Leitsatz (amtlich)

Ist dem Berufungskläger, der innerhalb der Berufungsbegründungsfrist lediglich die Gewährung von Prozesskostenhilfe beantragt, aufgrund einer bereits vorliegenden Entscheidung bekannt, dass das Berufungsgericht seine Angaben zur Bedürftigkeit für unzureichend hält, muss er, sofern er dem Mangel nicht abhilft, mit der Verweigerung der Prozesskostenhilfe ernsthaft rechnen. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen schuldloser Versäumung der Berufungsbegründungsfrist kann in diesem Fall nicht bewilligt werden.

 

Normenkette

ZPO §§ 114, 233

 

Verfahrensgang

OLG Hamburg (Beschluss vom 07.05.2010; Aktenzeichen 11 U 223/08)

LG Hamburg (Urteil vom 18.11.2008; Aktenzeichen 311 O 300/04)

 

Tenor

Die Rechtsbeschwerden des Beklagten gegen die Beschlüsse des 11. Zivilsenats des OLG Hamburg vom 7.5.2010 und vom 11.6.2010 werden auf Kosten des Beklagten als unzulässig verworfen.

Der Antrag des Beklagten, ihm für die Durchführung der Rechtsbeschwerden Prozesskostenhilfe zu bewilligen, wird zurückgewiesen.

Beschwerdewert: 893.945,57 EUR

 

Gründe

I.

Rz. 1

Der Kläger nimmt den Beklagten, der zwischen den Jahren 1999 und 2002 Mitglied des Vorstandes des Klägers und verschiedener Gesellschaften der H.-Gruppe war, aus eigenem und aus abgetretenem Recht auf Schadensersatz in Anspruch.

Rz. 2

Das LG hat dem Beklagten mit Beschluss vom 27.3.2006 Prozesskostenhilfe gewährt, soweit er sich gegen die den Betrag von 877.377,03 EUR übersteigende Klageforderung verteidigt, und den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe im Übrigen zurückgewiesen. Die sofortige Beschwerde des Beklagten hat das Beschwerdegericht durch Beschluss vom 23.8.2006 mit der Begründung zurückgewiesen, dass der Beklagte trotz mehrfacher Aufforderung seine Vermögensverhältnisse bzw. den Verbleib vorhanden gewesenen Vermögens nicht nachvollziehbar dargelegt habe.

Rz. 3

Mit inzwischen rechtskräftig gewordenem Teilurteil vom 9.5.2008 hat das LG den Beklagten zur Zahlung von 654.185,89 EUR nebst Zinsen an den Kläger verurteilt.

Rz. 4

Mit Schlussurteil vom 18.11.2008 hat das LG den Beklagten zur Zahlung weiterer 893.945,57 EUR nebst Zinsen verurteilt und die Klage im Übrigen abgewiesen. Der Beklagte hat fristgemäß Berufung gegen das Schlussurteil eingelegt und zugleich beantragt, ihm für das Berufungsverfahren Prozesskostenhilfe zu gewähren. Er hat die Berufung in der Berufungsbegründungsfrist nicht begründet.

Rz. 5

Mit Beschluss vom 30.4.2009 hat das Berufungsgericht die Parteien darauf hingewiesen, dass es beabsichtige, die Berufung gegen das Schlussurteil als unzulässig zu verwerfen, weil diese nicht fristgerecht begründet worden sei.

Rz. 6

Mit Beschluss vom 8.6.2009 hat das Berufungsgericht den Prozesskostenhilfeantrag des Beklagten für die zweite Instanz mangels Erfolgsaussicht zurückgewiesen. In dem Beschluss hat das Berufungsgericht ausgeführt, der Beklagte könne die Begründung der Berufung gegen das Schlussurteil nach der Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist nachholen. Der Beklagte hat fristgemäß Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Begründung der Berufung beantragt und zugleich die Berufung begründet.

Rz. 7

Mit dem angefochtenen Beschluss vom 7.5.2010 hat das Berufungsgericht den Antrag des Beklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist zurückgewiesen und darauf hingewiesen, dass es beabsichtige, die Berufung des Beklagten gegen das Schlussurteil als unzulässig zu verwerfen.

Rz. 8

Zur Begründung hat das Berufungsgericht ausgeführt, der Beklagte habe die Berufungsbegründungsfrist schuldhaft versäumt. Zu den Voraussetzungen der Wiedereinsetzung gehöre, dass die Partei ein vollständiges Gesuch um Prozesskostenhilfe vorlege und annehmen dürfe, bedürftig im Sinne der Kriterien zur Beurteilung der Prozesskostenhilfe zu sein. Da das Berufungsgericht bereits die sofortige Beschwerde des Beklagten gegen den zum Teil Prozesskostenhilfe versagenden Beschluss des LG mit der Begründung zurückgewiesen habe, dieser habe trotz mehrfacher Aufforderung den Verbleib vorhanden gewesenen Vermögens nicht nachvollziehbar dargelegt, habe der Beklagte nicht davon ausgehen können und dürfen, seine pauschale Angabe zur Existenz eines Kontos genüge den Anforderungen, die an einen vollständigen Prozesskostenhilfeantrag zu stellen seien.

Rz. 9

Weiter hat das Berufungsgericht ausgeführt, selbst wenn man eine Bedürftigkeit und deren Darlegung unterstelle, sei diese für die Fristversäumung nicht kausal gewesen. In dem gegen das Schlussurteil gerichteten Verfahren seien infolge der Berufungseinlegung des Beklagten die Verfahrensgebühren für den Rechtsanwalt und für das Gericht bereits angefallen. Da der Beklagte die Berufung gegen das Teilurteil fristgerecht begründet habe, hätte er näher darlegen müssen, warum in dem Berufungsverfahren gegen das Schlussurteil nun aufgrund Bedürftigkeit innerhalb der Berufungsbegründungsfrist keine Begründung habe eingereicht werden können.

Rz. 10

Mit dem weiteren angefochtenen Beschluss vom 11.6.2010 hat das Berufungsgericht die Berufung des Beklagten gegen das Schlussurteil als unzulässig verworfen.

Rz. 11

Gegen die Beschlüsse vom 7.5.2010 und vom 11.6.2010 wendet sich der Beklagte mit seinen Rechtsbeschwerden, mit denen er die Aufhebung der angefochtenen Beschlüsse und die Zurückverweisung der Sache zur erneuten Entscheidung anstrebt. Er beantragt die Gewährung von Prozesskostenhilfe für die Rechtsbeschwerden.

II.

Rz. 12

1. Die Rechtsbeschwerden sind statthaft (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. §§ 522 Abs. 1 Satz 4, 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO), aber unzulässig. Der von dem Beklagten geltend gemachte Zulässigkeitsgrund der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO) liegt nicht vor; insb. verstoßen die angefochtenen Beschlüsse nicht gegen das Willkürverbot.

Rz. 13

a) Nach ständiger Rechtsprechung des BGH ist ein Rechtsmittelführer, der vor Ablauf der Rechtsmittelfrist Bewilligung von Prozesskostenhilfe beantragt hat, bis zur Entscheidung über den Antrag als ohne sein Verschulden an der Einlegung des Rechtsmittels verhindert anzusehen, wenn er nicht nach den gegebenen Umständen vernünftigerweise mit der Ablehnung seines Antrags wegen fehlender Bedürftigkeit rechnen musste; ihm ist nach der Entscheidung über die Prozesskostenhilfe regelmäßig wegen der Versäumung der Frist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren (vgl. BGH v. 27.11.2007 - VI ZB 81/06, FamRZ 2008, 400 Rz. 14; BGH, Beschl. v. 3.12.2003 - VIII ZB 80/03, NJW-RR 2004, 1218, 1219; v. 8.5.2007 - VIII ZB 113/06, AnwBl. 2007, 625, 626; v. 16.11.2010 - VIII ZB 55/10, NJW-RR 2011, 230 Rz. 16; Musielak/Grandel, ZPO, 8. Aufl., § 233 Rz. 30; Zöller/Greger, ZPO, 28. Aufl., § 233 Rz. 23 "Prozesskostenhilfe"). Nichts anderes gilt, wenn der Rechtsmittelführer trotz seiner Mittellosigkeit einen Rechtsanwalt findet, der zwar bereit ist, schon vor der Bewilligung von Prozesskostenhilfe das Rechtsmittel - formularmäßig - einzulegen, nicht aber, auch eine Berufungsbegründung zu fertigen (vgl. BGH, Beschl. v. 3.12.2003 - VIII ZB 80/03, NJW-RR 2004, 1218, 1219; v. 8.5.2007 - VIII ZB 113/06, AnwBl. 2007, 625, 626).

Rz. 14

Wenn dem Rechtsmittelkläger bereits für den ersten Rechtszug Prozesskostenhilfe bewilligt worden ist, kann er bei im Wesentlichen gleichen Angaben zu den Vermögensverhältnissen erwarten, dass auch das Gericht des zweiten Rechtszuges ihn als bedürftig ansieht. Die Partei braucht nicht damit zu rechnen, dass das Rechtsmittelgericht strengere Anforderungen an den Nachweis der Bedürftigkeit stellt als das Erstgericht (vgl. BGH, Beschl. v. 23.2.2000 - XII ZB 221/99, NJW-RR 2000, 1387; Musielak/Grandel, ZPO, 8. Aufl., § 233 Rz. 30; Roth in Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl., § 234 Rz. 9).

Rz. 15

War die Erwartung der Gewährung von Prozesskostenhilfe nicht gerechtfertigt, weil die Partei selbst oder ihr Prozessbevollmächtigter erkennen konnte, dass die Voraussetzungen für eine Bewilligung der Prozesskostenhilfe nicht erfüllt oder nicht ausreichend dargetan waren, so kann die Wiedereinsetzung nicht erteilt werden (vgl. BGH v. 27.11.2007 - VI ZB 81/06, FamRZ 2008, 400 Rz. 14; BGH, Beschl. v. 26.11.1957 - VIII ZB 14/57, BGHZ 26, 99, 101; v. 26.6.1991 - XII ZB 49/91, NJW-RR 1991, 1532, 1533; Musielak/Grandel, ZPO, 8. Aufl., § 233 Rz. 30). Mit einer Verweigerung der Prozesskostenhilfe ist bereits dann zu rechnen, wenn das Rechtsmittelgericht auf Zweifel hinsichtlich der Bedürftigkeit der Prozesspartei hingewiesen hat und diese vernünftigerweise davon ausgehen musste, dass sie die Zweifel nicht ausräumen kann (vgl. BGH, Beschl. v. 13.1.2010 - XII ZB 108/09, NJW-RR 2010, 424 Rz. 5).

Rz. 16

b) Nach diesen Grundsätzen stellen die angefochtenen Entscheidungen sich nicht als fehlerhaft dar. Das Berufungsgericht hat in dem angefochtenen Beschluss vom 7.5.2010 anhand der Umstände des Streitfalls begründet, warum die Erwartung der Gewährung von Prozesskostenhilfe für die Berufung gegen das Schlussurteil nicht gerechtfertigt und der Wiedereinsetzungsantrag unbegründet waren; die Verwerfung der Berufung als unzulässig im Beschluss vom 11.6.2010 war die Konsequenz daraus.

Rz. 17

Das Berufungsgericht hat darauf abgestellt, dass es die sofortige Beschwerde des Beklagten gegen den Prozesskostenhilfe zum Teil versagenden Beschluss des LG vom 27.3.2006 mit Beschluss vom 23.8.2006 (vgl. die Fassung im Prozesskostenhilfe-Heft) mit der Begründung zurückgewiesen habe, der Beklagte habe trotz mehrfacher Aufforderung den Verbleib vorhanden gewesenen Vermögens nicht nachvollziehbar dargelegt. Dennoch habe der Beklagte in seiner Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nur erklärt, dass er über ein Bank-, Giro- oder Sparkonto verfüge, ohne nähere Einzelheiten mitzuteilen. Unter diesen Umständen konnte der Beklagte trotz teilweiser Bewilligung von Prozesskostenhilfe im ersten Rechtszug nicht erwarten, dass das Gericht des zweiten Rechtszugs ihn als bedürftig ansehen würde.

Rz. 18

Auf Vorgänge nach dem Ablauf der Berufungsbegründungsfrist kann der Beklagte einen Vertrauenstatbestand nicht mit Erfolg stützen. Diese Vorgänge können für die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist nicht ursächlich gewesen sein.

Rz. 19

2. Ob das Berufungsgericht zu Recht angenommen hat, für den Fall, dass man eine Bedürftigkeit und deren Darlegung unterstelle, sei diese für die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist nicht ursächlich gewesen, kann dahinstehen. Da diese Erwägung eine Hilfsbegründung darstellt und nicht entscheidungserheblich ist, kann der Beklagte die Zulässigkeit der Rechtsbeschwerde nicht auf diese Frage stützen (vgl. Wenzel in MünchKomm/ZPO, 3. Aufl., § 543 Rz. 15, 27; Musielak/Ball, ZPO, 8. Aufl., § 543 Rz. 9k; Zöller/Heßler, ZPO, 28. Aufl., § 574 Rz. 13a, § 543 Rz. 6a).

Rz. 20

3. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die Rechtsbeschwerden ist zurückzuweisen. Die Voraussetzungen dafür liegen nicht vor. Die Rechtsbeschwerden sind unzulässig. Die beabsichtigte Rechtsverfolgung bietet keine hinreichende Aussicht auf Erfolg (§ 114 ZPO).

 

Fundstellen

Haufe-Index 2859804

EBE/BGH 2012

FamRZ 2012, 296

NJW-RR 2012, 383

ZAP 2012, 256

MDR 2012, 180

NJ 2012, 6

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