Leitsatz (amtlich)

a) Eine Bürgschaft erlischt nach § 776 BGB durch Aufgabe einer weiteren für dieselbe Hauptforderung bestehenden Sicherheit. Anders als ein Leistungsverweigerungsrecht entfällt diese Rechtsfolge des § 776 BGB nicht dadurch, dass der Gläubiger die zunächst aufgegebene Sicherheit später zurückerwirbt oder neu begründet.

b) Ein Verzicht des Bürgen, mit dem das Erlöschen der Bürgschaft rückgängig gemacht werden soll, unterliegt als Neubegründung dieses Schuldverhältnisses der Form des § 766 BGB.

 

Normenkette

BGB §§ 776, 766

 

Verfahrensgang

OLG Bamberg (Urteil vom 17.11.2011; Aktenzeichen 1 U 88/11)

LG Aschaffenburg (Urteil vom 29.06.2011; Aktenzeichen 31 O 424/10)

 

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des 1. Zivilsenats des OLG Bamberg vom 17.11.2011 wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Das vorgenannte Urteil wird wegen offenbarer Unrichtigkeit dahingehend berichtigt, dass im Tenor der Einleitungssatz der Ziff. 1 wie folgt lautet:

"Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des LG Aschaffenburg vom 29.6.2011 - 31 O 424/10, unter Zurückweisung der weitergehenden Berufung teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:"

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Rz. 1

Die Klägerin verlangt von dem Beklagten Zahlung aus einem Bürgschaftsvertrag. Dem hält der Beklagte entgegen, er sei nach § 776 BGB frei geworden, soweit die Klägerin eine dieselbe Hauptschuld sichernde Grundschuld - vorübergehend - abgetreten habe.

Rz. 2

Die Klägerin gewährte der L. KG (nachfolgend: Hauptschuldnerin) am 11.7.2008 ein Darlehen über 2 Mio. EUR. Der Beklagte übernahm neben drei weiteren Personen am selben Tag eine selbstschuldnerische Bürgschaft über 2 Mio. EUR für alle Verpflichtungen der Hauptschuldnerin aus diesem Darlehen. Bereits am 7.7.2008 hatte die Hauptschuldnerin der Klägerin zur Sicherung der Ansprüche aus diesem Darlehensvertrag eine erstrangige werthaltige Buchgrundschuld i.H.v. 2 Mio. EUR an ihrem Teileigentum am Handballleistungszentrum bestellt. Hiervon trat die Klägerin am 9.3.2009 einen erstrangigen Teilbetrag i.H.v. 1,1 Mio. EUR mit Nebenleistungen und Zinsen i.H.v. 18 % p.a. seit dem 11.7.2008 an die Bank eG A. (nachfolgend: Bank) zur Sicherung von zwei der S. GmbH & Co. KG, der Holdinggesellschaft der Klägerin, gewährten Darlehen ab. Am 30.9.2010 kündigte die Klägerin das der Hauptschuldnerin gewährte Darlehen wegen drohender Vermögensverschlechterung und forderte den Beklagten zur Zahlung der Bürgschaftssumme auf. Die Hauptschuldnerin, über deren Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet wurde, befand sich mit mehreren Zinszahlungen und einer Tilgungsrate in Rückstand. Der Verkehrswert der belasteten Immobilie betrug 2 Mio. EUR. Während des Berufungsverfahrens wurde am 1.8.2011 die Grundschuld an die Klägerin zurückabgetreten.

Rz. 3

Das LG hat der Klage auf Zahlung von 2 Mio. EUR nebst Zinsen Zug um Zug gegen Abtretung der Grundschuld sowie auf Ersatz vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten stattgegeben. Auf die Berufung des Beklagten hat das Berufungsgericht das erstinstanzliche Urteil abgeändert, den Beklagten zur Zahlung von 306.000 EUR nebst Zinsen Zug um Zug gegen Abtretung eines der Urteilssumme entsprechenden, erstrangigen Teils der Grundschuld verurteilt und im Übrigen die Klage abgewiesen. Die Klägerin, die nach Erlass des Berufungsurteils am 1.12.2011 aus einer Verwertung der Grundschuld 1.269.000 EUR erhalten hat, begehrt mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision nunmehr Zahlung von 731.000 EUR nebst Zinsen, hilfsweise Zug um Zug gegen Abtretung eines der Klagesumme entsprechenden "erstrangigen" Teils der Grundschuld. In Höhe von 1.269.000 EUR hat sie den Rechtsstreit im Revisionsverfahren für erledigt erklärt. Der Beklagte hat sich dieser Erledigungserklärung nicht angeschlossen.

 

Entscheidungsgründe

Rz. 4

Die Revision der Klägerin hat sowohl zum Zahlungsantrag als auch zu dem für erledigt erklärten Teil keinen Erfolg.

I.

Rz. 5

Die Klagepartei kann in der Revisionsinstanz den Rechtsstreit in der Hauptsache einseitig für erledigt erklären, wenn das erledigende Ereignis - hier die Zahlung von 1.269.000 EUR am 1.12.2011 - außer Streit steht (st.Rspr., vgl. BGH, Urt. v. 14.7.2008 - II ZR 132/07, WM 2008, 1806, 1807; v. 25.1.1996 - VII ZR 26/95, NJW 1996, 1280, 1281 jeweils m.w.N.). Die Feststellung einer - hier teilweisen - Erledigung der Hauptsache eines Rechtsstreits setzt neben dem Eintritt eines erledigenden Ereignisses voraus, dass die Klage in diesem Zeitpunkt insoweit zulässig und begründet war (vgl. BGH, Urt. v. 18.4.2002 - I ZR 72/99, juris Rz. 41 m.w.N.). Andernfalls ist sie abzuweisen bzw., soweit - wie im vorliegenden Verfahren - die Klage bereits in der Vorinstanz abgewiesen worden ist, die Revision zurückzuweisen (BGH, Urt. v. 19.2.2009 - I ZR 160/06, NJW-RR 2009, 990 Rz. 7 m.w.N.).

II.

Rz. 6

Die Klage war hinsichtlich des für erledigt erklärten Teils im Zeitpunkt des erledigenden Ereignisses unbegründet. Sie hat auch in dem von der Klägerin mit dem Zahlungsantrag weiterverfolgten Teil keinen Erfolg.

Rz. 7

1. Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner in WM 2012, 691 veröffentlichten Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt:

Rz. 8

Die Klägerin habe gegen den Beklagten gem. § 765 Abs. 1 BGB eine Bürgschaftsforderung von 306.000 EUR, in Höhe der darüber hinausgehend verbürgten 1.694.000 EUR sei der Beklagte entsprechend § 776 Satz 1 BGB von seiner Einstandspflicht frei geworden. Die streitige Rechtsnatur dieser Vorschrift könne dahinstehen, da jedenfalls deren Zweck in der Sicherung des Rückgriffs des vom Gläubiger in Anspruch genommenen Bürgen nach §§ 774 Abs. 1 Satz 1, 412, 401 BGB bestehe. Diesen verwirkliche § 776 BGB, indem der Bürge im Umfang einer Aufgabe der weiteren Sicherheit von der Bürgschaftsforderung frei werde, soweit er aus dem aufgegebenen Recht gem. § 774 BGB hätte Ersatz erlangen können. Nach seinem Wortlaut knüpfe § 776 BGB an die Aufgabe der Sicherheit einen unmittelbar eintretenden Rechtsverlust des Gläubigers und nicht etwa lediglich ein Leistungsverweigerungsrecht des Bürgen. Die Formulierung "wird...frei" entspreche derjenigen in § 777 Abs. 1 BGB, wo fraglos Erlöschenstatbestände normiert seien. Eine für die Hauptforderung begebene Sicherungsgrundschuld gehöre zu den von § 776 BGB erfassten Sicherungsrechten. Deren Aufgabe sei durch rechtsgeschäftliche Übertragung bewirkt, wenn die Verwertungsmöglichkeit der werthaltigen Sicherheit dadurch rechtlich oder tatsächlich beseitigt sei.

Rz. 9

Danach habe die Klägerin am 9.3.2009 ihr Sicherungsrecht im Umfang der Teilabtretung aufgegeben i.S.v. § 776 BGB. Denn insoweit habe sie rechtsgeschäftlich über die Grundschuld verfügt und Rechte aus dem Sicherungsrecht verloren. Es sei nicht maßgeblich, ob die Sicherungsgrundschuld als solche noch existiere und für die Klägerin wieder erlangbar sei. Deswegen sei ohne Bedeutung, dass die Klägerin während des Berufungsverfahrens deren Rückabtretung erreicht habe. Weder lebe die Bürgschaftsforderung dadurch wieder auf, noch sei der Bürge nach Treu und Glauben gehindert, sich auf § 776 BGB zu berufen. Zwar spreche für die gegenteilige, rein wirtschaftliche Betrachtungsweise, dass der Bürge im Zeitpunkt seiner Zahlung nicht (mehr) schlechter gestellt sei als vor Aufgabe der Sicherheit. Schon aus Gründen der Rechtssicherheit sei es aber geboten, dass ein einmal eingetretenes Freiwerden nicht wieder durch Handlungen des Gläubigers beseitigt werden könne. Andernfalls müsse man dem Gläubiger auch zugestehen, durch Beschaffung einer anderen gleichwertigen Sicherheit ein Freiwerden des Bürgen zu verhindern. Dies werde von niemandem vertreten, zumal nach § 776 Satz 2 BGB auch später hinzugekommene Sicherungsmittel dem Bürgen zugute kämen und bei ihrer Aufgabe einen eigenen Erlöschenstatbestand begründeten. Ohne Erfolg mache die Klägerin geltend, der Beklagte sei mit der Teilabtretung einverstanden gewesen. Hierbei handele es sich um erstmals in der Berufungsinstanz gehaltenes und durch den Beklagten bestrittenes Vorbringen, das nicht gem. § 531 Abs. 2 ZPO zuzulassen sei.

Rz. 10

Da der Verkehrswert der Immobilie unstreitig 2 Mio. EUR betragen habe, sei die Grundschuld in dieser Höhe werthaltig gewesen. Durch deren Teilabtretung sei unter Berücksichtigung von Grundschuldzinsen eine Sicherheit im Wert von insgesamt 1.694.000 EUR aufgegeben worden, so dass ein Haftungsbetrag von 306.000 EUR verbleibe.

Rz. 11

2. Diese Ausführungen halten revisionsrechtlicher Prüfung stand.

Rz. 12

Der Beklagte ist i.H.v. 1.694.000 EUR gem. § 776 Satz 1 BGB von seiner Einstandspflicht frei geworden, da die Klägerin durch die Teilabtretung der Grundschuld vom 9.3.2009 eine mit der Hauptforderung verbundene Sicherheit aufgegeben hat, aus der der Beklagte als Bürge nach § 774 BGB insoweit hätte Ersatz erlangen können.

Rz. 13

a) Die von der Klägerin am 9.3.2009i.H.v. 1.100.000 EUR abgetretene Sicherungsgrundschuld ist ein selbständiges Sicherungsrecht i.S.v. § 776 BGB (BGH, Urt. v. 6.4.2000 - IX ZR 2/98, WM 2000, 1141, 1144 m.w.N.). Dieses hat die Klägerin gem. § 776 Satz 1 BGB aufgegeben; dafür muss entgegen der Ansicht der Revision kein Verzicht zugunsten desjenigen vorliegen, der diese Sicherheit bestellt hat.

Rz. 14

aa) Der Wortlaut von § 776 Satz 1 BGB enthält keine derartige Beschränkung. "Aufgeben" ist vielmehr jede gewollte Handlung (BGH, Urt. v. 17.9.1959 - VII ZR 115/58, WM 1960, 51), durch die der Gläubiger auf eine Verwertungsmöglichkeit der Sicherheit verzichtet oder ansonsten bewusst deren wirtschaftlichen Wert beseitigt (BGH, Urt. v. 15.7.1999 - IX ZR 243/98, WM 1999, 1761, 1763, insoweit nicht in BGHZ 142, 213 abgedruckt). Danach erfasst § 776 BGB auch den Fall, dass der Gläubiger das Sicherungsrecht einem Dritten überlässt (BGH, Urt. v. 3.11.2005 - IX ZR 181/04, BGHZ 165, 28, 35).

Rz. 15

bb) Dass die rechtsgeschäftliche Übertragung eines Sicherungsrechtes auf einen Dritten als Aufgabe dieser Sicherheit i.S.v. § 776 Satz 1 BGB anzusehen ist, entspricht zudem Sinn und Zweck der Vorschrift. Der Bürge, der mit seinem gesamten Vermögen für die Erfüllung der Verpflichtungen aus der Bürgschaft einzustehen hat, soll vor einer Vereitelung seiner Rückgriffsrechte aus § 774 BGB geschützt werden, die eintreten würde, wenn der Gläubiger zu Lasten des Bürgen weitere für dieselbe Hauptschuld bestellte Sicherungsrechte einseitig aufgeben könnte (BGH, Urt. v. 2.3.2000 - IX ZR 328/98, BGHZ 144, 52, 57). Dieses Schutzes durch § 776 Satz 1 BGB bedarf der Bürge unabhängig davon, ob ein seinen künftigen Regress gem. §§ 774 Abs. 1 Satz 1, 412, 401 BGB sicherndes Recht dem ursprünglichen Sicherungsgeber oder einem Dritten übertragen wird, da sein Rückgriffsanspruch in beiden Fällen in gleicher Weise beeinträchtigt ist.

Rz. 16

b) Das Berufungsgericht geht weiter zutreffend davon aus, dass nach § 776 BGB eine Bürgschaft durch Aufgabe einer weiteren für dieselbe Hauptforderung bestehenden Sicherheit erlischt. § 776 BGB begründet in einem solchen Fall - entgegen der Auffassung der Revision - nicht nur ein Leistungsverweigerungsrecht des Bürgen. Ebenso entfällt das Merkmal einer Aufgabe der Sicherheit in § 776 BGB nicht nachträglich dadurch, dass der Gläubiger die zunächst aufgegebene Sicherheit später zurückerwirbt oder neu begründet.

Rz. 17

aa) Die Rechtsprechung geht davon aus, dass der Bürge mit Aufgabe der weiteren Sicherheit durch den Gläubiger insoweit von seiner Verpflichtung befreit wird (vgl. BGH, Urt. v. 2.3.2000 - IX ZR 328/98, BGHZ 144, 52, 57; v. 3.11.2005 - IX ZR 181/04, BGHZ 165, 28, 35). Diese Auffassung entspricht dem Willen des Gesetzgebers (vgl. Mugdan, Die gesamten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, 1899, Band II, S. 379) und findet auch in der Literatur ganz überwiegend Zustimmung (Beckmann in Dauner-Lieb/Langen, BGB, 2. Aufl., § 776 Rz. 5; PWW/Brödermann, BGB, 8. Aufl., § 776 Rz. 10; Bülow, Recht der Kreditsicherheiten, 8. Aufl., Rz. 1008 f.; Buck, GWR 2012, 93; Federlin in Kümpel/Wittig, Bank- und Kapitalmarktrecht, 4. Aufl., Rz. 12.291; E. Herrmann in Erman, BGB, 13. Aufl., § 776 Rz. 5; Nobbe, Kommentar zum Kreditrecht, 2. Aufl., § 776 BGB Rz. 17; ders., WuB I F 1a. - 1.12; Prütting in jurisPK-BGB, 6. Aufl., § 776 Rz. 8; Rohe in BeckOK/BGB, Stand 1.5.2013, § 776 Rz. 7; Palandt/Sprau, BGB, 72. Aufl., § 776 Rz. 4; Stadler in Jauernig, BGB, 14. Aufl., § 776 Rz. 4; Staudinger in Schulze, BGB, 7. Aufl., § 776 Rz. 5; so auch schon Planck, BGB, 4. Aufl., § 776 S. 1466; a.A. Grziwotz, EWiR 2012, 281, 282 und Soergel/Pecher, BGB, 12. Aufl., § 776 Rz. 24; wohl auch OLG Stuttgart WM 1990, 1191, 1193 f.).

Rz. 18

bb) Bereits der Wortlaut des § 776 BGB beschränkt den Bürgen nicht auf eine bis zur Wiedererlangung der aufgegebenen Sicherheit bestehende Einrede, sondern spricht vom Freiwerden des Bürgen, d.h. von einer Beendigung seiner Haftung. Dem entspricht - wie das Berufungsgericht zutreffend ausführt - die Formulierung in § 777 Abs. 1 Satz 1 BGB, der sowohl der BGH (Urt. v. 6.5.1997 - IX ZR 136/96, NJW 1997, 2233, 2234; v. 13.6.2002 - IX ZR 398/00, WM 2002, 1645, 1646 f.) als auch die Literatur (Bülow, Recht der Kreditsicherheiten, 8. Aufl., Rz. 1037; Federlin in Kümpel/Wittig, Bank- und Kapitalmarktrecht, 4. Aufl., Rz. 12.303; Habersack in MünchKomm/BGB, 5. Aufl., § 777 Rz. 14; E. Herrmann in Erman, BGB, 13. Aufl., § 777 Rz. 3; Staudinger/Horn, BGB, Neubearbeitung 2013, § 777 Rz. 3; Nobbe, Kommentar zum Kreditrecht, 2. Aufl., § 777 BGB Rz. 5; Prütting in jurisPK-BGB, 6. Aufl., § 777 Rz. 8; Rohe in BeckOK/BGB, Stand 1.5.2013, § 777 Rz. 7; Stadler in Jauernig, BGB, 14. Aufl., § 777 Rz. 7; Staudinger in Schulze, BGB, 7. Aufl., § 777 Rz. 6) ein Erlöschen der Verpflichtung des Bürgen entnehmen.

Rz. 19

cc) Zudem widerspräche es dem Gebot der Rechtssicherheit, die Haftung des Bürgen nach Aufgabe einer weiteren Sicherheit durch den Gläubiger in der Schwebe zu halten. Der Bürge soll zur Wahrung seiner wirtschaftlichen Bewegungsfreiheit alsbald wissen, ob und in welchem Umfang er von der Haftung aus der Bürgschaft aufgrund der ihn privilegierenden Vorschrift des § 776 BGB frei geworden ist (vgl. zu diesem Auslegungskriterium BGH, Urt. v. 8.12.2010 - VIII ZR 27/10, NJW 2011, 1867 Rz. 16, 18). Dem wäre nicht Genüge getan, ließe man diese Frage bis zu einem endgültigen Untergang der Sicherheit unbeantwortet bzw. gestattete man - die Auffassung der Revision konsequent fortgedacht - dem Gläubiger die spätere Stellung einer gleichwertigen Sicherheit. Aus diesem Grund sieht das Gesetz nach Sicherheitenaufgabe durch den Gläubiger keine Möglichkeit zur Rückgängigmachung der eingetretenen Enthaftung des Bürgen vor. Dem entspricht, dass - worauf das Berufungsgericht zutreffend hinweist - nach Übernahme der Bürgschaft hinzutretende Sicherungsmittel gem. § 776 Satz 2 BGB ebenfalls dem Bürgen zugute kommen und bei ihrer Aufgabe einen eigenen Erlöschenstatbestand nach § 776 Satz 1 BGB begründen. Die Rückübertragung einer einmal aufgegebenen Sicherheit kompensiert damit nicht deren zunächst eingetretenen Verlust, sondern begünstigt den Bürgen zusätzlich.

Rz. 20

dd) Der Bürge wäre auf Grundlage der Rechtsauffassung der Revision darüber hinaus bis zur Fälligkeit der Bürgschaft an einer frühzeitigen Sicherung seiner Regressansprüche gehindert. Da den Gläubiger bei Geltendmachung der Hauptforderung im Grundsatz keine Schutzpflichten gegenüber dem Bürgen treffen, ist es Sache des Bürgen, etwa bei Zögern des Gläubigers trotz Zweifel an der Zahlungsfähigkeit des Hauptschuldners, den Gläubiger sofort zu befriedigen und nach seinen Vorstellungen bei dem Schuldner Rückgriff zu nehmen bzw. auf für den Regress haftende Sicherheiten zuzugreifen (vgl. Habersack in MünchKomm/BGB, 5. Aufl., § 765 Rz. 94; Palandt/Sprau, BGB, 72. Aufl., § 765 Rz. 34; s. auch Mugdan, Die gesamten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, 1899, Bd. II, S. 379). Dazu ist im Zweifel weder die Fälligkeit der Bürgschaft (§ 271 Abs. 2 BGB) noch eine vorherige Inanspruchnahme des Bürgen durch den Gläubiger erforderlich (BGH, Urt. v. 14.1.1998 - XII ZR 103/96, WM 1998, 443, 446; MünchKomm/BGB/Habersack, 5. Aufl., § 774 Rz. 4). Die von der Revision vertretene Auffassung würde dem Bürgen diese Reaktionsmöglichkeit nehmen, da ihm danach nicht nur der Zugriff auf die vom Gläubiger - zunächst - freigegebene Sicherheit verschlossen bliebe, sondern er zudem mit dem Risiko belastet würde, bei einem endgültigem Verlust der Sicherheit auf eine nicht bestehende Bürgschaftsverpflichtung gezahlt zu haben. Eine solche Schlechterstellung des Bürgen rechtfertigt die seinem Schutz dienende Regelung in § 776 BGB nicht.

Rz. 21

ee) Für das Entstehen eines Leistungsverweigerungsrechts spricht entgegen der Auffassung der Revision nicht, dass § 776 BGB die Werthaltigkeit der aufgegebenen Sicherheit erfordert. Zwar setzt § 776 BGB voraus, dass der Bürge aus dem aufgegebenen Recht tatsächlich hätte Ersatz erlangen können (vgl. auch PWW/Brödermann, BGB, 8. Aufl., § 776 Rz. 10; MünchKomm/BGB/Habersack, 5. Aufl., § 776 Rz. 11; E. Herrmann in Erman, BGB, 13. Aufl., § 776 Rz. 5; Staudinger/Horn, BGB, Neubearbeitung 2013, § 776 Rz. 16). Damit wird aber lediglich die Enthaftung des Bürgen auf den Wert eines ihm tatsächlich entgangenen Rückgriffs gegen weitere Sicherungsgeber begrenzt. Dies rechtfertigt es nicht, die Beurteilung der Werthaltigkeit einer aufgegebenen Sicherheit auf den Zeitpunkt der (fiktiven) Erfüllung der Bürgschaftsschuld hinauszuschieben und bis dahin dem Bürgen lediglich eine Einrede zuzubilligen. Dem Bürgen wird nämlich, wie oben dargestellt, bereits ab der Aufgabe einer Sicherheit die Möglichkeit genommen, durch sofortige Zahlung diese Sicherheit zu erwerben. Zudem verlangt das Gebot der Rechtssicherheit auch hier, dem Bürgen sogleich Gewissheit über das Fortbestehen seiner Haftung zu verschaffen. Es ist daher auf den Zeitpunkt der Aufgabe der Sicherheit durch den Gläubiger abzustellen. War die Sicherheit bei ihrer Aufgabe werthaltig, sind später eintretende Wertänderungen für die einmal eingetretene Enthaftung grundsätzlich ohne Bedeutung.

Rz. 22

c) Dem Beklagten ist es entgegen der Ansicht der Revision weiter nicht nach § 242 BGB verwehrt, sich auf die von § 776 BGB angeordnete Befreiung von der Bürgenhaftung zu berufen (a.A. Grziwotz, EWiR 2012, 281, 282). Rechtsmissbrauch liegt vor, wenn beachtliche Interessen eines anderen verletzt werden, ohne dass ein schutzwürdiges Eigeninteresse des Rechtsinhabers besteht (BGH, Urt. v. 24.2.1994 - IX ZR 120/93, NJW 1994, 1351, 1352 m.w.N.). Danach kommt eine Abweichung vom Gesetzeswortlaut nur in besonders gelagerten Ausnahmefällen in Betracht (vgl. BGH, Urt. v. 25.2.1966 - V ZR 126/64, BGHZ 45, 179, 182 zu gesetzlichen Formvorschriften; s. auch BGH, Urt. v. 22.2.1984 - VIII ZR 316/82, BGHZ 90, 198, 205). Solche liegen hier nicht vor. Ein Gläubiger, der eine werthaltige Sicherheit unter Missachtung der Interessen des Bürgen aufgibt, ist nicht schutzwürdig (so auch Nobbe, WuB I F 1a. - 1.12). Erhält er die ursprünglich aufgegebene Sicherheit zurück, kann er diese verwerten. Es besteht kein Anlass, zu seinen Gunsten darüber hinaus in Abweichung von § 776 BGB die erloschene Haftung des Bürgen über § 242 BGB wirtschaftlich wiederaufleben zu lassen und damit den Bürgen nicht nur mit der Unsicherheit zu belasten, ob es dem Gläubiger gelingt, bis zur Realisierung der Bürgenhaftung die zunächst aufgegebene Sicherheit wiederzuerlangen, sondern auch mit dem Risiko einer Nichtverwertbarkeit der zunächst aufgegebenen Sicherheit.

Rz. 23

d) Der Einwand der Revision, der Beklagte habe sich mündlich mit einer Teilabtretung der Grundschuld einverstanden erklärt, hat aus Rechtsgründen keinen Erfolg. Deswegen kommt es nicht darauf an, ob - wie die Revision meint - das Berufungsgericht mit Zurückweisung dieses Vortrags der Klägerin § 531 Abs. 2 ZPO verletzt hat.

Rz. 24

aa) Die von der Revision in einem solchen Einverständnis des Bürgen gesehene Änderung des Bürgschaftsvertrags würde gegen die gesetzliche Form des § 766 BGB verstoßen. Wie die Revisionserwiderung zutreffend ausführt, unterwirft § 766 BGB nach seinem Schutzzweck alle den Bürgen belastenden Abreden der Schriftform (BGH, Urt. v. 30.1.1997 - IX ZR 133/96, ZIP 1997, 536, 538; zur Einrede der Vorausklage Urt. v. 25.9.1968 - VIII ZR 164/66, WM 1968, 1200; so auch Habersack in MünchKomm/BGB, 5. Aufl., § 766 Rz. 13; Nobbe in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch, 4. Aufl., § 91 Rz. 49; Soergel/Pecher, BGB, 12. Aufl., § 776 Rz. 16; Rohe in BeckOK/BGB, Stand 1.5.2013, § 766 Rz. 5). Formbedürftig sind auch die Haftung des Bürgen erweiternde Nebenabreden, die nach Übernahme der Bürgschaft getroffen werden (BGH, Urt. v. 25.9.1968 - VIII ZR 164/66, WM 1968, 1200; v. 30.1.1997 - IX ZR 133/96, WM 1997, 625, 626 f.). Eine - hier von der Revision behauptete - Vereinbarung zur Sicherheitenfreigabe, die zu einem Verlust der Rechte aus § 776 BGB führt, ist für den Bürgen ungünstig. Da sich die Klägerin lediglich auf eine mündliche Absprache beruft, die mangels Eingreifen der Vorschrift des § 350 HGB nicht ausreicht, wäre eine darin liegende Änderung des Bürgschaftsvertrags nach §§ 125 Satz 1, 766 BGB unwirksam.

Rz. 25

bb) Die Frage, ob die Haftung des Bürgen entgegen § 776 BGB bestehen bleibt, wenn er formlos in die Aufgabe der Sicherheit einwilligt (vgl. dazu etwa BGH, Urt. v. 20.10.2001 - IX ZR 185/00, WM 2001, 2378, 2379; Habersack in MünchKomm/BGB, 5. Aufl., § 776 Rz. 4; PWW/Brödermann, BGB, 8. Aufl., § 776 Rz. 14), bedarf keiner Klärung, da nach dem - von der Revision wiederholten - Vortrag der Klägerin der Beklagte sein Einverständnis erst nach Abtretung der Grundschuld erklärt haben soll.

Rz. 26

cc) Das - hier auf § 776 Satz 1 BGB beruhende - Erlöschen einer Verpflichtung kann grundsätzlich nicht durch einen nachträglichen Verzicht des ursprünglich Verpflichteten rückgängig gemacht werden. Vielmehr bedarf es nach einem solchen Rechtsverlust einer - im vorliegenden Fall nach § 766 BGB - formbedürftigen Neubegründung des Schuldverhältnisses (vgl. Palandt/Grüneberg, BGB, 72. Aufl., vor § 362 Rz. 1; Staudinger/Horn, BGB, Neubearbeitung 2013, § 766 Rz. 11).

Rz. 27

e) Rechtsfehlerfrei hat das Berufungsgericht den Wert der aufgegebenen Sicherheit mit 1.694.000 EUR beziffert und dabei den Verkehrswert der belasteten Immobilie von 2 Mio. EUR zugrunde gelegt. Die Revision hält dem ohne Erfolg entgegen, dass stattdessen der vom Insolvenzverwalter bei Verkauf der belasteten Immobilie erzielte Erlös von 1.269.000 EUR maßgebend sei. Nach den rechtsfehlerfreien und auch von der Revision zugrunde gelegten Feststellungen des Berufungsgerichts ist nämlich zwischen den Parteien unstreitig, dass der Verkehrswert der Immobilie 2 Mio. EUR betrug. Ob sich dieser Wert in der Insolvenz der Hauptschuldnerin voll realisieren ließ, beeinflusst - wie oben dargestellt - die im Zeitpunkt der Aufgabe der Sicherheit eingetretene Haftungsbefreiung des Beklagten nicht, da diese Sicherheit in voller Höhe durch den Wert der Immobilie gedeckt, also - wie § 776 BGB es verlangt - werthaltig war.

Rz. 28

3. Soweit die Revision die vom Berufungsgericht ausgesprochene Zug-um-Zug-Verurteilung angreift, weil das Zurückbehaltungsrecht inzwischen durch Löschung der Grundschuld untergegangen sei, handelt es sich um neuen Sachvortrag, der nach § 559 ZPO in der Revisionsinstanz nicht zu berücksichtigen ist. Zudem ist die Umstellung eines Zug-um-Zug-Antrags auf unbedingte Zahlung als Klageerweiterung anzusehen (Senat, Urt. v. 27.2.2007 - XI ZR 55/06, juris Rz. 30), die in der Revisionsinstanz grundsätzlich unzulässig ist (BGH, Urt. v. 23.6.2005 - I ZR 227/02, GRUR 2005, 854, 856; v. 2.7.1971 - V ZR 50/69, WM 1971, 1251, 1252). Die Revision, die die Reduzierung des Klageantrags mit dem Wegfall der Zug-um-Zug-Verurteilung wirtschaftlich verrechnen will, übersieht, dass sie bereits in erster Instanz die Verurteilung des Beklagten Zug um Zug gegen Übertragung der Grundschuld beantragt und im Berufungsverfahren das entsprechende erstinstanzliche Urteil verteidigt hat. Damit ist ein uneingeschränktes Zahlungsbegehren bislang nicht Streitgegenstand des Verfahrens gewesen (vgl. dazu BGH, Urt. v. 19.12.1991 - IX ZR 96/91, BGHZ 117, 1, 3).

Rz. 29

4. Nach all dem hat die Klägerin mit Abtretung des erstrangigen Teilbetrags der Sicherungsgrundschuld am 9.3.2009 gem. § 776 BGB in dieser Höhe ihren Anspruch aus der Bürgschaft verloren, so dass die dem Beklagten am 7.12.2010 zugestellte Klage insoweit von Anfang an unbegründet war. Die Abweisung der Klage hat somit sowohl hinsichtlich des noch aufrechterhaltenen Leistungs- als auch des neu gestellten Feststellungsantrags Bestand mit der Folge, dass die Revision insgesamt zurückzuweisen ist (vgl. BGH, Urt. v. 18.4.2002 - I ZR 72/99, juris Rz. 71).

 

Fundstellen

Haufe-Index 4755002

BGHZ 2014, 335

BB 2013, 1665

DB 2013, 1601

DB 2013, 9

WPg 2013, 924

NJW 2013, 2508

NJW 2013, 8

NWB 2013, 2448

EBE/BGH 2013

EWiR 2013, 479

IBR 2013, 616

JR 2015, 32

JurBüro 2013, 611

WM 2013, 1318

WuB 2013, 631

ZIP 2013, 1318

JZ 2013, 1002

JZ 2013, 507

JZ 2013, 545

JuS 2014, 71

MDR 2013, 921

VersR 2014, 1341

VuR 2013, 338

ZInsO 2013, 1413

BKR 2013, 331

InsbürO 2013, 463

NWB direkt 2013, 792

RÜ 2013, 479

ZBB 2013, 273

ZNotP 2013, 229

GreifRecht 2013, 4

Kreditwesen 2013, 1147

LL 2013, 648

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge