Leitsatz (amtlich)

1. Wenn und soweit die öffentlich-rechtliche Unterhaltungspflicht einer Verkehrssicherungspflicht inhaltlich gleichkommt, hat sie drittschützenden Charakter im Sinne von § 839 Abs. 1 Satz 1 BGB (Weiterentwicklung von Senat, Urteile vom 24. Februar 1994 - III ZR 4/93, BGHZ 125, 186, 188 und vom 25. Februar 1993 - III ZR 9/92, BGHZ 121, 367, 374).

2. Die Gewässerschau dient der Prüfung der ordnungsgemäßen Unterhaltung oberirdischer Gewässer. Fallen bestimmte Anlagen nicht in die Unterhaltungslast des mit der Gewässerschau betrauten Unterhaltungsverpflichteten, sind sie auch nicht von seiner Schaupflicht erfasst. Stellt eine solche Anlage aber eine ganz offensichtliche für den Gewässerunterhaltungspflichtigen ohne weiteres zu erkennende Gefahrenquelle dar, kann dieser gleichwohl verpflichtet sein, an der Beseitigung der (drohenden) Gefahr mitzuwirken.

3. Wie oft ein bestimmtes Gewässer zu beschauen ist, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls.

 

Normenkette

BGB § 839 Abs. 1 S. 1; WHG §§ 39-40; WasG ST § 52 Abs. 1; WasG ST § 67

 

Verfahrensgang

OLG Naumburg (Entscheidung vom 18.03.2021; Aktenzeichen 4 U 72/20)

LG Magdeburg (Entscheidung vom 19.03.2020; Aktenzeichen 10 O 457/18)

 

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des 4. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Naumburg vom 18. März 2021 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des dritten Rechtszugs, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Rz. 1

Der Kläger nimmt den Beklagten auf Ersatz eines ihm infolge starken Regens entstandenen Überschwemmungsschadens in Anspruch.

Rz. 2

Der Kläger ist Eigentümer eines in W.       - Ortsteil B.          - belegenen Grundstücks. Neben diesem verläuft der K.       graben, ein Gewässer der zweiten Ordnung, für das der Beklagte unterhaltungspflichtig ist. Der Graben fließt innerhalb der Ortschaft unterirdisch durch eine Rohrleitung, in dem hier maßgeblichen Bereich ist er jedoch wieder offen. Auf einem der Nachbargrundstücke des Klägers - dem des Eigentümers K.     - befinden sich drei Rohrdurchlässe, durch die das Gewässer geführt wird. Zweck der Durchlässe ist es - so der Vortrag des Beklagten -, eine bessere Überquerung des Grundstücks zu ermöglichen.

Rz. 3

Am 2. Juni 2016 kam es zu einem Starkregenereignis, in dessen Folge der K.      graben über die Ufer trat, wodurch das Grundstück des Klägers überschwemmt wurde. Die Regulierung des auf dem Anwesen eingetretenen Schadens lehnte die Wohngebäudeversicherung ab. Der Kläger nimmt nunmehr den beklagten Unterhaltungsverband auf Ersatz seines Schadens, den er zuletzt mit gut 20.000 € beziffert hat, in Anspruch.

Rz. 4

Er hat behauptet, der Beklagte habe den K.       graben seit Jahren nicht mehr unterhalten, insbesondere nicht mehr beräumt und gesäubert. Gewässerschauen hätten nicht stattgefunden.

Rz. 5

Der Beklagte ist dem entgegengetreten und hat eine Pflichtverletzung in Abrede genommen. Zudem - so hat er behauptet - habe es sich bei dem Starkregen um ein Jahrhundertereignis gehandelt.

Rz. 6

Das Landgericht, das Beweis durch Zeugen und einen Sachverständigen erhoben hat, hat die Klage dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Das Oberlandesgericht hat die Berufung des Beklagten zurückgewiesen. Dagegen wendet sich dieser mit der vom Senat zugelassenen Revision.

 

Entscheidungsgründe

Rz. 7

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

I.

Rz. 8

Das Berufungsgericht hat - wie vor ihm das Landgericht - angenommen, dass die Rohrdurchlässe auf dem Grundstück K.     zu gering dimensioniert gewesen seien. Es hat ausgeführt, der Beklagte hafte dem Kläger gemäß § 839 Abs. 1 BGB, Art. 34 GG auf Schadensersatz. Der Beklagte trage die Unterhaltungslast für das Gewässer. Dies umfasse den Schutz vor Überschwemmungen und diene insoweit auch Individualinteressen. Selbst wenn mit der Verrohrung - wofür die Umstände durchaus sprächen - eine außerhalb der Wasserwirtschaft liegende Zielsetzung im Sinne der Überfahrungsmöglichkeit des Gewässers durch den Grundstückseigentümer verfolgt würde, stünde dies einem Anspruch des Klägers gegen den Beklagten nicht entgegen. Dem Beklagten sei die - der Erfüllung der Unterhaltungspflichten dienende - Beschau der in seine Zuständigkeit fallenden Gewässer übertragen. Die sich daraus ergebenden Pflichten habe er verletzt. Bei einer ordnungsgemäß durchgeführten Gewässerschau wäre der durch die Rohrdurchlässe entstandene regelwidrige Zustand des Gewässers offenbar geworden. Es seien zwar keine bestimmten Kontrollintervalle vorgeschrieben, diese dürften aber nicht länger bemessen sein, als es die effektive Erfüllung der Unterhaltspflicht erlaube. Nach der Aussage der Zeugin B.          sei das Gewässer jedoch seit Jahren nicht mehr geschaut worden, weil es keine Anregung von den Anliegern gegeben habe. Einen Plan, der regelmäßige Schauen der Gewässer sichergestellt habe, habe es nicht gegeben. Die Verletzung der Pflicht zur Gewässerschau sei schadensursächlich geworden. Da die Zeugin erklärt habe, dass bei einer Gewässerschau die über das Gewässer geführten Lattenzäune beanstandet worden wären, bestünden keine Zweifel daran, dass eine Verengung des Gewässers durch die Rohre erst recht Anlass zu näherer Untersuchung ihres Durchlassvermögens gegeben und zu Beanstandungen geführt hätte. Dem Vortrag des Beklagten sei nicht zu entnehmen, dass die Durchmesser der Rohrdurchlässe für wasserwirtschaftlich geschultes Personal unverdächtig hätten erscheinen müssen. Schon dem Laien erschließe sich, dass Rohrdurchlässe den Wasserabfluss behindern könnten und deshalb großzügig dimensioniert sein müssten, um keine Gefahr darzustellen. Selbst wenn der Beklagte im Hinblick auf die Eigentumsverhältnisse an der Anlage gehindert gewesen wäre, die Erweiterung oder Entfernung selbst durchzuführen, hätte er die erforderlichen Maßnahmen durch den Eigentümer - gegebenenfalls im Wege der Ersatzvornahme - erwirken müssen. Dass weitere Schadensursachen - etwa der Zustand des dem Gewässerabschnitt vorgelagerten Verteilerbauwerks - auszumachen gewesen seien, stehe der Kausalität der Pflichtverletzung nicht entgegen. Um einen sogenannten Jahrhundertniederschlag habe es sich nicht gehandelt.

II.

Rz. 9

Dies hält rechtlicher Überprüfung nicht stand. Auf der Grundlage der bislang getroffenen Feststellungen kann ein auf Amtshaftung gestützter Anspruch gemäß § 839 Abs. 1 Satz 1 BGB i.V.m. Art. 34 Satz 1 GG nicht bejaht werden.

Rz. 10

1. Um den nach Amtshaftungsgrundsätzen zu beurteilenden Hochwasserschutz (vgl. zB Senat, Urteile vom 5. Juni 2008 - III ZR 137/07, NVwZ-RR 2008, 672 Rn. 9 und vom 1. Juni 1970 - III ZR 210/68, BGHZ 54, 165, 167 f; Czychowski/Reinhardt, WHG, 12. Aufl., § 39 Rn. 85), für den der Beklagte auch nicht zuständig wäre (vgl. § 11 Satz 2, § 12 Abs. 1 Satz 1 WG LSA, § 2 Abs. 1 und 2 Sätze 1 und 2 seiner Satzung vom 26. August 1992 in der Neufassung vom 27. Januar 2010, zuletzt geändert am 3. Februar 2022, abrufbar auf der Homepage des Beklagten), geht es vorliegend zwar nicht. Dem Beklagten obliegt jedoch die Unterhaltung der in den Verbandsbezirk fallenden Gewässer zweiter Ordnung - wozu der K.      graben gehört - einschließlich der der Abführung von Wasser dienenden Anlagen (§ 40 WHG; § 54 Abs. 1 Satz 1 WG LSA in Verbindung mit der Anlage 2 Nr. 10; § 2 Abs. 1 und § 4 Abs. 1 der Satzung des Beklagten).

Rz. 11

Nach der bisherigen Rechtsprechung des Senats besteht die Unterhaltungspflicht nur im Interesse der Allgemeinheit. Drittbetroffene haben grundsätzlich keinen Rechtsanspruch gegen den Träger der Unterhaltungslast auf Erfüllung der Unterhaltungspflicht oder auf Vornahme bestimmter Unterhaltungsarbeiten (vgl. Senat, Urteile vom 24. Februar 1994 aaO und vom 25. Februar 1993 - III ZR 9/92, BGHZ 121, 367, 374). Eine Haftung des Unterhaltungspflichtigen kommt danach aber unter dem Gesichtspunkt der Verletzung einer bürgerlich-rechtlichen Verkehrssicherungspflicht gemäß § 823 Abs. 1 BGB in Betracht, wobei beide Pflichten ineinander übergehen sollen. Diese Rechtsprechung bedarf jedoch der Korrektur und Weiterentwicklung. Wenn und soweit die öffentlich-rechtliche Unterhaltungspflicht einer Verkehrssicherungspflicht inhaltlich gleichkommt, besteht kein Grund dafür, ihr den drittschützenden Charakter im Sinne des § 839 Abs. 1 Satz 1 BGB zu versagen. Dies entspricht der Systematik des Amtshaftungsrechts, nach der die Drittgerichtetheit jeder Amtspflicht anhand ihres jeweiligen Schutzzwecks einzeln zu bestimmen ist.

Rz. 12

2. Das Berufungsgericht hat eine Pflichtverletzung des Beklagten bereits wegen fehlender Maßnahmen zur Erweiterung oder Entfernung der seiner Auffassung nach zu gering dimensionierten Rohrdurchlässe im Bereich des Grundstücks K.      angenommen und sich - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - mit den weiteren dem Beklagten vorgeworfenen Versäumnissen nicht mehr befasst. Jedoch genügen die im Zusammenhang mit den Rohrdurchlässen getroffenen Feststellungen nicht, um eine Haftung des Beklagten anzunehmen.

Rz. 13

a) Es ist im Berufungsurteil offengeblieben, wer für die Rohrdurchlässe unterhaltungs- und dementsprechend auch verkehrssicherungspflichtig war (vgl. dazu Czychowski/Reinhardt, aaO, § 36 Rn. 27) und damit für die nötigen Erhaltungsmaßnahmen oder für eine - hier näherliegende - nicht von der Unterhaltung im Sinne des § 36 WHG erfasste bauliche Veränderung zu sorgen hatte, um Schäden abzuwenden.

Rz. 14

Ob eine Anlage in die Unterhaltungslast des Gewässerunterhaltungspflichtigen fällt (§ 39 WHG) oder sie unterhaltungsrechtlich selbständig zu betrachten ist (vgl. dazu § 36 Satz 1 WHG in der bis zum 4. Januar 2018 geltenden Fassung; jetzt: § 36 Abs. 1 WHG; sowie § 60 Abs. 1 WG LSA), richtet sich nach ihrer Ausgestaltung und Funktion (BVerwGE 168, 86 Rn. 37 mwN). Hat die Anlage eine wasserwirtschaftliche Zielsetzung, wird sie von der Gewässerunterhaltungspflicht miterfasst, anderenfalls trägt derjenige, der die Vorteile der Anlage nutzt, regelmäßig ihr Eigentümer oder Betreiber, die Unterhaltungslast (vgl. zB Senat, Urteil vom 24. Februar 1994 - III ZR 4/93, BGHZ 125, 186, 193; BVerwG aaO Rn. 37 f; OVG Koblenz, NVwZ-RR 2001, 20 f; OVG Münster, ZfW 1994, 373, 374 f; VG Magdeburg, BeckRS 2020, 21674 Rn. 24; VG Düsseldorf, Urteil vom 4. September 2015 - 17 K 1997/14, juris Rn. 24; VG Aachen, BeckRS 2011, 54682 [Seite 3]; BeckOK UmweltR/Riedel, 62. Ed. [Stand: 1. April 2022], § 36 Rn. 7). Soll mit der Verrohrung oder dem Durchlass in einem Gewässer allein die Nutzbarkeit eines Grundstücks verbessert werden, dient sie ausschließlich privatrechtlichen Zwecken (vgl. zB OLG Hamm, Urteil vom 3. Mai 2010 - 6 U 142/09, juris Rn. 21; dass. NVwZ-RR 2003, 107, 108; OVG Koblenz aaO; OVG Münster aaO; dass., Urteil vom 22. August 1991 - 20 A 1272/90, ZfW 1992, 387, 388; VG Magdeburg aaO; VG Düsseldorf aaO Rn. 30, 34; VG Aachen, BeckRS 2011 aaO und BeckRS 2006, 22964; Czychowski/Reinhardt, aaO, § 36 Rn. 25). Die Pflichten zur Unterhaltung solcher Anlagen sind keine Gewässerunterhaltungspflichten (OVG Münster jew. aaO; Czychowski/Reinhardt, aaO Rn. 26).

Rz. 15

Mangels entgegenstehender tatrichterlicher Feststellungen ist im Revisionsverfahren zugunsten des Beklagten davon auszugehen, dass den Rohrdurchlässen der wasserwirtschaftliche Zweck fehlte und dementsprechend der Eigentümer oder Nutznießer für ihre Unterhaltung zuständig war. In diesem Fall obliegt auch die Überwachung der Einhaltung der insoweit bestehenden Pflichten nicht dem beklagten Unterhaltungsverband, sondern der unteren Wasserbehörde als Inhaberin der allgemeinen Gewässeraufsicht (§ 100 WHG; § 12 Abs. 1 Satz 1 WG LSA; vgl. Czychowski/Reinhardt aaO Rn. 26; Kubitza in Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Stand: Dezember 2021, § 100 WHG Rn. 4 ff).

Rz. 16

b) Jedoch ist damit eine Haftung des Beklagten nicht ausgeschlossen. Vielmehr kommt ein Schadensersatzanspruch des Klägers gemäß § 839 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Art. 34 Satz 1 GG in Betracht, wenn den Bediensteten des Beklagten bei einer - vorliegend nicht durchgeführten - Gewässerschau auf Anhieb hätte auffallen müssen, dass die Rohrdurchlässe zu gering dimensioniert waren und die Gefahr bestand, dass sich an ihnen bei starker Belastung des Grabens ein Rückstau bilden konnte.

Rz. 17

aa) Gemäß § 67 Abs. 1 WG LSA ist es Zweck der Gewässerschau zu prüfen, ob die oberirdischen Gewässer ordnungsgemäß unterhalten werden. Gewässer erster und zweiter Ordnung sind regelmäßig zu (be)schauen. Die Pflicht zur Gewässerschau ist dem Beklagten nach den unangegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts für Gewässer zweiter Ordnung - also auch für den K.     graben - übertragen worden (§ 67 Abs. 2 Satz 1 WG LSA). Er hatte sie daher ebenso wie die (sonstigen) von ihm zu betreuenden Anlagen (vgl. § 67 WG LSA, § 44 f des Gesetzes über Wasser- und Bodenverbände, § 5 Abs. 1 der Satzung des Beklagten; vgl. Czychowski/Reinhardt aaO, § 36 Rn. 7, § 100 Rn. 21) regelmäßig - im Rahmen einer Sichtkontrolle - zu inspizieren. Der Schaupflicht unterfallen aber nicht die Anlagen in der Verantwortung Dritter (§ 60 Abs. 1 WG LSA, vgl. vorstehend).

Rz. 18

bb) Dies schließt indessen nicht aus, dass im Rahmen der Gewässerschau außerhalb der Unterhaltung liegende Gegebenheiten, die den Wasserabfluss beeinträchtigen, festgestellt werden, auf deren Beseitigung hingewirkt werden muss (ähnlich: Zeiler in Elsner/Zeiler, Niedersächsisches Wassergesetz, § 78 Rn. 2 [Stand: Oktober 2017]). Der Unterhaltungspflichtige muss auch jenseits des eigenen unmittelbaren Aufgabenbereichs tätig werden, wenn besondere Umstände dies gebieten, ohne dass dadurch die grundsätzliche Trennung der Verantwortungsbereiche verwischt wird (vgl. Senat, Urteil vom 15. Juni 2000 - III ZR 302/99, NVwZ 2000, 1209). Dementsprechend kann der Gewässerunterhaltungspflichtige im Einzelfall verpflichtet sein, auf eine von oberirdischen Gewässern oder ihren Anlagen ausgehende Gefahr hinzuweisen, um auf diese Weise auf eine Änderung des Zustands hinzuwirken. Er darf seine Augen vor einer zwar nicht in seinen Zuständigkeitsbereich fallenden, aber gleichwohl offensichtlichen Gefahrenquelle, bei der sich die Notwendigkeit baldiger Abwehrmaßnahmen geradezu aufdrängt, nicht verschließen (vgl. zB Senat aaO S. 1209 f; zu entsprechenden Hinweispflichten etwa im sozialrechtlichen Bereich zB Senat, Urteile vom 11. März 2021 - III ZR 27/20, NVwZ-RR 2021, 671 Rn. 17 und vom 2. August 2018 - III ZR 466/16, NJW 2019, 68 Rn. 14; jew. mwN). Andernfalls handelt er amtspflichtwidrig im Sinne des § 839 Abs. 1 Satz 1 BGB. Der Beklagte wäre daher anlässlich einer von ihm durchzuführenden Gewässerschau verpflichtet gewesen, den Landkreis als die mit der notwendigen Eingriffsbefugnis (vgl. § 100 Abs. 1 Satz 2 WHG; § 11 Satz 3 WG LSA) ausgestattete zuständige Aufsichtsbehörde auf einen Missstand hinzuweisen, sofern bei der Besichtigung eine von den Durchlässen ausgehende Gefahrenlage für den ordnungsgemäßen Wasserabfluss so offenkundig gewesen wäre, dass sie ihm unabhängig von einer genaueren Betrachtung hätte "ins Auge springen" müssen.

Rz. 19

cc) Vorliegend mangelt es jedoch bereits an tragfähigen Feststellungen dazu, dass der Beklagte die Gewässerschau pflichtwidrig unterlassen hat. Die gegenteilige Würdigung des Berufungsgerichts ist von Rechtsfehlern beeinflusst.

Rz. 20

Das Berufungsgericht ist auf der Grundlage der Aussage der vor dem Landgericht vernommenen Zeugin B.       davon ausgegangen, dass der K.      graben seit Jahren nicht beschaut worden war und es auch keinen konkreten Plan gab, wonach die Gewässer in der Zuständigkeit des Beklagten in einem bestimmten Turnus kontrolliert wurden. Dies allein genügt jedoch nicht, um ein pflichtwidriges Unterlassen des Beklagten feststellen zu können.

Rz. 21

§ 67 Abs. 1 Satz 2 WG LSA schreibt - wie die Vorinstanz zutreffend ausführt - keine bestimmten Kontrollintervalle vor, sondern nur, dass die Gewässer - hier der zweiten Ordnung - "regelmäßig zu schauen" sind. Dies bedeutet nicht, dass alle betroffenen Gewässer auf ihrer gesamten Länge gleichermaßen oft kontrolliert werden müssen, sondern es eröffnet dem Beklagten einen Beurteilungsspielraum, die Häufigkeit der Beschau der von ihm zu unterhaltenden Gewässer an den - zum Beispiel aufgrund geografischer oder hydrologischer Besonderheiten bestehenden - konkreten Erfordernissen auszurichten. So werden etwa zu Versandung oder Verkrautung neigende Gewässer in der Nähe von Wohngebieten insbesondere, wenn sie bereits ausgeufert sind, öfter zu beschauen sein als solche, die in der Vergangenheit keine oder wenige Probleme bereitet haben oder außerhalb eines bebauten Gebiets liegen. Anlass zur Beschau wird überdies bestehen, wenn es Hinweise auf einen unzureichenden Wasserabfluss beziehungsweise notwendige Unterhaltungsmaßnahmen - sei es aus der Bevölkerung oder in sonstiger Weise - gegeben hat.

Rz. 22

Davon geht zwar im Ausgangspunkt auch das Berufungsgericht aus, das angenommen hat, als problemlos geltende Gewässer müssten nicht so oft kontrolliert werden wie solche, die zum Übertreten neigten. In Bezug auf den K.     graben hat es jedoch keine Feststellungen dazu getroffen, in welchen Abständen unter Berücksichtigung der konkreten Umstände eine Gewässerschau geboten war. Allein der Umstand, dass der Graben vor dem Hochwasserereignis "seit Jahren" nicht mehr beschaut worden ist, stellt für sich betrachtet noch keine Pflichtverletzung dar, auch wenn es einen Plan, der sicherstellt, dass die verschiedenen Gewässer nach einem bestimmten System wiederkehrend kontrolliert werden, nicht gibt. Vielmehr hätte es näherer Erkenntnisse dazu bedurft, welcher Unterhaltungsbedarf und welches damit gegebenenfalls im Zusammenhang stehende Gefahrenpotential vom K.      graben ausging, die dessen Beschau innerhalb eines bestimmten - nicht eingehaltenen - Zeitabstands vor dem Schadensereignis erforderten und wie sich dies in die sonstigen Schautermine - anderer möglicherweise zu priorisierender Gewässer - einfügte. Ohne Kenntnis der Einzelfallumstände kann eine nicht mehr hinzunehmende Überschreitung eines solchermaßen ermittelten Intervalls nicht festgestellt werden. Auch ein abzuarbeitender Plan, der ein bloßes Hilfsmittel zur Einhaltung der Pflichten darstellt, kann nur auf der Grundlage solcher Überlegungen erstellt werden.

Rz. 23

dd) Weitere Voraussetzung ist, dass sich anlässlich einer solchen Gewässerschau den Bediensteten der Beklagten nach Maßgabe der obigen Ausführungen eine Unterdimensionierung der Rohrdurchlässe bei einer Sichtkontrolle hätte aufdrängen müssen.

Rz. 24

Hiervon ist das Berufungsgericht im Ergebnis ausgegangen. Seine diesbezüglichen Feststellungen beruhen jedoch ebenfalls auf einem Rechtsfehler.

Rz. 25

Die Würdigung des Oberlandesgerichts, dem Vortrag des Beklagten sei nicht zu entnehmen, dass "wasserwirtschaftlich geschultem Personal" bei einer Gewässerschau im Vorfeld des Schadensereignisses die Durchmesser der Rohrdurchlässe hätten unverdächtig erscheinen müssen, weil Rohrleitungen den Wasserabfluss generell behinderten und daher großzügig dimensioniert sein müssten, beruht auf der Verkennung der Darlegungs- und Beweislast. Die Vor-aussetzungen für einen Schadensersatzanspruch trägt grundsätzlich derjenige, der ihn geltend macht (vgl. insbesondere zur Kausalität BGH, Urteil vom 7. Februar 2012 aaO Rn. 9). Die Vorinstanz geht indessen von einer Art tatsächlicher Vermutung aus, dass von jedem Rohrdurchlass eine potentielle Gefahr für den Wasserabfluss ausgeht, die der Unterhaltspflichtige entkräften muss (vgl. zur tatsächlichen Vermutung zB BGH, Urteil vom 2. März 1999 - VI ZR 175/98, NJW 1999, 2273, 2274). Es ist aber nicht ersichtlich, woraus sich ein entsprechender Erfahrungssatz herleiten ließe, zumal es für die Frage der ausreichenden Kapazität eines Durchlasses auf die konkreten Einzelfallumstände ankommt. Auf die - überdies wohl berechtigte - Verfahrensrüge der Revision, das Berufungsgericht habe sich bei der Beurteilung, was wasserwirtschaftlich geschultem Personal hätte auffallen müssen, nicht vorhandene Sachkunde angemaßt, kommt es damit nicht mehr an.

III.

Rz. 26

Das Berufungsurteil kann aus diesen Gründen keinen Bestand haben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Es ist aufzuheben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 ZPO). Im neuen Berufungsrechtszug wird sich die Vorinstanz gegebenenfalls auch mit den weiteren vom Kläger dem Beklagten vorgeworfenen Pflichtverletzungen zu befassen haben, zu denen es - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - bislang keine Feststellungen getroffen hat, weshalb der Senat auch keine Veranlassung hat, auf diese Fragen im vorliegenden Verfahrensstadium einzugehen.

Herrmann     

Reiter     

Arend 

Böttcher     

Herr     

 

Fundstellen

Haufe-Index 15547285

BGHZ 2023, 206

NJW 2023, 8

NVwZ-RR 2023, 401

NVwZ 2023, 860

NVwZ 2023, 9

IBR 2023, 213

JZ 2023, 180

JuS 2023, 1087

MDR 2023, 434

NuR 2023, 430

VersR 2023, 312

ZUR 2023, 235

DVBl. 2023, 409

r+s 2023, 282

UWP 2022, 213

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge