Leitsatz (amtlich)

›Widersprüche zwischen dem Inhalt des Urteils und den Akten sind, wenn sie sich nicht aus den Urteilsgründen selbst ergeben, für sich allein revisionsrechtlich unerheblich. Die Revision kann nicht alternativ darauf gestützt werden, entweder habe der Tatrichter den Widerspruch unter Verletzung seiner Aufklärungspflicht nicht in die Hauptverhandlung eingeführt, oder aber er habe es unterlassen, ihn in den Urteilsgründen zu erörtern.‹

 

Verfahrensgang

LG Heilbronn

 

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen, jeweils in Tateinheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln, unter Einbeziehung einer anderweitig verhängten Strafe zu der Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und drei Monaten verurteilt. Die auf Verfahrensrügen und die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten ist nicht begründet.

I. 1. Die Rüge, das Landgericht habe es unter Verletzung seiner Aufklärungspflicht unterlassen, den Vernehmungsbeamten Ba. als Zeugen zu hören (§ 244 Abs. 2 StPO), greift nicht durch.

a) Der Angeklagte hat eine Tatbeteiligung bei der zweiten Einkaufsfahrt nach Holland zum Ankauf und zur Einfuhr von 1 kg Heroin bestritten. Die Überzeugung von der Täterschaft des Angeklagten stützt das Landgericht auf die Aussage des Zeugen W. und zusätzlich auf die des Zeugen G., der in der Hauptverhandlung Einzelheiten (auch die Tatbeteiligung des Angeklagten) bekundete, die er von dem ebenfalls an der Einkaufsfahrt beteiligten Rauschgifthändler Kö. erfahren habe.

Die Revision ist der Auffassung, diese Aussage stehe im Widerspruch zur Aussage des Zeugen G. im Ermittlungsverfahren, wo er die Einkaufsfahrt beschrieben, aber den Angeklagten als Mittäter nicht erwähnt habe. Das Landgericht hätte deshalb zur Klärung des Widerspruchs den Vernehmungsbeamten Ba. als Zeugen hören müssen.

b) Etwaige Widersprüche zwischen der Aussage in der Hauptverhandlung und früheren Aussagen waren zunächst mit dem in der Hauptverhandlung vernommenen Zeugen G. selbst zu klären. Die Rüge, das sei nicht in ausreichendem Maße geschehen, läuft darauf hinaus, der Tatrichter habe ein von ihm benutztes Beweismittel nicht ausgeschöpft. Eine solche Beanstandung mag ausnahmsweise dann statthaft sein, wenn sich aus den Urteilsgründen ergibt, daß der Richter bestimmte sich aufdrängende Vorhalte unterlassen hat (vgl. BGHSt 17, 351, 352 f.). Das ist hier nicht der Fall.

Die Revision trägt selbst vor, dem Zeugen G. seien die Vorhalte gemacht worden, die der Aufklärungsrüge entsprechen, und das Protokoll der Hauptverhandlung ergibt, daß die Prozeßbeteiligten auf die Einvernahme des Vernehmungsbeamten verzichtet haben. Warum sich gleichwohl dessen Vernehmung aufgedrängt habe, wird nicht mitgeteilt.

2. Die Revision vermißt die Erörterung der polizeiliche Aussage des Zeugen G. in den Urteilsgründen. Der Senat sieht keinen Verstoß gegen § 261 StPO.

Die Revision kann grundsätzlich nicht mit der Behauptung gehört werden, das Tatgericht habe sich mit einer bestimmten Aussage einer Beweisperson nicht auseinandergesetzt, wenn diese Aussage sich nicht aus dem Urteil selbst ergibt. Denn es ist allein Sache des Tatrichters, die Ergebnisse der Beweisaufnahme festzustellen und zu würdigen; der dafür bestimmte Ort ist das Urteil. Was in ihm über das Ergebnis der Verhandlung zur Schuld- und Straffrage festgehalten ist, bindet das Revisionsgericht (BGHSt 21, 149, 151; 29, 18, 20; BGH StV 1991, 548; siehe ferner jeweils m.w. Nachw.: Hanack in Löwe/Rosenberg, StPO 24. Aufl. § 337 Rdn. 77; Herdegen in KK StPO 2. Aufl. § 244 Rdn. 40; Pikart in KK a.a.O. § 337 Rdn. 3). Hier ist den Urteilsgründen nicht zu entnehmen, daß sich der Zeuge G. in einem Ermittlungsverfahren in einer Weise geäußert hat, die zu seiner Aussage in der Hauptverhandlung in (nicht lösbarem) Widerspruch steht.

3. Die Revision kann auch nicht mit dem Vortrag Erfolg haben, das Landgericht habe es entweder unter Verletzung seiner Aufklärungspflicht unterlassen, die frühere Aussage in die Hauptverhandlung einzuführen (siehe oben 1.), oder aber es habe sich fehlerhaft mit einer in die Hauptverhandlung eingeführten wesentlichen Tatsache in den Urteilsgründen nicht auseinandergesetzt (siehe oben 2.). Diese Argumentation läuft auf die unzulässige Rüge der "Aktenwidrigkeit" der Urteilsgründe hinaus.

Demgegenüber ist festzuhalten, daß die Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung erfolgt und danach die Feststellungen zu treffen und die Glaubwürdigkeit eines Zeugen zu beurteilen sind. Das geschieht unter Berücksichtigung entgegenstehender oder übereinstimmender Umstände, die sich aus den Akten ergeben und die durch Verlesung, Vorhalt oder Aussagen von Vernehmungsbeamten in die Hauptverhandlung eingeführt werden können. Maßgebend ist dann aber der Eindruck in der Hauptverhandlung - Widersprüche zwischen dem Inhalt des Urteils und den Akten sind, wenn sie sich nicht aus den Urteilsgründen ergeben, für sich allein revisionsrechtlich unerheblich. Sie können eine solche Erklärung gefunden haben, daß für den Tatrichter, dem die Entscheidung hierüber zusteht, kein Anlaß bestand, sie als wesentliche Punkte in der Beweiswürdigung zu erörtern. Ein Erörterungsmangel im Sinne des § 261 StPO liegt daher nur dann vor, wenn sich ein Widerspruch aus dem Urteil selbst ergibt und in den Urteilsgründen nicht ausgeräumt wird.

Das Herausgreifen und Beurteilen eines Aktendetails, das im Urteil keine Stütze findet, kann ohne Berücksichtigung des gesamten Akteninhalts und ohne Kenntnis dessen, was in der Hauptverhandlung im einzelnen geschehen ist, zu falschen Ergebnissen führen. Die Überprüfung der Alternative "entweder Aufklärungsmangel oder Verstoß gegen § 261 StPO" müßte deswegen regelmäßig den gesamten Akteninhalt und den Inhalt der Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung berücksichtigen und rekonstruieren. Solches widerspricht der Ordnung des Revisionsverfahrens (vgl. BGHSt 17, 351, 352).

Daß die von der Revision vorgetragene Alternative eine Rekonstruktion der Beweisaufnahme erfordert (sowie leicht zu Eingriffen in die tatrichterliche Beweiswürdigung und zur Aufhebung des Urteils auf Verdacht führen kann), zeigt der vorliegende Fall beispielhaft: Betraf die von der Revision mitgeteilte umfangreiche Aussage auch die hier interessierende Einkaufsfahrt, dann hat der Zeuge den Angeklagten tatsächlich nicht als Beteiligten erwähnt. Aus einer Nebenbemerkung ergibt sich aber, daß es sich nur um eine ergänzende Vernehmung des Zeugen handelte, und es findet sich der Hinweis des Zeugen, "die in meiner ersten Vernehmung geschilderten Fahrten... stimmen so, wie ich sie angegeben habe". Also kann der Zeuge die zweite dem Angeklagten angelastete Fahrt dort im einzelnen dargelegt haben; es kann auch sein, daß der Name des Angeklagten bei der vorgelegten ergänzenden Vernehmung nicht erwähnt wurde, weil seine Beteiligung klar war oder weil bei dieser Vernehmung die Person eines anderen Beteiligten (hier des Kö.) im Vordergrund stand. Hier wie allgemein kann nur eine umfassende Überprüfung aller Aussagen, die dem Revisionsgericht nicht möglich ist, ein zutreffendes Bild ergeben.

Die Entscheidungen des 2. Strafsenats des Bundesgerichtshofs, auf die sich der Generalbundesanwalt beruft, stehen der hier getroffenen Entscheidung nicht entgegen. Dort handelte es sich um eine Aussage, die in der Hauptverhandlung wörtlich protokolliert worden war (StV 1991, 548), und um den besonderen Fall, daß das Tatgericht selbst die frühere Aussage herangezogen und sich auf Aussagekonstanz gestützt hatte, obwohl sich die Aussagen widersprochen haben sollen (StV 1992, 2).

II. Aus dem tatrichterlichen Urteil ergibt sich, daß die Vollstreckung einer in die nachträglich gebildete Gesamtstrafe einbezogenen Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt war. Mit ihrer Aufklärungsrüge trägt die Revision nur vor, das Landgericht hätte das Bewährungsheft beiziehen müssen, "um die notwendige Entscheidung über die Anrechenbarkeit der vom Beschuldigten erbrachten Leistungen prüfen zu können". Diese Aufklärungsrüge ist nicht zulässig erhoben (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO). Denn ob Bewährungsleistungen erbracht wurden und wenn ja, ob und wie sie bei der Gesamtstrafenbildung berücksichtigt worden sind (§ 58 Abs. 2 Satz 2 StGB), kann das Revisionsgericht hier nur auf Grund einer zulässig vorgetragenen Verfahrensrüge prüfen, welche die entsprechenden Tatsachen vortragen muß (BGHSt 35, 238).

Auch im übrigen weist das Urteil keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf.

 

Fundstellen

Haufe-Index 2993138

NJW 1992, 2840

DRsp IV(455)127Nr.4c

NStZ 1992, 506

wistra 1992, 308

MDR 1992, 890

Rpfleger 1993, 36

VRS 83, 276

StV 1992, 549

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