Entscheidungsstichwort (Thema)

Empfangsbedürftige Willenserklärung gegenüber Abwesenden

 

Leitsatz (amtlich)

  1. Eine empfangsbedürftige, einem Abwesenden gegenüber abgegebene Willenserklärung, die der notariellen Beurkundung bedarf, wird wirksam, wenn dem Erklärungsempfänger eine Ausfertigung der Notarurkunde zugeht (Fortführung von BGHZ 31, 5 = VersR 59, 1005; 36, 201 und 48, 374).
  2. Die Voraussetzungen des wirksamen Zugangs empfangsbedürftiger, in Abwesenheit des Empfängers abgegebener Willenserklärungen sind einer Vereinbarung zugänglich.
 

Normenkette

BGB § 130 Abs. 1; BeurkG § 47

 

Tatbestand

Der Kläger verlangt den Kaufpreis für den Verkauf seines Geschäftsanteils an der U. GmbH (im folgenden: GmbH) an den Beklagten. Die Parteien waren zunächst zu jeweils 50 % an der GmbH beteiligt. In einem Vorprozeß schlossen sie vor dem Landgericht Berlin einen Vergleich, nach dessen Ziffer 4 der Beklagte (= Kläger des Vorprozesses) sich verpflichtete, "binnen einem Monat nach Vorliegen eines verbindlichen Verkehrswertes dem Mitgesellschafter (= Kläger des vorliegenden Rechtsstreits) ein Angebot auf Übernahme von dessen Geschäftsanteil zum verbindlichen Verkehrswert oder auf Veräußerung seines Geschäftsanteils an den Mitgesellschafter zu diesem Verkehrswert zu unterbreiten". Der Kläger verpflichtete sich, das ihm unterbreitete Angebot anzunehmen.

Ziffer 7 des Vergleiches lautet:

"Die Parteien des Vergleichs erklären, auf eventuell beachtliche Formalien im Hinblick auf die vorstehende Einigung zu verzichten."

Am 11. Februar 1992 ließ der Beklagte vor dem Notar J. in F. ein Übernahmeangebot bezüglich des Geschäftsanteils des Klägers zum Preis von 370.000 DM beurkunden. Der Kläger erhielt am 13. oder 14. Februar 1992 eine beglaubigte Abschrift dieses Angebots von dem Notar mit einfacher Post übersandt, was er diesem mit Schreiben vom 21. Februar 1992 bestätigte. Am 29. Februar 1992 wurde dem Kläger eine beglaubigte Abschrift der notariellen Kaufangebotsurkunde durch den Gerichtsvollzieher zugestellt. Am 24. März 1992 erklärte er in notarieller Urkunde die Annahme dieses Angebots. Mit Schreiben vom 6. April 1992 übersandte der Streithelfer zu 6 der Prozeßbevollmächtigten des Beklagten eine beglaubigte Abschrift der Annahmeerklärung. Eine Ausfertigung dieser Urkunde wurde dem Beklagten laut Zustellurkunde vom 18. April 1992 durch Niederlegung zugestellt.

Der Kläger verlangt im Urkundenprozeß Zahlung des Kaufpreises von 370.000 DM nebst Zinsen. Mit Schriftsatz vom 1. Dezember 1993 hat er - u.a. - den Streithelfern den Streit verkündet, die mit Schriftsatz vom 25. Januar 1994 auf seiten des Klägers dem Rechtsstreit beigetreten sind. Der Beklagte hat geltend gemacht, der Vertrag sei nicht zustande gekommen, weil seine Vertragsofferte nicht formgerecht zugegangen sei.

Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Das Berufungsgericht hat sie abgewiesen. Hiergegen richtet sich die von den Streithelfern geführte Revision des Klägers; der Beklagte beantragt die Zurückweisung der Revision.

 

Entscheidungsgründe

I.

Das Berufungsgericht hat ausgeführt, der geltend gemachte Kaufpreisanspruch stehe dem Kläger nicht zu, da ein Kaufvertrag betreffend den Geschäftsanteil des Klägers an der GmbH nicht zustande gekommen sei. Das Angebot des Beklagten vom 11. Februar 1992 habe gemäß § 15 Abs. 4 Satz 1 GmbHG der notariellen Form bedurft und sei dem Kläger nicht wirksam zugegangen. Die Wirksamkeit der Zustellung einer der notariellen Beurkundung bedürfenden Willenserklärung setze voraus, daß die Erklärung dem Empfänger in Ausfertigung, nicht aber, wie hier geschehen, in beglaubigter Abschrift übersandt oder durch Vermittlung des Gerichtsvollziehers zugestellt werde. Der Kläger habe den Zustellungsmangel weder durch Genehmigung geheilt, noch habe er auf den Zugang der Willenserklärung in der gesetzlich vorgeschriebenen Form verzichtet; eine formunwirksame Willenserklärung könne weder durch eine Genehmigung noch durch einen Verzicht des Erklärungsempfängers wirksam werden. Aus Ziffer 7 des zwischen den Parteien geschlossenen Vergleichs vom 5. November 1991 ergebe sich ebenfalls ein wirksamer Zugang des Angebotes nicht, da das Formerfordernis des § 15 Abs. 4 Satz 1 GmbHG nicht zur Disposition der Vertragsparteien stehe. Dem Beklagten sei die Berufung auf den fehlenden Zugang seines Angebotes bei dem Kläger nicht nach Treu und Glauben verwehrt, obwohl er zunächst selbst von einem wirksam zugegangenen Angebot ausgegangen sei. Der Kläger habe keine Umstände vorgetragen, die es als schlechthin untragbar erscheinen lassen würden, die vertraglichen Vereinbarungen wegen Formmangels unausgeführt zu lassen.

II.

Dies hält einer rechtlichen Nachprüfung nicht in allen Punkten stand.

1.

Ohne Erfolg wendet sich allerdings die Revision dagegen, daß das Berufungsgericht angesichts der gesetzlichen Regelung des § 15 Abs. 4 Satz 1 GmbHG grundsätzlich vom Erfordernis des Zugangs (§ 130 Abs. 1 Satz 1 BGB) bzw. ersatzweise der Zustellung (§ 132 Abs. 1 BGB) einer Ausfertigung (§ 47 BeurkG) der das Kaufvertragsangebot enthaltenden notariellen Urkunde ausgeht und den Zugang bzw. die Zustellung einer beglaubigten Abschrift nicht für ausreichend erachtet. Dies entspricht ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum Wirksamwerden von Rechtsgeschäften, die der notariellen Beurkundung bedürfen (BGHZ 31, 5, 6 f; BGHZ 36, 201, 204 f; BGHZ 48, 374, 377 f; Urteil vom 22. Januar 1981 - IVa ZR 97/80, NJW 1981, 2299 = WM 1981, 313 unter III 2; vgl. zuletzt auch (zur Schriftform bei der Bürgschaft) BGHZ 121, 224, 228 f), der sich der Senat auch für die Anwendungsfälle des § 15 Abs. 4 GmbHG anschließt.

Unbehelflich ist der hiergegen gerichtete Hinweis der Revision auf das Senatsurteil vom 25. Januar 1967 (VIII ZR 173/64 = NJW 67, 823 ff). Da dort über eine Bankbürgschaft zu entscheiden war, war die zu übermittelnde Willenserklärung gemäß §§ 350 i.V. mit 1 Abs. 2 Nr. 4 HGB gerade nicht formbedürftig. Auch der auf diese Entscheidung gestützte Hinweis der Revision auf die Vorschrift des § 170 ZPO, die wegen der Verweisung in § 132 BGB anwendbar ist, geht fehl, da diese Vorschrift nur das Verfahren der Zustellung, nicht aber die materiell-rechtliche Frage, in welcher Form eine Urkunde zuzustellen ist, regelt (BGHZ 36, 201, 206 f; ebenso Soergel-Hefermehl, BGB, 12. Aufl., § 132 Rdnr. 2). Ebenso unbehelflich ist der Hinweis der Revision auf die Zustellungsvorschrift des § 187 ZPO; diese prozessrechtliche Bestimmung ist auf die hier zu beantwortende materiell-rechtliche Frage nach dem richtigen Zustellungsgegenstand ohne Einfluß (BGHZ 36, 201, 207). Darüber hinaus vermag die Ermessensvorschrift des § 187 ZPO nur solche Förmlichkeiten im Rahmen der Zustellung zu ersetzen, die lediglich den Nachweis der Tatsache und des Zeitpunkts des Zugangs sicherstellen sollen. Die Formvorschrift des § 15 Abs. 4 GmbHG hat aber eine andere Funktion, nämlich den spekulativen Handel mit GmbH-Anteilen zu vereiteln sowie eine Beweiserleichterung hinsichtlich des materiellen Gehalts des GmbH-Anteilsverkaufs herbeizuführen (vgl. Baumbach/Hueck, GmbHG, 15. Aufl., § 15 Rdnrn. 20, 29).

2.

Das Berufungsurteil kann aber - wie die Revision zu Recht rügt - mit der gegebenen Begründung keinen Bestand haben, weil es einen Verzicht des Klägers auf den Zugang der Willenserklärung in der gesetzlichen Form (§ 15 Abs. 4 GmbHG) verneint hat.

a)

Wenn das Berufungsgericht in diesem Zusammenhang ausführt, das Formerfordernis des § 15 Abs. 4 GmbHG stehe nicht zur Disposition der Vertragsparteien, so ist dies an sich zwar richtig, trifft aber nicht den entscheidenden Punkt. Denn die gesetzlich vorgeschriebene Form ist hier durch die notariell beurkundete Angebotserklärung des Beklagten gewahrt. Es fehlt mithin nicht an der gesetzlichen Form der Willenserklärung, sondern an ihrem ordnungsgemäßen Zugang gemäß §§ 130 Abs. 1 oder 132 Abs. 1 BGB beim Kläger (vgl. BGHZ 31, 5, 12).

b)

Der Zugang einer der gesetzlichen Formvorschrift des § 15 Abs. 4 GmbHG unterliegenden Willenserklärung ist aber, anders als die gesetzliche Formvorschrift selbst, dispositiv. Durch eine entsprechende Vereinbarung können nämlich abweichend von den gesetzlichen Vorschriften (§§ 130, 132 BGB) Zugangserleichterungen vereinbart werden (RGZ 108, 91, 96 f; Staudinger-Dilcher, BGB, 12. Aufl., § 130 Rdnr. 18; Erman/Brox, BGB, 9. Aufl., § 130 Rdnr. 26; BGB-RGRK/Krüger-Nieland, 12. Aufl., § 130 Rdnr. 28). Hier ist eine derartige Vereinbarung - wie die Revision zu Recht rügt - möglicherweise in Nr. 7 des dem Kaufvertrag zugrundeliegenden gerichtlichen Vergleichs vom 5. November 1991 getroffen worden. Das Berufungsgericht hat infolge seines unzutreffenden rechtlichen Ansatzes eine Auslegung dieser Vertragsklausel nicht vorgenommen. Nach ihrem Wortlaut ist indessen nicht von vornherein auszuschließen, daß damit die Parteien, also auch der Kläger, auf den Zugang einer einmal in gehöriger Form beurkundeten Willenserklärung in eben dieser Form verzichtet haben. Da die tatrichterliche Auslegung und Würdigung dieser individualvertraglichen Klausel in erster Linie Sache des Tatrichters ist, war der Rechtsstreit schon deshalb an die Vorinstanz zurückzuverweisen.

c)

Ebenso bedarf tatrichterlicher Auslegung, ob der Kläger dadurch auf die gehörige Form bei dem Zugang der das Vertragsangebot enthaltenden Willenserklärung verzichtet hat, daß er selbst eine formwirksame, das Angebot annehmende Willenserklärung dem Beklagten übermittelt hat, nämlich die durch Niederlegung am 18. April 1992 beim Beklagten zugestellte Annahmeerklärung vom 24. März 1992. Zu Recht rügt die Revision unter Bezugnahme auf das vorinstanzliche Vorbringen, daß die Erklärung der Annahme des Angebots in gehöriger Form als ein Verzicht auf die Erfüllung weiterer Zugangserfordernisse gedeutet werden könne; eine Zustimmung des Beklagten zu diesem Formverzicht des Klägers ist möglicherweise darin zu sehen, daß, wie das Berufungsgericht feststellt, der Beklagte "zunächst selbst (nämlich bis zur zweiten Instanz) von einem wirksam zugegangenen Angebot ausging".

3.

Sollte das Berufungsgericht aufgrund der erneuten Verhandlung weder aus Nr. 7 des gerichtlichen Vergleichs vom 5. November 1991 noch aus dem Verhalten der Parteien nach Abgabe des Kaufangebots durch den Beklagten einen Verzicht auf das Erfordernis des Zugangs einer Ausfertigung der notariellen Urkunde des Angebots des Beklagten beim Kläger herleiten können, so wäre der Beklagte jedenfalls nach den bisherigen Feststellungen nicht durch den Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) gehindert, sich auf den nicht ordnungsgemäßen Zugang seines Angebots bei dem Kläger zu berufen, wie das Berufungsgericht zutreffend ausführt. Generell kann ein Formmangel - um einer Aushöhlung der Formvorschriften des bürgerlichen Rechts vorzubeugen - nur ausnahmsweise wegen unzulässiger Rechtsausübung unbeachtlich sein (BGHZ 121, 224, 233 m.w.Nachw.). Entgegen der Auffassung der Revision setzt die erfolgreiche Berufung des Beklagten auf die mangelhafte Form seiner Willenserklärung bei ihrem Eingang beim Kläger kein schutzwürdiges Interesse des Beklagten daran voraus, daß dem Kläger das notariell beurkundete Kaufangebot selbst und nicht nur eine beglaubigte Abschrift desselben zuging. Daneben führt die Revision keinerlei übergangenen Vortrag des Klägers an, der den Treuwidrigkeitseinwand in tatsächlicher Hinsicht begründen könnte.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1456130

BGHZ, 71

BB 1995, 1559

NJW 1995, 2217

ZIP 1995, 1089

DNotZ 1996, 967

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