Leitsatz (amtlich)

a) Durch die Rechtsprechung der Strafsenate des BGH ist auch für das Zivilverfahren höchstrichterlich geklärt, dass die polygraphische Untersuchung (Lügendetektor) mittels Kontrollfragen und - jedenfalls dann, wenn der Beweisführer zum Zeitpunkt des Tests bereits von den Ermittlungsergebnissen Kenntnis hatte - auch mittels Tatwissenstests ein völlig ungeeignetes Beweismittel ist.

b) Gegenstand einer aussagepsychologischen Begutachtung (Glaubhaftigkeitsgutachten) ist nicht die allgemeine Glaubwürdigkeit des Untersuchten, sondern die Beurteilung, ob auf ein bestimmtes Geschehen bezogene Angaben zutreffen. Daher muss ein solches Gutachten nicht eingeholt werden, wenn der Beweisführer die Behauptungen des Prozessgegners nur bestreitet.

 

Normenkette

ZPO § 286

 

Verfahrensgang

OLG Hamm (Entscheidung vom 25.06.2002)

LG Paderborn

 

Tenor

Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des 9. Zivilsenats des OLG Hamm v. 25.6.2002 wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Der Gegenstandswert für das Beschwerdeverfahren beträgt 26.000 Euro.

 

Gründe

I.

Die Klägerin nimmt den Beklagten, ihren Vater, wegen vorgeworfener sexueller Missbrauchshandlungen auf Schmerzensgeld und Feststellung einer Ersatzpflicht für sämtliche materiellen und immateriellen Schäden aus diesen Taten in Anspruch. Sie behauptet, von dem Beklagten in der Zeit zwischen 1985 und 1997, beginnend mit ihrem 5. Lebensjahr, in einer Vielzahl von Fällen sexuell missbraucht worden zu sein. Nach ihrem Auszug aus dem von der Familie bewohnten Einfamilienhaus erstattete sie im August 1997 Strafanzeige. In dem daraufhin durchgeführten Strafverfahren wurde der Beklagte durch Urt. v. 1.9.1998 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 5 Jahren verurteilt. Die hiergegen eingelegte Revision wurde zurückgewiesen.

Der Beklagte hat die von der Klägerin behaupteten Taten bestritten und ein physiopsychologisches Gutachten v. 8.3.1999 vorgelegt, das unter Verwendung eines Polygraphen (Lügendetektor) erstellt wurde und aus dem sich seine Unschuld ergebe.

Das LG hat der Klägerin ein Schmerzensgeld von 40.000 DM zugesprochen sowie eine Einstandspflicht des Beklagten für sämtliche durch die Taten verursachten materiellen und immateriellen Schäden festgestellt. Die dagegen gerichtete Berufung hat das OLG zurückgewiesen. Anträgen des Beklagten auf Einholung eines Polygraphentests sowie auf Vernehmung der Dipl.-Psychologin K. zum Zweck der Erläuterung des mit seinem Einverständnis durchgeführten Polygraphentests hat es nicht entsprochen, weil aus polygraphischen Untersuchungsmethoden keine hinreichend zuverlässigen Schlüsse auf den Wahrheitsgehalt einer Antwort gezogen werden könnten.

II.

Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision hat in der Sache keinen Erfolg, weil die Nichtzulassungsbeschwerde keinen Grund für die Zulassung der Revision aufzeigt (§ 544 Abs. 2 S. 3, § 543 Abs. 2 S. 1 ZPO).

1. Der Zulassungsgrund des § 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 ZPO liegt ebenso wenig vor wie der des § 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 Alt. 1 ZPO. Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts eine Entscheidung des Revisionsgerichts. Die für die Lösung des Streitfalls maßgeblichen Fragen hat der BGH bereits entschieden.

Nach der Rechtsprechung der Strafsenate des BGH ist die polygraphische Untersuchung mittels Kontrollfragentests und - jedenfalls im Zeitpunkt der Hauptverhandlung - des Tatwissenstests als völlig ungeeignetes Beweismittel i. S. d. § 244 Abs. 3 StPO zu bewerten (vgl. BGH BGHSt 44, 308; Urt. v. 10.2.1999 - 3 StR 460/98, NStZ-RR 2000, 35). Der BGH hat hierzu ausgeführt, das Kontrollfragenverfahren sei ungeeignet, weil es sich nicht um eine in den maßgebenden Fachkreisen allgemein und zweifelsfrei als richtig und zuverlässig eingestufte Methode handele. Ihm komme deshalb keinerlei Beweiswert zu. Das Funktionieren des Tatwissensverfahrens setze zwingend voraus, dass vor dessen Durchführung dem Beschuldigten als Antworten vorgeschlagene Tatdetails nicht bekannt geworden seien, weil andernfalls die ausschlaggebenden Orientierungsreaktionen auch bei einem Nichttäter zu erwarten seien. Daraus folge, dass diese Untersuchungsmethode i. S. d. § 244 Abs. 3 S. 2 Alt. 4 StPO völlig ungeeignet sei, wenn der Beschuldigte bereits von dem gegen ihn erhobenen Vorwurf und den darauf bezogenen Ermittlungsergebnissen Kenntnis erlangt habe (vgl. BGH BGHSt 44, 308 [319, 327 f.]).

Auf Grund dieser Entscheidungen ist auch für das Zivilverfahren für die hier vorliegende Fallkonstellation höchstrichterlich geklärt, dass es sich bei dem von dem Beklagten vorgelegten freiwilligen Lügendetektortest um ein völlig ungeeignetes Beweismittel handelt, so dass der Tatrichter einem Antrag auf Einholung eines solchen Tests oder auf Vernehmung der Person, die mit Einverständnis des Beklagten bereits einen solchen Test durchgeführt hatte, nicht nachkommen musste, weil der Beklagte zum Zeitpunkt des Tests nach Abschluss des Strafverfahrens bereits von dem gegen ihn erhobenen Vorwurf und den darauf bezogenen Ermittlungsergebnissen Kenntnis erlangt hatte.

Auch im Zivilverfahren kann der Tatrichter einen Beweisantritt aus beweisrechtlichen Gründen ablehnen. Er kann sich dabei an die das Ergebnis jahrzehntelanger Rechtsprechung enthaltende Vorschrift des § 244 Abs. 3 StPO anlehnen. Danach darf er einen Beweisantrag u. a. dann ablehnen, wenn das Beweismittel völlig ungeeignet ist, wobei bei der Zurückweisung eines Beweismittels als ungeeignet allerdings größte Zurückhaltung geboten ist (vgl. BGH BGHZ 53, 245 [259 f.]; Urt. v. 16.9.1986 - VI ZR 128/85, MDR 1987, 132 = VersR 1987, 70 [71]; Urt. v. 19.6.2000 - II ZR 319/98, MDR 2000, 1334 = NJW 2000, 3718 [3720]). Nachdem die Strafsenate des BGH auf der Grundlage von drei wissenschaftlichen Gutachten zu der psychophysiologischen Aussagebeurteilung diese Untersuchungsmethode als völlig ungeeignet eingestuft haben, ist nicht ersichtlich, warum man im Zivilverfahren zu einem anderen Ergebnis kommen sollte. Im Zivilprozess werden an die Eignung eines Beweismittels die gleichen Anforderungen gestellt wie im Strafprozess. Wenn ein Beweismittel aus tatsächlichen, wissenschaftlich belegten Gründen als für die Beweisführung im Strafprozess ungeeignet angesehen wird, gilt dies demgemäß in gleicher Weise für die Beweisführung im Zivilprozess. Die Nichtzulassungsbeschwerde vermag auch keine neuen Erkenntnisse aufzuzeigen, die die 1998 und 1999 ergangenen Entscheidungen der Strafsenate des BGH infrage stellen könnten. Insbesondere wurde das vom Beklagten vorgelegte wissenschaftliche Gutachten der Sachverständigen U. und K. bereits bei jenen Entscheidungen berücksichtigt, weil es für das Strafverfahren BGHSt 44, 308 (BGH BGHSt 44, 308) erstellt worden ist, welches als grundlegende Entscheidung des BGH zu dieser Frage anzusehen ist (vgl. die im damaligen Verfahren vorgelegten Gutachten in Praxis der Rechtspsychologie, 9, Sonderheft, Juli 1999).

b) Auch soweit die Nichtzulassungsbeschwerde den Grundsatz der Waffengleichheit im Zivilprozess anspricht (vgl. dazu EuGHMR v. 27.10.1993 - 37/1992/382/460, NJW 1995, 1413 [1414]; BVerfG, Beschl. v. 25.7.1979 - 2 BvR 878/74, BVerfGE 52, 131 [156]; v. 21.2.2001 - 2 BvR 140/00, NJW 2001, 2531 [2532]), sind die im Hinblick auf den hier vorliegenden Sachverhalt maßgeblichen Gesichtspunkte höchstrichterlich geklärt. Erfordert der Grundsatz der Waffengleichheit, dass der Partei, die keinen Zeugen zur Verfügung hat, Gelegenheit gegeben wird, ihre Darstellung in den Prozess persönlich einzubringen, so ist dem grundsätzlich Genüge getan, wenn diese Partei - wie hier geschehen - nach § 141 ZPO angehört wird. Nach dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung (§ 286 Abs. 1 S. 1 ZPO) ist das Gericht nicht gehindert, im Rahmen der Würdigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses der Beweisaufnahme einer Parteierklärung, auch wenn sie außerhalb einer förmlichen Parteivernehmung erfolgt ist, den Vorzug vor den Bekundungen eines Zeugen oder des als Partei vernommenen Prozessgegners zu geben (vgl. BVerfG, Beschl. v. 21.2.2001 - 2 BvR 140/00, NJW 2001, 2531 [2532]; BGH, Urt. v. 16.7.1998 - I ZR 32/96, MDR 1999, 699 = VersR 1999, 994 [995]).

c) Die von der Nichtzulassungsbeschwerde als grundsätzlich angesehene Frage, ob der Tatrichter, welcher den von einer Partei gestellten Antrag auf Einholung eines psychophysiologischen Glaubhaftigkeitsgutachtens für ungeeignet hält, zumindest ein traditionelles psychologisches Glaubhaftigkeitsgutachten einholen muss, lässt sich anhand der höchstrichterlichen Rechtsprechung ebenfalls ohne weiteres beantworten. Danach ist Gegenstand einer aussagepsychologischen Begutachtung (Glaubhaftigkeitsgutachten) nicht die Frage nach einer allgemeinen Glaubwürdigkeit des Untersuchten im Sinne einer dauerhaften personalen Eigenschaft. Es geht vielmehr um die Beurteilung, ob auf ein bestimmtes Geschehen bezogene Angaben zutreffen, d. h. einem tatsächlichen Erleben der untersuchten Person entsprechen (vgl. BGH BGHSt 45, 164 [167]). Daraus folgt, dass ein solches Gutachten nicht eingeholt werden kann und muss, wenn - wie hier - die Behauptungen des Prozessgegners nur bestritten werden. In diesem Fall liegen keine auf ein bestimmtes Geschehen bezogene Angaben des Beklagten vor, die auf ihre inhaltliche Konsistenz, ihre Folgerichtigkeit oder sonstige situationsbezogene Einzigartigkeit hin überprüft werden könnten (vgl. dazu BGH BGHSt 45, 164 [167 ff.]; vgl. auch OLG Bremen - Senat für Familiensachen, Beschl. v. 28.5.2001 - 5 UF 70/00, Streit 2001, 122 ff.).

2. Eine höchstrichterliche Entscheidung ist auch nicht zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich (§ 543 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO).

a) Insoweit ist zunächst eine Zulassung nicht aus dem Gesichtspunkt einer Divergenz wegen unterschiedlicher Entscheidungen zur Beweistauglichkeit polygraphischer Untersuchungen gegeben. Wie dargelegt entspricht die Auffassung des Berufungsgerichts der höchstrichterlichen Rechtsprechung, die auch für eine Untersuchung mit Einverständnis bzw. auf Antrag des Beklagten gilt. Soweit die Nichtzulassungsbeschwerde auf gegenteilige Entscheidungen anderer Oberlandesgerichte hinweist, scheidet eine Zulassung unter dem Gesichtspunkt der Divergenz schon deswegen aus, weil diese Entscheidungen vor den grundlegenden Entscheidungen der Strafsenate des BGH ergangen sind.

b) Hinsichtlich der von der Nichtzulassungsbeschwerde geltend gemachten vermeintlichen Fehler des Berufungsgerichts weist der erk. Senat noch auf Folgendes hin:

Die Würdigung des aussagepsychologischen Gutachtens und die Zurückweisung der methodischen Einwände des Beklagten gegen dieses Gutachten durch das Berufungsgericht sind nicht zu beanstanden. Dieses hat sich an den von der höchstrichterlichen Rechtsprechung aufgestellten Anforderungen an aussagepsychologische Begutachtungen orientiert und ausführlich begründet, warum das vorliegende Gutachten diesen Anforderungen genügt. Hinzuweisen ist darauf, dass aussagepsychologische Gutachten zwar die geforderten inhaltlichen Kriterien erfüllen, aber nicht einheitlich einer bestimmten Prüfstrategie folgen und einen einheitlichen Aufbau haben müssen (vgl. BGH BGHSt 45, 164 [167 ff.]; Urt. v. 30.5.2000 - 1 StR 582/99, NStZ 2001, 45 f.).

c) Soweit die Nichtzulassungsbeschwerde im Übrigen das Berufungsurteil angreift, werden Rechtsfehler des Berufungsgerichts nicht aufgezeigt. Von einer Begründung sieht der Senat insoweit ab (§ 544 Abs. 4 S. 2 ZPO).

 

Fundstellen

Haufe-Index 959672

NJW 2003, 2527

BGHR 2003, 1105

FamRZ 2003, 1379

JurBüro 2004, 54

EzFamR aktuell 2003, 292

FPR 2003, 571

MDR 2003, 1127

VersR 2003, 1322

ArbRB 2003, 259

NPA 2004, 0

KammerForum 2003, 418

Mitt. 2003, 531

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