Leitsatz (amtlich)

Fährt ein Kraftfahrer bei Dunkelheit auf ein unbeleuchtetes Hindernis auf, so spricht der Beweis des ersten Anscheins für eine schuldhafte Fahrweise.

 

Normenkette

ZPO § 286

 

Verfahrensgang

OLG Düsseldorf (Entscheidung vom 24.07.1958)

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 1. Zivilsenats des Oberlandesgerichts in Düsseldorf vom 24. Juli 1958 aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Die Beklagten, die als Kraftfahrer bei der Firma G. F. in R. beschäftigt waren, fuhren am 18. August 1955 mit einem Lastzug nach Wuppertal-Erberfeld, um dort bei der Flaschenhandlung W. in der O. Straße Flaschen abzuholen. Als sie hier gegen 16 Uhr eintrafen, konnten die Flaschen nicht mehr verladen werden. Die Beklagten stellten den Anhänger des Lastzuges in der Weise am rechten Straßenrand ab, daß er ungefähr mit der Mitte der Längsseite neben einer am Bordstein befindlichen Gaslaterne stand, und fuhren, ohne den Anhänger für die Nacht mit eigenen Lampen versehen zu haben, mit dem Motorwagen davon, um am nächsten Tag zurückzukehren.

Abends gegen 21 Uhr kam, als es dunkel geworden war, der Kläger auf seinem Motorrad (98 ccm) über die O. Straße und fuhr hinten auf den Anhänger auf. Er trug bei dem Anprall eine schwere Kopfverletzung davon.

Der Kläger hat die Beklagten auf Schadensersatz in Anspruch genommen, weil sie es schuldhaft unterlassen hätten, für eine genügende Beleuchtung des Anhängers zu sorgen. Er hat behauptet, das Licht der Straßenlaterne habe den Anhänger nicht kenntlich gemacht. Bei der von ihm eingehaltenen Fahrgeschwindigkeit von 30 km/st habe er den Anhänger daher nicht rechtzeitig bemerken können, zumal er plötzlich von dem vollen Scheinwerferlicht eines entgegenkommenden Motorrollers geblendet worden sei, der wohl kurz vor der Begegnung aufgeblendet habe oder überhaupt erst gestartet sei.

Die Beklagten haben das Vorbringen des Klägers bestritten und behauptet, die Straßenlaterne habe den Anhänger genügend beleuchtet. Jedenfalls würde der Kläger den Anhänger aber auch bei besserer Beleuchtung nicht bemerkt haben, wenn er geblendet worden sei. Ihn treffe ein eigenes Verschulden an seinem Unfall weil er seine Fahrgeschwindigkeit nicht der Sichtweite angepaßt habe.

Der Kläger hat ein eigenes Verschulden mit der Behauptung bestritten, daß er dem Rollerfahrer Lichtzeichen gegeben und sofort gebremst habe, als die Blendwirkung eingetreten sei.

Das Landgericht hat die Beklagten nach dem Antrag des Klägers zur gesamtschuldnerischen Zahlung von 4.726,06 DM nebst Zinsen verurteilt; es hat den Anspruch auf ein angemessenes Schmerzensgeld dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt und festgestellt, daß die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, dem Kläger allen in Zukunft noch entstehenden Schaden zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf öffentliche Versicherungs- oder Versorgungsträger übergegangen sind.

Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht dieses Urteil teilweise abgeändert. Es hat dem Kläger 3.209,95 DM nebst Zinsen zugesprochen, den Schmerzensgeldanspruch zu vier Fünfteln dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt und auch die Feststellung auf vier Fünftel des - vom Rechtsübergang nicht berührten - weiteren Schadens beschränkt. Mit den weitergehenden Ansprüchen hat es den Kläger abgewiesen. Im übrigen ist die Berufung der Beklagten zurückgewiesen worden.

Mit der Revision erstreben die Beklagten weiterhin die volle Abweisung der Klage.

Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

1.

Das Berufungsgericht hat auf Grund der Wahrnehmungen, die die Polizeimeister G. und K. vom Verkehrsunfallkommando bei der Aufnahme des Unfalls am Unfallort gemacht, zu den Ermittlungsakten des Strafverfahrens 3 Ds 280/55 des Amtsgerichts Wuppertal gegen G. niedergelegt und als Zeugen im gegenwärtigen Rechtsstreit bekundet haben, als erwiesen angesehen, daß die Gaslaterne neben der rechten Seitenwand den Anhänger von hinten überhaupt nicht kenntlich gemacht hat. Näherte sich dem Anhänger von hinten ein Fahrzeug mit Abblendlicht, so tauchte er allenfalls etwa aus einer Entfernung von 20 bis 25 m zunächst äußerst schwach im Blickfeld der Fahrzeuginsassen auf; wurde das Licht ausgeschaltet, so war der Anhänger nicht zu sehen. Wie das Berufungsgericht weiter festgestellt hat, waren auch Rückstrahler an dem Anhänger entweder nicht vorhanden oder doch so verschmutzt, daß sie keine Wirkung mehr hatten. Das Berufungsgericht hat einen für den Unfall ursächlich gewordenen schuldhaften Verstoß der Beklagten gegen §§20, 23, 24 StVO darin gesehen, daß sie den Anhänger über Nacht auf der Straße haben stehen lassen, ohne daß er mit eigenen Lichtquellen, insbesondere einer roten Schlußleuchte, versehen war und ordnungsmäßige Rückstrahler hatte, und hat daher die Schadensersatzpflicht der Beklagten nach §§823, 830 BGB für begründet gehalten.

Diese Würdigung läßt keinen Rechtsfehler erkennen.

a)

Nach §23 StVO sind vom Hereinbrechen der Dunkelheit an die in §24 Abs. 1-3 StVO für Fahrzeuge vorgeschriebenen Beleuchtungseinrichtungen in Betrieb zu setzen; dies gilt für abgestellte Fahrzeuge ausnahmsweise dann nicht, wenn sie durch andere Lichtquellen ausreichend beleuchtet sind (§23 Abs. 1 letzter Halbsatz, §24 Abs. 4 StVO). Ein abgestelltes Fahrzeug ist durch eine andere Lichtquelle nur dann ausreichend beleuchtet, wenn sie in ihrer Wirkung der sonst vorgeschriebenen Eigenbeleuchtung gleichkommt (BGH, Urteil vom 13. Dezember 1951 - 4 StR 657/51 in VRS 4, 136) und auch ohne das Scheinwerferlicht vorüberfahrender Fahrzeuge genügt, um den Straßenverkehr, gegen die Gefahr eines Zusammenstoßes zu sichern (BGH, Beschluß vom 11. Juni 1958 - 4 StR 119/58 in NJW 1958, 1358 = MDR 1958, 786 und Anm. Kohlhaas in Lindenmaier/Möhring St. S. zu §24 StVO Nr. 2). Da der Anhänger nach den Feststellungen des Berufungsgerichts für den Fahrer eines sich nähernden Kraftwagens ohne das Licht seines eigenen Scheinwerfers selbst auf eine Entfernung von nur 20 bis 25 m noch überhaupt nicht zu erkennen war, kann nicht bezweifelt werden, daß der Anhänger durch die Straßenlaterne nicht ausreichend beleuchtet gewesen ist.

b)

Hiergegen kann die Revision nicht mit Erfolg ins Feld führen, daß der Anhänger nach den Ausführungen des Berufungsurteils für den Kläger doch auf die erwähnte Entfernung sichtbar gewesen sei, wenn er nicht durch das Fernlicht des entgegegenkommenden Motorrollers geblendet worden wäre. Die Revision läßt hierbei unbeachtet, daß nach den tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts erst das eigene Scheinwerferlicht eines herannahenden Verkehrsteilnehmers die Rückwand des Anhängers auf die genannte Entfernung erkennbar werden ließ, wobei der Anhänger auf die Entfernung von 20 bis vielleicht 25 m auch nur erst äußerst schwach im Abblendlicht auftauchte. Für die Frage, ob ein abgestelltes Fahrzeug durch eine andere Lichtquelle ausreichend beleuchtet ist, kommt es aber wie gesagt, auf die Einwirkung der Scheinwerfer herannahender Fahrzeuge nicht an. Darum ist es in diesem Zusammenhang auch bedeutungslos, ob für den Kläger die Lichtwirkung seines Scheinwerfers durch Blendung aufgehoben worden ist. Erst recht geht es fehl, wenn die Revision die Ansicht vertritt, die Sichtentfernung von vielleicht 25 m (im Abblendlicht des näherkommenden Verkehrsteilnehmers!) habe auch darum genügt, weil erfahrungsgemäß nicht damit gerechnet werden könne, daß sich nur ausreichend beleuchtete Hindernisse auf der Fahrbahn befänden. Gewiß muß ein Kraftfahrer seine Fahrgeschwindigkeit darauf einrichten, daß er sein Fahrzeug innerhalb der übersehbaren Strecke auch vor unvermutet auftauchenden Hindernissen zum Halten bringen kann. Das hat aber nichts mit der Frage zu tun, wie ein am Fahrbahnrand abgestelltes Fahrzeug bei Dunkelheit beleuchtet werden muß. Die Anforderungen, die die Straßenverkehrsordnung in dieser Hinsicht stellt, bestehen unabhängig davon, welchen Pflichten andere Verkehrsteinnehmer nachzukommen haben. Das Gesetz hat Wegen der erhöhten Gefahren des Straßenverkehrs bei Dunkelheit für die Beleuchtung haltender Fahrzeuge Mindestanforderungen aufgestellt, die unter allen Umständen eingehalten werden müssen (BGH, Beschluß vom 11. Juni 1958 a.a.O.).

c)

Unbegründet sind die Verfahrensrügen, mit denen die Revision bemängelt, daß das Berufungsgericht keinen Sachverständigen über die Sichtverhältnisse gehört und keinen Augenschein eingenommen hat. Beweiserhebungen dieser Art standen im Ermessen des Berufungsgerichts. Daß es von seinem Ermessen eine fehlerhaften Gebrauch gemacht hätte, ist nicht ersichtlich Insbesondere liegt kein Grund für die Annahme vor, daß es sich nicht für genügend sachkundig hätte halten dürfen, um sich ohne die Hilfe eines Sachverständigen sein Urteil bilden zu können.

d)

Die Feststellungen, die das Berufungsgericht in Bezug auf die Rückstrahler getroffen hat, mit denen der Anhänger nach §24 Abs. 5, 6 StVO hätte versehen sein müssen, können durch die Revisionsrüge einer Verletzung des §286 ZPO gleichfalls nicht erschüttert werden. Vermochte der Polizeimeister Geduhn bei seiner Zeugenaussage mehr als zwei Jahre nach dem Unfall auch nicht mehr anzugeben, ob Rückstrahler am Anhänger zu erkennen waren, so konnte das Berufungsgericht die von ihm getroffene verneinende Feststellung ohne Verstoß gegen Grundsätze richterlicher Beweiswürdigung doch darauf gründen, daß die Polizeibeamten nach der Bekundung des Zeugen bei der Annäherung ihres Kraftfahrzeugs an die Unfallstelle konzentrierte Beobachtungen angestellt, in ihren Ermittlungsberichten aber nichts davon erwähnt haben, daß sich das Vorhandensein des Anhängers durch das Aufleuchten von Rückstrahlern bemerkbar gemacht habe. Das Berufungsgericht brauchte nicht zu dem von der Revision gewünschten Schluß zu gelangen, daß die Polizeibeamten auf die Rückstrahler nicht geachtet hätten. Ob Rückstrahler überhaupt gefehlt haben oder ob die Rückstrahler, die etwa vorhanden gewesen sind, darum keine Wirkung hatten, weil sie verschmutzt gewesen sind, konnte das Berufungsgericht dahingestellt lassen, da es für die rechtliche Beurteilung des Streitfalles hierauf nicht ankam.

e)

Rechtlich bedenkenfrei ist auch die Annahme des Berufungsgerichts, daß es den Beklagten zum Verschulden gereicht, den genannten Vorschriften nicht genügt zu haben. Die Beklagten durften sich nicht, wie die Revision anscheinend meint, dabei beruhigen, den Anhänger neben eine Laterne gestellt zu haben, die die ganze Nacht über brannte. Es kam darauf an, ob der Anhänger bei seinem Stand durch die Laterne auch ausreichend beleuchtet wurde, und ob die Beklagten bei Anwendung der von ihnen als Kraftfahrern zu erfordernden Sorgfalt gewiß sein konnten, daß dies der Fall sein werde. Dies hat das Berufungsgericht irrtumsfrei verneint.

2.

Das Berufungsgericht hat den Kläger als Halter des Motorrades, bei dessen Betrieb sich der Unfall zugetragen hat, nach §7 StVG für verpflichtet erachtet, auch selbst für die Folgen seines Unfalles einzustehen. Nach Ansicht des Berufungsgerichts hat der Kläger nicht dargetan, daß der Unfall für ihn ein unabwendbares Ereignis im Sinne des §7 Abs. 2 StVG gewesen ist. Auf der anderen Seite hat das Berufungsgericht aber auch nicht für bewiesen gehalten, daß den Kläger an seinem Unfall ein eigenes Verschulden trifft. Bei der Schadensabwägung entsprechend §17 StVG (vgl. BGHZ 6, 319) hat das Berufungsgericht daher nur die Betriebsgefahr des Motorrades zu Lasten des Klägers in die Waagschale geworfen.

Die Erwägungen, mit denen das Berufungsgericht ein für den Unfall ursächlich gewordenes Verschulden des Klägers verneint hat, halten indessen, wie der Revision zuzugeben ist, rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

Das Berufungsgericht meint, meistens werde zwar, wenn ein Kraftfahrzeug bei Dunkelheit auf ein unbeleuchtetes Hindernis auffahre, dem Fahrer zur Last fallen, die Fahrgeschwindigkeit nicht seiner Sichtweite angepaßt zu haben. Doch gebe es zu viele Möglichkeiten, die ein Auffahren auf unbeleuchtete Hindernisse unverschuldet erscheinen ließen, als daß in derartigen Fällen schon von einem Schuldbeweis des ersten Anscheins gegen den Fahrer gesprochen werden könne. Um ein eigenes Verschulden des Klägers an seinem Unfall zu beweisen, hätten die Beklagten daher seine Darstellung widerlegen müssen, daß er plötzlich durch das Fernlicht eines entgegenkommenden Fahrzeugs geblendet worden sei. Als die Rückwand des Anhängers im Abblendlicht seines Motorrades aufgetaucht sei, hätte der Kläger bei einer Fahrgeschwindigkeit von 30 km/st dem Anhänger noch leicht ausweichen können, wenn er nicht geblendet worden wäre. Aber gerade in diesem Augenblick könne aus der Gegenrichtung ein anderes Fahrzeug gestartet sein und dabei das Fernlicht eingeschaltet haben. Den Beklagten sei der Beweis nicht gelungen, daß sich das Unfallgeschehen nicht in dieser Weise zugetragen haben könne.

Diese rechtliche Betrachtungsweise des Berufungsgerichts kann nicht gebilligt werden. Nach §9 Abs. 1 StVO hat der Fahrzeugführer seine Fahrgeschwindigkeit so einzurichten, daß er jederzeit in der Lage ist, seinen Verpflichtungen im Verkehr Genüge zu leisten, und daß er das Fahrzeug nötigenfalls rechtzeitig anhalten kann. Er darf daher, grundsätzlich nur so schnell fahren, daß der Anhalteweg nicht länger ist als die Fahrstrecke, die er zu übersehen vermag. Das gilt besonders auch für Fahrten bei Dunkelheit. Der Fahrer ist zu einer solchen Fahrweise verpflichtet, daß er in der Lage ist, auch vor einem unvermuteten und unbeleuchteten Hindernis auf seiner Fahrbahn rechtzeitig anzuhalten. Mit solchen Hindernissen muß auf öffentlicher Straße gerechnet werden, zumal auf städtischen Verkehrsstraßen: daß sich auf ihnen Hindernisse verschiedenster Art befinden können, namentlich auch schlecht oder gar nicht beleuchtete Fahrzeuge, ist eine häufige Erfahrung. Der Kraftfahrer verstößt gegen seine Sorgfaltspflicht, wenn er dem nicht Rechnung trägt und sich in seiner Fahrweise nicht hierauf einrichtet (BGHSt 2, 188; Urteile des erkennenden Senats vom 23. Oktober 1956 - VI ZR 167/55 - VersR 1956, 796; vom 14. Dezember 1956 - VI ZR 269/55 - VersR 1957, 128, 129; vom 2. Juli 1957 - VI ZR 177/56 - VersR 1957, 588, 590; vom 13. Juni 1958 - VI ZR 147/57 - VersR 1958, 532). Kommt es dadurch zu einem Unfall, daß ein Fahrzeug bei Dunkelheit auf ein unbeleuchtetes Hindernis auffährt, so findet dies in aller Regel seine Erklärung in einem Fahrverhalten des auffahrenden Kraftfahrers, das ihm zum Schuldvorwurf gereicht, sei es, daß er seine Fahrgeschwindigkeit nicht den Sichtverhältnissen angepaßt hat, sei es, daß er es an der erforderlichen Aufmerksamkeit hat fehlen lassen (Urteile des erkennenden Senats vom 11. Februar 1953 - VI ZR 80/52 - und vom 16. April 1955 - VI ZR 71/54 - LM Nr. 12 zu §1 StVO = VRS 9, 114 = VersR 1955, 379). Es handelt sich in derartigen Fällen um Geschehensabläufe typischer Art, die nach der Erfahrung des Lebens auf ein unfallursächliches Verschulden des auffahrenden Kraftfahrers hinweisen, bei denen daher nach den Grundsätzen des Beweises vom ersten Anschein (vgl. BGHZ 2, 1, 5; 6, 169; 8, 240)ohne weiteren Nachweis rein erfahrungsgemäß auf die Ursächlichkeit schuldhaften Verhaltens geschlossen werden kann und es dem auffahrenden Kraftfahrer überlassen bleiben muß, den gegen ihn sprechenden Anscheinsbeweis dadurch auszuräumen, daß er Tatsachen beweist, aus denen sich die ernsthafte Möglichkeit eines anderen als des erfahrungsgemäßen Geschehensablaufs ergibt.

In den Fällen der vorstehend zuletzt genannten Entscheidungen hat der erkennende Senat bei dem damals festgestellten rückwärtigen Herausragen von Fichtenstämmen bzw. eines Langwieds aus einem unbeleuchteten Holzfahrzeug und der mangelnden Erkennbarkeit ihrer Ausdehnung eine ganz besondere Sachlage für gegeben gehalten, die das Auffahren ausnahmsweise nicht schon ohne weiteres schuldhaft erscheinen ließ. Es lagen Umstände vor, die dem regelmässigen Anschein der Schuldhaftigkeit des Auffahrens den Boden entzogen. Im vorliegenden Falle ist dagegen nichts festgestellt, was geeignet wäre, den Anscheinsbeweis zu Fall zu bringen. Zwar würde der Kläger möglicherweise ohne Schuld an seinem Unfall sein, wenn er, wie er vorgebracht hat, durch die aufflammenden Scheinwerfer eines aus der Gegenrichtung startenden Fahrzeugs plötzlich geblendet worden ist. Es geht aber nicht an, den Beklagten die Beweislast dafür aufzubürden, daß diese Behauptung des Klägers unrichtig ist; vielmehr ist es Sache des Klägers, Tatsachen zu beweisen, die die Möglichkeit eines derartigen Geschehensablaufs in ernsthafte Betrachtung rücken. Erst wenn der Anscheinsbeweis für ein schuldhaftes Auffahren des Klägers auf diese Weise ausgeschaltet ist, ersteht für die Beklagten die Notwendigkeit eines vollen Schuldbeweises.

Das hat das Berufungsgericht verkannt. Das angefochtene Urteil kann hiernach nicht bestehen bleiben.

Der erkennende Senat ist nicht in der Lage, abschließend selbst in der Sache zu entscheiden. Ob der Kläger durch eigenes Verschulden zur Entstehung des Unfalls beigetragen hat, wird das Berufungsgericht in Anwendung der Grundsätze des Anscheinsbeweises einer erneuten tatrichterlichen Prüfung und Würdigung unterziehen müssen. Entsprechend dem Ergebnis wird über die Schadensverteilung erneut zu befinden sein.

Die Entscheidung über die Kosten der Revision bleibt dem Berufungsgericht vorbehalten.

 

Fundstellen

Haufe-Index 3018566

DB 1959, 1315 (amtl. Leitsatz)

NJW 1960, 99

NJW 1960, 99-100 (Volltext mit amtl. LS)

MDR 1960, 42

MDR 1960, 42-43 (Volltext mit amtl. LS)

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