Entscheidungsstichwort (Thema)

Pfändungsfreigrenze bei Arbeitseinkommen. Erhöhter Freibetrag für unterhaltsberechtigte Person

 

Leitsatz (redaktionell)

Ist die erste unterhaltsberechtigte Person i.S.d. § 850 c Abs. 1 S. 2 ZPO ein Kind, so ist für dieses der erhöhte Freibetrag der ersten Stufe maßgeblich. Dies gilt auch wenn die Ehefrau des Schuldners wegen eigenen Einkommens bei der Bemessung des pfändungsfreien Teils des Schuldners unberücksichtigt bleibt. Es kommt allein auf die Anzahl der Personen an, die vom Schuldner Unterhaltsleistungen erhalten, ohne dass deren konkrete Lebensumstände zu berücksichtigen wären.

 

Normenkette

ZPO § 850c

 

Verfahrensgang

LG Heilbronn (Beschluss vom 17.12.2003; Aktenzeichen 1 T 449/03)

 

Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 1. Zivilkammer des LG Heilbronn v. 17.12.2003 wird auf Kosten des Gläubigers zurückgewiesen.

Wert: 1.860 EUR

 

Gründe

I. Der Gläubiger vollstreckt gegen den Schuldner wegen einer Hauptforderung i.H.v. 570,49 EUR nebst Zinsen und Kosten. Er erwirkte einen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss, der die Ansprüche des Schuldners gegen die Drittschuldnerin auf Arbeitseinkommen zum Gegenstand hat. Zugleich ordnete das Vollstreckungsgericht an, die Ehefrau des Schuldners wegen eigenen Einkommens bei der Bemessung des pfändungsfreien Teils des Einkommens des Schuldners unberücksichtigt zu lassen. Das weiter gehende Begehren des Gläubigers hat es zurückgewiesen, u.a. seinen Antrag, für das Kind, das Erste unterhaltsberechtigte Person gem. § 850c Abs. 1 S. 2 ZPO sei, nur den pfändbaren Betrag der zweiten Stufe in Ansatz zu bringen. Die gegen die Zurückweisung dieses Antrags gerichtete sofortige Beschwerde ist vor dem LG ohne Erfolg geblieben. Dagegen wendet der Gläubiger sich mit der - zugelassenen - Rechtsbeschwerde.

II. Das gem. § 574 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 S. 2 statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsmittel ist unbegründet.

1. Nach Auffassung des Beschwerdegerichts lässt der Wortlaut des § 850c Abs. 1 S. 2 ZPO, der nicht nach der konkreten Person des Unterhaltsberechtigten differenziere, die von dem Gläubiger verlangte Entscheidung nicht zu. Die gesetzliche Regelung habe den Vorteil einer vereinfachten Berechnung des unpfändbaren Teils des Arbeitseinkommens; Grundrechte des Gläubigers würden dadurch nicht berührt.

Die Rechtsbeschwerde hält dem entgegen, der Freibetrag für die erste unterhaltsberechtigte Person solle den besonderen Aufwand einen Mehrpersonenhaushaltes einmalig und pauschal abgelten. Hier bringe aber die Ehefrau die Kosten durch eigenes Einkommen auf. Ein Nachrücken der Kinder sei sachlich nur gerechtfertigt, wenn die Eheleute getrennt lebten und erst auf Grund des Kindes beim Schuldner ein Mehrpersonenhaushalt entstehe. Dem Gläubiger, dessen titulierte Forderung von der Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG erfasst sei, dürfe eine Vereinfachung des Vollstreckungsverfahrens nicht aufgedrängt werden. Vielmehr müsse er selbst entscheiden, ob er durch einen Antrag entsprechend § 850c Abs. 4 ZPO erreichen wolle, dass die Ehefrau nicht berücksichtigt und das Nachrücken eines Kindes auf die erste Stufe verhindert werde. Den Schuldnerbelangen könne gem. § 850 f Abs. 1 ZPO Rechnung getragen werden. Bei anderer Sichtweise verstoße § 850c Abs. 1 S. 2 ZPO gegen das Willkürverbot (Art. 3 Abs. 1 GG). Eine systematische und teleologische Gesetzesauslegung sei geboten, wenn sich der Gesetzeszweck auf andere Weise - durch eigenes Einkommen der unterhaltsberechtigten Person - erfülle.

2. Der Standpunkt des Beschwerdegerichts ist richtig.

a) Ist die erste unterhaltsberechtigte Person i.S.d. § 850c Abs. 1 S. 2 ZPO ein Kind, so ist für dieses der erhöhte Freibetrag der ersten Stufe von 350 EUR monatlich und nicht lediglich der verminderte Freibetrag der zweiten Stufe von 195 EUR monatlich maßgeblich (ebenso Zöller/Stöber, ZPO, 24. Aufl., § 850c Rz. 4a; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 62. Aufl., § 850c Rz. 6; Smid in MünchKomm/ZPO, 2. Aufl., § 850c Rz. 11; a.A. LG Verden v. 9.9.2002 - 1 T 157/02, JurBüro 2002, 660 = InVO 2003, 245; LG Bremen JurBüro 2003, 378; AG Traunstein JurBüro 2003, 146; AG Ibbenbühren JurBüro 2003, 155). Die Vorschrift des § 850c Abs. 1 bis 3 ZPO regelt i.V.m. der dem Gesetz als Anlage beigefügten Tabelle die Pfändungsfreigrenzen für Arbeitseinkommen. Sie setzt in ihrem Abs. 1 S. 1 pfändungsfreie Grundbeträge für den Schuldner fest. Gewährt der Schuldner auf Grund einer gesetzlichen Verpflichtung einem (früheren) Ehegatten, einem (früheren) Lebenspartner, einem Verwandten oder nach §§ 1615l, 1615n BGB einem Elternteil Unterhalt, sieht Abs. 1 S. 2 zusätzliche Freibeträge vor, die es dem Schuldner ermöglichen sollen, diesen Unterhaltsverpflichtungen ordnungsgemäß nachzukommen. Für die Höhe der in Betracht kommenden Freibeträge unterscheidet das Gesetz lediglich zwischen der Ersten und den weiteren - bis zu fünf - unterhaltsberechtigten Personen; eine darüber hinausgehende Staffelung der Freibeträge ist nicht vorgesehen. Es kommt für Abs. 1 S. 2 allein auf die Anzahl der Personen an, die vom Schuldner Unterhaltsleistungen erhalten, ohne dass deren konkrete Lebensumstände zu berücksichtigen wären. Von einer einzelfallabhängigen Entscheidung hat der Gesetzgeber bewusst abgesehen. Hinter dieser Pauschalierung der pfändungsfreien Beträge steht sein Bestreben, die Zwangsvollstreckung praktikabel zu gestalten und die Durchsetzung der Rechte des Gläubigers - in dessen wohlverstandenem Interesse - nicht unzumutbar zu erschweren. Denn ebenso wie dem Gläubiger nach Abs. 1 S. 2 der Einwand verwehrt ist, der Schuldner sei auf den pfändungsfreien Betrag nicht in voller Höhe angewiesen, kann der Schuldner keine Heraufsetzung der Pauschale mit der Begründung verlangen, der gesetzliche Freibetrag sei für ihn nicht auskömmlich. Zusätzlich wird dem Interesse des Drittschuldners Rechnung getragen, dem bei der Berechnung des pfändungsfreien Teils des Arbeitseinkommens eine einfache Handhabung der in § 850c Abs. 1 S. 2 ZPO vorgesehenen Freibeträge und der gem. § 850c Abs. 3 ZPO ergangenen Pfändungstabelle ermöglicht werden soll.

b) Die Auffassung der Rechtsbeschwerde findet auch keine Stütze in den Gesetzgebungsmaterialien (vgl. den Entwurf eines Vierten und eines Fünften Gesetzes zur Änderung der Pfändungsfreigrenzen; BT-Drucks. 8/693, 48; und BT-Drucks. 10/229, 41). Darin hat der Gesetzgeber zwar offen gelegt, von welchen Erwägungen er sich bei Ermittlung der für Arbeitseinkommen geltenden Pfändungsfreigrenzen hat leiten lassen. Diese Erwägungen stellen indes nur Kalkulationsgrundlagen dar, die im Gesetz selbst keinen Niederschlag gefunden haben (vgl. BGH, Beschl. v. 12.12.2003 - IXa ZB 207/03, MDR 2004, 471 = BGHReport 2004, 556 = WM 2004, 398). Schon deshalb verbietet es sich, von den in § 850c Abs. 1 S. 2 ZPO vorgegebenen Freibeträgen abzuweichen und dem Schuldner den erhöhten Freibetrag für die erste unterhaltsberechtigte Person deshalb zu verwehren, weil es sich bei dieser statt eines Ehegatten um ein Kind handelt, das nicht mit ihm in einem gemeinsamen Haushalt lebt oder das aus sonstigen Gründen keinen Mehraufwand für eine gemeinsame Haushaltsführung veranlasst.

Davon abgesehen, ist der Gesetzgeber bei Festlegung der pfändungsfreien Beträge in § 850c Abs. 1 S. 2 ZPO nur davon ausgegangen, dass im Allgemeinen die Kosten für die Wohnung höher liegen, wenn im - eigenen - Haushalt des Schuldners weitere unterhaltsberechtigte Personen leben, wobei diesem Haushalt neben dem Ehegatten regelmäßig Kinder angehören, für die dem Haushaltsvorstand Anspruch auf Kindergeld in unterschiedlicher Höhe zusteht. Damit wird nicht zugleich zum Ausdruck gebracht, dass davon abweichende Lebensumstände des Schuldners oder des betreffenden Unterhaltsberechtigten - über die Voraussetzungen des § 850c Abs. 4 ZPO hinaus - eine anderweitige Festsetzung des Freibetrages rechtfertigen. Der Gesetzgeber hat den verheirateten Schuldner, der eine Familie gegründet hat, für die Bemessung der ersten und zweiten Stufe des Pfändungsfreibetrages zum Ausgangspunkt genommen. Damit wollte er der als typisch erachteten Lebenssituation eines erwachsenen Schuldners Rechnung tragen, die in einer Vielzahl von Vollstreckungsfällen anzutreffen ist und sich daher als geeignete Kalkulationsgrundlage erweist. Mit Blick auf eine möglichst zügige und vereinfachte Durchführung des Vollstreckungsverfahrens hat er bereits in den Gesetzgebungsmaterialien von weiteren Differenzierungen abgesehen. So wird nicht gesondert auf den geschiedenen Ehegatten abgehoben, der nicht mehr in dem - in den Materialien allein gesprochenen - Hausstand des Schuldners lebt, sondern einen eigenen begründet hat, wodurch ebenfalls Mehraufwendungen für die Kosten einer Wohnung entstehen. Schließlich wird bei den Kindern des Schuldners nicht unterschieden, in welcher Höhe Kindergeld gezahlt wird; der Freibetrag der zweiten Stufe ist für jedes Kind in gleicher Höhe festgesetzt. Auch ist die Höhe des Freibetrages nicht davon abhängig, ob der Schuldner als Haushaltsvorstand tatsächlich Kindergeldzahlungen erhält oder ob diese seinem getrennt lebenden, das Kind betreuenden Ehegatten zufließen. Daraus wird deutlich, dass der Gesetzgeber das Leitbild eines verheirateten Schuldners mit Kindern lediglich als Orientierungshilfe für die Festsetzung der Freibeträge betrachtet hat. Dass § 850c Abs. 1 S. 2 ZPO nicht nur diese Konstellation erfasst, liegt angesichts der in der Vorschrift erfolgten Aufzählung unterhaltsberechtigter Personen - neben Ehegatten, Lebenspartnern und Kindern auch Eltern und sonstige Verwandte - auf der Hand. Die von der Rechtsbeschwerde gesehene Ungleichbehandlung ist zudem im Wesen jeder Pauschale begründet und wird durch die damit verbundene Vereinfachung und Beschleunigung des Vollstreckungsverfahrens ausgeglichen. Sie ist auch deshalb sachlich gerechtfertigt, weil daraus folgende Nachteile - wie dargelegt - nicht nur den Gläubiger, sondern in gleicher Weise den Schuldner treffen können.

c) An die vom Gesetz bestimmten pfändungsfreien Beträge ist das Vollstreckungsgericht gebunden. Soll von ihnen abgewichen werden, bedarf es nach den §§ 850 ff. ZPO besonderer Voraussetzungen, die hier - über die vom Vollstreckungsgericht bereits getroffene Anordnung hinaus - nicht gegeben sind. So kann das Vollstreckungsgericht auf Antrag des Gläubigers nach billigem Ermessen bestimmen, dass eine Person, welcher der Schuldner auf Grund gesetzlicher Verpflichtung Unterhalt gewährt, bei der Berechnung des unpfändbaren Teils des Arbeitseinkommens ganz oder teilweise unberücksichtigt bleibt, wenn sie über eigene Einkünfte verfügt (§ 850c Abs. 4 ZPO). Ferner ermöglicht § 850 f Abs. 2 ZPO auf Antrag des Gläubigers dem Vollstreckungsgericht, bei der Zwangsvollstreckung wegen einer Forderung aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung, den pfändbaren Teil des Arbeitseinkommens ohne Rücksicht auf die in § 850c ZPO vorgesehene Beschränkung zu bestimmen, wenn dem Schuldner soviel belassen wird, wie er für seinen notwendigen Unterhalt und zur Erfüllung seiner laufenden gesetzlichen Unterhaltspflichten bedarf. Nach § 850 f Abs. 3 ZPO kann im Falle einer Zwangsvollstreckung wegen anderer als der in Abs. 2 der Vorschrift bezeichneten Forderungen und der in § 850d ZPO aufgeführten Unterhaltsansprüche die Pfändbarkeit unter Berücksichtigung der Belange des Gläubigers und des Schuldners vom Vollstreckungsgericht nach freiem Ermessen festgesetzt werden, wenn sich das Arbeitseinkommen des Schuldners auf mehr als monatlich 2.815 EUR beläuft, solange dem Schuldner soviel belassen wird, wie sich bei einem Arbeitseinkommen von 2.815 EUR aus § 850c ZPO ergeben würde. Diese Vorschriften tragen den Belangen der am Vollstreckungsverfahren Beteiligten abschließend Rechnung. Kann sich ein Gläubiger auf sie nicht berufen, ist er weder bei Erlass des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses noch zu einem späteren Zeitpunkt (§ 850g ZPO) berechtigt, eine erweiterte Pfändung der Einkünfte des Schuldners zu beantragen (vgl. BGH, Beschl. v. 12.12.2003 - IXa ZB 207/03, MDR 2004, 471 = BGHReport 2004, 556 = WM 2004, 398). Es besteht aus den genannten Gründen auch keine Veranlassung, dem Gläubiger in entsprechender Anwendung des § 850c Abs. 4 ZPO das Recht zuzubilligen, beim Vollstreckungsgericht zu beantragen, den Schuldner für die erste unterhaltsberechtigte Person auf den verminderten Freibetrag der zweiten Stufe zu verweisen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1170164

BGHR 2004, 1315

JWO-FamR 2004, 225

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