Entscheidungsstichwort (Thema)

Zulassung der Revision. Nichtzulassungsbeschwerde wegen grundsätzlicher Bedeutung. Erledigung durch Entscheidung in anderer Sache

 

Leitsatz (amtlich)

Hätte eine Nichtzulassungsbeschwerde im Zeitpunkt ihrer Einlegung wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen werden müssen und erledigt sich dieser Zulassungsgrund vor der Entscheidung über die Nichtzulassungsbeschwerde durch eine Entscheidung des Revisionsgerichts in anderer Sache, ist die Revision gleichwohl zuzulassen, wenn sie Aussicht auf Erfolg hat. Anderenfalls ist die Beschwerde unter Hinweis auf die fehlende Erfolgsaussicht zurückzuweisen (im Anschluss an BGH, Beschl. v. 6.5.2004 - I ZR 197/03, MDR 2004, 1316 = BGHReport 2004, 1189, unter 2b; Beschl. v. 8.9.2004 - V ZR 260/03, unter II 2b bb).

 

Normenkette

ZPO § 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 i.d.F v. 2002

 

Verfahrensgang

OLG Bamberg (Urteil vom 10.10.2002; Aktenzeichen 1 U 153/99)

LG Coburg

 

Tenor

Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des 1. Zivilsenats des OLG Bamberg v. 10.10.2002 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

Streitwert: 40.912 EUR

 

Gründe

I. Die Parteien sind Versicherungsgesellschaften und streiten darum, wer von ihnen letztlich für die Kosten des Rücktransports eines in Afrika schwer erkrankten Versicherten nach Deutschland einzustehen hat. Der Versicherte war Mitglied der D. R., die mit der Klägerin eine Flugrückholkostenversicherung abgeschlossen hatte, den Rücktransport durchführte und dem Versicherten in Rechnung stellte. Diese Kosten wurden zunächst von der Klägerin getragen, die nach den Versicherungsbedingungen aber Regress nehmen konnte, soweit dem Versicherten ein Deckungsanspruch gegen einen anderen, primär haftenden Versicherer zustand. Im vorliegenden Fall war der über die D. R. bei der Klägerin Versicherte außerdem bei der Beklagten krankenversichert. Gegenüber dem Regressanspruch der Klägerin hat sich die Beklagte u.a. auf ein Abtretungsverbot in ihren Allgemeinen Geschäftsbedingungen, auf die Unwirksamkeit der von der Klägerin verwendeten Klauseln über deren nur subsidiäre Haftung sowie auf die Unanwendbarkeit des § 67 Abs. 1 VVG für den hier geltend gemachten Rückgriffsanspruch berufen.

Die Vorinstanzen haben der Klage im Wesentlichen stattgegeben. Das Berufungsgericht hat die Revision nicht zugelassen. Dagegen wendet sich die Beklagte mit ihrer Beschwerde.

II. Die Beschwerde hat im Ergebnis keinen Erfolg.

1. a) Die Beklagte macht geltend, die Revision müsse zur Klärung der folgenden drei Grundsatzfragen gem. § 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 ZPO zugelassen werden, nämlich ob ein formularmäßiges Abtretungsverbot in Allgemeinen Geschäftsbedingungen der privaten Krankenversicherung wirksam sei, ob Subsidiaritätsklauseln im Rahmen von Flugrückholkostenversicherungen einer Inhaltskontrolle standhielten und ob eine Regressberechtigung aus § 67 Abs. 1 VVG auch dann angenommen werden könne, wenn der Subsidiärversicherer Zahlungen in Kenntnis seiner nachrangigen Zahlungsverpflichtung leiste.

b) Diese Fragen sind durch das Urteil des Senats v. 21.4.2004 (BGH v. 21.4.2004 - IV ZR 113/03, MDR 2004, 1118 = BGHReport 2004, 1155 = VersR 2004, 994) geklärt worden. Die Besonderheiten des vorliegenden Falles rechtfertigen keine Abweichungen oder Ergänzungen. Allein deshalb kann die Beschwerde hier jedoch nicht zurückgewiesen werden.

2. a) Die Nichtzulassungsbeschwerde ist hier bereits am 15.11.2002 eingelegt worden, also vor dem Urteil des Senats v. 21.4.2004. Im Zeitpunkt der Einlegung der Beschwerde hätte der geltend gemachte Zulassungsgrund des § 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 ZPO nicht verneint werden können. Mithin konnte der Beschwerdeführer davon ausgehen, dass in einem Revisionsverfahren über die im Allgemeininteresse liegende Klärung der Zulassungsfragen hinaus in seinem individuellen Interesse auch eine volle Überprüfung des Berufungsurteils auf Rechtsfehler stattfinden werde (zu den Zielen des Revisionsverfahrens nach neuem Recht vgl. allgemein BVerfG v. 8.1.2004 - 1 BvR 864/03, NJW 2004, 1371; Wenzel, NJW 2002, 3353 f.).

Diese verfahrensrechtliche Position darf dem Beschwerdeführer nicht durch das Revisionsgericht dadurch entzogen werden, dass durch seine - vom Beschwerdeführer nicht veranlasste oder auch nur voraussehbare - Arbeits- und Entscheidungsreihenfolge die vom Beschwerdeführer geltend gemachten Zulassungsgründe vor der Entscheidung über seine Nichtzulassungsbeschwerde in einem anderen Verfahren geklärt werden (so auch BGH, Beschl. v. 6.5.2004 - I ZR 197/03, MDR 2004, 1316 = BGH-Report 2004, 1189, unter 2b; Beschl. v. 8.9.2004 - V ZR 260/03, unter II 2b bb). Eine solche Verfahrensweise würde gegen die in Art. 19 Abs. 4, 20 Abs. 3 GG verbürgten Erfordernisse der Rechtsmittelklarheit, der Vorhersehbarkeit staatlichen Handelns sowie der Effektivität des gerichtlichen Rechtsschutzes verstoßen (vgl. BVerfGE 49, 148 [164]; BVerfG v. 11.2.1987 - 1 BvR 475/85, BVerfGE 74, 228 [234] = MDR 1987, 728 = CR 1987, 374; v. 30.4.1997 - 2 BvR 817/90, 2 BvR 728/92, 2 BvR 802/95, 2 BvR 1065/95, BVerfGE 96, 27 [39]).

b) Anders kann es allerdings liegen, wenn sich die Zulassungsgründe vor der Entscheidung über die Nichtzulassungsbeschwerde etwa auf Grund einer dem Revisionsgericht unzugänglichen Entwicklung der tatsächlichen Verhältnisse des zu beurteilenden Sachverhalts erledigt haben (wie im Beschluss des BGH, Beschl. v. 12.3.2003 - IV ZR 278/02, MDR 2003, 644 = BGHReport 2003, 693 = NJW 2003, 1609, unter II 2a). Denn für die Frage, ob die Revision im Hinblick auf § 543 Abs. 2 S. 1 ZPO zuzulassen ist, kommt es grundsätzlich auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Revisionsgerichts über die Nichtzulassungsbeschwerde an (BGH, Beschl. v. 20.11.2002 - IV ZR 197/02, MDR 2003, 284 = BGHReport 2003, 305 = NJW-RR 2003, 352; Beschl. v. 12.3.2003 - IV ZR 278/02, MDR 2003, 644 = BGHReport 2003, 693 = NJW 2003, 1609, unter II 2a; Beschl. v. 8.4.2003 - XI ZR 193/02, MDR 2003, 1009 = BGHReport 2003, 902 = NJW 2003, 2319, unter 2c; Beschl. v. 13.8.2003 - XII ZR 303/02, BGHReport 2003, 1298 = MDR 2004, 44 = NJW 2003, 3352, unter II 6; Beschl. v. 8.9.2004 - V ZR 260/03, unter II 2b aa).

c) Danach sind in verfassungskonformer Auslegung von §§ 543 Abs. 2 S. 1, 544 Abs. 4 ZPO bei einer Beschwerde, die im Zeitpunkt ihrer Einlegung wegen grundsätzlicher Bedeutung hätte zugelassen werden müssen, bei der sich dieser Zulassungsgrund aber wie hier durch eine Entscheidung des Revisionsgerichts in anderer Sache erledigt hat, die Erfolgsaussichten des Beschwerdeführers gleichwohl in vollem Umfang vom Revisionsgericht zu prüfen. Die Revision ist zuzulassen, wenn sie Aussicht auf Erfolg hat. Andernfalls ist die Beschwerde unter Hinweis auf die fehlenden Erfolgsaussichten zurückzuweisen (vgl. BGH, Beschl. v. 6.5.2004 - I ZR 197/03, MDR 2004, 1316 = BGHReport 2004, 1189, unter 2b; Beschl. v. 8.9.2004 - V ZR 260/03, unter II 2b bb, 2.).

3. Dementsprechend hat der Senat das hier angegriffene Berufungsurteil auf Rechtsfehler zum Nachteil der Beklagten überprüft. Soweit in der Nichtzulassungsbeschwerde Rechtsfehler gerügt werden, stehen sie im Zusammenhang mit den geltend gemachten Zulassungsgründen und können aus den im Senatsurteil v. 21.4.2004 (BGH v. 21.4.2004 - IV ZR 113/03, MDR 2004, 1118 = BGHReport 2004, 1155 = VersR 2004, 994) genannten Gründen keinen Erfolg haben. Soweit der Beschwerdeführer insbes. geltend macht, im vorliegenden Fall bestehe - anders als im Falle des Senatsurteils v. 21.4.2004 - keine Vorleistungspflicht des Subsidiärversicherers und ohne eine solche Verpflichtung sei die vereinbarte Subsidiaritätsklausel unwirksam (§ 9 AGBG), rechtfertigt dieser Einwand keine andere Beurteilung. Nach Maßgabe der Ziff. 6.4 der dem Vertrag zwischen der Klägerin und der D. R. zu Grunde liegenden "Geschriebenen Bedingungen" erfolgen die Schadenszahlungen monatlich für all diejenigen Schäden, bei denen die Unterlagen vollständig vorliegen (dazu vgl. Ziff. 6.3 der Bedingungen); Ziff. 6.6 bestimmt ergänzend, dass der Rückgriff auf andere eventuell bestehende Kostenträger durch den Versicherer erfolgt. Eine Vorleistung durch die Klägerin entspricht damit den vertraglichen Vereinbarungen; mit ihr wird innerhalb des bestehenden Versicherungsverhältnisses ein Schaden ersetzt, der unter den genommenen Versicherungsschutz fällt (vgl. BGH, Urt. v. 23.11.1988 - IVa ZR 143/87, MDR 1989, 525 = VersR 1989, 250, unter 3).

 

Fundstellen

Haufe-Index 1268460

BGHR 2005, 325

FamRZ 2005, 195

NJW-RR 2005, 438

MDR 2005, 411

VersR 2005, 809

ProzRB 2005, 152

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