Entscheidungsstichwort (Thema)

Heterologe Insemination

 

Leitsatz (amtlich)

Zum Unterhaltsanspruch eines während der Ehe geborenen, aus einer heterologen Insemination hervorgegangenen Kindes gegen den geschiedenen Ehemann seiner Mutter, wenn seine Nichtehelichkeit aufgrund einer von ihm selbst erhobenen Anfechtungsklage festgestellt worden ist.

 

Normenkette

BGB §§ 242, 328 Abs. 1-2, §§ 1593, 1601

 

Verfahrensgang

OLG Hamm (Urteil vom 25.01.1994)

LG Bochum

 

Tenor

Die Revision gegen das Urteil des 29. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 25. Januar 1994 wird auf Kosten der Kläger zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Die Mutter der beiden Kläger und der Beklagte waren miteinander verheiratet. Die Kläger stammen nicht von dem Beklagten ab. Der Beklagte ist zeugungsunfähig. Mit seiner Zustimmung unterzog sich die Mutter der Kläger einer heterologen Insemination, die zur Geburt der Kläger im November 1980 führte. Die Zustimmung des Beklagten zu der heterologen Insemination war in einer schriftlichen Vereinbarung enthalten, die er mit der Mutter der Kläger vor der Behandlung abgeschlossen hatte. Der genaue Text der Vereinbarung ist nicht mehr bekannt, die Urkunde ist nicht mehr vorhanden.

Im Sommer 1986 wurde die Ehe geschieden, das Sorgerecht wurde der Mutter übertragen. Der Beklagte zahlte Unterhalt an die Kläger. Etwa zwei Jahre nach der Scheidung kam es zu einer Auseinandersetzung zwischen den geschiedenen Eheleuten, weil die Mutter der Kläger ein von dem Beklagten beanspruchtes Umgangsrecht mit den Kindern nicht akzeptieren wollte. Daraufhin erhoben die Kläger, vertreten durch ihre Mutter, mit Zustimmung des Vormundschaftsgerichts Ehelichkeitsanfechtungsklage. Das Amtsgericht stellte durch Urteil vom 8. November 1989, das rechtskräftig ist, fest, daß die Kläger nicht die ehelichen Kinder des Beklagten sind. Daraufhin stellte der Beklagte seine Unterhaltszahlungen ein. Durch Beschluß vom 13. März 1992 hob das Amtsgericht auf Antrag der Mutter der Kläger die eingetretenen Amtspflegschaften auf. In dem Beschluß wies es darauf hin, daß den Kindern möglicherweise ein Unterhaltsanspruch gegen den Beklagten zustehe, den sie – vertreten durch ihre Mutter – geltend machen könnten. Daraufhin erhoben die Kläger die vorliegende Unterhaltsklage. Das Landgericht gab ihr statt. Auf die Berufung des Beklagten hin änderte das Berufungsgericht die Entscheidung ab und wies die Klage ab. Mit der zugelassenen Revision verfolgen die Kläger den geltend gemachten Unterhaltsanspruch weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision hat keinen Erfolg. Das Berufungsgericht hat die Unterhaltsklage jedenfalls im Ergebnis zu Recht abgewiesen.

1. Das Berufungsgericht führt aus, nachdem die nichteheliche Geburt der Kläger rechtskräftig festgestellt worden sei, stehe ihnen kein gesetzlicher Unterhaltsanspruch nach den §§ 1601 f BGB zu. Auch ein vertraglicher Unterhaltsanspruch komme nicht in Betracht. Die Kläger hätten nicht dargelegt, daß eine vertragliche Unterhaltspflicht des Beklagten ausdrücklich vereinbart worden sei. In Literatur und Rechtsprechung werde vereinzelt die Meinung vertreten, die Absprache der Eltern über die Vornahme einer heterologen Insemination enthalte stillschweigend einen berechtigenden Vertrag zugunsten der Kinder, mit welchem der Ehemann die Verpflichtung übernehme, für den Unterhalt der Kinder zu sorgen. Dieser Ansicht könne nicht gefolgt werden. Der Zustimmung des Ehemannes zu einer heterologen Insemination könne man nicht entnehmen, daß er eine über die gesetzlichen Bestimmungen hinausgehende vertragliche Unterhaltspflicht übernehmen wolle. Zumindest aber sei ein solcher vertraglicher Unterhaltsanspruch der Kläger nach den Regeln über den Wegfall der Geschäftsgrundlage entfallen, nachdem auf Betreiben der Kläger hin ihre Nichtehelichkeit festgestellt worden sei.

Nicht die Hauptbegründung, aber die Hilfsbegründung des Berufungsgerichts trägt die Entscheidung.

2. Die Revision wendet sich zu Recht gegen die Annahme des Berufungsgerichts, aus der Vereinbarung von Eheleuten, eine heterologe Insemination vornehmen zu lassen, lasse sich grundsätzlich kein vertraglicher Unterhaltsanspruch der aus der heterologen Insemination hervorgehenden Kinder gegen den Ehemann herleiten. Obwohl das Berufungsgericht zu dieser Annahme im Wege der Auslegung der Zustimmungsvereinbarung gekommen ist, ist das gefundene Ergebnis in der Revisionsinstanz uneingeschränkt überprüfbar, weil der Streit der Parteien über die Auslegung lediglich die Frage betrifft, welche rechtliche Bedeutung einem feststehenden, typischen Erklärungssachverhalt – hier: der Zustimmung des Ehemannes zu einer heterologen Insemination – zukommt, der überregional benutzt wird (vgl. BGH, Urteil vom 18. Oktober 1978 – VIII ZR 82/77 – ZMR 1979, 72, 73; Stein/Jonas/Grunsky, ZPO 21. Aufl. § 549, 550 Rdn. 40 m.N.).

Der Senat hat im Urteil vom 3. Mai 1995 (XII ZR 29/94 – zur Veröffentlichung in BGHZ vorgesehen, gleichzeitig verkündet) entschieden, daß eine Vereinbarung, mit der der Ehemann sein Einverständnis zu einer heterologen Insemination erteilt, regelmäßig zugleich einen von familienrechtlichen Besonderheiten geprägten berechtigenden Vertrag zugunsten der aus der heterologen Insemination hervorgehenden Kinder enthält, mit welchem sich der Ehemann verpflichtet, für den Unterhalt dieser Kinder wie ein leiblicher ehelicher Vater zu sorgen. Die auf diese Weise begründete Unterhaltspflicht des Ehemannes wird nicht ohne weiteres dadurch beendet, daß in einem Statusverfahren die Nichtehelichkeit der Kinder rechtskräftig festgestellt wird.

3. Der Senat hat in dieser Entscheidung weiter ausgeführt, daß in solchen Fällen die Unterhaltsverpflichtung des Ehemannes nach den Grundsätzen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage entfallen kann. Geschäftsgrundlage sind nach ständiger Rechtsprechung die bei Vertragsschluß bestehenden gemeinsamen Vorstellungen der Vertragschließenden oder die dem Geschäftsgegner erkennbaren und von ihm nicht beanstandeten Vorstellungen einer Vertragspartei vom Fortbestand oder dem künftigen Eintritt gewisser Umstände, sofern der Geschäftswille der Parteien auf dieser Vorstellung aufbaut (vgl. BGHZ 121, 378, 391 m.N.). Ändert sich die Geschäftsgrundlage derart, daß das Festhalten an der vereinbarten Regelung der betroffenen Partei nach den Grundsätzen von Treu und Glauben nicht zugemutet werden kann, so kommt – gerade auch bei Unterhaltsverträgen – eine Anpassung der Vereinbarung an die veränderten Verhältnisse in Betracht (vgl. Senatsurteil vom 23. April 1986 – IVb ZR 30/85 – NJW 1986, 2054, 2055), die u.U. auch darin bestehen kann, daß die Unterhaltsverpflichtung ganz entfällt.

Eheleute, die eine heterologe Insemination vereinbaren, lassen sich erkennbar von der Vorstellung leiten, die persönlichen und rechtlichen Beziehungen zwischen dem Ehemann und dem aus der heterologen Insemination hervorgehenden Kind würden sich so entwickeln, als sei der Ehemann der biologische Vater. Es ist davon auszugehen, daß sie ohne diese Vorstellung die Vereinbarung nicht getroffen und von einer heterologen Insemination abgesehen hätten. Diese Vorstellung der Eheleute ist deshalb Geschäftsgrundlage der Vereinbarung über die Vornahme einer heterologen Insemination. Diese Geschäftsgrundlage entfällt nicht schon dann, wenn die Ehe scheitert und das Kind deshalb nicht in einer Hausgemeinschaft mit dem Ehemann aufwächst. Eine solche Entwicklung kann ebenso eintreten, wenn der Ehemann der biologische Vater des Kindes ist. Die Geschäftsgrundlage entfällt aber – von besonderen, hier nicht vorliegenden Fallgestaltungen abgesehen – regelmäßig durch das rechtskräftige Statusurteil, mit dem die Nichtehelichkeit des Kindes festgestellt wird. Danach beschränken sich die Beziehungen zwischen dem Ehemann und dem Kind allein auf die Unterhaltsverpflichtung des Ehemannes, ohne jeden persönlichen Bezug. Der Ehemann scheidet als Sorgeberechtigter aus und hat kein Umgangsrecht. Das Kind ist ihm gegenüber, wenn er in Not geraten sollte, nicht mehr zum Unterhalt verpflichtet, und es besteht auch gegenseitig kein gesetzliches Erbrecht mehr (vgl. Senatsurteil aaO).

4. Nach diesen Grundsätzen ist im vorliegenden Falle ein Wegfall der Geschäftsgrundlage anzunehmen. Dem Beklagten ist es nach Treu und Glauben auch nicht zuzumuten, daß er lediglich noch als anonymer Zahlvater in Anspruch genommen werden soll. Wie das Berufungsgericht in seiner Hilfsbegründung zutreffend angenommen hat, kann die erforderliche Anpassung an die veränderten Verhältnisse nur darin bestehen, daß die Unterhaltspflicht des Beklagten entfällt.

In der erwähnten Entscheidung vom 3. Mai 1995 hat der Senat einen fortbestehenden Unterhaltsanspruch der Kinder angenommen, weil im dortigen Fall der Ehemann die Ehelichkeitsanfechtungsklage erhoben und auf diese Weise die Veränderung der Verhältnisse selbst herbeigeführt hatte. Nach ständiger Rechtsprechung kann derjenige, der die entscheidende Änderung der Verhältnisse bewirkt hat, aus dem dadurch herbeigeführten Wegfall der Geschäftsgrundlage keine Rechte herleiten (vgl. BGH, Urteile vom 11. März 1993 – I ZR 27/91 – NJW-RR 1993, 880, 881 = BGHR BGB § 242 Geschäftsgrundlage 39 und vom 16. Dezember 1992 – VIII ZR 28/92 – ZIP 1993, 234, 237; MünchKomm-BGB/Roth 3. Aufl. § 242 Rdn. 542; Palandt/Heinrichs 54. Aufl. § 242 Rdn. 127, jeweils m.N.). Im Gegensatz dazu hat sich im vorliegenden Fall der Beklagte auch nach Scheitern seiner Ehe bemüht, persönliche Beziehungen zu den Klägern aufrecht zu erhalten. Er hat weiterhin Unterhalt für sie gezahlt und versucht, eine Besuchsregelung durchzusetzen. Er wollte mithin die Geschäftsgrundlage der zu der heterologen Insemination führenden Vereinbarung gerade aufrecht erhalten. Die Kläger haben (vertreten durch ihre Mutter und mit Zustimmung des Vormundschaftsgerichts) die Anfechtung der Ehelichkeit betrieben.

Die Revision meint, den Klägern dürfe aus dem Umstand, daß sie die Ehelichkeitsanfechtungsklage erhoben hätten, kein Nachteil entstehen, weil sie als minderjährige Kinder die finanziellen Konsequenzen dieser Klageerhebung nicht hätten übersehen können und weil, wie der vorliegende Fall zeige, „auch die nach dem Gesetz vorgesehene Genehmigung zur Klage durch das Vormundschaftsgericht keinen ausreichenden Schutz” biete. Dieser Einwand der Revision ist schon deshalb nicht gerechtfertigt, weil die Anpassung eines Vertragsverhältnisses nach den Regeln über den Wegfall der Geschäftsgrundlage kein Verschulden desjenigen voraussetzt, zu dessen Nachteil die Anpassung erfolgt. Im übrigen müssen sich die Kläger das Verhalten ihrer gesetzlichen Vertreterin zurechnen lassen. Es ist nicht ungewöhnlich und wird von der Rechtsordnung auch in anderen Fällen hingenommen, daß der Unterhaltsanspruch eines Kindes verlorengehen kann, wenn der gesetzliche Vertreter namens des Kindes unbedacht eine Ehelichkeitsanfechtungsklage erhebt oder die Vaterschaftsanerkennung anficht (§§ 1600g ff BGB). So hätten die Kläger z.B. ihren Unterhaltsanspruch gegen den Beklagten in gleicher Weise durch das Statusurteil verloren, wenn sie nicht aus einer heterologen Insemination hervorgegangen, sondern auf natürliche Weise nichtehelich gezeugt worden wären.

 

Unterschriften

Blumenröhr, Zysk, Krohn, Hahne, Gerber

 

Fundstellen

Haufe-Index 1131015

NJW 1995, 2031

Nachschlagewerk BGH

DNotZ 1996, 787

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