Leitsatz (amtlich)

Ein Rechtsanwalt darf regelmäßig erwarten, dass einem ersten Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist entsprochen wird, wenn er einen erheblichen Grund vorträgt. Demgemäß besteht keine Verpflichtung, sich innerhalb des Laufs der Berufungsbegründungsfrist beim Gericht zu erkundigen, ob der Verlängerungsantrag rechtzeitig eingegangen ist und ob ihm stattgegeben werde (Anschluss Senatsbeschluss v. 30.5.2017 - VI ZB 54/16, NJW-RR 2017, 1532 Rz. 12 m.w.N.).

 

Normenkette

ZPO § 85 Abs. 2, § 233

 

Verfahrensgang

OLG Hamm (Beschluss vom 26.09.2017; Aktenzeichen I-27 U 62/17)

LG Bochum (Urteil vom 18.05.2017; Aktenzeichen I-6 O 129/16)

 

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des Beklagten zu 2) wird der Beschluss des 27. Zivilsenats des OLG Hamm vom 26.9.2017 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Der Antrag des Beklagten zu 2) auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für das Rechtsbeschwerdeverfahren wird zurückgewiesen.

Der Gegenstandswert wird auf 90.619 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I.

Rz. 1

Der Kläger nimmt die Beklagten auf Schadensersatz in Anspruch. Das LG hat der Klage teilweise stattgegeben. Gegen das seinem Prozessbevollmächtigen am 26.5.2017 zugestellte Urteil hat der Beklagte zu 2) fristgerecht Berufung eingelegt und diese mit Schriftsatz vom 28.7.2017 begründet. Mit Beschluss vom 14.9.2017 hat das Berufungsgericht den Beklagten zu 2) darauf hingewiesen, dass seine Berufung nicht innerhalb der am 26.7.2017 abgelaufenen Berufungsbegründungsfrist begründet worden ist. Beklagte zu 2) hat daraufhin mit Schriftsatz vom 20.9.2017 Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsbegründungsfrist beantragt.

Rz. 2

Zur Begründung hat der Beklagte zu 2) ausgeführt, sein Prozessbevollmächtigter habe mit Schriftsatz vom 8.7.2017 "wegen Arbeitsüberlastung" die Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 10.8.2017 beantragt. Dem Wiedereinsetzungsantrag waren beigefügt ein Doppel des Verlängerungsantrags vom 8.7.2017 und eine anwaltliche Versicherung seines Rechtsanwalts. Dieser bestätigt darin, den Verlängerungsantrag am 8.7.2017 wie in dem beigefügten Doppel gefertigt, selbst ausgedruckt, frankiert und in den nächsten Briefkasten - Briefschlitz für auswärtige Post - geworfen zu haben.

Rz. 3

Das Berufungsgericht hat den Antrag auf Wiedereinsetzung zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Ein Verlängerungsantrag sei nicht zu den Akten gelangt. Der Prozessbevollmächtigte des Beklagten zu 2) habe nicht auf die Bewilligung seines Fristverlängerungsantrags vertrauen dürfen. Er hätte sich spätestens am Tag des ursprünglichen Fristablaufs, also am 26.7.2017, über den Erfolg seines Antrags erkundigen müssen.

Rz. 4

Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Beklagten zu 2).

II.

Rz. 5

Die Rechtsbeschwerde ist zulässig und begründet.

Rz. 6

1. Die nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO i.V.m. §§ 522 Abs. 1 Satz 4, 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist zulässig. Eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts ist gem. § 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich. Die angefochtene Entscheidung verletzt den Beklagten zu 2) in seinen Verfahrensgrundrechten auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip) und auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG). Das Berufungsgericht hat die Anforderungen an die Schutzwürdigkeit des Vertrauens in den Erfolg eines Antrags auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist überspannt.

Rz. 7

a) Nach § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO kann die Frist zur Berufungsbegründung ohne Einwilligung des Gegners auf Antrag um bis zu einem Monat verlängert werden, wenn nach freier Überzeugung des Vorsitzenden der Rechtsstreit durch die Verlängerung nicht verzögert wird oder wenn der Berufungskläger erhebliche Gründe darlegt. Zwar muss ein Berufungsführer grundsätzlich damit rechnen, dass der Vorsitzende des Berufungsgerichts in Ausübung seines pflichtgemäßen Ermessens eine beantragte Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist versagt. Daher kann er sich im Wiedereinsetzungsverfahren nur dann mit Erfolg auf sein Vertrauen in die Fristverlängerung berufen, wenn deren Bewilligung mit großer Wahrscheinlichkeit erwartet werden konnte (BGH, Beschl. v. 9.5.2017 - VIII ZB 69/16, NJW 2017, 2041 Rz. 11; v. 26.1.2017 - IX ZB 34/16, NJW-RR 2017, 564 Rz. 10; vom 9.7.2009 - VII ZB 111/08, NJW 2009, 3100 Rz. 8; jeweils m.w.N.).

Rz. 8

b) Das ist jedoch nach ständiger Rechtsprechung des BGH bei einem ersten Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist im Allgemeinen der Fall, sofern dieser auf erhebliche Gründe i.S.d. § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO gestützt wird. Zu den erheblichen Gründen im Sinne dieser Vorschrift zählt insb. die Arbeitsüberlastung des Prozessbevollmächtigten (Senatsbeschlüsse v. 30.5.2017 - VI ZB 54/16, NJW-RR 2017, 1532 Rz. 12; v. 24.11.2009 - VI ZB 69/08, VersR 2010, 789, Rz. 6; BGH, Beschl. v. 9.5.2017 - VIII ZB 69/16, NJW 2017, 2041 Rz. 12; v. 26.1.2017 - IX ZB 34/16, NJW-RR 2017, 564 Rz. 10). An die Darlegung eines erheblichen Grundes für die Notwendigkeit der Fristverlängerung dürfen bei einem ersten Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist keine hohen Anforderungen gestellt werden (vgl. Senatsbeschluss v. 16.3.2010 - VI ZB 46/09, NJW 2010, 1610 Rz. 7; BGH, Beschl. v. 9.5.2017 - VIII ZB 69/16, NJW 2017, 2041 Rz. 12).

Rz. 9

Daher reicht der bloße Hinweis auf eine Arbeitsüberlastung zur Feststellung eines erheblichen Grundes i.S.d. § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO aus, ohne dass es einer weiteren Substantiierung bedarf (Senatsbeschlüsse v. 12.11.2013 - VI ZB 4/13, NJW 2014, 700 Rz. 15; vom 16.3.2010 - VI ZB 46/09, NJW 2010, 1610 Rz. 9; BGH, Beschl. v. 9.5.2017 - VIII ZB 69/16, NJW 2017, 2041 Rz. 13; jeweils m.w.N.). Auf diese höchstrichterliche Rechtsprechung darf der Anwalt regelmäßig vertrauen; die unteren Instanzen dürfen aus Gründen der Rechtsstaatlichkeit nicht zum Nachteil der betroffenen Parteien strengere Maßstäbe anlegen (vgl. Senatsbeschluss v. 16.3.2010 - VI ZB 46/09, NJW 2010, 1610 Rz. 7; BGH, Beschl. v. 9.5.2017 - VIII ZB 69/16, NJW 2017, 2041 Rz. 13).

Rz. 10

c) Demgemäß war der Prozessbevollmächtigte des Beklagten zu 2) nicht verpflichtet, sich innerhalb des Laufs der ursprünglichen Berufungsbegründungsfrist bei Gericht zu erkundigen, ob der Verlängerungsantrag rechtzeitig eingegangen ist und ob ihm stattgegeben wurde (Senatsbeschlüsse v. 30.5.2017 - VI ZB 54/16, NJW-RR 2017, 1532 Rz. 12 ff.; v. 16.10.2007 - VI ZB 65/06, VersR 2008, 234 Rz. 9; v. 13.12.2005 - VI ZB 52/05, VersR 2006, 568 Rz. 6; jeweils m.w.N.).

Rz. 11

2. Die Rechtsbeschwerde ist somit auch begründet.

III.

Rz. 12

Das Berufungsgericht wird zu prüfen haben, ob es das Parteivorbringen für glaubhaft, den vorgetragenen Geschehensablauf also für überwiegend wahrscheinlich (Senat, Beschl. v. 16.8.2016 - VI ZB 19/16, VersR 2016, 1463 Rz. 12; vgl. BGH, Beschl. v. 9.2.1998 - II ZB 15/97, NJW 1998, 1870; v. 20.3.1996 - VIII ZB 7/96, NJW 1996, 1682; v. 3.3.1983 - IX ZB 4/83, VersR 1983, 491) hält. Die Sache ist daher gem. § 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO zur erneuten Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

IV.

Rz. 13

Der Antrag des Beklagten zu 2) auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für das Rechtsbeschwerdeverfahren bleibt ohne Erfolg, weil er seine wirtschaftlichen Verhältnisse nicht glaubhaft dargelegt hat (§ 118 Abs. 2 Satz 4 ZPO). Aus den vorgelegten Kontoauszügen ergeben sich Einnahmen, zu denen sich der Antragsteller nicht widerspruchsfrei erklärt hat.

 

Fundstellen

Haufe-Index 11640120

NJW 2018, 9

FamRZ 2018, 935

NJW-RR 2018, 569

FA 2018, 165

IBR 2018, 361

JurBüro 2019, 55

ZAP 2018, 552

AnwBl 2018, 420

JZ 2018, 341

MDR 2018, 547

MDR 2018, 850

VersR 2018, 1277

ZfBR 2018, 454

NJW-Spezial 2018, 286

RENOpraxis 2018, 191

Mitt. 2018, 244

NZFam 2018, 758

RENO 2018, 11

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