Leitsatz (amtlich)

Ein Beklagter gibt regelmäßig nicht schon dann Veranlassung zur Erhebung einer Widerspruchsklage, wenn er als Gläubiger im Verteilungstermin nicht erscheint und deshalb kraft Gesetzes vermutet wird, dass er einen seine in den Teilungsplan aufgenommenen Ansprüche betreffenden Widerspruch eines anderen Gläubigers nicht anerkennt.

 

Normenkette

ZPO §§ 93, 877 Abs. 2

 

Verfahrensgang

OLG Frankfurt am Main (Beschluss vom 27.02.2019; Aktenzeichen 24 W 60/18)

LG Darmstadt (Urteil vom 20.07.2018; Aktenzeichen 4 O 170/18)

 

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde der Beklagten wird der Beschluss des 24. Zivilsenats des OLG Frankfurt mit Sitz in Darmstadt vom 27.2.2019 aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Beschwerdegericht zurückverwiesen.

Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 7.513,46 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I.

Rz. 1

Die Beklagte war Eigentümerin eines Grundstücks. Die Klägerin betrieb aus einer im Grundbuch Abteilung III unter lfd. Nr. 34 eingetragenen Grundschuld über 150.000 EUR die Zwangsversteigerung des Grundstücks. Zugunsten der Beklagten waren in Abteilung III unter lfd. Nr. 35 bis 40 weitere Grundschulden mit dem gleichen Rang wie die Grundschuld der Klägerin eingetragen. Die Grundschulden der Beklagten valutierten nicht mehr; die Ansprüche auf Rückübertragung gleichrangiger Grundschulden sowie Auszahlung eines Übererlöses im Verwertungsfall waren an die Klägerin abgetreten.

Rz. 2

Aus der Zwangsversteigerung des Grundstücks stand eine Teilungsmasse von 92.456 EUR zur Verfügung. Das Vollstreckungsgericht fertigte einen Teilungsplan an, wonach auf die Grundschulden der Beklagten ein Betrag von 49.302,67 EUR zugeteilt wurde. Die Klägerin legte mit Schreiben vom 7.5.2018 Widerspruch gegen den Teilungsplan ein. Im Termin zur Verteilung des Versteigerungserlöses vor dem Vollstreckungsgericht am 14.5.2018 erschien die Beklagte nicht. Daraufhin erließ das Vollstreckungsgericht am 14.5.2018 einen Teilungsplan, wonach der Restbetrag von 49.302,67 EUR strittig blieb.

Rz. 3

Die Klägerin hat am 11.6.2018 Widerspruchsklage erhoben, welche der Beklagten am 6.7.2018 zugestellt worden ist. Mit Schriftsatz vom 18.7.2018 hat die Beklagte den Klageantrag unter Verwahrung gegen die Kostenlast anerkannt. Das LG hat der Klage durch Anerkenntnisurteil stattgegeben und die Kosten der Beklagten auferlegt. Die gegen die Kostenentscheidung gerichtete sofortige Beschwerde der Beklagten hat das OLG zurückgewiesen. Mit ihrer vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde erstrebt die Beklagte eine Kostentragung der Klägerin.

II.

Rz. 4

Die zulässige Rechtsbeschwerde hat Erfolg.

Rz. 5

1. Das Beschwerdegericht hat ausgeführt, es liege kein sofortiges Anerkenntnis der Beklagten i.S.d. § 93 ZPO vor. Es sei nicht erforderlich, einem bei dem Widerspruch beteiligten Gläubiger, der im Verteilungstermin nicht erscheine und von dem daher vermutet werde, dass er den Widerspruch nicht als begründet anerkenne, vor Erhebung einer Widerspruchsklage nach § 878 ZPO aufzufordern, den Widerspruch nachträglich anzuerkennen. Aufgrund der gesetzlichen Säumnisfolge des § 877 Abs. 2 ZPO sei der widersprechende Gläubiger allein wegen der Vermutung gezwungen, eine Widerspruchsklage zu erheben. Hierfür stehe ihm nur eine kurze Frist zur Verfügung. Das Gesetz sehe ausdrücklich einen Termin zur Verhandlung über den Teilungsplan vor. Daher gebe bereits die Säumnis der Beklagten hinreichenden Anlass zur Erhebung der Widerspruchsklage.

Rz. 6

2. Dies hält rechtlicher Überprüfung nicht stand. Eine Kostenentscheidung nach § 93 ZPO scheidet nicht schon deshalb aus, weil nach § 877 Abs. 2 ZPO unwiderlegbar vermutet wird, dass die Beklagte den Widerspruch der Klägerin gegen den Teilungsplan nicht als begründet anerkenne.

Rz. 7

a) Allerdings greift § 93 ZPO nur ein, wenn der Beklagte nicht durch sein Verhalten zur Erhebung der Klage Veranlassung gegeben hat. Unter dieser Voraussetzung fallen dem Kläger die Prozesskosten zur Last, wenn der Beklagte den Anspruch sofort anerkennt. Anlass zur Klageerhebung hat der Beklagte gegeben, wenn sein Verhalten vor Prozessbeginn ohne Rücksicht auf sein Verschulden und materielle Rechtslage gegenüber dem Kläger so war, dass dieser annehmen musste, er werde ohne Klage nicht zu seinem Recht kommen (Stein/Jonas/Muthorst, ZPO, 23. Aufl., § 93 Rz. 13; Herget in Zöller, ZPO, 33. Aufl., § 93 Rz. 3). Es kommt auf das Verhalten des Beklagten vor dem Prozess an (BGH, Urt. v. 27.6.1979 - VIII ZR 233/78, NJW 1979, 2040, 2041 unter II.3.a). Dieses muss vernünftigerweise den Schluss auf die Notwendigkeit eines Prozesses rechtfertigen (BGH, Beschl. v. 8.3.2005 - VIII ZB 3/04 NJW-RR 2005, 1005, 1006). Dabei trifft den Beklagten die Beweislast, dass es an einer Veranlassung zur Klageerhebung fehlte (vgl. BGH, Beschl. v. 21.12.2006 - I ZB 17/06 WRP 2007, 781, 782 unter b).

Rz. 8

b) Nach diesen Maßstäben hat die Beklagte auf der Grundlage der Feststellungen des Beschwerdegerichts keinen Anlass zur Erhebung der Widerspruchsklage gegeben.

Rz. 9

aa) Ein Beklagter gibt regelmäßig nicht schon dann Veranlassung zur Erhebung einer Widerspruchsklage nach § 878 ZPO, wenn er als Gläubiger im Verteilungstermin nicht erscheint und deshalb kraft Gesetzes vermutet wird, dass er einen seine in den Teilungsplan aufgenommenen Ansprüche betreffenden Widerspruch eines anderen Gläubigers nicht anerkenne. Die gesetzliche Vermutung des § 877 Abs. 2 ZPO genügt nicht, damit der Gläubiger annehmen musste, er werde ohne Widerspruchsklage nicht zu seinem Recht kommen (vgl. KG, JW 1931, 2175, 2176; OLG Kiel, OLGRsp 35 (1917), 41 f.; OLG Kiel, HRR 1932, Nr. 2197; OLG München, Beschl. v. 13.7.2010 - 20 W 1527/10, juris Rz. 12; Seibel in Zöller, ZPO, 33. Aufl., § 877 Rz. 2; Stein/Jonas/Bartels, ZPO, 23. Aufl., § 877 Rz. 2; Wieczorek/Schütze/Bittmann, ZPO, 4. Aufl., § 877 Rz. 8; Saenger/Kindl, ZPO, 8. Aufl., § 877 Rz. 3). Die Gegenmeinung (MünchKomm/ZPO/Dörndorfer, 5. Aufl., § 877 Rz. 4; Musielak/Voit/Becker, ZPO, 16. Aufl., § 877 Rz. 2; Prütting/Gehrlein/Zempel, ZPO, 11. Aufl., § 877 Rz. 2; Schuschke/Walker, Vollstreckung und vorläufiger Rechtsschutz, 6. Aufl., § 877 ZPO Rz. 2; Bendtsen in Kindl/Meller-Hannich/Wolf, Gesamtes Recht der Zwangsvollstreckung, 3. Aufl., § 877 Rz. 6) berücksichtigt nicht ausreichend, dass § 877 Abs. 2 ZPO dem Schutz des bei dem Widerspruch beteiligten Gläubigers dient.

Rz. 10

bb) Die Bestimmungen über das Verteilungsverfahren nach einer Grundstücksversteigerung zeigen, dass ein Beklagter allein dadurch, dass er sich am Ablauf des Verteilungsverfahrens nicht beteiligt, keinen Anlass zur Erhebung einer Widerspruchsklage gibt.

Rz. 11

(1) § 105 ZVG sieht vor, dass das Gericht nach Erteilung des Zuschlags von Amts wegen einen Termin zur Verteilung des Versteigerungserlöses bestimmt. In dem Termin ist nach § 113 Abs. 1 ZVG der Teilungsplan aufzustellen. Ansprüche eines Gläubigers sind nach dem Inhalt des Grundbuchs oder nach seiner Anmeldung in den Teilungsplan aufzunehmen (§ 114 ZVG). Über den Teilungsplan ist gem. § 115 ZVG sofort zu verhandeln. Dabei sind auf die Verhandlung, die Behandlung erhobener Widersprüche und die Ausführung des Planes die §§ 876 bis 882 ZPO entsprechend anzuwenden (§ 115 Abs. 1 Satz 2 ZVG). Somit hat sich in diesem Termin jeder beteiligte Gläubiger über einen Widerspruch sofort zu erklären (§ 876 Satz 2 ZPO). Gemäß § 877 Abs. 2 ZPO wird angenommen, dass ein bei einem Widerspruch beteiligter, aber in dem Termin nicht erschienener Gläubiger den Widerspruch nicht als begründet anerkenne. Dies führt dazu, dass der widersprechende Gläubiger ohne vorherige Aufforderung binnen einer Frist von einem Monat, die mit dem Terminstag beginnt, dem Gericht nachweisen muss, dass er gegen die beteiligten Gläubiger Klage erhoben habe (§ 878 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Andernfalls wird die Ausführung des Plans ohne Rücksicht auf den Widerspruch angeordnet (§ 878 Abs. 1 Satz 2 ZPO).

Rz. 12

(2) Im Hinblick auf diesen Verfahrensablauf zeigt ein Gläubiger, der sich nicht am Verteilungsverfahren beteiligt, kein Verhalten, das von einem widersprechenden Gläubiger so angesehen werden muss, als mache der andere Gläubiger ein Recht im Verteilungsverfahren geltend, auf das er nur bei einer Klage verzichten werde. Eine Kostenentscheidung nach § 93 ZPO scheidet hingegen aus, wenn ein dem Beklagten zuzurechnendes Verhalten hinzukommt, aufgrund dessen der widersprechende Gläubiger annehmen musste, er werde ohne Widerspruchsklage nicht zu seinem Recht kommen. Dies ist der Fall, wenn der Beklagte den Widerspruch kannte oder mit ihm rechnen musste.

Rz. 13

Die gesetzliche Vermutung des § 877 Abs. 2 ZPO besteht zum Schutz des bei dem Widerspruch beteiligten Gläubigers. Der in den Teilungsplan aufgenommene Anspruch dieses Gläubigers soll bei der Ausführung des Teilungsplans nicht bereits aufgrund eines Widerspruchs unberücksichtigt bleiben. Ob ein nicht zum Termin zur Verteilung des Versteigerungserlöses erscheinender Gläubiger Veranlassung zur Erhebung einer Widerspruchsklage nach § 878 ZPO gegeben hat, hängt daher davon ab, warum dieser Gläubiger am Widerspruch beteiligt ist. Beruht diese Beteiligung - wie im Streitfall - darauf, dass Ansprüche des Gläubigers nach § 114 Abs. 1 Satz 1 Fall 1 ZVG allein nach dem Inhalt des Grundbuchs in den Teilungsplan aufgenommen worden sind, folgt daraus kein hinreichender Anlass zur Klageerhebung. Denn die Aufnahme von Ansprüchen nach dem Inhalt des Grundbuchs erfolgt von Amts wegen (vgl. Stöber/Nicht, ZVG, 22. Aufl., § 114 Rz. 15); ihr lässt sich nicht entnehmen, dass der Gläubiger damit eine Teilhabe am Versteigerungserlös begehrt.

Rz. 14

Anders ist dies zu beurteilen, wenn die Ansprüche des Gläubigers aufgrund einer ausdrücklichen Anmeldung in den Teilungsplan aufgenommen werden (vgl. § 114 Abs. 1 Satz 1 Fall 2, Satz 2 ZVG). Hiermit verfolgt ein Gläubiger einen eigenen Anspruch im Rahmen der Zwangsvollstreckung in ein Grundstück und verlangt ausdrücklich, bei der Verteilung des Versteigerungserlöses im Verteilungsverfahren berücksichtigt zu werden. Ergreift ein Gläubiger im Rahmen der Zwangsversteigerung eines Grundstücks auf diese Weise aktiv Maßnahmen der Rechtsverfolgung und erscheint sodann nicht zum Termin zur Verteilung des Versteigerungserlöses, gibt er im Falle eines Widerspruchs hinreichend Anlass zur Erhebung der Widerspruchsklage. Denn ein solcher Gläubiger muss bereits vor dem Termin erwägen, ob seine Ansprüche tatsächlich bestehen oder Einwendungen anderer Gläubiger ausgesetzt sein können.

Rz. 15

Fehlt es an einer eigenen Anmeldung von Ansprüchen des vom Widerspruch betroffenen Gläubigers, besteht regelmäßig nur dann Anlass zur Erhebung einer Widerspruchsklage, wenn der widersprechende Gläubiger den anderen Gläubiger erfolglos außergerichtlich aufgefordert hat, den Widerspruch für berechtigt anzuerkennen. Anders als das Beschwerdegericht meint, stellt weder die Klagefrist des § 878 Abs. 1 ZPO noch der Termin zur Verhandlung über den Teilungsplan einen Grund dar, von diesen Grundsätzen abzuweichen. Da sich das entsprechende Recht des betroffenen Gläubigers in diesen Fällen bereits aus dem Grundbuch ergibt, kann der widersprechende Gläubiger den Grundbuchberechtigten im Regelfall bereits vor dem Verteilungstermin auffordern, auf sein Recht zu verzichten oder einer bestimmten Verteilung zuzustimmen, oder ihm einen Widerspruch ankündigen und so schon vor Beginn der Klagefrist klären, ob Veranlassung zur Erhebung einer Widerspruchsklage besteht. Es ist unerheblich, dass sich im Termin zur Verhandlung über den Teilungsplan jeder beteiligte Gläubiger sofort über einen Widerspruch zu erklären hat (§ 876 Satz 2 ZPO). Dies allein genügt nicht, um beim säumigen Gläubiger eine Veranlassung zur Klageerhebung anzunehmen, weil auch der widersprechende Gläubiger nicht im Termin anwesend sein muss. Dies folgt aus § 877 Abs. 1 ZPO, wonach der Widerspruch - wie im Streitfall - auch vor dem Termin erhoben werden kann.

Rz. 16

3. Die Sache ist nicht zur Endentscheidung reif (§ 577 Abs. 5 ZPO). Die Beklagte hat unter Beweisantritt behauptet, dass sie die außergerichtliche Aufforderung der Klägerin, den Widerspruch anzuerkennen, nicht erhalten habe. Das Beschwerdegericht wird daher zu klären haben, ob die Beklagte - wie sie behauptet - keine Veranlassung zur Klageerhebung gegeben hat.

 

Fundstellen

Haufe-Index 13618817

NJW 2020, 10

NJW-RR 2020, 314

WM 2020, 240

WuB 2020, 202

JZ 2020, 115

MDR 2020, 243

NZI 2020, 208

ZInsO 2020, 437

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