Entscheidungsstichwort (Thema)

Keine Prüfung der Zuständigkeit des Gerichts erster Instanz durch das Revisionsgericht

 

Leitsatz (amtlich)

Durch § 545 Abs. 2 ZPO ist die Prüfung der Zuständigkeit des Gerichts erster Instanz der Nachprüfung durch das Revisionsgericht entzogen, auch wenn das Berufungsgericht die Revision zur Klärung der von ihm vertretenen Auffassung zur sachlichen Zuständigkeit zugelassen hat.

 

Normenkette

ZPO § 545 Abs. 2

 

Verfahrensgang

LG Frankfurt (Oder) (Urteil vom 08.02.2005; Aktenzeichen 6a S 179/04)

AG Strausberg (Entscheidung vom 23.06.2004; Aktenzeichen 25 C 405/03)

 

Tenor

Die Revision gegen das Urteil der 6(a) Zivilkammer des LG Frankfurt/O. vom 8.2.2005 wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Das klagende Land verlangt aus übergegangenem Recht wegen einer vorsätzlichen unerlaubten Handlung des Beklagten vom 7.4.1993 die Erstattung von Krankengeld und Versicherungsbeiträgen sowie der Kosten des Krankentransports und der stationären Krankenhausbehandlung des Opfers.

Am 30.9.2003 beantragte der Kläger beim AG C. den Erlass eines Mahnbescheids, mit welchem er die Erstattung von Krankengeld sowie von Versicherungsbeiträgen begehrte. In dem Mahnbescheidantrag bezeichnete er das AG S. als das zuständige Gericht für ein streitiges Verfahren. Mit Schreiben vom 10.11.2003 teilte der Kläger eine neue Anschrift des Beklagten mit und benannte nunmehr das AG F. als Streitgericht. Nach Eingang des Widerspruchs gab das Mahngericht das Verfahren jedoch an das AG S. ab.

Am 21.10.2003 beantragte der Kläger beim AG C. einen weiteren Mahnbescheid gegen den Beklagten, mit dem er aus demselben Vorfall die Erstattung von Krankentransport- und Krankenhauskosten begehrte. Er benannte das AG F. als Streitgericht. Mit Schreiben vom 7.11.2003 teilte er die Anschrift des Beklagten mit und bat um Abgabe des Verfahrens an das AG S. Nach Eingang des Widerspruchs gab das Mahngericht das Verfahren an dieses Gericht ab.

Das AG S. hat die Verfahren zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden. Nachdem es auf Bedenken gegen die sachliche Zuständigkeit des AG wegen Überschreitens der Wertgrenze nach Verbindung der Verfahren hingewiesen und der Beklagte die sachliche Zuständigkeit des AG gerügt hatte, hat es die Klage mit Urteil vom 23.6.2004 als unzulässig abgewiesen. Die Berufung des Klägers hatte keinen Erfolg. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Berufungsbegehren weiter, die Sache unter Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils und Verfahrens an das AG S. zurückzuverweisen.

 

Entscheidungsgründe

I.

Das Berufungsgericht hat ausgeführt, das AG habe die Klage nach Verbindung der Verfahren zu Recht wegen der fehlenden sachlichen Zuständigkeit als unzulässig abgewiesen.

Die nach § 147 ZPO vorgenommene, im Ermessen des Gerichts stehende Verbindung der Verfahren sei zulässig gewesen. Der Kläger begehre aus übergegangenem Recht aus demselben Haftungsgrund von dem Beklagten die Erstattung von Leistungen, die er an die Krankenkasse des Verletzten bezahlt habe, und beide Verfahren seien zum Zeitpunkt der Verbindung beim AG S. anhängig gewesen.

Zwar werde die bis dahin bestehende sachliche Zuständigkeit des AG durch einen Verbindungsbeschluss grundsätzlich nicht berührt. Etwas anderes gelte aber, wenn der Kläger erkennbar durch eine willkürliche Zerlegung seines Gesamtanspruchs in mehrere Verfahren die Zuständigkeit des AG wider Treu und Glauben erschleichen wolle. Ein solcher Fall liege hier vor, insb. weil der Vertreter des Klägers im Termin vor dem AG eingeräumt habe, dass die Geltendmachung der Ansprüche in zwei Klagen allein deshalb erfolgt sei, um die Zuständigkeit des AG zu erreichen und die Kosten eines Rechtsanwalts zu sparen.

II.

Die gegen die Entscheidung des Berufungsgerichts gerichtete Revision ist zwar statthaft (§ 543 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Satz 2 ZPO) und auch im Übrigen zulässig. Sie ist jedoch als unbegründet zurückzuweisen.

1. Das AG hat die Klage wegen fehlender sachlicher Zuständigkeit abgewiesen, weil nach Verbindung beider Verfahren wegen Überschreitung der Wertgrenze des § 23 Nr. 1 GVG die Zuständigkeit des LG gegeben sei. Das Berufungsgericht hat diese Entscheidung bestätigt, jedoch die Revision zugelassen, offenbar um eine Überprüfung der Erwägungen zu ermöglichen, mit denen es ausnahmsweise in Übereinstimmung mit dem erstinstanzlichen Gericht eine Änderung der sachlichen Zuständigkeit nach Verbindung der Verfahren angenommen hat. Die Revision wendet sich gegen diese Auffassung und möchte eine Zurückverweisung an das AG S. erreichen.

2. Mit diesem Begehren hat sie keinen Erfolg, weil die hier maßgebliche Frage der sachlichen Zuständigkeit des erstinstanzlichen Gerichts nicht der Prüfung durch das Revisionsgericht unterliegt.

Nach § 545 Abs. 2 ZPO kann die Revision nicht darauf gestützt werden, dass das Gericht des ersten Rechtszuges seine Zuständigkeit zu Unrecht angenommen oder verneint hat. Nach der amtlichen Begründung zu dieser Vorschrift sollen dadurch im Interesse der Verfahrensbeschleunigung und der Entlastung des Revisionsgerichts Rechtsmittelstreitigkeiten vermieden werden, die allein auf die Frage der Zuständigkeit des Gerichts gestützt werden. Zugleich soll die Neuregelung vermeiden, dass die von den Vorinstanzen geleistete Sacharbeit wegen fehlender Zuständigkeit hinfällig wird (BT-Drucks. 14/4722, 106). Da die Vorschrift nach der Gesetzesbegründung insb. auch eine Verfahrensbeschleunigung und eine Entlastung des Revisionsgerichts im Auge hat, ist durch sie die Zuständigkeit des Gerichts erster Instanz der Nachprüfung durch das Revisionsgericht schlechthin entzogen (BGH, Urt. v. 22.2.2005 - KZR 28/03, BGHReport 2005, 870 = NJW 2005, 1660 [1661]; Beschl. v. 26.6.2003 - III ZR 91/03, MDR 2003, 1369 = BGHReport 2003, 1030 = NJW 2003, 2917; Zöller/Gummer, ZPO, 25. Aufl., § 545 Rz. 16). Dies gilt auch dann, wenn das Berufungsgericht die Revision zur Klärung der von ihm vertretenen Auffassung zur Zuständigkeit zugelassen hat (BGH, Urt. v. 28.4.1988 - I ZR 27/87, MDR 1988, 839 = NJW 1988, 3267 [3268]; Beschl. v. 26.6.2003 - III ZR 91/03, MDR 2003, 1369 = BGHReport 2003, 1030 = NJW 2003, 2917). Eine Ausnahme gilt nach der Rechtsprechung des BGH nur für die internationale Zuständigkeit (BGH v. 28.11.2002 - III ZR 102/02, BGHZ 153, 82 [84 ff.] = MDR 2003, 348 = BGHReport 2003, 248 m. Anm. Schneider; Urt. v. 27.5.2003 - IX ZR 203/02, BGHReport 2003, 1111 = MDR 2003, 1256 = WM 2003, 1542). Im vorliegenden Fall wäre eine revisionsrechtliche Prüfung im Übrigen auch nach einer im Schrifttum vertretenen einschränkenden Auffassung (Wenzel in MünchKomm/ZPO-Reform, § 545 Rz. 15; Musielak/Ball, ZPO, 4. Aufl., § 545 Rz. 12) ausgeschlossen, weil das Berufungsgericht die Entscheidung der Vorinstanz bestätigt hat.

Demnach ist die Revision zwar statthaft, aber unbegründet (BGH, Urt. v. 26.10.1979 - I ZR 6/79, MDR 1980, 203; Urt. v. 28.4.1988 - I ZR 27/87, MDR 1988, 839 = NJW 1988, 3267 [3268]; Beschl. v. 26.6.2003 - III ZR 91/03, MDR 2003, 1369 = BGHReport 2003, 1030 = NJW 2003, 2917).

2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1508438

BB 2006, 1360

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge