Leitsatz (amtlich)

Das Familienprivileg des § 116 Abs. 6 SGB X erstreckt sich nicht auf die Partner einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft.

 

Normenkette

SGB X § 116

 

Verfahrensgang

LG München I (Urteil vom 04.12.1986)

 

Tenor

Die Sprungrevision der Beklagten gegen das Urteil der 19. Zivilkammer des Landgerichts München I vom 4. Dezember 1986 wird zurückgewiesen.

Die Kosten der Revision hat die Beklagte zu tragen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Die Klägerin, eine Ersatzkrankenkasse, verlangt von der Beklagten als Haftpflichtversicherer des Hans Ulrich B. die Erstattung eines Teils ihrer Aufwendungen für ihr Mitglied Helga E., die am 22. April 1984 bei einem Verkehrsunfall als Beifahrerin auf dem Motorrad des B. schwer verletzt worden ist. B., der die Schuld an dem Unfall trägt, lebt seit 1982 mit Frau E. in eheähnlicher Lebensgemeinschaft.

Die Klägerin beruft sich für einen Teilbetrag von 24.000 DM auf einen Anspruchsübergang nach § 116 Abs. 1 SGB X und für einen weiteren Teilbetrag von 16.500 DM auf ein zwischen den Parteien bestehendes Teilungsabkommen. Die Beklagte macht geltend, der Klägerin stünden die Klageansprüche nicht zu; nach § 116 Abs. 6 SGB X und der dieser Vorschrift inhaltlich entsprechenden Regelung des § 1 Abs. 6 des Teilungsabkommens könne sie wegen der zwischen B. und E. bestehenden eheähnlichen Lebensgemeinschaft einen Regreß nicht geltend machen. Die Klägerin meint, Partner einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft seien nicht Familienangehörige im Sinne des § 116 Abs. 6 SGB X bzw. § 1 Abs. 6 des Teilungsabkommens.

Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Mit der Sprungrevision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.

 

Entscheidungsgründe

I.

Daß die Beklagte nach § 823 BGB, § 3 PflVG der Klägerin aufgrund des Anspruchsübergangs gemäß § 116 Abs. 1 SGB X bzw. des Teilungsabkommens zum Ersatz in Höhe der Klageforderung verpflichtet ist, wenn nicht das Familienprivileg des § 116 Abs. 6 SGB X bzw. des § 1 Abs. 6 des Teilungsabkommens eingreift, steht außer Streit. § 116 Abs. 6 SGB X bestimmt:

„Ein Übergang nach Absatz 1 ist bei nicht vorsätzlichen Schädigungen durch Familienangehörige, die im Zeitpunkt des Schadensereignisses mit dem Geschädigten oder seinen Hinterbliebenen in häuslicher Gemeinschaft leben, ausgeschlossen. Ein Ersatzanspruch nach Absatz 1 kann dann nicht geltend gemacht werden, wenn der Schädiger mit dem Geschädigten oder einem Hinterbliebenen nach Eintritt des Schadensereignisses die Ehe geschlossen hat und in häuslicher Gemeinschaft lebt”.

§ 1 Abs. 6 des Teilungsabkommens beschreibt den Haftungsausschluß in ähnlicher Weise.

Nach Auffassung des Landgerichts stehen dem Anspruch der Klägerin die vorgenannten Regreßausschlußtatbestände nicht entgegen. B. sei im Verhältnis zu E. nicht Familienangehöriger im Sinne dieser Regelungen. Das folge daraus, daß beide gegeneinander keine Unterhaltsansprüche hätten und jederzeit ohne rechtliche Folgen auseinandergehen könnten.

II.

Das Urteil hält zwar nicht in der Begründung, wohl aber im Ergebnis den Angriffen der Revision stand.

Da die übrigen Voraussetzungen des Regreßausschlusses nach § 116 Abs. 6 Satz 1 SGB X unstreitig vorliegen, kommt es für die Entscheidung des Rechtsstreits darauf an, ob die Partner einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft als Familienangehörige im Sinne dieser Vorschrift zu qualifizieren sind oder ob – wenn dies nicht möglich ist – die Vorschrift auf sie zumindest analog anwendbar ist. Beides ist nach Auffassung des Senats zu verneinen.

1. Der Begriff des Familienangehörigen, wie ihn § 116 Abs. 6 Satz 1 SGB X verwendet, erfaßt nicht den Partner in einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft.

a) Die Gesetzessprache verwendet den Begriff des Familienangehörigen nur sporadisch (z. B. in §§ 569 a, 1969 BGB; vgl. hierzu Staudinger/Göppinger, BGB, 12. Aufl., § 1589 Rdn. 31). Ein einheitlicher Begriffsinhalt läßt sich aus diesen vereinzelten Vorschriften nicht ableiten, vielmehr ist er für jede Regelung mit Blick auf ihren Sinn und Zweck gesondert zu ermitteln (vgl. Gernhuber, FamRZ 1981, 721, 725; Weber, DAR 1985, 1, 5).

Die Bestimmung von Sinn und Zweck des § 116 Abs. 6 SGB X erfordert die Heranziehung von § 67 Abs. 2 VVG. Die Gesetzesbegründung läßt nämlich deutlich werden, daß es dem Gesetzgeber darauf ankam, in § 116 Abs. 6 SGB X die in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. BGHZ 41, 79, 83; 54, 256, 258) entwickelten Rechtsgrundsätze zur Geltung zu bringen, nach denen der Forderungsübergang nach § 1542 RVO a.F. bei fahrlässigen Schädigungen durch Familienangehörige, die mit dem Versicherten in häuslicher Gemeinschaft leben, entsprechend der Regelung des § 67 Abs. 2 VVG ausgeschlossen ist (BT-Drucks. 9/95 S. 28; vgl. ferner Fenn, ZfS 1983, 107, 112 f.).

Dabei ist der Bundesgerichtshof davon ausgegangen, daß dieses sog. Familienprivileg einem doppelten Zweck dient. Es will einmal im Interesse des häuslichen Familienfriedens verhindern, daß Streitigkeiten über die Verantwortung von Schadenszufügungen gegen Familienangehörige ausgetragen werden; gleichzeitig will es vermeiden, daß der Versicherte durch den Rückgriff mittelbar selbst in Mitleidenschaft gezogen wird. Familienangehörige, die in häuslicher Gemeinschaft zusammenleben, bilden meist eine wirtschaftliche Einheit, so daß bei Durchführung des Rückgriffs der Geschädigte im praktischen Ergebnis das, was er mit der einen Hand erhalten hat, mit der anderen wieder herausgeben müßte (vgl. BGHZ 41, 79, 83; 54, 256, 263; 66, 104, 105; Senatsurteile vom 9. Mai 1972 – VI ZR 40/71 – VersR 1972, 764, 765; vom 5. Dezember 1978 – VI ZR 233/77 – VersR 1979, 256, 257; vom 12. November 1985 – VI ZR 223/84 – VersR 1986, 333, 334).

Mit Blick auf diese Schutzzwecke hat der Senat den Begriff des Familienangehörigen im Sinne des § 67 Abs. 2 VVG extensiv ausgelegt. Danach umfaßt dieser Begriff alle Personen, die miteinander verwandt, verschwägert oder verheiratet sind, ohne daß auf den Grad der Verwandtschaft (Schwägerschaft) abzustellen ist (vgl. Senatsurteil vom 15. Januar 1980 – VI ZR 270/78 – VersR 1980, 644, 645). Auch kommt es – im Gegensatz zur Auffassung des Landgerichts – nicht darauf an, ob gesetzliche Unterhaltsverpflichtungen bestehen. Der Begriff kann darüber hinaus sogar Personen erfassen, die wie das nichteheliche Kind und sein Vater nur blutmäßig, nicht auch rechtlich miteinander verbunden sind (vgl. Senatsurteil vom 15. Januar 1980 – VI ZR 181/78 – VersR 1980, 526, 527).

b) Der Senat hat im vorgenannten Urteil (aaO S. 527) offen gelassen, ob der Anwendungsbereich des § 67 Abs. 2 VVG auch auf die Partner einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft zu erstrecken ist. Ebenso hat er in früheren Urteilen ausdrücklich dahinstehen lassen, ob bereits ein Verlöbnis die Familienangehörigkeit im Sinne dieser Vorschrift begründen kann (Senatsurteile vom 9. Mai 1972 – VI ZR 40/71 – aaO S. 765 und vom 25. November 1975 – VI ZR 33/75 – VersR 1976, 289).

Nach der in der Literatur überwiegend vertretenen Auffassung sind die Partner einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft nicht Familienangehörige im Sinne des § 67 Abs. 2 VVG bzw. des § 116 Abs. 6 SGB X.

Zu § 67 Abs. 2 VVG: Beitzke, FamR, 24. Aufl., S. 15; Bosch, FamRZ 1980, 849, 853; Erman-Heckelmann, 7. Aufl., vor §§ 1353–1362 Rn. 12 a. E.;

Geigel/Schlegelmilch, Der Haftpflichtprozeß, 19. Aufl., Kap. 13 Rn. 16; Palandt/Diederichsen, BGB, 46. Aufl., Einführung vor § 1353 Anm. 8 a; Prölss/Martin, VVG, 23. Aufl., § 67 Anm. 7; Stiefel/Hofmann, Kraftfahrtversicherung, 13. Aufl., nach § 13 AKB Rn. 52 a.E.; Wussow, Unfallhaftpflichtrecht, 13. Aufl., Rn. 1418;

zu § 116 Abs. 6 SGB X: Geigel/Plagemann, aaO Kap. 30 Rn. 78;

zu beiden Vorschriften: Becker, VersR 1985, 201, 206; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 10. Aufl., S. 973 a; Clausing/Dörr/Herrmann/Schöning, SGB X, § 116 Anm. 8; Grüner/Dalichau/Podlech/Prochnow, SGB X/3, § 116 Anm. 2; von Maydell/Schellhorn, GK-SGB X 3, § 116 Rn. 435; Schroeder-Printzen, SGB X, § 116 Anm. 7.1; Soergel/Lange, BGB, Nachträge zur 11. Aufl., Anhang § 1588 Rn. 57; 23. Deutscher Verkehrsgerichtstag, (VGT 85), Empfehlungen des Arbeitskreises II, S. 10; Weber, aaO S. 6 ff; 8; Wussow/Küppersbusch, Ersatzansprüche bei Personenschäden, 4. Aufl., Rn. 509;

anderer Ansicht: (zu § 67 Abs. 2 VVG) AG München DAR 1981, 358; Deutsch, Versicherungsvertragsrecht, Rn. 268; Müller, SGb 1981, 191, 192; Rogalski, AnwBl. 1983, 358, 361 f.; Schwab, Familienrecht, 4. Aufl., Rn. 29; (zu beiden Vorschriften Kandlbinder, VGT 85, 102, 112 ff.).

Nach Auffassung des Senats kann § 116 Abs. 6 Satz 1 SGB X nicht unmittelbar auf die eheähnlichen Lebensgemeinschaften angewandt werden. Zwar ist die eheähnliche Lebensgemeinschaft ein sozialer Tatbestand, der seit Jahrhunderten bekannt ist (vgl. Becker, aaO S. 206); sie wurde jedoch erst im letzten Jahrzehnt zu einem häufig diskutierten juristischen Problem. Läßt sich für die Verfasser des BGB noch feststellen, daß für sie nicht vorhersehbar war, in welchem Ausmaß eheähnliche Lebensgemeinschaften praktiziert und geduldet werden würden, so gilt dies nicht mehr für den Gesetzgeber des SGB X. Zur Zeit der Gesetzesberatung – Beschlußempfehlung und Bericht des federführenden Bundestagsausschusses datieren vom 17. Juni 1982 (BT-Drucks. 9/1753) – war die eheähnliche Lebensgemeinschaft als soziales und juristisches Problem voll in der Diskussion. Bereits 1977 wurde die Zahl der eheähnlichen Verbindungen in der Bundesrepublik Deutschland auf eine Million geschätzt (vgl. BGHZ 84, 36, 38 m.w.N.). Sie war von 1972 bis 1982 um etwa 277 % angestiegen; im Jahr des Inkrafttretens der gesetzlichen Regelung (1983) gab es etwa 1,25 Millionen Haushalte, in denen Paare zusammenlebten, ohne verheiratet zu sein (vgl. Nichteheliche Lebensgemeinschaften in der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 170 der Schriftenreihe des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit, S. 12 und 147). Trotz der Bedeutung, die – schon von ihrer Zahl her – die eheähnliche Lebensgemeinschaft in der Rechtswirklichkeit inzwischen erlangt hat, hat der Gesetzgeber bisher davon abgesehen, sich zu diesem Problem in einer Weise zu äußern, die verallgemeinerungsfähige Rückschlüsse auf seine Wertungen oder Tendenzen zuläßt; § 122 Satz 1 BSHG und § 18 Abs. 2 Nr. 2 Wohngeldgesetz, die die nichteheliche Lebensgemeinschaft ausdrücklich oder der Sache nach ansprechen, enthalten Sonderregelungen, die solche Rückschlüsse nicht gestatten. Die Zurückhaltung des Gesetzgebers erlaubt nur den Schluß, daß er im Zusammenhang mit der Regelung des Familienprivilegs die Problematik der eheähnlichen Lebensgemeinschaft sehenden Auges nicht aufgegriffen hat. Damit entfällt die Möglichkeit, § 116 Abs. 6 Satz 1 SGB X unmittelbar dahin auszulegen, daß der Begriff des Familienangehörigen auch den Partner in einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft erfaßt (vgl. Weber, aaO S. 7, 9 m.w.N.).

2. Die damit verbleibende Frage, ob § 116 Abs. 6 SGB X auf die Partner einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft nicht jedenfalls analog anwendbar ist, ist nach Auffassung des Senats gleichfalls zu verneinen.

Allerdings würde sich der Senat nicht aus grundsätzlichen Erwägungen an der rechtsfortbildenden analogen Anwendung des § 116 Abs. 6 SGB X auf die eheähnliche Lebensgemeinschaft gehindert sehen. Das Schutzgebot des Art. 6 Abs. 1 GG würde hierdurch nicht berührt; Ehe und Familie würden durch die analoge Anwendung des § 116 Abs. 6 SGB X nicht diskriminiert. Schon in seiner bisherigen Rechtsprechung zu § 67 Abs. 2 VVG ist der Senat davon ausgegangen, daß der Begriff des Familienangehörigen auch Personen umfassen kann, die ohne familienrechtliche Verbindung, sei es aufgrund vertraglicher Vereinbarung oder auch rein tatsächlich, mit anderen in einer Weise zusammenleben, die einem Familienverband ähnlich ist und daher wegen der damit verbundenen wirtschaftlichen Zusammengehörigkeit den Schutz des § 67 Abs. 2 VVG erfordern (vgl. Senatsurteil vom 15. Januar 1980 – VI ZR 181/78 – aaO S. 527). Es sprechen jedoch gewichtige Sachgründe gegen die Erstreckung des Privilegs des § 116 Abs. 6 SGB X auf die Partner einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft.

a) Der Senat verkennt nicht, daß die Konfliktsituation, die § 116 Abs. 6 SGB X verhindern will, in einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft vergleichsweise so wie in einer Familiengemeinschaft auftreten kann, wenn der Schädiger einem Regreß ausgesetzt ist. Allerdings würde eine Betrachtung, die die mit einem Regreß verbundene finanzielle Belastung allein in den Vordergrund rückte, einen gewichtigen Aspekt vernachlässigen. Die Schutzwirkung des § 116 Abs. 6 SGB X erfaßt nicht jede Wirtschaftsgemeinschaft von Schädiger und Geschädigtem, für die eine finanzielle Inanspruchnahme des Schädigers zugleich mittelbar eine Belastung des Geschädigten bedeuten kann. Vielmehr beschränkt sich die Haftungsprivilegierung auf solche Gemeinschaften, in denen Schädiger und Geschädigter (oder sein Hinterbliebener) nicht nur durch eine häusliche Gemeinschaft, sondern darüber hinaus durch eine gemeinsame Familienzugehörigkeit miteinander verbunden sind. § 116 Abs. 6 SGB X verfolgt damit das Ziel, den häuslichen Familienfrieden zu erhalten und zum Schutz der Familiengemeinschaft beizutragen. Die Bedeutung dieses Gesetzeszwecks wird durch seine besondere Betonung in der Gesetzesbegründung unterstrichen (vgl. BT-Drucks. 9/95 S. 28).

Nun wäre mit der erweiterten Anwendung des § 116 Abs. 6 SGB X auf eheähnliche Lebensgemeinschaften gleichfalls eine Befriedung zu erreichen. Dieses Argument ist indes dem Zweifel ausgesetzt, ob auch bei einem Gesetzesverständnis, das den objektivierten Willen des Gesetzgebers zum Maßstab nimmt und die Entstehungsgeschichte sowie die Gesetzesmaterialien in den Hintergrund treten läßt, die Einbeziehung der eheähnlichen Lebensgemeinschaft in den Wirkungsbereich des § 116 Abs. 6 SGB X noch dem Zweck der Norm, der von dem herkömmlichen Bild der Familie geprägt ist, entsprechen würde. Doch mag dies dahinstehen, weil die analoge Anwendung des § 116 Abs. 6 SGB X aus einem anderen Grund scheitert.

b) Entscheidend ist nach Auffassung des Senats, daß die Ausdehnung des § 116 Abs. 6 SGB X auf die eheähnliche Lebensgemeinschaft in der praktischen Rechtsanwendung zu Unsicherheiten führen würde, die wegen des nicht nur in der Privatversicherung, sondern auch in der Sozialversicherung besonders großen Bedürfnisses nach Berechenbarkeit und leicht feststellbaren typisierenden und pauschalierenden Tatbeständen hier nicht hinnehmbar erscheinen.

Aus der Vielzahl der möglichen Formen von Lebensgemeinschaften erwachsen einer Ausgrenzung, die hier nicht mehr nach den eher formalen Kriterien der Eheschließung oder des Status von Verwandtschaft und Schwägerschaft, sondern notwendig nach den sachlichen Kriterien einer inhaltlichen und zeitlichen Qualität der Gemeinschaft zu erfolgen hat, besondere Schwierigkeiten. Zwar mögen Sachgründe ausreichen, eine analoge Anwendung des Familienprivilegs auf die Lebensgemeinschaft von Mann und Frau etwa wegen herausgehobener Ähnlichkeiten mit einer ehelichen Lebensgemeinschaft zu begrenzen. Jedoch könnten auch aus dem Kreis dieser Lebensgemeinschaften allenfalls solche für eine analoge Gesetzesanwendung in Betracht kommen, die einer ehelichen Gemeinschaft wirklich ähnlich sind. Damit wäre eine weitere Eingrenzung auf solche Lebensgemeinschaften geboten, die bereits eine gewisse Verfestigung gefunden haben, die sich insbesondere in dem Grad der Verknüpfung der Lebenssphären beider Partner und ihrer Anlage auf Dauer ausdrückt. Selbst wenn sich hierfür sachangemessene Maßstäbe finden ließen, müßten diese, weil sie nach Inhalten zu qualifizieren hätten und diese nur in ihrer Komplexität gerecht zu erfassen wären, derart der jeweils individuellen, konkreten Lebensgestaltung verbunden sein, daß die hier notwendige typisierende und pauschalierende Ausgrenzung nicht möglich wäre. Abgesehen davon, daß die Betroffenen hierdurch zu Offenbarungen gezwungen würden, die ihren Eigenbereich – wenn nicht sogar ihre Intimsphäre – berühren würden, wäre der Beweiswert ihrer Bekundungen angesichts der Konfliktsituation, in der sie sich befinden, in besonderem Maße fragwürdig.

Alle diese Unsicherheiten – angefangen von dem Fehlen tauglicher Kriterien für eine sinnvolle analoge Erstreckung des Familienprivilegs bis hin zur situationsbedingten Fragwürdigkeit der erforderlichen Feststellungen – sind mit dem Gebot von Berechenbarkeit und einfacher Ermittlung der Tatbestände nicht zu vereinbaren. Es kommt hinzu, daß auch von der Sache her die Einbeziehung der Partner der eheähnlichen Lebensgemeinschaft in das Privileg des § 116 Abs. 6 SGB X nicht als dringende Notwendigkeit erscheint; denn sie haben die Möglichkeit, sich gegen die Risiken, um die es hier geht, auch außerhalb der KH-Versicherung zu versichern (vgl. § 4 Abs. 2 Nr. 2 a, § 7 Nr. 2 AHB).

 

Unterschriften

Dr. Steffen, Dr. Kullmann, Dr. Ankermann, Dr. Lepa, Dr. Birkmann

 

Fundstellen

BGHZ

BGHZ, 257

NJW 1988, 1091

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