Verfahrensgang

OLG Köln (Entscheidung vom 06.02.1990)

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 22. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 6. Februar 1990 aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Revisionsverfahrens - an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

 

Tatbestand

Die Gaststättenbetrieb D. H. H. GmbH unterhielt für das Hotel-Restaurant H. H. bis zum 1. Januar 1981 12.00 Uhr bei der Beklagten und danach bei der Klägerin eine Feuerversicherung. Am Morgen des 1. Januar 1981 gegen 2.00 Uhr geriet die aus einer Holzkonstruktion und Schilfrohrgeflecht mit Lehmeinschub bestehende Decke über dem Saalbau des Hotels in Brand. Das Feuer wurde zunächst mit Handfeuerlöschern, alsdann von der herbeigerufenen Feuerwehr gelöscht. Der entstandene Sachschaden war geringfügig. Spätere Kontrollen der Brandstelle ergaben keine Hinweise auf Brandnester.

Am Abend des 1. Januar 1981 gegen 20.15 Uhr geriet die Decke über dem Saalbau erneut in Brand. Nunmehr gelang es der Feuerwehr nicht, den Brand zu löschen. Der Saalbau wurde völlig zerstört.

Da seinerzeit schon streitig war, ob der Brand am Abend des 1. Januar 1981 eine bei der Klägerin oder der Beklagten versicherte Ursache hatte, einigten sich die Parteien ohne Anerkennung einer Rechtspflicht, vorerst den Schaden je zur Hälfte zu regulieren. Die Klägerin verlangt von der Beklagten den von ihr an die Versicherungsnehmerin gezahlten Teil in Höhe von 1.355.252,50 DM nebst Zinsen. Sie hat behauptet, der zweite Brand sei als wieder aufgeflammter Schwelbrand von dem ersten verursacht worden.

Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Die Berufung hatte keinen Erfolg. Mit der Revision erstrebt die Beklagte die Klageabweisung.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

I.

Das Berufungsgericht geht davon aus, daß allein die Beklagte zur Schadensregulierung verpflichtet ist, wenn sich der zweite Brand - etwa durch noch verbliebene Glutnester - aus dem ersten entwickelt hat. Diese tatsächliche Voraussetzung sieht das Berufungsgericht als erfüllt an. Es stützt seine Überzeugung, daß der zweite Brand aus dem ersten entstanden sei, auf einen Anscheinsbeweis. Zur Begründung hat es ausgeführt:

Der Beweis des ersten Anscheins sei möglich, wenn im Einzelfall ein typischer Geschehensablauf vorliege, der nach der Lebenserfahrung auf eine bestimmte Ursache hinweise und so sehr das Gepräge des Gewöhnlichen und Üblichen trage, daß die besonderen individuellen Umstände in ihrer Bedeutung zurücktreten.

Der Anscheinsbeweis scheide nicht deshalb aus, weil nach dem Vorbringen der Beklagten die Mehrzahl aller Brände von der Feuerwehr endgültig gelöscht werde und deshalb grundsätzlich davon auszugehen sei, daß jeder Brand seine eigene Ursache habe. Eine solche allgemeine Erfahrung gelte hier schon deshalb nicht, weil mit der aus Schilfrohr mit Lehmeinschub bestehenden, unterseitig verputzten Decke eine besondere Situation gegeben sei.

Der Beweis des ersten Anscheins spreche für einen Zusammenhang beider Brände, weil am Abend des 1. Januar 1981 wiederum die Schilfrohrdecke über dem Saalbau gebrannt habe. Auch wenn ein nicht unerheblicher Abstand zwischen den Zentren der beiden Brände gelegen haben sollte - was sich nicht mehr feststellen lasse -, bestünden nicht schon deshalb Bedenken gegen die Annahme, daß sich der zweite Brand aus dem ersten entwickelt habe. Es sei durchaus möglich und naheliegend, daß sich ein Glimmbrand in der Schilfrohrschicht weitergefressen habe, bevor es zum Ausbruch eines offenen Feuers gekommen sei. Die bei dem ersten Brand unternommenen Löscharbeiten schlössen einen Zusammenhang zwischen beiden Bränden nicht aus. Wie sich aus der Aussage des Leiters der Feuerwehrgruppe ergebe, habe sich zwar der etwa drei bis vier Quadratmeter große Oberflächenbrand leicht löschen lassen. Die Feuerwehrleute seien aber nicht sicher gewesen, daß der Brand vollständig gelöscht war, denn der Zeuge habe einige Stunden lang kontrolliert, ob noch Brandnester vorhanden gewesen seien.

Der gerichtliche Sachverständige habe in seinem schriftlichen Gutachten und seinen mündlichen Erläuterungen überzeugend ausgeführt, in der konkreten Situation spreche erfahrungsgemäß alles dafür, daß sich von dem ersten Brand ein Glimm- oder Schwelbrand erhalten, fortentwickelt und am Abend des 1. Januar 1981 zum Vollbrand geführt habe. Das werde auch durch wesentliche Punkte der von den Parteien vorgelegten Gutachten bestätigt. In anderen Punkten sei diesen Gutachten nicht zu folgen.

Den Beweis des ersten Anscheins könne die Beklagte weder mit dem Hinweis auf die Möglichkeit einer Brandstiftung noch damit erschüttern, daß (auch) der zweite Brand durch einen verirrten Feuerwerkskörper verursacht sein könne.

II.

Die Revision rügt, daß das Berufungsgericht die Grundsätze des Anscheinsbeweises verkannt habe. Es billige der Klägerin zu Unrecht die Beweiserleichterung des Anscheinsbeweises zu. In Wahrheit nehme das Berufungsgericht eine auf den Einzelfall bezogene Würdigung von Beweisanzeichen vor. Bei der Indizienbeweisführung könne die Klägerin aber keine Beweiserleichterung für sich in Anspruch nehmen.

Diese Angriffe der Revision haben Erfolg.

1.

Zutreffend allerdings geht das Berufungsgericht davon aus, daß die Beklagte zur Regulierung des gesamten Schadens verpflichtet ist, wenn der Brand am Abend des 1. Januar 1981 sich durch Wiederaufflackern eines noch vorhandenen Glimm- oder Schwelbrandes aus dem vorangegangenen Feuer am Morgen des 1. Januar 1981 entwickelt hat. In diesem Falle handelt es sich um einen einheitlichen Versicherungsfall (vgl. Senatsurteil vom 5. April 1989 - IVa ZR 39/88 - VersR 1989, 840 unter 3), der zu der Zeit entstanden ist, als die Beklagte noch Versicherungsschutz zu gewähren hatte. Dagegen hat die Revision auch keine Einwendungen vorgebracht.

2.

a)

Die Frage, ob bei der Feststellung der Ursache für den Brand am Abend des 1. Januar 1981 zugunsten der Klägerin ein Anscheinsbeweis eingreift, unterliegt der Prüfung durch das Revisionsgericht (BGHZ 100, 31, 33).

Grundsätzlich kann der Beweis des ersten Anscheins auch bei der Feststellung von Brandursachen in Betracht kommen (Senatsurteil vom 9. November 1977 - IV ZR 160/76 - VersR 1978, 74 unter I 1 a; BGH, Urteil vom 22. Dezember 1955 - II ZR 119/54 - VersR 1956, 84 unter 2 a; vgl. aber auch BGHZ 104, 256). Diese Beweiserleichterung greift aber nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes nur bei typischen Geschehensabläufen ein, d.h. in Fällen, bei denen ein bestimmter Sachverhalt feststeht, der nach der allgemeinen Lebenserfahrung auf eine bestimmte Ursache oder auf einen bestimmten Ablauf als maßgeblich für den Eintritt eines bestimmten Erfolges hinweist (BGHZ 100, 31, 33; Urteil vom 3. Juli 1990 - VI ZR 239/89 - VersR 1991, 195 unter II 2, je m.w.N.).

b)

Das hat das Berufungsgericht im Ansatz auch nicht verkannt. Seine weiteren Ausführungen lassen aber erkennen, daß es diese Voraussetzungen des Anscheinsbeweises auf den konkreten Fall nicht rechtsfehlerfrei angewandt hat.

aa)

Die Annahme, daß ein für den Anscheinsbeweis typischer Geschehensablauf vorliegt, erfordert zunächst die Feststellung eines allgemeinen Erfahrungssatzes als einer aus allgemeinen Umständen gezogenen tatsächlichen Schlußfolgerung, die dann auf den konkreten Sachverhalt angewendet werden kann (BGH, Urteil vom 4. Oktober 1983 - VI ZR 98/82 - VersR 1984, 40 unter II 3 b, bb). Das Berufungsgericht teilt in seinen Entscheidungsgründen nicht mit, auf welchen Erfahrungssatz es seine Erwägungen stützen will. Auch ist nicht ersichtlich, welche Umstände allgemeiner Art das Berufungsgericht heranziehen will, aus denen ein Erfahrungssatz im Wege tatsächlicher Schlußfolgerungen gewonnen werden könnte. Selbst da, wo sich das Berufungsgericht auf Äußerungen des gerichtlichen Sachverständigen stützt, wird ausgeführt, erfahrungsgemäß spreche alles dafür, daß "in der konkreten Situation" der zweite Brand durch den ersten entstanden sei. Welche Erfahrung des Sachverständigen diesen Schluß zulassen soll, ist nicht dargelegt. Der Sachverständige hat in seiner vom Berufungsgericht in Bezug genommenen Anhörung vor dem Landgericht bekundet, in den letzten 15 Jahren habe er 15 bis 20 Schilfrohrdeckenbrände begutachtet. Fast alle hätten sich nach einem Zeitablauf - nach Umbau-Schweißarbeiten - zu Vollbränden entwickelt. Diese Bekundungen reichen aber zur Feststellung eines typischen Geschehens, das mit dem vorliegenden Fall vergleichbar wäre, nicht aus. Denn hier geht es um einen bereits entstandenen Vollbrand, der mit Löscharbeiten bekämpft worden war und der dennoch nach circa 18 Stunden zu einem erneuten Brand geführt haben soll.

Auch mit seinen weiteren Ausführungen zieht das Berufungsgericht Besonderheiten und Einzelumstände heran, die eher eine individuelle, fallbezogene Prägung aufweisen, als daß sie Züge eines wiederkehrenden, typischen Geschehensablaufs tragen.

bb)

Versteht man die Ausführungen des Berufungsgerichts dahin, daß es sich für die Anwendung des Anscheinsbeweises auf den vom Landgericht aufgestellten Erfahrungssatz stützen will, kann das angefochtene Urteil auch unter diesem Gesichtspunkt keinen Bestand haben.

Das Landgericht hat ausgeführt, wenn im Bereich eines aus Holz und Schilfrohrgeflecht mit Lehmeinschub bestehenden Brandherdes 18 Stunden nach Löschen eines Brandes erneut ein Brand ausbreche, sei es wahrscheinlich, daß der zweite Brand keine selbständige Ursache habe, sondern durch Anfachen eines vom ersten Brand verbliebenen Glimm- oder Schwelbrandes entstanden sei.

Mit diesem Satz stellt das Landgericht darauf ab, daß im Bereich des ersten Brandherdes erneut ein Brand ausbricht. Die Beklagte hatte mit ihrer Berufung die Feststellung angegriffen, daß beide Brände in demselben Bereich ausgebrochen seien. Das Berufungsgericht führt dazu aus, es lasse sich nicht mehr feststellen, ob zwischen den beiden Brandstellen ein größerer Abstand gelegen habe. Auch wenn dies der Fall gewesen sei, bestünden gegen die Annahme keine Bedenken, daß sich der zweite Brand aus dem ersten entwickelt habe. Mit diesen Ausführungen verläßt das Berufungsgericht aber den vom Landgericht aufgestellten Erfahrungssatz ohne eigene Feststellungen zu treffen, die eine Abwandlung des Erfahrungssatzes rechtfertigten. Die Vermutung des Berufungsgerichts, es sei möglich und naheliegend, daß sich ein Glimmbrand in der Schilfrohrschicht weitergefressen habe, ersetzt keine Feststellung und begründet auch keinen eigenen Erfahrungssatz.

Aber auch der Erfahrungssatz, wie ihn das Landgericht angenommen hat, kann nach dem bisherigen Stand des Verfahrens keine ausreichende Grundlage für die Anwendung des Anscheinsbeweises sein. Für ihn fehlen die notwendigen Tatsachenfeststellungen. Zwar hat das Landgericht ausgeführt, den von ihm gewonnenen Erfahrungssatz habe der gerichtliche Sachverständige in seinem Gutachten und in den im Termin vom 19. Juni 1989 gegebenen Erörterungen dargelegt. Indessen finden sich in den genannten Unterlagen dazu keine ausreichenden tatsächlichen Anhaltspunkte. Der Sachverständige hat zu der hier in Betracht kommenden Frage in seinem Gutachten vom 4. Mai 1989 lediglich ausgeführt, es seien Fälle bekannt, bei denen es mehr als 20 Stunden gedauert habe, bis ein Schwelbrand sich zu einem Vollbrand entwickelt habe. Das reicht als Grundlage für den vom Landgericht aufgestellten Erfahrungssatz nicht aus. Weitere Unterlagen, aus denen das Berufungsgericht Erfahrungen oder wissenschaftliche Erkenntnisse des gerichtlichen Sachverständigen hätte entnehmen können, standen ihm nicht zur Verfügung. Das Berufungsgericht hat den Sachverständigen nicht angehört.

Des weiteren läßt der Erfahrungssatz, wie ihn das Landgericht formuliert hat, nicht erkennen, daß das Landgericht - und mit ihm das Berufungsgericht - sich der tatsächlichen Voraussetzungen bewußt war, die an die Feststellung eines allgemeinen Erfahrungssatzes zu stellen sind. Es genügt nicht, daß der zweite Brand "wahrscheinlich" keine selbständige Ursache hat. Erforderlich ist vielmehr, daß es sich um einen regelmäßig wiederkehrenden Vorgang handelt, für den eine Verkettung von Ursache und Wirkung typisch ist, d.h. nach allgemeinen Erkenntnissen, z.B. nach der Lebenserfahrung, durchweg so beobachtet werden kann. Dabei bedeutet Typizität nicht, daß die Verkettung bei allen Sachverhalten dieser Fallgruppe notwendig immer vorhanden ist. Sie muß aber so häufig vorkommen, daß die Wahrscheinlichkeit, einen solchen Fall vor sich zu haben, sehr groß ist (vgl. Steffen in RGRK, § 823 Rdn. 511).

3.

Dem Berufungsgericht kann auch nicht in seiner Auffassung zugestimmt werden, es komme nicht auf die Frage an, welche Ursache der erste Brand gehabt habe. Der im Ermittlungsverfahren tätig gewordene Sachverständige T. hat als Ursache für den ersten Brand einen in der Silvesternacht auf das Gebäude niedergegangenen Feuerwerkskörper in Betracht gezogen. Die Gutachter Dr. Ti. und Dr. F.-S. kommen zu dem Ergebnis, daß beide Brände je auf - fahrlässige oder vorsätzliche - Brandstiftung zurückgeführt werden könnten. Das Berufungsgericht hat keine Feststellungen getroffen, die diese Möglichkeiten ausschlössen.

Dann aber sind sie nicht nur rein theoretisch. Wenn das Berufungsgericht demgegenüber die Möglichkeit für wahrscheinlicher hält, daß der zweite Brand sich aus dem ersten entwickelt habe, als daß der zweite Brand selbständig, etwa durch Brandstiftung oder Feuerwerkskörper entzündet wurde, so genügt dies noch nicht, um die Grundsätze des Anscheinsbeweises anzuwenden (vgl. Senatsurteil vom 17. Februar 1988 - IVa ZR 277/86 - NJW RR 1988, 789, 790 m.w.N.).

III.

Das angefochtene Urteil kann nicht unter dem Gesichtspunkt aufrechterhalten werden, daß das Berufungsgericht einzelne Beweisanzeichen gewürdigt hat. Es ist nicht ausgeschlossen, daß das Berufungsgericht zu einem anderen Beweisergebnis gekommen wäre, wenn es keine Beweiserleichterung zugunsten der Klägerin angenommen hätte.

Das Berufungsgericht wird daher erneut zu prüfen haben, ob es - gegebenenfalls nach Anhörung des Sachverständigen - Feststellungen treffen kann, die für einen Anscheinsbeweis ausreichen. Sollte das nicht möglich sein, wird das Berufungsgericht zu prüfen haben, ob es Hilfstatsachen feststellen kann, die ihm die Überzeugung vermitteln, daß der zweite Brand aus dem ersten entstanden ist und folglich ein einheitlicher Versicherungsfall vorliegt. Dabei wird sich das Berufungsgericht seine Überzeugung nach § 286 ZPO zu bilden haben, weil es um den Haftungsgrund geht, nämlich um den Rechtsgrund für den Erstattungsanspruch der Klägerin.

 

Fundstellen

Haufe-Index 3018887

VersR 1991, 460-462 (Volltext mit red. LS)

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge