Verfahrensgang

LG Baden-Baden (Urteil vom 27.05.1994; Aktenzeichen Ks 4/94 RL 45/94)

 

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags zu vier Jahren Freiheitsstrafe und zur Zahlung von 12.000 DM Schmerzensgeld nebst Zinsen verurteilt. Die auf die Sachbeschwerde gestützte Revision des Angeklagten hat keinen Erfolg.

Der Erörterung bedarf nur die Zuerkennung des Schmerzensgeldes. Der Generalbundesanwalt bemängelt insoweit, daß das Landgericht bei dessen Bemessung die wirtschaftlichen Verhältnisse des Schädigers und des Verletzten sowie die Genugtuungsfunktion des Schmerzensgeldes nicht ausdrücklich in seine Erwägungen einbezogen habe. Der Senat sieht keinen Rechtsfehler.

Richtig ist, daß die wirtschaftlichen Verhältnisse des Schädigers und des Verletzten die Zumessung des Schmerzensgeldes beeinflussen können; das ist seit der Entscheidung des Großen Senats für Zivilsachen BGHZ 18, 149 ständige Rechtsprechung. Es bedeutet jedoch nicht, daß in jedem Fall diese Verhältnisse und ihr Einfluß auf die Bemessung ausdrücklich erörtert werden müßten. "Durchaus im Vordergrund" stehen "Höhe und Maß der Lebensbeeinträchtigung", bei ihnen "liegt das Schwergewicht" (BGH aaO. S. 149, 157).

Wesentlich ist auch der Grad des Verschuldens. Er kann sich nicht nur unmittelbar auf die Höhe des Schmerzensgeldes auswirken, sondern kann auch bei Beurteilung der Frage eine Rolle spielen, ob unter dem Gesichtspunkt der Billigkeit (um den Schädiger nicht "in schwere und nachhaltige Not zu bringen"; BGHZ 18, 149, 159) die wirtschaftlichen Verhältnisse des Schädigers zu berücksichtigen sind. "Besonders verwerfliches Verhalten des Schädigers, wie rücksichtsloser Leichtsinn oder gar Vorsatz, können den Gedanken weitgehend zurückdrängen, ihn vor wirtschaftlicher Not zu bewahren" (BGH aaO.).

Gemessen an diesen noch heute geltenden Grundsätzen (vgl. Karl Schäfer in Staudinger, BGB 12. Aufl. § 847 Rdn. 56: "Jedoch erfordert die Billigkeit keine besondere Rücksichtnahme auf seine Verhältnisse, wenn er besonders verantwortungslos oder verwerflich gehandelt hat"), ist das angefochtene Urteil nicht zu beanstanden.

Der Angeklagte hatte den Geschädigten bei einem Glühweinfest ohne jeden vernünftigen Grund hinterrücks überfallen und ihm, als er ihn wegen dessen Gegenwehr nicht wie geplant verprügeln konnte, ein Butterflymesser mit großer Wucht in die linke Körperseite gestoßen. Der Stich drang 4 bis 5 cm tief ein, verletzte das Rippenfell und verschiedene Blutgefäße und führte zu massiver Blutansammlung im Rippenfellspalt. Es bestand akute Lebensgefahr, die durch sofortige ärztliche Behandlung gebannt wurde. Zweieinhalb Wochen stationäre Krankenhausbehandlung und etwa zweimonatige Arbeitsunfähigkeit waren die Folgen. Der Heilungsverlauf war insgesamt komplikationslos, doch litt der Geschädigte noch zur Zeit der Hauptverhandlung (etwa ein halbes Jahr nach der Tat) unter Beschwerden beim Atmen, weshalb er sich atem- und bewegungstherapeutischen Rehabilitationsmaßnahmen unterzog.

Bei diesem Sachverhalt hätten - bevor ein Schmerzensgeld von 12.000 DM festgesetzt wurde - die wirtschaftlichen Verhältnisse des Täters und des Geschädigten nur dann ausdrücklich in die Erörterungen zur Bemessung des Schmerzensgeldes einbezogen werden müssen, wenn sie ganz ungewöhnlich gewesen wären. Hierfür bietet das Urteil jedoch keinen Anhalt. Zur Zeit der Tat war der Angeklagte zwar arbeitslos, erhielt aber Arbeitslosengeld von 1.080 DM monatlich und hatte eine Arbeitsstelle in Aussicht. Er lebte überwiegend in der Wohnung seiner jetzigen Verlobten im gemeinsamen Haushalt. Seine eigene Wohnung, die monatlich 634 DM Miete kostete, hatte er beibehalten. Zwar hat er Schulden von etwa 43.000 DM, doch rühren diese hauptsächlich aus der Anschaffung einer Wohnungseinrichtung her.

Die wirtschaftlichen Verhältnisse des Geschädigten sind im Urteil nicht geschildert, doch gibt es keine Anhaltspunkte, sie würden nach unten oder oben irgendwelche Besonderheiten aufweisen.

Insgesamt drängten die Feststellungen nicht dazu, den Einfluß der wirtschaftlichen Verhältnisse des Angeklagten und des Verletzten auf die Bemessung des Schmerzensgeldes eigens zu erörtern; nur in solchem Fall kann das Unterlassen derartiger Erörterung einen Rechtsfehler darstellen (vgl. BGHR StPO § 403 Anspruch 3 und 4; BGH, Beschluß vom 22. November 1994 - 4 StR 619/94).

Das Landgericht hat auch die "Genugtuungsfunktion" des Schmerzensgeldanspruchs berücksichtigt (UA S. 78). Sie kann nach Lage des Falles dazu führen, "eine strafrechtliche Ahndung der Tat zu berücksichtigen" (BGHR StPO § 403 Anspruch 3); sie verlangt aber nicht, in Fällen wie dem hier zu beurteilenden jeweils ausdrücklich eine Beziehung zwischen Strafe und Schmerzensgeld herzustellen. Die Genugtuungsfunktion des Schmerzensgeldes hat hauptsächlich damit zu tun, daß der entstandene Schaden häufig gar nicht (oder nicht in vollem Umfang) ausgeglichen werden kann; das soll nicht zum Wegfall (oder zur Minderung) des Anspruchs führen (BGHZ 18, 149, 157). Die Genugtuungsfunktion bringt dann "eine gewisse durch den Schadensfall hervorgerufene persönliche Beziehung zwischen Schädiger und Geschädigtem zum Ausdruck" (BGH aaO.). Der staatliche Strafanspruch und seine Verwirklichung hängen damit nur mittelbar zusammen.

Insgesamt ist die Entscheidung des Landgerichts (das auch die bei Hacks/Ring/Böhm, Schmerzensgeldbeträge 14. Aufl. 1989, unter Nr. 535 und 584 genannten Entscheidungen der Oberlandesgerichte Hamm und Stuttgart aus dem Jahre 1987 heranzieht) nicht zu beanstanden.

Auch die Prüfung des Urteils im übrigen hat auf Grund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.

 

Fundstellen

Haufe-Index 2993318

NJW 1995, 1438

BGHR StPO § 404 Abs. 1 Entscheidung 3

DAR 1996, 180

MDR 1995, 625

VRS 89, 135

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