Leitsatz (amtlich)

›Zur Auslegung der Härteklausel in § 1565 Abs. 2 BGB.‹

 

Verfahrensgang

OLG Frankfurt am Main (Urteil vom 12.07.1978)

AG Kassel

 

Tatbestand

Die Parteien haben am 21. Juli 1976 die Ehe geschlossen, aus der keine Kinder hervorgegangen sind. Seit 8.Sepmber 1977, als die Antragstellerin den Antragsgegner aufgrund einer von der Antragstellerin erwirkten einstweiligen Anordnung aus der Wohnung weisen ließ, leben sie getrennt und haben keine Kontakte mehr miteinander. Die im Zeitpunkt der Berufungsentscheidung 56-Jährige Antragstellerin ist herzkrank und leidet an Bluthochdruck.

Mit der am 12. August 1977 eingereichten und am 14. Januar 1978 zugestellten Antragsschrift hat die Antragstellerin die Scheidung begehrt, weil ihre Ehe gescheitert sei und es für sie eine unzumutbare Härte bedeute, die Trennungsfrist von einem Jahr abzuwarten. Hierzu hat sie vorgetragen, der Antragsgegner trinke übermäßig Alkohol und habe sie wiederholt geschlagen und getreten. In der Nacht vom 11. zum 12. November 1976 habe er im angetrunkenen Zustand so auf sie eingeschlagen, daß sie die Polizei zu Hilfe geholt habe. Als er in der Nacht vom 24. zum 25. April 1977 nach Hause gekommen sei und sie aufgeweckt habe, habe er mit geballten Fäusten vor ihr gestanden und erklärt: "Wenn ich nicht wüßte, daß Du wieder die Polizei rufst, würdest Du rechts und links eine von mir hinter die Ohren bekommen." Am 10. Juni 1977 habe er in ihrer Abwesenheit eine fremde Frau mit in die eheliche Wohnung genommen. Als er am 8. August 1977 in angetrunkenem Zustand und in gereizter Stimmung nach Hause gekommen sei, hat sie die Wohnung verlassen wollen. Der Antragsgegner sei ihr gefolgt. Im Treppenhaus habe er mit den Worten Sau, Schwein, Hure, ich mache Dich nieder, in meinem alkoholisierten Zustand bekomme ich mildernde Umstände, auf sie eingeschlagen und sie getreten. Von Nachbarn aus habe sie die Polizei gerufen. Auch nach dem Auszug sei sie von dem Antragsgegner noch häufig belästigt worden. Er schelle an der Haustüre und habe schon wiederholt das Namensschild an Haustür und Briefkasten beschädigt. Wiederholte Anrufe, bei denen sich niemand melde, gingen vermutlich gleichfalls vom Antragsgegner aus.

Amtsgericht und Oberlandesgericht haben den Scheidungsantrag abgewiesen. Mit der (zugelassenen) Revision verfolgt die Antragstellerin ihr Scheidungsbegehren weiter.

 

Entscheidungsgründe

Das Rechtsmittel führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache.

I.

1. Nach § 1565 Abs. 1 BGB kann die Ehe geschieden werden, wenn sie gescheitert ist, d.h. wenn die Lebensgemeinschaft der Ehegatten nicht mehr besteht und nicht erwartet werden kann, daß die Ehegatten sie wiederherstellen. Diese Voraussetzungen hat das Berufungsgericht als erfüllt angesehen. Es ist aufgrund der Anhörung der Antragstellerin zu der Überzeugung gelangt, daß der Entschluß der Antragstellerin, die seit der Trennung der Parteien nicht mehr bestehende eheliche Lebensgemeinschaft nicht wieder aufzunehmen, ernsthaft und endgültig sei. Hinsichtlich des Antragsgegners hat das Berufungsgericht in tatrichterlicher Würdigung dessen, daß er sich im Scheidungsverfahren zu der dargelegten Einstellung der Antragstellerin nicht geäußert und keine Bereitschaft zu einer Zurückgewinnung der Antragstellerin zu erkennen gegeben habe, festgestellt, daß auch er die eheliche Lebensgemeinschaft nicht wieder aufnehmen wolle.

2. Da im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz seit der Trennung der Parteien noch kein Jahr verstrichen war, hat das Berufungsgericht das Scheidungsbegehren außerdem nach § 1565 Abs. 2 BGB beurteilt. Diese Vorschrift schränkt den Grundtatbestand des Abs. 1 dahin ein, daß die Ehe, falls die Ehegatten noch nicht ein Jahr getrennt leben, nur geschieden werden kann, wenn die Fortsetzung der Ehe für den Antragsteller aus Gründen, die in der Person des anderen Ehegatten liegen, eine unzumutbare Härte darstellen würde. Diese Voraussetzungen sind für die Beurteilung der Sache weiterhin maßgebend. Daß die Jahresfrist - im Falle der Fortdauer des Getrenntlebens - im Zeitpunkt der Revisionsverhandlung abgelaufen ist, rechtfertigt keine abweichende rechtliche Behandlung, weil dieser Umstand eine nachträglich eingetretene, neue Tatsache darstellt, die im Revisionsverfahren grundsätzlich nicht berücksichtigt werden kann (BGH, FamRZ 1978, 884; 1979, 1003). Allerdings hat die Rechtsprechung diesen in § 5 Abs. 1 ZPO verankerten Grundsatz aus Gründen der Prozeßwirtschaftlichkeit durchbrochen, wenn die Berücksichtigung neuer Tatsachen zur raschen und endgültigen Streitbereinigung angebracht erschien, keine schutzwürdigen Interessen einer Partei entgegenstanden und die neuen Tatsachen ohne eine dem Revisionsverfahren wesensfremde Beweisaufnahme festgestellt werden konnten (BGHZ 53, 128, 130 f. m.w.Nachw.). Ein derartiger Ausnahmefall liegt hier jedoch schon deswegen nicht vor, weil der Antragsgegner sich nicht am Revisionsverfahren beteiligt und insbesondere auch keinen Rechtsanwalt als Bevollmächtigten bestellt hat. Damit ließe sich eine etwaige Fortdauer des Getrenntlebens nicht aufgrund übereinstimmenden Parteivortrags, sondern nur durch eine Beweisaufnahme feststellen.

3. Das Berufungsgericht ist bei der Anwendung des § 1565 Abs. 2 BGB zu dem Ergebnis gelangt, dem bisherigen Vorbringen der Antragstellerin lasse sich nicht entnehmen, daß die Fortsetzung der Ehe für sie eine unzumutbare Härte darstelle. Dazu hat es ausgeführt, aufgrund des offensichtlichen Ausnahmecharakters der Vorschrift und aus ihrem Zusammenhang mit § 1565 Abs. 1 BGB ergebe sich, daß unter der "Fortsetzung der Ehe" im Sinne von § 1565 Abs. 2 BGB nur die Aufrechterhaltung des formellen ehelichen Bandes bis zum Ablauf des Trennungsjahres verstanden werden könne. Der in der Rechtsprechung vertretenen Gegenansicht, daß damit die Fortsetzung der ehelichen Lebensgemeinschaft gemeint sei, stehe entgegen, daß das Scheitern der Ehe zwingend das Nichtmehrbestehen der ehelichen Lebensgemeinschaft "und damit eine Trennung" voraussetze. Zwar sei die eheliche Lebensgemeinschaft nicht identisch mit der häuslichen Gemeinschaft. Es sei aber kaum vorstellbar, wie etwa bei Fortbestehen der häuslichen Gemeinschaft ein Wegfall der ehelichen Lebensgemeinschaft und damit ein Scheitern der Ehe festgestellt werden könne. Solange eine Trennung der Ehegatten nicht vorliege, könne deshalb regelmäßig schon ein Scheitern der Ehe nicht festgestellt werden, "so daß sich die Frage, ob eine Scheidung vor Ablauf des Trennungsjahres in Betracht kommen" könne, "gar nicht" stelle.

Zur weiteren Frage, wann die Aufrechterhaltung des Ehebandes bis zum Ablauf eines Trennungsjahres eine unzumutbare Härte darstelle, hat das Berufungsgericht dargelegt, daß dabei nicht allein auf das subjektive Unzumutbarkeitsempfinden des Antragstellers abzustellen sei. Jeder Antragsteller, der sich wegen schwerwiegenden ehewidrigen Verhaltens des anderen Ehegatten zur Scheidung entschließe, werde sowohl ein weiteres Zusammenleben als auch das bloße weitere Verheiratetsein mit dem anderen Ehegatten als unzumutbar empfinden. Gerade darauf basiere sein Scheidungsentschluß. Nach der Vorstellung des Gesetzes solle sich aber die Ernsthaftigkeit dieses Entschlusses grundsätzlich auch nach außen hin durch ein mindestens einjähriges Getrenntleben manifestieren. Eine Ausnahme werde nur dann in Betracht kommen können, wenn das Verhalten des einen Ehegatten den anderen nicht nur in seiner ehelichen Gesinnung schwer verletzt habe, sondern als so, gravierend beurteilt werden müsse, daß ein "Wiederzueinanderfinden" der Ehegatten als ausgeschlossen erscheine, so daß das Abwarten eines Trennungsjahres eine reine Förmlichkeit und eine durch nichts gerechtfertigt, und damit unzumutbare Härte bedeute. Im vorliegenden Fall sei dem Vorbringen der Antragstellerin keine unzumutbare Härte zu entnehmen. Es sei davon auszugehen, daß die Antragstellerin bis zum Ablauf des erforderlichen Trennungsjahres räumlich von dem Antragsgegner getrennt leben könne. Damit sei sie bis dahin weder der Gefahr von weiteren Tätlichkeiten und Beschimpfungen oder sonstigen unmittelbaren Auseinandersetzungen mit dem Antragsgegner ausgesetzt, noch müsse sie seine als abstoßend empfundene Verfassung ertragen, wenn er Alkohol getrunken habe. Die vorgetragenen Belästigungen durch den Antragsgegner nach erfolgter Trennung hätten hingegen kein derart schwerwiegendes Ausmaß angenommen, daß ihr schon deswegen das Abwarten der einjährigen Trennungszeit nicht zuzumuten sei.

II.

Hiergegen wendet sich die Revision zu Recht. Die Ausführungen des Berufungsgerichts erwecken schon deshalb Zweifel, weil sie die in § 1565 Abs. 2 BGB vorgesehene Härteklausel weitgehend als gegenstandslos erscheinen lassen. Sie führen einerseits dazu, daß die Scheidung einer Ehe vor einer Trennung der Parteien praktisch ausgeschlossen bleibt. Andererseits schränken sie die Möglichkeit der Scheidung auch im Falle der Trennung für die Dauer des ersten Trennungsjahres in einem Maße ein, daß das Ergebnis einer Scheidungssperre für den gesamten Anwendungsbereich der Härteklausel nahekommt. Dagegen bestehen Bedenken.

1. Wie der Bundesgerichtshof im Urteil vom 14. Juni 1978 (- IV ZR 164/77 -, LM BGB § 1565 Nr. 1 = FamRZ 1978, 671; ebenso Urteil vom 11. April 1979 - IV ZR 77/78 -, LM BGB § 1567 Nr. 3 = FamRZ 1979, 469) dargelegt hat, sind die eheliche Lebensgemeinschaft und die häusliche Gemeinschaft der Ehegatten nicht identisch. Zwar ist die Aufhebung der häuslichen Gemeinschaft meist ein wesentliches Indiz dafür, daß auch die eheliche Lebensgemeinschaft nicht mehr besteht. Die eheliche Gemeinschaft kann jedoch auch dann noch vorliegen, wenn die Ehegatten nicht in häuslicher Gemeinschaft leben. Das Nichtbestehen der häuslichen Gemeinschaft allein hat andererseits auch nicht zur Folge, daß die Ehegatten im Rechtssinne getrennt leben. Das ist nach § 1567 Abs. 1 BGB nur der Fall, wenn außerdem ein Ehegatte die häusliche Gemeinschaft nicht herstellen will, weil er die eheliche Lebensgemeinschaft ablehnt. Hieraus ergibt sich zugleich, daß es für die Annahme des Getrenntlebens nicht genügt, wenn die eheliche Lebensgemeinschaft aufgehoben ist. Die Aufhebung der häuslichen Gemeinschaft muß hinzukommen. Das Scheitern der Ehe ist nach § 1565 Abs. 1 Satz 2 BGB nicht vom Getrenntleben der Ehegatten, sondern von der Aufhebung der Lebensgemeinschaft und der Aussichtslosigkeit ihrer Wiederherstellung abhängig. Deshalb kann eine Ehe, entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts, auch gescheitert sein, wenn die Ehegatten (noch) nicht getrennt leben, nämlich dann, wenn die Lebensgemeinschaft aufgehoben und ihre Wiederherstellung aussichtslos ist, aber die häusliche Gemeinschaft, bei der es sich um einen tatsächlichen objektiven Zustand handelt (BGH, FamRZ 1978, 671), andauert, etwa weil sich aus wirtschaftlichen Gründen keiner der Ehegatten entschließen kann, die häusliche Gemeinschaft aufzuheben.

2. Die Auslegungen, welche die in § 1565 Abs. 2 BGB vorgesehene Härteklausel in Rechtsprechung und Schrifttum erfahren hat, sind mannigfaltig (vgl. hierzu etwa die Übersichten bei Brüggemann, FamRZ 1978, 91, 93 ff.; Görgens, FamRZ 1978, 647, 648 ff.; Giesen-Gick, JR 1979, 1, 5; Schwab, FamRZ 1979, 14, 17 ff.; Holzhauer, JZ 1979, 113 ff.; MünchKomm/Wolf, Ergänzung zu § 1565 Rdn. 73 ff.). Dabei hat sich der Streit vor allem an der auch vom Berufungsgericht erörterten Frage entzündet, worauf sich die den Antragsteller treffende unzumutbare Härte im einzelnen beziehen muß. Während unter der "Fortsetzung der Ehe" nach der einen Auffassung die (hypothetische) Fortsetzung des ehelichen Lebens, das weitere eheliche Zusammenleben der Gatten, verstanden wird (vgl. etwa OLG Oldenburg, FamRZ 1977, 805, 806; 1978, 189; OLG Schleswig, FamRZ 1978, 778; OLG Stuttgart, FamRZ 1978, 690; KG, FamRZ 1978, 897; Schwab, Handbuch des Scheidungsrechts, Rdn. 146 sowie FamRZ 1979, 14, 19; MünchKomm/Wolf, aaO., Rdn. 89; Maßfeller/Böhmer, Familienrecht, § 1565 Anm. 5 d; Jauernig/Schlechtriem, BGB, § 1565 Arm. 3 a; vgl. auch Brüggemann, aaO., S. 96, der das Kriterium der Fortsetzung des ehelichen Lebens jedoch nur auf die Zeit bis zum Ablauf der einjährigen Trennungsfrist bezieht), tritt eine andere Meinung dafür ein, daß es die Aufrechterhaltung des formellen Ehebandes sei, welche die unzumutbare Härte ergeben müsse -(außer dem vorliegenden Berufungsurteil vgl. etwa OLG Düsseldorf, FamRZ 1977, 804, 805; 1978, 27, 28; OLG Köln, FamRZ 1977, 717, 718; OLG Frankfurt/M., FamRZ 1978, 191; OLG München, FamRZ 1978, 29, 113; OLG Hamm, FamRZ 1978, 28, 29; KG, FamRZ 1978, 594; OLG Zweibrücken, FamRZ 1978, 896; OLG Bamberg, FamRZ 1980, 577, 578; Rolland, 1. EheRG, § 1565 Rdn. 33; Palandt/Diederichsen, BGB, 39. Aufl., § 1565 Anm. 4 b bb; Gernhuber, Familienrecht, 3. Aufl., § 27 II 2, S. 300), wobei darunter überwiegend die Aufrechterhaltung des Ehebandes bis zum Ablauf der Jahresfrist verstanden wird. Nach einer weiteren Ansicht müssen sowohl die Fortsetzung der ehelichen Lebensgemeinschaft - bei Getrenntleben deren Wiederherstellung als auch die Aufrechterhaltung des Ehebandes unzumutbar sein (vgl. OLG Stuttgart, FamRZ 1977, 807 Nr. 343).

3. Nach der Auffassung des Senats begegnet es Bedenken, bei der Frage der unzumutbaren Härte auf eine fiktive Situation der Ehegatten abzustellen. § 1565 Abs. 2 BGB enthält keinen selbständigen Scheidungstatbestand, sondern setzt voraus, daß § 1565 Abs. 1 BGB erfüllt ist. Danach kommt auch unter den Voraussetzungen der Härteklausel nur eine Scheidung in Betracht, wenn die Ehe gescheitert ist (zum Verhältnis von Gescheitertsein der Ehe und Unzumutbarkeit ihrer Fortsetzung kritisch Brüggemann, aaO., S. 94 ff.). Ist demgemäß die eheliche Lebensgemeinschaft aufgehoben und nach § 1353 Abs. 2 BGB auch keine Verpflichtung zu ihrer Wiederherstellung gegeben, so kann die Frage der unzumutbaren Härte für den Antragsteller nicht nach seiner Lage im Falle der Fortsetzung der ehelichen Lebensgemeinschaft beurteilt werden (ebenso etwa OLG Düsseldorf, FamRZ 1977, 804, 805; 1978, 27; Gernhuber, aaO., S. 300; vgl. auch Beitzke, Familienrecht, 21. Aufl., § 19 I 3, S. 134).

4. Daß sich damit die unzumutbare Härte auf das Eheband, das "Weiter-miteinander-verheiratet-sein" (Palandt/Diederichsen, aaO.) beziehen muß, führt entgegen der vielfach von Vertretern des gegenteiligen Standpunktes geäußerten Befürchtung nicht zu einem praktischen Ausschluß der Scheidung vor Ablauf des Trennungsjahres. Entscheidend ist insoweit das Verständnis der unzumutbaren Härte, das sich aus dem Sinngehalt der Regelung ergibt.

a) Da § 1565 Abs. 2 BGB in den Entwürfen zum 1. EheRG nicht enthalten war, sondern in den Verhandlungen des Vermittlungsausschusses formuliert und in die Novelle aufgenommen worden ist (vgl. Bastian/Roth-Stielow/Schmeiduch, 1. EheRG, § 1565 Entstehungsgeschichte; Rolland, aaO., Rdn. 2; Schwab, FamRZ 1979, 14, 17 f.), sind die aus den Gesetzesmaterialien sich ergebenden Erkenntnisse über den Gesetzeszweck beschränkt. Weitgehende Einigkeit besteht indessen darüber, daß § 1565 Abs. 2 BGB dem Rechtsmißbrauch entgegenwirken soll, zu dem es dadurch kommen könnte, daß ein Ehegatte die Ehe einseitig zerstört und sogleich, mit einem auf diesen Zerrüttungstatbestand gestützten Scheidungsantrag, für ihn günstige Rechtsfolgen aus seiner Rechtsverletzung ableitet (vgl. Schwab, aaO., S. 17 f.; Holzhauer, aaO., S. 113 f.). Hierin erschöpft sich der Regelungszweck indessen nicht, wie sich schon daraus ergibt, daß die Vorschrift auch eine Scheidung erschwert, die aus einem vom Antragsgegner gesetzten Zerrüttungstatbestand begehrt wird. Demgemäß hat sich in Rechtsprechung und Schrifttum zu Recht die Ansicht durchgesetzt, daß die Vorschrift auch leichtfertigen und voreiligen Scheidungen entgegenwirken soll (vgl. OLG Köln, FamRZ 1977, 717; OLG Schleswig, FamRZ 1977, 805, 806; OLG München, FamRZ 1978, 29, 30, 113; Holzhauer, aaO., S. 114; MünchKomm/Wolf, aaO., Rdn. 73 Nr. 3; Palandt/Diederichsen, aaO., Anm. 4 a; Rolland, aaO., Rdn. 26; Schwab, aaO., S. 18 - a.A. OLG Koblenz, FamRZ 1978, 31, 33; Gernhuber, aaO., § 27 II 1, S. 298 f.).

b) Mit dem letztgenannten Normzweck hängt ein weiterer zusammen, der sich aus dem Regelungszusammenhang der Vorschrift ergibt. Soweit nicht die im Gesetz aufgestellten Vermutungen für das Scheitern der Ehe eingreifen, kann die Feststellung dieser nach § 1565 Abs. 1 BGB einzigen Tatbestandsvoraussetzung der Ehescheidung erhebliche Schwierigkeiten bereiten, denen das Gericht nur im Wege einer besonders sorgfältigen Prüfung gerecht werden kann (BGH, FamRZ 1978, 671; 1979, 1003). Das gilt einmal hinsichtlich der Beurteilung, ob die Lebensgemeinschaft der Ehegatten aufgehoben ist, vor allem aber für die Prognose, ob diese Aufhebung endgültig ist. Hierbei stellen die Tatsache und vor allem die Dauer eines etwaigen Getrenntlebens der Ehegatten wesentliche Indizien dar. Dieser Gedanke liegt nicht nur den Vermutungsregelungen des § 1566 BGB, sondern auch der Vorschrift des 1565 Abs. 2 BGB zugrunde. Hier geht das Gesetz erkennbar davon aus, daß bei einem Fortbestehen der häuslichen Gemeinschaft oder auch bei einem erst kurzfristigen, weniger als ein Jahr betragenden Getrenntleben der Ehegatten die Prognose, daß die Wiederherstellung der Lebensgemeinschaft aussichtslos erscheine, nicht stets mit der erforderlichen Zuverlässigkeit getroffen werden kann. Dieser Aspekt hat offenbar auch in den Gesetzesverhandlungen zum 1. EheRG eine Rolle gespielt. Jedenfalls führt Vogel (FamRZ 1976, 481, 483) unter Bezugnahme auf Scheidungsbegehren, die eine besonders sorgfältige Prüfung der Endgültigkeit des behaupteten Bruchs der Lebensgemeinschaft erfordern, aus, daß "deswegen" eine prozeßrechtliche Regelung vorgesehen gewesen sei, wonach der Familienrichter das Verfahren nicht nur im Falle der Aussicht auf Fortsetzung der Ehe, sondern auch dann hätte aussetzen können, wenn die Aussetzung aus anderen Gründen billig erschienen wäre. Der Vermittlungsausschuß sei jedoch dem Bundesrat gefolgt und habe die in § 1565 Abs. 2 BGB Gesetz gewordene "materiell-rechtliche Lösung" vorgeschlagen. So gesehen dient § 1565 Abs. 2 BGB der Erleichterung der nach Abs. 1 anzustellenden Prognose (vgl. Beitzke, aaO., S. 135; ferner OLG Hamm, FamR2 1979, 37; MünchKomm/Wolf, aaO., Rdn. 73 Nr. 5).

c) Hiernach mutet das Gesetz den Ehegatten in § 1565 BGB auch in Fällen, in denen die Ehe bereits mit Sicherheit gescheitert ist, aber die Partner noch in häuslicher Gemeinschaft oder noch kein Jahr getrennt leben, grundsätzlich zu, die Jahresfrist abzuwarten. Davon kann nach Abs. 2 nur abgesehen werden, wenn die Fortsetzung der Ehe für den Antragsteller aus Gründen, die in der Person des anderen Ehegatten liegen, eine unzumutbare Härte darstellen würde. Eine derartige Härte ist in der Rechtspraxis vor allem anzunehmen, wenn sich bei der Prognose, daß die Wiederherstellung der Lebensgemeinschaft der Ehegatten nicht mehr erwartet werden kann (vgl. BGH, FamRZ 1978, 671, 672 unter 2.), - über den Tatbestand des Scheiterns der Ehe hinaus - in der Person des Antragsgegners liegende Gründe ergeben, die so schwer wiegen, daß dem Antragsteller bei objektiver Beurteilung nicht angesonnen werden kann, an den Antragsgegner als Ehepartner weiterhin gebunden zu sein.

Auf dem Boden dieser Rechtsauffassung steht im wesentlichen auch das Berufungsgericht. Es meint jedoch, daß die Tätlichkeiten und Beschimpfungen, welche die Antragstellerin dem Antragsgegner anlastet, deshalb nicht als derart schwerwiegende Gründe anzusehen seien, weil die Antragstellerin bereits räumlich von dem Antragsgegner getrennt lebe. Dagegen bestehen Bedenken. Schwerwiegendes Fehlverhalten, wie es hier behauptet wird, verliert im Rahmen der vorerwähnten Prüfung nicht schon dadurch seine zur Unzumutbarkeit führende Wirkung, daß der verletzte Ehegatte aus der ehelichen Wohnung auszieht oder "getrennt leben kann". Ein solches Fehlverhalten vermag auch nach räumlicher Trennung fortzuwirken und die Bindung des verletzten Gatten an die Ehe unzumutbar zu machen. Aus diesem Grunde hätte das Berufungsgericht Feststellungen über das dem Antragsgegner angelastete, die Annahme einer unzumutbaren Härte aufdrängende Verhalten vor dem Auszug aus der ehelichen Wohnung treffen und prüfen müssen, ob es die dargelegten Voraussetzungen der Härteklausel erfüllt.

 

Fundstellen

Haufe-Index 2992708

NJW 1981, 449

FamRZ 1981, 127

FamRZ 1991, 127

LSK-FamR/Hülsmann, LS 10

LSK-FamR/Hülsmann, LS 11

LSK-FamR/Hülsmann, LS 12

LSK-FamR/Hülsmann, LS 18

LSK-FamR/Hülsmann, LS 20

LSK-FamR/Hülsmann, LS 28

LSK-FamR/Hülsmann, LS 29

LSK-FamR/Hülsmann, LS 3

LSK-FamR/Hülsmann, LS 30

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