Entscheidungsstichwort (Thema)

Rechtsschutzversicherung. Eintrittspflicht. Deckungsschutz. Rechtsstreit über teilweise unversicherte Ansprüche. Quote der Prozesskosten. Anteil am Gesamtstreitwert. Durch Degression der Gebührensätze bedingter Vorteil

 

Leitsatz (amtlich)

Wird ein Rechtsstreit teils über versicherte, teils über unversicherte Ansprüche geführt, hat der Rechtsschutzversicherer die Quote der Prozesskosten zu erstatten, die dem Anteil am Gesamtstreitwert entspricht, für den er eintrittspflichtig ist.

 

Normenkette

ARB 2000 § 1

 

Verfahrensgang

LG Berlin (Urteil vom 06.05.2004; Aktenzeichen 7 S 91/03)

AG Berlin-Hohenschönhausen

 

Tenor

Die Revision gegen das Urteil der Zivilkammer 7 des LG Berlin v. 6.5.2004 wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Die Klägerin unterhält bei der Beklagten eine Privat- und Berufs-Rechtsschutzversicherung für Nichtselbständige, in die ihr Lebenspartner (im Folgenden: Versicherter) einbezogen ist. Dem Versicherungsvertrag liegen Allgemeine Bedingungen für die Rechtsschutzversicherung zu Grunde, die den ARB 2000 entsprechen. Ihr § 1 lautet:

"Aufgaben der Rechtsschutzversicherung

Der Versicherer sorgt dafür, dass der Versicherungsnehmer seine rechtlichen Interessen wahrnehmen kann, und trägt die für die Interessenwahrnehmung erforderlichen Kosten (Rechtsschutz)."

Der Versicherte verfolgte im Klagewege ggü. seinem früheren Arbeitgeber Ansprüche auf Zahlung restlichen Arbeitsentgeltes. Der Arbeitgeber erhob Widerklage, die verschiedene Schadensersatzansprüche zum Gegenstand hatte. Da zwei dieser Schadensersatzansprüche auf Vorfälle zurückzuführen waren, die in die Zeit vor Versicherungsbeginn fielen, beschränkte die Beklagte ihre Deckungszusage für Klage und Widerklage auf einen Streitwert von 15.060 EUR. Den Gesamtstreitwert setzte das ArbG auf 53.858,49 EUR fest. Nachdem sich die Parteien vor dem LAG vergleichsweise geeinigt hatten, wurden die Kosten des Rechtsstreits durch gerichtlichen Beschluss gegeneinander aufgehoben. Der Prozessbevollmächtigte des Versicherten berechnete seine Gebühren und Auslagen für beide Instanzen mit 7.474,12 EUR. Die Beklagte erstattete daraus unter Berücksichtigung des vereinbarten Selbstbehaltes von 153 EUR je Versicherungsfall einen Betrag von 2.132,90 EUR. Sie ist der Auffassung, die Klägerin sei damit bereits überzahlt, weil sie, die Beklagte, lediglich 28 % der Kosten des Rechtsstreites zu übernehmen habe. Das entspreche dem Verhältnis des Streitwertes gemäß Deckungszusage zum tatsächlichen Gesamtstreitwert. Die Klägerin hingegen errechnet die von der Beklagten auszugleichenden Kosten nach einem (fiktiven) Streitwert von 15.060 EUR. Sie hat von der Beklagten verlangt, den Versicherten - unter Berücksichtigung des Selbstbehaltes und der bereits geleisteten Zahlung - in Höhe weiterer 1.215,53 EUR von den Honoraransprüchen seines Prozessbevollmächtigten freizustellen. Das AG hat der Klage i.H.v. 507,87 EUR stattgegeben; das LG hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Dagegen wendet sie sich mit ihrer Revision.

 

Entscheidungsgründe

Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

I. Das Berufungsgericht hat sich im Wesentlichen der Begründung des AG angeschlossen. Dieses hat ausgeführt: Der gebührenrechtliche Vorteil, der aus der Degression der Gebührensätze gemäß Gerichtskostengesetz und Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte folge, müsse sowohl dem Versicherungsnehmer als auch dem Versicherer zugute zukommen. Die tatsächlich angefallenen Kosten seien in dem Verhältnis zu teilen, das dem Anteil des versicherten Teils der Kosten an den Gesamtkosten entspreche. Dieser Anteil - hier 36,21 % der Gesamtkosten in erster Instanz und 38,93 % der Gesamtkosten in zweiter Instanz - sei dadurch zu ermitteln, dass berechnet werde, welche Kosten entstanden wären, hätten die Parteien sowohl über den versicherten als auch über den nicht versicherten Streitgegenstand einen eigenen Prozess geführt. Diese Lösung entspreche dem Ausgleich, wie er zwischen Streitgenossen vorgenommen werde, die in unterschiedlichem Umfang an einem Rechtsstreit beteiligt gewesen seien. Ergänzend hat das Berufungsgericht darauf verwiesen, es sei mit § 55 VVG nicht zu vereinbaren, wenn dem Versicherungsnehmer der gesamte Degressionsvorteil belassen werde. Ihm dürfe für den gedeckten Teil nicht mehr erstattet werden, als ihm konkret als Schaden entstanden sei.

II. Das hält rechtlicher Nachprüfung stand.

1. Der Revision ist darin zuzustimmen, dass die ARB 2000 keine ausdrückliche Aussage darüber treffen, welche Kosten der Versicherer zu übernehmen hat, wird ein Rechtsstreit teils über versicherte, teils über unversicherte Ansprüche geführt. Allgemeine Versicherungsbedingungen sind indes so auszulegen, wie sie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhanges verstehen muss. Dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse an (BGH v. 23.6.1993 - IV ZR 135/92, BGHZ 123, 83 [85] = MDR 1993, 841; und st.Rspr.).

Ein solchermaßen um Verständnis bemühter Versicherungsnehmer wird für die Frage der Kostenerstattung § 1 ARB 2000 zum Ausgangspunkt nehmen, der das grundsätzliche Leistungsversprechen des Versicherers enthält. Der Versicherer hat danach dafür zu sorgen, dass der Versicherungsnehmer seine rechtlichen Interessen wahrnehmen kann, und trägt die für diese Interessenwahrnehmung "erforderlichen Kosten", die der Höhe nach durch die vereinbarte Versicherungssumme begrenzt sind (§ 5 IV ARB 2000). Durch die Beschränkung auf die "erforderlichen Kosten" bringt der Versicherer zum Ausdruck, dass sein Leistungsversprechen von vornherein nur die Kosten umfassen soll, die zur Rechtsverfolgung objektiv notwendig sind (Harbauer/Bauer, Rechtsschutzversicherung, 7. Aufl., § 1 ARB 94/2000 Rz. 4).

Einem durchschnittlichen Versicherungsnehmer ist ohne weiteres einsichtig, dass die Kosten, die zur Verfolgung seiner Rechte notwendig werden, bei Erteilung der Deckungszusage durch den Versicherer ihrem Umfang nach noch nicht feststehen. Sie lassen sich nicht verlässlich im Voraus bestimmen, weil sie vom weiteren Verlauf der rechtlichen Auseinandersetzung abhängig sind. So fallen, was auch einem nicht rechtskundigen oder prozesserfahrenen Versicherungsnehmer geläufig ist, unterschiedliche Kosten an, je nachdem, ob mit der anderen Partei bereits außergerichtlich eine Einigung erzielt wird oder aber ein Rechtsstreit angestrengt werden muss, der eine unter Umständen kostspielige Beweisaufnahme oder eine Prozessführung über mehrere Instanzen erfordert. Der Versicherungsnehmer wird daher lediglich erwarten, nach Maßgabe der ihm erteilten Deckungszusage innerhalb der vereinbarten Leistungsart (§ 2 ARB 2000) und im Leistungsumfang des § 5 I, III ARB 2000 Rechtsschutz zu erhalten und vom Versicherer in diesem Rahmen von den für seine Interessenwahrnehmung erforderlichen Kosten freigehalten zu werden. In welcher Höhe diese angefallen sind, lässt sich erst nach Abschluss der rechtlichen Interessenwahrnehmung beurteilen; insoweit kommt es allein auf die tatsächlich entstandenen und nicht auf die bei Erteilung der Deckungszusage voraussichtlich entstehenden Kosten an.

2. Mit dieser Auslegung des - entgegen dem Standpunkt der Revision weder unklar noch missverständlich (§§ 5 AGBG a.F., 305c Abs. 2 BGB n.F.) abgefassten - § 1 ARB 2000 lässt sich die in der Instanzrechtsprechung und Literatur vertretene Auffassung nicht vereinbaren, wonach der durch die Degression der Gebührensätze bedingte Vorteil dem Versicherungsnehmer zugute kommen soll. Der Rechtsstreit ist dieser Ansicht zufolge in einen versicherten und in einen unversicherten Teil aufzuspalten. Für die gebührenrechtliche Abrechnung sei der versicherte Teil so zu behandeln, als sei über ihn ein eigener Prozess geführt worden; die daraus zu errechnenden Gebühren seien vom Rechtsschutzversicherer zu erstatten. Denn beschränke sich der Versicherungsnehmer darauf, seine rechtlichen Interessen im Rahmen der Deckung geltend zu machen, habe der Versicherer die Kosten nach dem vollen Wert des gedeckten Anspruchs zu übernehmen. Nichts Anderes könne gelten, wenn die Rechtsverfolgung darüber hinausgehe, weil sie neben dem gedeckten Anspruch weitere, ungedeckte Ansprüche zum Gegenstand habe (OLG Hamm v. 1.4.1992 - 20 U 283/91, VersR 1993, 94; v. Bühren, MDR 2001, 1393 f.; Meyer, JurBüro 2000, 70; Buschbell/Hering, Handbuch Rechtsschutz, 2. Aufl., § 10 Rz. 133; Harbauer, Rechtsschutzversicherung, 6. Aufl., vor § 21 ARB 75 Rz. 5).

Die (höheren) Kosten eines fiktiven, allein über den versicherten Teil der Ansprüche geführten Rechtsstreits unter Ausblendung des tatsächlichen Prozessverlaufes - hier: Erhebung einer Widerklage durch den Prozessgegner - können für den Leistungsanspruch des Versicherungsnehmers nicht maßgebend sein, weil sie das überschreiten, was vom Leistungsversprechen des Versicherers gem. § 1 ARB 2000 umfasst ist. Ein ungerechtfertigter Vorteil ist für diesen damit nicht verbunden. Denn er hat sich nur zur Übernahme der Kosten verpflichtet, die für die Interessenwahrnehmung (objektiv) erforderlich werden. Die notwendigen Kosten reduzieren sich, sollte es als Folge späterer Streitwerterhöhung - selbst wenn diese durch nicht versicherte rechtliche Interessen veranlasst ist - zu einer Gebührendegression kommen. Der Sinn und Zweck des in § 1 ARB 2000 definierten Rechtsschutzes liegt darin, Versicherungsnehmer und Versichertem zur ungestörten Durchsetzung ihrer rechtlichen Interessen zu verhelfen, indem sie davon ausgehen können, von den dafür erforderlichen Kosten freigehalten zu werden. Allein das entspricht dem Charakter der Rechtsschutzversicherung als Schadenversicherung (BGH, Urt. v. 24.4.1967 - II ZR 229/64, VersR 1967, 774, unter II 2), bei der der Versicherer gemäß seiner vertraglich übernommenen Leistungspflicht im Versicherungsfall den konkret eingetretenen Schaden zu ersetzen hat; den Schaden, dessen Deckung er übernommen hat, bilden hier die dem Versicherungsnehmer oder Versicherten tatsächlich entstandenen Kosten.

3. Hat ein Rechtsstreit versicherte und nicht versicherte rechtliche Interessen zum Gegenstand, sind die auf den durch Rechtsschutz abgedeckten Teil entfallenden, objektiv notwendigen Kosten daher aus dem Gesamtstreitwert zu errechnen. Der Versicherer hat die Quote der Prozesskosten zu erstatten, die dem Anteil am Gesamtstreitwert entspricht, für den er eintrittspflichtig ist; maßgeblich ist also das Verhältnis des durch die Versicherung gedeckten Teils des Streitgegenstandes zum gesamten Gegenstandswert (OLG München v. 1.10.2002 - 25 U 2862/02, VersR 2003, 765; Harbauer/Stahl, Rechtsschutzversicherung, 7. Aufl., § 1 ARB 94/2000 Rz. 4; Böhme, ARB, 11. Aufl., § 1 (1) Rz. 4; LG Düsseldorf r + s 1992, 309; LG Karlsruhe r + s 1993, 66, zum Rechtsschutz in Strafsachen). Dem wird die Berechnungsweise der Beklagten gerecht. Angesichts eines Gesamtstreitwerts von 53.858,49 EUR, der versicherte Interessen i.H.v. 15.060 EUR einschließt, machen die von ihr zu übernehmenden Kosten 27,96 % - von der Beklagten aufgerundet auf 28 % - der Gesamtkosten aus.

Hingegen begegnet die Berechnungsmethode des OLG Köln (OLG Köln NVersZ 2002, 30; zustimmend Armbrüster in Prölss/Martin, VVG, 27. Aufl., ARB 75 § 2 Rz. 5), der das Berufungsgericht zu Gunsten der Klägerin gefolgt ist und an die der Senat daher gebunden ist, Bedenken. Nach dieser Auffassung ist in den Fällen der Teildeckung zunächst festzustellen, welche Kosten tatsächlich angefallen sind. Die Kosten sind sodann in dem Verhältnis zu teilen, das dem Anteil des versicherten Teils daran entspricht. Der "versicherte Anteil" seinerseits wird durch die Berechnung der Kosten ermittelt, die entstanden wären, wenn ein Prozess nur hinsichtlich der versicherten und ein weiterer hinsichtlich der nicht versicherten Streitgegenstände geführt worden wäre.

Somit stellt auch das OLG Köln auf die fiktiven Kosten eines Rechtsstreits ab, der in dieser Form nicht stattgefunden hat, obwohl sich die Verpflichtung des Versicherers zur Kostenübernahme ausschließlich an den für den versicherten Teil tatsächlich angefallenen Kosten ausrichtet. Zudem kann sich die Berechnung zum Nachteil des Versicherungsnehmers auswirken, wenn - anders als hier und in dem vom OLG Köln entschiedenen Fall - der Streitwert des ungedeckten Teils des Rechtsstreits geringer ist als derjenige des gedeckten Teils. Das Berufungsgericht hat dem Versicherten in Übernahme des amtsgerichtlichen Rechenwerks eine Freistellung von 36,21 % der Gesamtkosten in erster Instanz und von 38,93 % der Gesamtkosten in zweiter Instanz zugebilligt und damit mehr, als ihm unter Zugrundelegung eines versicherten Anteils von 27,96 % am Gesamtstreitwert zustünde. Läge aber umgekehrt der gedeckte Teil des Rechtsstreits bei 38.798 EUR und der ungedeckte Teil bei 15.060 EUR, wäre nach der Berechnungsweise des Berufungsgerichts eine Freistellung 63,79 % der Gesamtkosten in erster Instanz und von 61,07 % der Gesamtkosten der zweiten Instanz zuzuerkennen; das wäre weniger, als sich nach dem Verhältnis des versicherten Teils (72,04 %) zum Gesamtstreitwert ergäbe. Eine solche Berechnung würde dem Leistungsversprechen des Versicherers, sämtliche für die Interessenwahrnehmung erforderlichen Kosten zu tragen, nicht gerecht.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1373048

NJW 2005, 2228

BGHR 2005, 1103

FA 2005, 214

JurBüro 2005, 653

ZAP 2005, 879

MDR 2005, 986

NZV 2005, 410

VersR 2005, 936

ZfS 2005, 408

ZfS 2005, 564

AGS 2005, 315

NJW-Spezial 2005, 401

VRR 2005, 226

r+s 2005, 462

RVG prof. 2005, 163

RVG-Letter 2005, 92

SJ 2005, 40

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