Entscheidungsstichwort (Thema)

Widerruf der Kostenstundung im Insolvenzverfahren. Beurteilungszeitpunkt

 

Leitsatz (amtlich)

Für die Entscheidung, ob die Stundung der Kosten des Insolvenzverfahrens widerrufen werden kann, weil die persönlichen oder wirtschaftlichen Voraussetzungen nicht vorgelegen haben, ist auf den Zeitpunkt der letzten Tatsachenentscheidung über die Stundung abzustellen.

 

Normenkette

InsO § 4c Nr. 2

 

Verfahrensgang

LG Dortmund (Beschluss vom 14.07.2006; Aktenzeichen 9 T 339/06)

AG Dortmund (Beschluss vom 23.02.2006; Aktenzeichen 260 IK 67/05)

 

Tenor

Dem Schuldner wird auf seine Kosten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach Versäumung der Frist zur Einlegung und Begründung der Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 9. Zivilkammer des LG Dortmund vom 14.7.2006 gewährt.

Auf die Rechtsmittel des Schuldners werden der vorbezeichnete Beschluss und der Beschluss des AG Dortmund vom 23.2.2006 aufgehoben.

Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 1.200 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I.

[1] Am 14.6.2005 stellte der Schuldner einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über sein Vermögen sowie einen Antrag auf Gewährung der Restschuldbefreiung. Ferner begehrte er die Stundung der Verfahrenskosten. Im Vermögensverzeichnis gab er an, dass eine fondsgebundene Lebensversicherung bei der N. AG mit einem bestimmten Rückkaufswert bestehe. Zu der Frage nach Steuererstattungsansprüchen machte er keine Angaben. Er hatte zu diesem Zeitpunkt die Steuererklärung für das vorangegangene Jahr beim Finanzamt eingereicht. Nach Antragstellung kündigte die N. AG den Versicherungsvertrag und zahlte noch im Juni 2005 einen Betrag i.H.v. etwa 400 EUR an den Schuldner aus. Mit Bescheid vom 14.7.2005 setzte das Finanzamt eine - später an den Schuldner ausgezahlte - Steuerrückerstattung i.H.v. 1.090 EUR fest.

[2] Mit Beschluss vom 14.7.2005 stundete das Insolvenzgericht dem Schuldner die Verfahrenskosten "für das Eröffnungsverfahren und Hauptverfahren". Nachdem es von der Steuerrückerstattung und der Auszahlung des Versicherungsguthabens Kenntnis erlangt hatte, hat es die bewilligte Stundung wieder aufgehoben. Die sofortige Beschwerde des Schuldners hat das LG zurückgewiesen. Dagegen wendet sich dieser mit seiner Rechtsbeschwerde.

II.

[3] Die statthafte (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO i.V.m. §§ 7, 6 Abs. 1, 4d Abs. 1 InsO) Rechtsbeschwerde ist zulässig. Mit Blick auf die nach Eingang des Antrags auf Gewährung von Prozesskostenhilfe ergangene Entscheidung des Senats vom 21.9.2006 (IX ZB 24/06, WM 2006, 2310) ist eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO; vgl. BGH, Beschl. v. 23.3.2006 - IX ZB 124/05, ZIP 2006, 920).

[4] Das Rechtsmittel ist begründet.

[5] 1. Das Beschwerdegericht hat gemeint, die Stundung sei gem. § 4c Nr. 2 InsO aufzuheben. Unter Hinzurechnung des Versicherungsguthabens und der Steuererstattung hätte das Vermögen des Schuldners zur Deckung der Verfahrenskosten ausgereicht. Der Umstand, dass die vom Schuldner vereinnahmten Beträge tatsächlich nicht mehr vorhanden seien, stehe der Aufhebung der Stundung nicht entgegen. Dieser hätte Rücklagen für die Kosten des Insolvenzverfahrens ansparen müssen; er sei daher so zu behandeln, als wenn diese Vermögensbestandteile noch vorhanden wären.

[6] 2. Dies hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

[7] Das Beschwerdegericht hat sich zur Begründung seiner Rechtsauffassung auf eine Entscheidung des AG Duisburg vom 8.1.2002 (NZI 2002, 217) berufen. Der Senat hat jedoch in seinem bereits zitierten Beschluss vom 21.9.2006 (a.a.O.) entschieden, dass dem Schuldner die Stundung der Kosten des Insolvenzverfahrens nicht unter Rückgriff auf die von der Rechtsprechung zur Prozesskostenhilfe entwickelten Grundsätze zur herbeigeführten Vermögenslosigkeit versagt werden kann. Der Schuldner ist danach grundsätzlich nicht verpflichtet, Rücklagen für die zu erwartenden Kosten eines Insolvenzverfahrens über sein Vermögen zu bilden. Diese Entscheidung ist in der Literatur auf einhellige Zustimmung gestoßen (Kohte VuR 2007, 36; Pape ZinsO 2006, 1194; Siegmann, WuB VI A § 4a InsO 1.07; Thöne, WuB VI A § 4a InsO 2.07; HmbKomm-InsO/Nies, 2. Aufl., § 4a Rz. 14). Die vom Senat zu § 4a Abs. 1 Satz 1 InsO aufgestellten Grundsätze gelten auch für den vom LG herangezogenen Aufhebungsgrund des § 4c Nr. 2 InsO, da insoweit lediglich rückschauend auf die gleichen Voraussetzungen abgestellt wird, von denen § 4a Abs. 1 Satz 1 InsO die Stundung der Verfahrenskosten abhängig macht.

III.

[8] Die Entscheidung des Beschwerdegerichts erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig (§ 577 Abs. 3 ZPO). Die Frage, ob die persönlichen oder wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Stundung i.S.d. § 4c Nr. 2 InsO nicht vorgelegen haben, ist für den Zeitpunkt der letzten Tatsachenentscheidung über die Stundung zu beantworten (Wenzel in Kübler/Prütting, InsO § 4c Rz. 24; Kirchhof in HK/InsO, 4. Aufl., § 4c Rz. 13). Der Senat entnimmt dem Gesamtzusammenhang der Ausführungen des Beschwerdegerichts, dass der Schuldner den von der Lebensversicherung erhaltenen Geldbetrag bereits vor der Stundungsbewilligung am 14.7.2005 ausgegebenen hatte. Der Steuererstattungsanspruch war in diesem Zeitpunkt hingegen noch nicht fällig, da der Bescheid des Finanzamts vom selben Tag datierte (vgl. §§ 122 Abs. 2 Nr. 1, 124 Abs. 1 Satz 1, 218 Abs. 1 AO; s. ferner BFHE 128, 146; BFH ZIP 2007, 1514; Urt. v. 17.4.2007 - VII R 27/06); die Frage seiner kurzfristigen Realisierbarkeit stellte sich daher im Zeitpunkt der Stundungsbewilligung nicht. Im Übrigen erreichte der Betrag der Steuerrückerstattung nicht die von den Tatsacheninstanzen veranschlagten Verfahrenskosten i.H.v. ca.1.200 EUR.

IV.

[9] Die angefochtenen Beschlüsse der Vorinstanzen waren daher, wie von der Rechtsbeschwerde in Ziff. 1 der Begründungsschrift beantragt, aufzuheben; sie fallen ersatzlos weg.

[10] Hinsichtlich des weiteren Antrags der Rechtsbeschwerde in Ziff. 2 sowie des hierauf bezogenen Hilfsantrags geht der Senat von einem Fassungsversehen aus. Dem Schuldner sind die Kosten für das Eröffnungs- und das Hauptverfahren (das eröffnete Verfahren) bereits mit dem nicht angefochtenen Beschluss des Insolvenzgerichts vom 14.7.2005 gestundet worden. Insoweit weist der Senat lediglich darauf hin, dass eine auf einen Teil der Verfahrenskosten beschränkte Bewilligung der Stundung generell ausscheidet (BGH, Beschl. v. 18.5.2006 - IX ZB 205/05, ZVI 2006, 285, 286). Die Kosten des Verfahrens über die Restschuldbefreiung sind hingegen dem Schuldner bisher nicht gestundet worden. Hierauf bezieht sich daher die angefochtene Aufhebungsentscheidung nicht; ein solcher Verfahrensgegenstand ist somit nicht in der Rechtsbeschwerdeinstanz angefallen.

 

Fundstellen

BGHR 2008, 200

EBE/BGH 2007

WM 2008, 34

ZAP 2008, 65

DZWir 2008, 123

MDR 2008, 167

NZI 2008, 35

NZI 2008, 46

Rpfleger 2008, 156

VuR 2008, 117

ZInsO 2007, 1278

ZInsO 2008, 163

NJW-Spezial 2008, 87

RVGreport 2008, 40

ZVI 2007, 609

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