbin des im Laufe des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens verstorbenen Beklagten (künftig: der Beklagte) auf Schadensersatz wegen Verletzung der Verkehrssicherungspflicht in Anspruch.

Rz. 2

Die zum Unfallzeitpunkt 39-jährige Klägerin stürzte am 14.2.2012 wegen Glatteises auf dem nicht geräumten und nicht gestreuten Gehweg vor dem Anwesen des Beklagten, wodurch sie sich einen Außenknöchelbruch links vom Typ Weber B zuzog. Der Bruch wurde während eines stationären Krankenhausaufenthalts vom 20.2. bis 7.3.2012 operativ versorgt.

Rz. 3

Die Klägerin hat den Beklagten wegen des Unfalls u.a. auf Zahlung von Schmerzensgeld (i.H.v. mindestens 50.000 EUR), Verdienstausfall und Ersatz ihres Haushaltsführungsschadens in Anspruch genommen. Das LG hat der Klägerin - soweit im Revisionsverfahren noch von Interesse - ein Schmerzensgeld von 12.500 EUR zugesprochen und festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin sämtliche zukünftigen materiellen und immateriellen Schäden aus dem Unfall zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat die Berufung der Klägerin, mit der sie u.a. eine Verurteilung des Beklagten zur Zahlung eines Schmerzensgeldes nicht unter weiteren 37.500 EUR nebst Zinsen beantragt hat, zurückgewiesen. Der erkennende Senat hat die Revision der Klägerin zugelassen, soweit das Berufungsgericht die Berufung der Klägerin gegen die Abweisung ihrer Klage auf Zahlung eines Schmerzensgeldes nebst Zinsen zurückgewiesen hat. Mit ihrer Revision verfolgt die Klägerin ihr Schmerzensgeldbegehren weiter.

 

Entscheidungsgründe

I.

Rz. 4

Nach Auffassung des Berufungsgerichts kann die Klägerin von dem Beklagten gem. §§ 823 Abs. 1, 249, 253 BGB die Zahlung eines Schmerzensgeldes i.H.v. 12.500 EUR verlangen. Die Höhe des vom LG zuerkannten Betrages beinhalte einen angemessenen Ausgleich für die von der Klägerin bisher erlittenen immateriellen Schäden. Im Streitfall habe sich die Klägerin nach den Feststellungen des LG durch den Sturz einen Bruch des linken Außenknöchels ohne Verletzung der Gelenksstrukturen im Bereich des oberen und unteren Sprunggelenkes zugezogen (Typ Weber B), der im Rahmen eines etwa zweieinhalbwöchigen stationären Krankenhausaufenthaltes operativ versorgt worden sei. Die Gebrauchsfähigkeit des linken Beines sei deutlich eingeschränkt und die Beweglichkeit im oberen und unteren Sprunggelenk links weitgehend aufgehoben. Das Gangbild stelle sich hinkend dar; in die Hocke zu gehen und sich hinzuknien vermöge die Klägerin weitgehend nicht. Neben persistierenden Schmerzen, Schlafstörungen und der Bewegungseinschränkung habe das LG rechtsfehlerfrei auch die Schwellung im Bereich der Knöchel und die Narbe berücksichtigt. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit sei mit 20 % zutreffend festgestellt. Auch wenn die Klägerin weiterhin unter den zuvor angeführten Beschwerden leide, könne derzeit nicht abschließend beurteilt werden und in die Schmerzensgeldbemessung eingestellt werden, ob und wie sich der zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung bestehende Zustand entwickeln werde. Der Sachverständige habe hierzu überzeugend erklärt, dass die Unfallfolgen in ihrer Dauer und Ausprägung derzeit nicht abschließend beurteilt werden könnten. Insbesondere die Schmerzsymptomatik sei weiterer Abklärung zugänglich. Es kämen ursächlich hierfür sowohl unfallbedingt entstandene Knochenmarködeme als auch eine auf dem Unfallgeschehen fußende psychosomatische Erkrankung in Betracht. Je nach Ursache sei eine weitere Behandlung möglich, wenngleich damit nicht unterstellt werden könne, dass sich die Symptomatik in absehbarer Zeit bessere. Die Klägerin habe sich den vorgeschlagenen weiteren Untersuchungen (noch) nicht unterzogen. Unter Berücksichtigung der festgestellten Bemessungsfaktoren und des Umstandes, dass die Klägerin in ihren Freizeitmöglichkeiten durch einen Mehrbedarf an Zeit zur Erledigung der Hausarbeit eingeschränkt sei, halte auch der Senat ein Schmerzensgeld i.H.v. 12.500 EUR für angemessen. Bei der Bemessung seien dabei hinsichtlich der Schmerzsymptomatik nur diejenigen Verletzungsfolgen berücksichtigt worden, die bis zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung am 26.3.2015 tatsächlich eingetreten seien. Den in der Schmerzsymptomatik bereits angelegten, zeitlich überschießenden immateriellen Schaden habe der Senat von der Schmerzensgeldbemessung ausgenommen. Insoweit bestehe ein Feststellungsinteresse und -anspruch, den zutreffend bereits das LG ausgeurteilt habe. Der Höhe nach entspreche das zuerkannte Schmerzensgeld auch den in der Rechtsprechung für in etwa vergleichbare Fälle zugesprochenen Beträgen.

II.

Rz. 5

Das Berufungsurteil hält im Umfang der Aufhebung revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand.

Rz. 6

1. Streitgegenstand ist im Streitfall ein (einheitlicher) Anspruch der Klägerin gegen den Beklagten auf Schmerzensgeld aus dem Schadensereignis vom 14.2.2012. Das Berufungsgericht hat rechtsfehlerhaft nicht beachtet, dass es der Grundsatz der Einheitlichkeit des Schmerzensgeldes gebietet, die Höhe des der Geschädigten zustehenden Schmerzensgeldes aufgrund einer ganzheitlichen Betrachtung der den Schadensfall prägenden Umstände unter Einbeziehung der absehbaren künftigen Entwicklung des Schadensbildes zu bemessen (vgl. BGH, Großer Senat für Zivilsachen, Beschluss vom 6.7.1955 - GSZ 1/55, BGHZ 18, 149, 151 ff.; Senatsurteile vom 6.12.1960 - VI ZR 73/60, VersR 1961, 164 f.; v. 20.3.2001 - VI ZR 325/99, VersR 2001, 876; v. 20.1.2015 - VI ZR 27/14, VersR 2015, 772). Verlangt die Klägerin für erlittene Körperverletzungen - wie im Streitfall - uneingeschränkt ein Schmerzensgeld, so werden durch den Klageantrag alle diejenigen Schadensfolgen erfasst, die entweder bereits eingetreten und objektiv erkennbar waren oder deren Eintritt jedenfalls vorhergesehen und bei der Entscheidung berücksichtigt werden konnte (st.Rspr.: vgl. Senatsurteile vom 11.6.1963 - VI ZR 135/62, VersR 1963, 1048, 1049; v. 8.7.1980 - VI ZR 72/79, VersR 1980, 975 f.; v. 24.5.1988 - VI ZR 326/87, VersR 1988, 929 f.; v. 7.2.1995 - VI ZR 201/94, VersR 1995, 471, 472; v. 20.3.2001 - VI ZR 325/99, VersR 2001, 876; v. 20.1.2004 - VI ZR 70/03, VersR 2004, 1334; v. 14.2.2006 - VI ZR 322/04, VersR 2006, 1090 Rz. 7; v. 20.1.2015 - VI ZR 27/14, VersR 2015, 772 Rz. 7 f., jeweils m.w.N.). Lediglich solche Verletzungsfolgen, die zum Beurteilungszeitpunkt noch nicht eingetreten waren und deren Eintritt objektiv nicht vorhersehbar war, mit denen also nicht oder nicht ernstlich gerechnet werden musste und die deshalb zwangsläufig bei der Bemessung des Schmerzensgeldes unberücksichtigt bleiben müssen, werden von dem Klageantrag nicht umfasst und können deshalb die Grundlage für einen Anspruch auf weiteres Schmerzensgeld und Gegenstand eines Feststellungsantrags sein (vgl. Senat, Urt. v. 14.2.2006 - VI ZR 322/04, VersR 2006, 1090 Rz. 7; v. 20.1.2015 - VI ZR 27/14, VersR 2015, 772 Rz. 8).

Rz. 7

2. Nach diesen Grundsätzen durfte sich das Berufungsgericht bei der Bemessung des Schmerzensgeldes nicht darauf beschränken, hinsichtlich der Schmerzsymptomatik nur diejenigen Verletzungsfolgen zu berücksichtigen, die bis zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung am 26.3.2015 bereits tatsächlich eingetreten waren. Dies wäre allenfalls möglich gewesen, wenn die Klägerin eine entsprechende Teilklage erhoben hätte (vgl. Senat, Urt. v. 20.1.2004 - VI ZR 70/03, VersR 2004, 1334, 1335). Dies ist jedoch nicht der Fall. Die Revision weist zutreffend darauf hin, dass die Klägerin sich bereits mit der Berufungsbegründung ausdrücklich dagegen gewandt hat, dass schon das LG keine Dauerschäden schmerzensgelderhöhend berücksichtigt habe.

Rz. 8

3. Das Berufungsgericht wird mithin zu klären haben, worauf die behaupteten fortdauernden Beschwerden, insb. die Schmerzsymptomatik, beruhen und wie sie sich auf die Höhe des einheitlich zu bemessenen Schmerzensgeldes auswirken. Der Sachverständige ist nach den Feststellungen des Berufungsgerichts davon ausgegangen, dass insb. die Schmerzsymptomatik weiterer Abklärung zugänglich sei. Es kämen ursächlich hierfür sowohl unfallbedingt entstandene Knochenmarködeme als auch eine auf dem Unfallgeschehen fußende psychosomatische Erkrankung in Betracht. Die Klägerin habe sich den vorgeschlagenen weiteren Untersuchungen (noch) nicht unterzogen. Dies wird nachzuholen sein.

 

Fundstellen

Haufe-Index 12145018

NJW 2018, 9

NJW-RR 2018, 1426

ZAP 2018, 1271

DAR 2019, 311

JZ 2018, 780

MDR 2018, 1436

NJ 2018, 507

VersR 2018, 1462

ZfS 2019, 20

RÜ 2019, 13

VRA 2018, 203

r+s 2018, 678

LL 2019, 97

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