Entscheidungsstichwort (Thema)

Familiensache, Scheidung

 

Leitsatz (amtlich)

a) Hat das Familiengericht einen vor Ablauf des Trennungsjahres gestellten Scheidungsantrag zu Recht abgewiesen, treten aber während des Berufungsverfahrens die Voraussetzungen einer Scheidung gemäß § 1565 Abs. 1 BGB ein, kann das Urteil erster Instanz auch dann nicht bestätigt werden, wenn geltend gemacht wird, der Scheidungsantrag sei in der Absicht verfrüht gestellt worden, sich ungerechtfertigte wirtschaftliche Vorteile zu verschaffen.

b) Zur Anwendbarkeit des § 97 Abs. 2 ZPO, wenn die Berufung gegen die Abweisung eines Scheidungsantrages deswegen Erfolg hat, weil das Trennungsjahr während der zweiten Instanz abgelaufen ist.

 

Normenkette

BGB § 1565; ZPO § 97 Abs. 2, §§ 537, 629b Abs. 1

 

Verfahrensgang

OLG München

AG München

 

Tatbestand

Die Parteien schlossen am 23. Oktober 1968 die Ehe, aus der zwei inzwischen erwachsene Söhne hervorgingen. Sie sind vermögend.

Mit ihrem im Juni 1994 zugestellten Scheidungsantrag trug die Ehefrau (Antragstellerin) vor, sie lebe seit Anfang Oktober 1993 von dem Ehemann (Antragsgegner) innerhalb des ehelichen Anwesens getrennt. Die Ehe sei gescheitert und nach § 1565 Abs. 2 BGB zu scheiden, weil die Fortsetzung für sie eine unzumutbare Härte darstellen würde. Der Ehemann sei Alkoholiker, reagiere unter Alkoholeinfluß aggressiv und erniedrige sie verbal. Er habe ihr bei einem Streit am 12. April 1994 eine kräftige Ohrfeige versetzt.

Einen ähnlichen Vorfall trug sie später für den 13. September 1994 vor.

Der Ehemann beantragte die Abweisung des Scheidungsantrags. Von einem Getrenntleben der Parteien innerhalb der Ehewohnung könne erst seit Mitte April 1994 ausgegangen werden, so daß der Scheidungsantrag wesentlich verfrüht gestellt worden sei. Der Vortrag der Ehefrau zu § 1565 Abs. 2 BGB sei teilweise unrichtig und überdies im Rechtssinne nicht schlüssig.

Das Amtsgericht – Familiengericht – wies den Scheidungsantrag nach Anhörung der Parteien ab, weil die Parteien entsprechend dem Vortrag des Ehemannes erst seit April 1994 getrennt lebten und die Voraussetzungen des § 1565 Abs. 2 BGB auch nach dem Sachvortrag der Ehefrau nicht erfüllt seien. Zuvor hatte diese im Scheidungsverbund Stufenklage auf Zugewinnausgleich erhoben und waren Ermittlungen zur Regelung des Versorgungsausgleichs eingeleitet worden.

Die Ehefrau legte gegen das amtsgerichtliche Urteil Berufung ein, mit der sie weiterhin die Scheidung aufgrund von § 1565 Abs. 2 BGB begehrte. Hilfsweise machte sie geltend, daß sie jedenfalls zwischenzeitlich ein Jahr getrennt lebe, so daß die Ehe unabhängig von den Voraussetzungen dieser Vorschrift nach deren Absatz 1 zu scheiden sei.

Das Oberlandesgericht, das von einem Getrenntleben der Parteien nicht vor Mitte April 1994 ausging und aufgrund mündlicher Verhandlung vom 6. Juli 1995 entschied, hob das amtsgerichtliche Urteil auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Familiengericht zurück. Die Kosten des Berufungsverfahrens überbürdete es analog § 97 Abs. 2 ZPO der Ehefrau.

Mit der zugelassenen Revision erstrebt der Ehemann die Wiederherstellung des amtsgerichtlichen Urteils.

 

Entscheidungsgründe

1. Das Berufungsgericht legt im einzelnen dar, daß der Scheidungsantrag durch das erstinstanzliche Urteil zu Recht abgewiesen worden sei, weil die Parteien bei Erlaß dieses Urteils noch nicht ein Jahr getrennt gelebt hätten und es auch auf der Grundlage des Vortrags der Ehefrau zu diesem Punkt für sie keine unzumutbare Härte im Sinne von § 1565 Abs. 2 BGB bedeutet habe, die Ehe bis zum Ablauf des Trennungsjahres fortzusetzen. Nach dem Sachstand der Berufungsverhandlung lägen jedoch die gesetzlichen Voraussetzungen für die Ehescheidung gemäß § 1565 Abs. 1 BGB vor. Die Parteien lebten nunmehr seit mehr als einem Jahr getrennt. Aufgrund ihrer Anhörung stehe zur Überzeugung des Gerichts fest, daß die Ehe nunmehr endgültig gescheitert sei. Beide Parteien hätten übereinstimmend angegeben, daß sie zur Wiederaufnahmen der ehelichen Gemeinschaft nicht bereit seien. Die Auseinandersetzung um eine Sicherung ihrer wirtschaftlichen Werte werde mit einer Hartnäckigkeit geführt, die eine Versöhnung ausschließe. Die Ehescheidung könne jedoch nicht durch das Berufungsgericht ausgesprochen werden. Beim Familiengericht stehe noch die Regelung des Versorgungsausgleichs und des von der Ehefrau begehrten Zugewinnausgleichs an. Über diese Folgesachen sei gemäß § 623 Abs. 1 Satz 1 ZPO gleichzeitig und zusammen mit der Scheidungssache zu entscheiden. Die Sache sei daher gemäß § 629b Abs. 1 ZPO unter Aufhebung des angefochtenen Urteils an das Familiengericht zurückzuverweisen.

Diese Ausführungen lassen keinen Rechtsfehler erkennen. Insbesondere trifft zu, daß das Berufungsgericht in Fallkonstellationen der vorliegenden Art nicht selbst auf Scheidung erkennen darf, sondern zur Gewährleistung des Scheidungsverbundes die Sache an das Gericht zurückverweisen muß, bei dem Folgesachen anstehen (vgl. schon Begründung des Regierungsentwurfs zum jetzigen § 629b ZPO – BT-Drucks. 7/650 S. 213).

2. Der Ehemann hat im Berufungsverfahren geltend gemacht, die Ehefrau habe den Scheidungsantrag nur deswegen verfrüht gestellt, weil sie einen für sie günstigen Stichtag für die Bemessung des Zugewinnausgleichs (§ 1384 BGB) habe erreichen wollen. Mangels eigener Einkünfte sei er gezwungen, von der Substanz seines Vermögens zu leben. Bereits eine Vorverlegung des Stichtags um sechs Monate führe daher insoweit zu einem ungerechtfertigten Vorteil für die Ehefrau. Deswegen dürfe eine Zurückverweisung an die erste Instanz nicht erfolgen, sondern das amtsgerichtliche Urteil müsse Bestand haben.

Dem ist das Oberlandesgericht nicht gefolgt und hat dazu im wesentlichen ausgeführt: Zwar sei bei erkennbar verfrüht gestellten Scheidungsanträgen geboten, daß das Gericht erster Instanz beschleunigt entscheide, um zu verhindern, daß die einjährige Trennungsfrist während des Berufungsverfahrens ablaufe und dadurch Manipulationen des Stichtages für den Zugewinnausgleich (§ 1384 BGB) und den Versorgungsausgleich (§ 1587 Abs. 2 BGB) ermöglicht würden. Im vorliegenden Fall wäre bei einem diesem Grundsatz entsprechenden Verfahren des Familiengerichts die Berufung der Ehefrau ohne Erfolg geblieben. Da die Parteien seit Jahren von der Substanz ihres Vermögens lebten, wie den ein Unterhaltsbegehren der Ehefrau nach § 620 Nr. 6 ZPO betreffenden Akten zu entnehmen sei, könne die Ehefrau durch ihre verfrühte Antragstellung bewirkt haben, daß für sie ein höherer Anspruch auf Zugewinnausgleich entstanden sei, als wenn sie das Trennungsjahr abgewartet hätte. Dieser Umstand führe aber nicht dazu, die Berufung gegen das Urteil erster Instanz zurückzuweisen. Denn dies stünde in unlösbarem Gegensatz zu § 537 ZPO, wonach die Entscheidung des Berufungsgerichts als Tatsacheninstanz auf der Grundlage des Sachstandes der letzten mündlichen Verhandlung zu ergehen habe. Unbillige Folgen für den Gegner eines verfrüht gestellten Scheidungsantrags könnten im Einzelfall durch Anwendung der Härteregelungen der §§ 1381, 1587c BGB verhindert werden.

Die Revision hält dem entgegen, daß durch die Anwendung der vom Oberlandesgericht angeführten Härteregelungen nur eine Kürzung oder ein Wegfall der Ansprüche auf Zugewinn- bzw. Versorgungsausgleich erreicht werden könne, nicht aber deren Erhöhung oder Begründung. Die Rechtsordnung müsse imstande sein, Manipulationsversuche der hier in Betracht kommenden Art in jeder Hinsicht zu vereiteln.

3. Damit kann die Revision nicht durchdringen.

a) Soweit im Schrifttum auf die von der Revision ins Feld geführte Möglichkeit der Manipulation von Stichtagen durch verfrühte Scheidungsanträge eingegangen wird, wird diese teils für den Regelfall als nicht gravierend und hinnehmbar bezeichnet (vgl. MünchKomm/ZPO-Klauser § 629b Rdn. 4), teils wird auf Ersatzansprüche aus unerlaubter Handlung, insbesondere § 826 BGB hingewiesen (vgl. Ditzen FamRZ 1988, 1010, 1011), teils de lege ferenda eine Neubestimmung der Stichtage gefordert (vgl. Schwab/Maurer Handbuch des Scheidungsrechts 3. Aufl. Teil 1 Rdn. 763). Die von der Revision vertretene Ansicht, daß im Falle einer für den Antragsgegner nachteiligen Auswirkung der an die Zustellung des verfrühten Scheidungsantrags anknüpfenden Stichtage der §§ 1384, 1587 Abs. 2 BGB das Urteil der ersten Instanz zu bestätigen sei, geht zu weit. Das Berufungsgericht hat auch in Fällen dieser Art aufgrund des Sachstands der letzten Tatsachenverhandlung die materiell-rechtlich richtige Entscheidung zu treffen (vgl. MünchKomm/Wolf 3. Aufl. § 1565 Rdn. 53; a.A. OLG Oldenburg FamRZ 1996, 1480). Nicht sachgerechtes Prozessieren der obsiegenden Partei kann zwar prozessuale Nachteile nach sich ziehen (vgl. z.B. §§ 93, 97 Abs. 2 ZPO, 34 GKG), aber letztlich nicht die Anwendung des materiellen Rechts auf den festgestellten Sachverhalt beeinflussen. Hat das Gericht erster Instanz einen Scheidungsantrag abgewiesen, ist Gegenstand des Berufungsverfahrens allein die Frage, ob die Ehe zu scheiden ist. Mit Folgesachen ist das Berufungsgericht nicht befaßt, hat dazu keine Feststellungen zu treffen und kann das Familiengericht insoweit auch nicht binden (vgl. § 629b Abs. 1 Satz 2 BGB). Soweit vorliegend das Oberlandesgericht aufgrund einer eher summarischen Betrachtung ausgeführt hat, daß sich für die Ehefrau aufgrund ihrer verfrühten Antragstellung ein höherer Anspruch auf Zugewinnausgleich ergeben könne, geht es demgemäß um eine Frage, die zunächst im weiteren Verfahren vom Familiengericht zu prüfen und zu entscheiden ist. Ob es aus Gründen übergeordneter allgemeiner Rechtsgrundsätze in besonderen Ausnahmefällen gerechtfertigt sein kann, die Stichtage des Gesetzes im Hinblick auf eine verfrühte Antragstellung zu modifizieren, muß ebenfalls der Beurteilung in diesem Rahmen überlassen bleiben (vgl. für den Versorgungsausgleich Senatsbeschluß vom 18. Dezember 1985 – IVb ZB 74/82 – FamRZ 1986, 335 f.)

b) Weit verbreitet ist die Ansicht, daß der in der Berufungsinstanz wegen zwischenzeitlichen Ablaufs des Trennungsjahres obsiegenden Partei in entsprechender Anwendung des § 97 Abs. 2 ZPO die Kosten des Berufungsverfahrens auferlegt werden können (vgl. insbes. MünchKomm/ZPO-Klauser aaO Rdn. 12; Zöller/Herget ZPO 19. Aufl. § 97 Rdn. 17; Johannsen/Henrich/Jaeger Eherecht 2. Aufl. § 1565 BGB Rdn. 89; Schwab/Maurer aaO; OLG Zweibrücken FamRZ 1982, 293; OLG Düsseldorf FamRZ 1983, 628; OLG Hamm FamRZ 1993, 456). Diese Auffassung teilt der Senat. § 97 Abs. 2 ZPO bringt einen allgemeinen Grundsatz zum Ausdruck und ist der entsprechenden Anwendung fähig (vgl. BGHZ 31, 342, 350). Eine solche ist in Fällen der vorliegenden Art insbesondere gerechtfertigt, wenn der Scheidungsantrag ohne schlüssigen Vortrag zu den Voraussetzungen des § 1565 Abs. 2 BGB (vgl. dazu Senatsurteil vom 5. November 1980 – IVb ZR 538/80 – FamRZ 1981, 127) vor Ablauf des Trennungsjahres gestellt wurde und das Obsiegen in der Berufungsinstanz letztlich auf bloßem Zeitablauf beruht. Im Eheprozeß besteht im Hinblick auf § 617 ZPO keine Möglichkeit für den Prozeßgegner, gemäß § 93 ZPO durch ein sofortiges Anerkenntnis nach Ablauf des Trennungsjahres der Kostenbelastung zu entgehen. Auf die Frage des Verschuldens des verfrüht Antragstellenden kann es nach dem das Kostenrecht beherrschenden Verursachungs- und Erfolgsprinzip nicht ankommen (a.A. wohl KG FamRZ 1987, 723, 724). Indessen sind auch Differenzierungen geboten. Nicht gerechtfertigt erscheint die Anwendung des § 97 Abs. 2 ZPO etwa dann, wenn es wegen des Ablaufs des Trennungsjahrs offenbleibt und bleiben kann (h.M. vgl. etwa BGB-RGRK/Graßhof 12. Aufl. § 1564 Rdn. 47 m.w.N.) ob die erste Instanz die Anwendung des § 1565 Abs. 2 BGB zu Recht abgelehnt hat, wenn beide Parteien die Scheidung verfrüht angestrebt haben oder wenn sich der Prozeßgegner trotz Eintritts der Voraussetzungen des § 1565 Abs. 1 BGB in zweiter Instanz einer Scheidung weiterhin widersetzt hat (vgl. Johannsen/Henrich/Jaeger aaO; MünchKomm/ZPO-Klauser aaO). Vorliegend ist nach den rechtsfehlerfreien Ausführungen des Oberlandesgerichts ein Fall unschlüssigen Vortrags zu § 1565 Abs. 2 BGB gegeben, so daß die Ehefrau zu Recht mit den Kosten des Berufungsverfahrens belastet worden ist.

 

Fundstellen

Haufe-Index 609898

NJW 1997, 1007

MDR 1997, 361

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