Leitsatz (amtlich)

›Beanstandet der Angeklagte einen die Aussetzung der Hauptverhandlung nach § 228 Abs. 1 StPO ablehnenden Gerichtsbeschluß als rechtsfehlerhaft, so kann er die Revision hierauf nur stützen, wenn er geltend macht, durch die Nichtaussetzung in einem für die Verteidigung wesentlichen Punkt unzulässig beschränkt worden zu sein.‹

 

Verfahrensgang

LG Kleve

 

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten C. und den Mitangeklagten J. wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge verurteilt; gegen den Angeklagten C. hat es deswegen eine Freiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten, gegen den Mitangeklagten J. eine solche von vier Jahren verhängt.

Nach den Feststellungen verkaufte der Mitangeklagte J., der seit Jahren selbst Betäubungsmittel konsumierte, ab Oktober 1993 für den Angeklagten C. Heroin an Dritte, die er jedenfalls zum Teil aus früheren eigenen Betäubungsmittelgeschäften kannte. Das Heroin erhielt er von C. teils gegen Bezahlung teils auf Kommission. Da J. häufig mehr Heroin konsumierte als er verkaufte, hatte er bei dem Angeklagten C. Schulden. Am 22. Juni 1994 fuhren der Angeklagte C. und J., dem zuvor von C. ein größeres Kokaingeschäft in Aussicht gestellt worden war, zu dessen Durchführung J. Tage zuvor einige seiner Kunden gegen finanzielle Beteiligung als Abnehmer geworben hatte, mit einem Pkw in die Niederlande, angeblich um das Kokain zu holen. Während der Fahrt in die Niederlande erfuhr J., daß man kein Kokain, sondern Heroin in den Niederlanden beschaffen werde. Den Vorschlag des Angeklagten C., J. solle allein mit dem Rauschgift im Pkw über die Grenze zurückfahren, während C. den Zug benutzen wollte, lehnte J. ab, nahm aber das Angebot des Angeklagten C. an, der ihm vorschlug, ihm würden seine Schulden erlassen, wenn er - J. - im Falle eines Aufgriffs alle Schuld allein auf sich nehme. Tatsächlich kaufte der Angeklagte C. in Arnheim 500,3 Gramm Heroin mit einem Wirkstoffanteil von 39,4 % HHC, das er unter dem Beifahrersitz des von J. gesteuerten Pkw deponierte. Auf der Rückfahrt wurde der Pkw nach Überschreiten der Grenze angehalten und von Zollbeamten durchsucht, die das Heroin fanden und sicherstellten.

Gegen das Urteil wendet sich der Angeklagte C., der die Heroinbeschaffungsfahrt als solche nicht bestreitet, mit seiner Revision, mit der er das Verfahren beanstandet und die Verletzung materiellen Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

I. Verfahrensrügen

1. Die Rüge, das Landgericht habe § 244 Abs. 3 StPO dadurch verletzt, daß es den Hilfsbeweisantrag des Angeklagten C. nur teilweise beschieden und in dem beschiedenen Teil unter Verstoß gegen die Aufklärungspflicht die in das Wissen der Zeugen W. und L. gestellten Tatsachen als wahr unterstellt habe, ist unbegründet. Ausweislich des von der Revision mitgeteilten Wortlauts des Hilfsbeweisantrages ist ZOS W. als Zeuge für den Inhalt der im Hilfsbeweisantrag wiedergegebenen Passagen aus den Vernehmungen des Mitangeklagten J. benannt worden, die der Zeuge am 22. Juni 1994 und 24. Juni 1994 in seiner Eigenschaft als ermittelnder Zollbeamter durchgeführt hatte. Weder in das Wissen dieses Zeugen noch in das Wissen des RiAG L. war die Behauptung gestellt worden, bei dem Mitangeklagten J. handle es sich um einen Rauschgifthändler, für dessen "Gewerbebetrieb" die Einfuhr des am 22. Juni 1994 im Pkw der Angeklagten sichergestellten Heroins überwiegend gedient habe. Das Landgericht hat deshalb diese eingangs des Hilfsbeweisantrages aufgestellte Behauptung zu Recht als bloße Schlußfolgerung der Verteidigung des Angeklagten C. aus dem Inhalt der beiden polizeilichen Vernehmungen und der richterlichen Vernehmung des Mitangeklagten J. gewertet. Daß der Mitangeklagte J. bei den Vernehmungen jeweils so ausgesagt hatte, wie es im Hilfsbeweisantrag wiedergegeben worden ist, hat die Strafkammer nicht, wie die Revision meint, als wahr unterstellt, sondern als durch das Ergebnis der Beweisaufnahme bereits erwiesen erachtet.

2. Soweit die Revision Verletzungen der Aufklärungspflicht beanstandet, sind diese Rügen unzulässig, jedenfalls aber unbegründet.

a) Hinsichtlich der Rüge, das Landgericht sei gemäß § 244 Abs. 2 StPO gehalten gewesen, das Urteil des Amtsgerichts Mosbach vom 23. Februar 1989, durch das der Mitangeklagte J. wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln und unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in Tateinheit mit weiteren Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten verurteilt worden ist, in der Hauptverhandlung zu verlesen, fehlt es bereits an einer hinreichend konkreten Behauptung, was durch die vermißte Verlesung bewiesen werden sollte. Jedenfalls drängten die Umstände nicht zur Verlesung der Urteilsurkunde, denn den Zeitpunkt und den Gegenstand der Verurteilung sowie die Höhe der gegen den Mitangeklagten damals verhängten Strafe hat das Landgericht bereits aufgrund der übrigen Beweisaufnahme feststellen können.

b) Die Aufklärungsrüge, die Zeugen Sch. und Ju. hätten auch zur Frage der eigenen Händlertätigkeit des Mitangeklagten J. befragt werden müssen (S. 38 der Revisionsbegründung), ist schon deshalb unzulässig, weil dieses Revisionsvorbringen im Widerspruch zu Ausführungen im Rahmen der auf § 244 Abs. 3 StPO gestützten Verfahrensrüge steht. Dem Revisionsvortrag zu § 244 Abs. 3 StPO ist zu entnehmen, daß die Zeugen Sch. und Ju. in der Hauptverhandlung tatsächlich zur Dealertätigkeit des Mitangeklagten J. befragt worden sind (S. 31 und 32 der Revisionsbegründung).

3. Die Rüge, das Landgericht habe § 228 StPO verletzt, indem es den vom Verteidiger im Plädoyer gestellten Antrag auf Aussetzung des Verfahrens zum Zweck der Erhebung von Nachtragsanklagen gegen beide Angeklagten erst im Urteil abschlägig beschieden und eine Aussetzung zu Unrecht abgelehnt habe, ist nicht in zulässiger Form ausgeführt.

§ 228 Abs. 1 Satz 1 StPO gewährt über die gesetzlich vorgesehenen Fälle der Aussetzung hinaus keinen Anspruch auf Aussetzung der Hauptverhandlung. Die Revision kann in diesen Fällen nur darauf gestützt werden, daß der Angeklagte durch einen die Aussetzung ablehnenden und in der Hauptverhandlung ergangenen Beschluß des Gerichts in seiner Verteidigung gemäß § 338 Nr. 8 StPO unzulässig beschränkt worden ist (Gollwitzer in LR StPO 24. Aufl. § 228 Rdn. 33; Kleinknecht/Meyer-Goßner StPO 42. Aufl. § 228 Rdn. 17; Schlüchter SK-StPO § 228 Rdn. 25). Eine auf § 338 Nr. 8 StPO i.V.m. § 228 Abs. 1 Satz 1 StPO gestützte Verfahrensrüge muß gemäß § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO alle den Mangel enthaltenden Tatsachen vollständig und so genau angeben, daß das Revisionsgericht aufgrund der Revisionsbegründungsschrift prüfen kann, ob ein Verfahrensfehler vorliegt, wenn die behaupteten Tatsachen bewiesen werden (Kleinknecht/Meyer-Goßner StPO § 338 Rdn. 60; BGH StV 1990, 532). Dem genügt das Revisionsvorbringen nicht.

a) Die Revision trägt nicht hinreichend konkret vor, daß der Aussetzungsantrag nach Abschluß des Verteidigerplädoyers als Hauptantrag gestellt worden ist; sie verschweigt, daß der Aussetzungsantrag - ersichtlich hilfsweise für den Fall seiner Ablehnung - mit einem Antrag zur Höhe der gegen den Beschwerdeführer zu verhängenden Strafe und für den Fall der Verhängung einer höheren Strafe mit einem Hilfsbeweisantrag verbunden worden war. Die Umstände der konkreten Antragsstellung sind für die Prüfung, ob der von der Revision behauptete Rechtsfehler vorliegt, von Bedeutung, da die durch das Protokoll bewiesene Art und Weise der Schlußantragsstellung durch den Verteidiger einen Verzicht auf die Verwerfung des Aussetzungsantrages durch einen förmlichen Beschluß vor der Urteilsverkündung beinhalten kann (vgl. Gollwitzer in Löwe/Rosenberg StPO § 228 Rdn. 15; Kleinknecht/Meyer-Goßner StPO § 228 Rdn. 6).

b) Im übrigen trägt die Revision nicht vor, daß die Staatsanwaltschaft überhaupt beabsichtigt hat, eine Nachtragsanklage zu erheben. Der Senat vermag nicht zu überprüfen, ob und in welchem Umfang die gegen den Beschwerdeführer und den Mitangeklagten J. an ihren Heimatorten von den jeweiligen örtlichen Staatsanwaltschaften geführten Ermittlungsverfahren mit der durch das angefochtene Urteil abgeurteilten Tat in einem Zusammenhang stehen, und ob es ermessensfehlerhaft gewesen sein könnte, die Aussetzung des Verfahrens zum Zwecke der Erhebung einer Nachtragsanklage abzulehnen. Der Revisionsbegründung ist nicht zu entnehmen, welche konkreten Tatvorwürfe in den auswärtigen Verfahren gegen die Angeklagten erhoben werden und welche Lebenssachverhalte diesen Verfahrensgegenständen jeweils zugrunde liegen.

II. Sachrüge

Die Überprüfung des Schuldspruchs aufgrund des Revisionsvorbringens hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO). Auch zum Strafausspruch erweist sich die Revision im Ergebnis als unbegründet. Der näheren Ausführung bedarf lediglich folgendes:

1. Art und Umfang der Beteiligung des Angeklagten C. an der Heroinbeschaffungsfahrt vom 22. Juni 1994 hat das Landgericht aufgrund der Angaben des Mitangeklagten J. festgestellt. Die Einlassung des Beschwerdeführers, nicht er, sondern J. habe für 15.000 DM in den Niederlanden Heroin erwerben wollen, man habe gemeinsam beschlossen, in die Niederlande zu fahren, wo J. für 15.000 DM 300 Gramm Heroin bekommen habe, während er, C., 200 Gramm Heroin auf Kommission erhalten habe, für die er binnen 10 Tagen 10.000 DM habe zahlen sollen, hat es als widerlegt angesehen. Es hat die Aussage des Mitangeklagten J. für glaubwürdig und seine Angaben für zutreffend erachtet, obwohl "der Angeklagte J. den Sachverhalt zunächst abweichend, und zwar in mehreren Varianten dargestellt hat" (UA S. 14). Zwar ist dem Generalbundesanwalt zuzugeben, daß diese Urteilsausführungen deshalb bedenklich erscheinen können, weil das Landgericht es unterläßt, Art und Inhalt der wechselnden Angaben des Mitangeklagten J. im Urteil anzugeben. Dies war aus sachlichrechtlichen Gründen jedoch nicht erforderlich, da es nicht um den Schuldnachweis, sondern lediglich um Modalitäten der vom Angeklagten C. eingeräumten Straftat ging, und die vom Landgericht angeführten Beweisgründe die festgestelle Art und Weise der Beteiligung des Beschwerdeführers tragen (vgl. BGH NStZ-RR 1996, 109; BGH, Beschluß vom 19. Dezember 1995 - 4 StR 699/95). Im übrigen ergibt die vom Generalbundesanwalt beanstandete Urteilsstelle, daß die Ausführungen sich auf den Hilfsbeweisantrag des Beschwerdeführers und die dort zum Beweis widersprüchlicher Aussagen des Mitangeklagten J. wiedergegebenen Passagen aus der richterlichen und den polizeilichen Vernehmungen des Mitangeklagten J. im Ermittlungsverfahren beziehen. Diese werden von der Revisionsbegründung mitgeteilt, so daß es für den Senat überprüfbar ist, ob und zu welchen Punkten der Mitangeklagte J. wechselnde Angaben gemacht hat und ob die Wertung der Kammer, die im Vorverfahren abgegebenen wechselnden Darstellungen stünden der Glaubwürdigkeit des Mitangeklagten J. nicht entgegen, frei von Rechtsfehlern ist.

Nach den in der Revisionsbegründung wiedergegebenen Vernehmungen hat der Angeklagte J. gerade nicht, wie die Revision behauptet, den Beschwerdeführer hinsichtlich Anlaß und Verlauf der Fahrt in die Niederlande zu Unrecht belastet, sondern vor allem seine eigene Dealertätigkeit im Vorfeld der Zusammenarbeit mit dem Beschwerdeführer verschwiegen bzw. beschönigt; auch den Umstand, daß der Angeklagte C. zuerst ein Kokaingeschäft in Aussicht gestellt hatte, für dessen Durchführung er - J. - in seinem Abnehmerkreis größere Geldbeträge beschafft hatte, hat der Mitangeklagte J. ersichtlich aus demselben Motiv zunächst verschwiegen und erst auf Vorhalt einer anderen Zeugenaussage eingeräumt. Das Landgericht hat den Angaben des Mitangeklagten J. aber vor allen Dingen deshalb geglaubt, weil er nicht nur sich selbst, sondern auch langjährige Freunde belastet hat, die, soweit sie in der Hauptverhandlung als Zeugen vernommen worden sind, seine Angaben bestätigt haben, einschließlich derjenigen zu dem vom Angeklagten C. zunächst in Aussicht gestellten Kokaingeschäft. Daß das Landgericht die den Beschwerdeführer belastenden Angaben des Mitangeklagten J. deshalb für glaubhaft hält, ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.

2. Die Besorgnis des Generalbundesanwalts, die Strafkammer habe mit der Erwägung, der Angeklagte C. "habe erstmals eine Einlassung abgegeben, nachdem er von dem an der Tat nicht unmittelbar beteiligten Zeugen Li. betreffend seine der Tat vorausgegangene Dealertätigkeit belastet worden ist" (UA S. 15), das anfängliche Schweigen des Angeklagten zu der Bewertung seiner Einlassung als unrichtig herangezogen, teilt der Senat nicht. Zwar mag diese Wendung für sich genommen mißverständlich und geeignet sein, den Anschein einer unzulässigen Bewertung des anfänglichen Schweigens zu wecken. Aus dem Zusammenhang der Urteilsgründe wird jedoch ersichtlich, daß die Strafkammer diese Erwägung nicht ihrer Beweiswürdigung zugrunde gelegt hat, sondern es sich insoweit um eine ergänzende Feststellung hinsichtlich der späteren Wertung handelt, das (Teil) Geständnis des Angeklagten C. wirke sich nur eingeschränkt strafmildernd aus, weil es erst nach der den Angeklagten belastenden Aussage des Zeugen Li. zustande gekommen sei (vgl. UA S. 20). Im übrigen hat sie die Einlassung des Angeklagten C. zu seinem eigenen Tatbeitrag in bezug auf die Heroinbeschaffungsfahrt vor allem deshalb als schon aus sich heraus unglaubhaft gewertet, weil sie es für ausgeschlossen hält, daß, wie der Angeklagte C. behauptet, ein nicht näher genannter Dealer in Arnheim ihm 200 Gramm Heroin zunächst ohne Bezahlung im Vertrauen darauf aushändigt, der ihm bis dahin unbekannte Angeklagte werde den geschuldeten Betrag von 10.000 DM innerhalb der gesetzten Frist von 10 Tagen bezahlen.

3. Entgegen der Ansicht der Revision ist die gegen den Beschwerdeführer verhängte Strafe von fünf Jahren und sechs Monaten Freiheitsstrafe wegen unerlaubter Einfuhr von 500,3 Gramm Heroin in Tateinheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit diesem Betäubungsmittel, das einen Wirkstoffgehalt von 39,4 % HHC enthielt und damit das 131,41-fache der nicht geringen Menge darstellte, nicht unvertretbar hoch. Die Strafzumessung ist auch ausgewogen. Das Landgericht hat zugunsten des Mitangeklagten J. über den Umstand hinaus, daß nicht er, sondern der Angeklagte C. Initiator der Fahrt in die Niederlande war, weitere Strafmilderungsgründe angeführt, die in der Person des Beschwerdeführers nicht vorliegen. So hat es zugunsten des Mitangeklagten J. vor allem dessen umfassendes Geständnis, seine Drogenabhängigkeit sowie den Umstand gewertet, daß er Angaben zu seinen Abnehmern gemacht hat, die die Voraussetzungen des § 31 BtMG erfüllen, und deshalb für ihn den Strafrahmen des § 30 Abs. 1 BtMG gemildert.

 

Fundstellen

Haufe-Index 2993400

NJW 1996, 2383

JR 1996, 473

NStZ 1996, 454

wistra 1996, 316

MDR 1996, 841

StV 1996, 527

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