Entscheidungsstichwort (Thema)

Eidesstattliche (Offenbarungs-)Versicherung: Verhältnis von § 95 AO 1977 zu § 807 ZPO

 

Leitsatz (amtlich)

Nach § 95 AO eidesstattlich versicherte Angaben des Schuldners zu seinem Vermögen stehen der Verpflichtung zur Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung nach § 807 ZPO nicht entgegen.

 

Normenkette

AO 1977 § 284; ZPO § 807; AO § 95

 

Verfahrensgang

LG Stuttgart (Beschluss vom 18.12.2003; Aktenzeichen 2 T 490/03)

AG Waiblingen (Beschluss vom 27.10.2003; Aktenzeichen M 4149/03)

 

Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 2. Zivilkammer des LG Stuttgart v. 18.12.2003 wird auf Kosten der Schuldnerin zurückgewiesen.

Wert: 1.500 EUR.

 

Gründe

I.

Der Gläubiger betreibt gegen die Schuldnerin aus dem Versäumnisurteil des LG Stuttgart v. 30.4.2003 (- 2 O 111/03) die Zwangsvollstreckung ohne Sicherheitsleistung. Auf seinen Antrag hat der zuständige Gerichtsvollzieher einen Termin zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung auf den 5.8.2003 anberaumt. In diesem Termin erschien für die Schuldnerin deren Prozessbevollmächtigter und widersprach der Verpflichtung zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung mit der Begründung, dass die Schuldnerin bereits am 20.6.2003 vor dem Finanzamt Waiblingen eine eidesstattliche Versicherung gem. § 95 Abgabenordnung (AO) abgelegt habe, welche auch dem Gläubiger mit Schreiben v. 23.7.2003 offen gelegt worden sei. Ein Rechtsschutzbedürfnis zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung bestehe daher nicht. Das AG Waiblingen hat den Widerspruch zurückgewiesen. Die sofortige Beschwerde der Schuldnerin hat das LG Stuttgart durch den angefochtenen Beschluss verworfen. Dagegen wendet sich die Schuldnerin mit ihrer zugelassenen Rechtsbeschwerde.

II.

Das gem. § 574 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 S. 2 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsmittel ist unbegründet.

1. Das Beschwerdegericht ist der Auffassung, dass ein Schuldner zur wiederholten Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung nach § 903 ZPO nur dann nicht verpflichtet ist, wenn er bereits eine eidesstattliche Versicherung nach § 807 ZPO oder nach § 284 AO abgegeben hat. Der Umstand, dass die Schuldnerin eine strafbewehrte Versicherung an Eides statt nach § 95 AO vor dem Finanzamt Waiblingen abgegeben habe, stehe dem Verlangen des Gläubigers nach Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung nach § 807 ZPO nicht entgegen. Auf die Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung nach anderen Bestimmungen sei die Regelung des § 903 ZPO nicht anzuwenden. Dafür spreche neben dem Wortlaut der Norm auch der Umstand, dass sich die Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung nach § 95 AO inhaltlich nicht mit derjenigen nach § 807 ZPO bzw. § 284 AO decke und anderen Zwecken diene; insb. könne die Versicherung nach § 95 AO nicht mit Zwangsmitteln erzwungen und überdies auch nicht in das Schuldnerverzeichnis (§ 915 ZPO) eingetragen werden. Im Übrigen stehe auch der Grundsatz der Rechtssicherheit einer Ausweitung des § 903 ZPO über die in dieser Vorschrift ausdrücklich geregelten Fälle entgegen.

2. Die Rechtsbeschwerde meint demgegenüber, dass ein Rechtsschutzinteresse des Gläubigers an der Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung nach § 807 ZPO fehle. Sinn und Zweck der Regelung des § 903 ZPO geböten es, den Anwendungsbereich der Vorschrift auf Fälle auszudehnen, in denen der Schuldner eine eidesstattliche Versicherung nach § 95 AO abgelegt und diese dem Gläubiger offen gelegt habe. Durch die Offenlegung habe der Gläubiger bereits Gewissheit über die Vermögenslage des Schuldners. Damit sei der zur Durchführung der Vollstreckung erforderliche Kenntnisstand gewährleistet, der durch die Strafbewehrung nach § 95 Abs. 3 AO auch die erforderliche Zuverlässigkeit aufweise. Die fehlende Eintragbarkeit der freiwillig abgegebenen eidesstattlichen Versicherung nach § 95 AO in das Schuldnerverzeichnis nach § 915 ZPO sei demgegenüber ohne Bedeutung. Das Schuldnerverzeichnis diene dazu, die Handhabung der Regeln über die erneute Abgabe der eidesstattlichen Versicherung (§ 903 ZPO) und die erneute Verhaftung (§ 914 ZPO) zu erleichtern. Außerdem trage es den Interessen des Rechtsverkehrs daran Rechnung, sich bei Zweifeln an der Kreditwürdigkeit eines Schuldners informieren zu können. Lege der Schuldner die freiwillig abgegebene eidesstattliche Versicherung vor, könne anhand dieser auch ohne Eintrag in das Vermögensverzeichnis überprüft werden, ob eine unzulässige Wiederholung vorliege. Auf die Interessen des Rechtsverkehrs könne sich der Gläubiger nicht berufen.

3. Die Auffassung des Beschwerdegerichts trifft zu. Die Argumente der Rechtsbeschwerde vermögen demgegenüber nicht zu überzeugen.

a) Nach § 95 AO eidesstattlich versicherte Angaben des Schuldners zu seinem Vermögen stehen der Verpflichtung zur Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung nach § 807 ZPO nicht entgegen. Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 903 ZPO ist eine wiederholte eidesstattliche Versicherung nur in den Fällen, in denen der Schuldner in den letzten drei Jahren eine eidesstattliche Versicherung nach § 807 ZPO oder § 284 AO abgegeben hat, grundsätzlich ausgeschlossen und nur ausnahmsweise unter den dort genannten besonderen Voraussetzungen zulässig. Eidesstattliche Versicherungen nach anderen Vorschriften befreien nicht von der Pflicht zur Abgabe der Versicherung nach § 807 ZPO (vgl. Musielak/Voit, ZPO, 3. Aufl., § 903 Rz. 2; Zöller/Stöber, ZPO, 24. Aufl., § 903 Rz. 2; Stein/Jonas/Münzberg, ZPO, 21. Aufl., § 903 Rz. 2; Gottwald, Zwangsvollstreckungsrecht, 4. Aufl., § 903 Rz. 2; LG Detmold v. 28.11.1986 - 2 T 461/86, Rpfleger 1987, 165 [166]). Die hervorgehobene Bedeutung der eidesstattlichen Versicherungen nach § 807 ZPO und § 284 AO zeigt der Vergleich mit § 915 ZPO: Nur die Personen, die nach diesen Vorschriften eidesstattliche Versicherungen abgegeben haben, sind in das Schuldnerverzeichnis eintragbar. Nach der Rechtsprechung des BFH ist es auch unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit ermessensgerecht, wenn die Finanzbehörde eine auf § 284 AO gestützte Aufforderung zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung erlässt, obwohl der Vollstreckungsschuldner die Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung nach § 95 AO anbietet (vgl. BFH BStBl. II 1992, 57; BFH/NV 2002, 617; BFH/NV 2002, 1413; Klein/Brockmeyer, AO, 8. Aufl., § 95 Rz. 2 m.w.N.). Dass der Rechtsverkehr ein schützenswertes Interesse an der Führung des Schuldnerverzeichnisses hat, spricht dafür, § 903 ZPO nicht abweichend von § 915 ZPO erweiternd auszulegen.

b) Die Überlassung eines nach § 95 AO an Eides statt versicherten Vermögensverzeichnisses lässt grundsätzlich auch nicht das Rechtsschutzbedürfnis des Gläubigers an einer eidesstattlichen Versicherung nach § 807 ZPO entfallen. Nach in Rechtsprechung und Schrifttum praktisch einhellig vertretener Auffassung setzt zwar das Verfahren der eidesstattlichen Versicherung nach § 807 ZPO ein Rechtsschutzbedürfnis des Gläubigers voraus, dieses liegt aber im Regelfall vor und muss vom Gläubiger nicht dargetan werden (vgl. BVerfG BVerfGE 48, 396 [401]; v. 19.10.1982 - 1 BvL 34/80, 1 BvL 55/80, BVerfGE 61, 126 [134 f.] = MDR 1983, 188; Schuschke/Walker, Vollstreckung und Vorläufiger Rechtsschutz, 3. Aufl., § 900 Rz. 7). Das Rechtsschutzbedürfnis kann in Ausnahmefällen fehlen, wenn beispielsweise der Gläubiger die Vermögenslage des Schuldners sicher kennt (vgl. LG Stade DGVZ 1999, 8; LG Berlin v. 16.12.1991 - 81 T 858/91, Rpfleger 1992, 168; LG Detmold v. 28.11.1986 - 2 T 461/86, Rpfleger 1987, 165; LG Köln v. 30.6.1987 - 10 T 87/87, MDR 1987, 944; LG Verden v. 21.2.1986 - 1 T 87/86, Rpfleger 1986, 186; Eickmann in MünchKomm/ZPO, 2. Aufl., § 807 Rz. 21 ff.; Stein/Jonas/Münzberg, ZPO, 21. Aufl., § 900 Rz. 8; Gottwald, Zwangsvollstreckungsrecht, 4. Aufl., § 807 Rz. 7 ff., § 900 Rz. 8; Brox/Walker, Zwangsvollstreckungsrecht, 7. Aufl., Rz. 1135; Schuschke/Walker, Vollstreckung und Vorläufiger Rechtsschutz, 3. Aufl., § 807 Rz. 7; Schnigula, Das Offenbarungsverfahren - Darstellung der Sachaufklärung in der Zwangsvollstreckung, S. 19 ff.; Koch, Offenbarungseid und Haft, S. 59 f.; Behr, Rpfleger 1988, 1 [2]; Mümmler, JurBüro 1987, 647 [648 f.]; vgl. auch LG Itzehoe v. 28.9.1984 - 4 T 273/84, Rpfleger 1985, 153). Eine solche sichere Kenntnis ergibt sich generell nicht bereits daraus, dass der Schuldner nach anderen Verfahrensvorschriften Angaben zu seinem Vermögen an Eides statt versichert hat (vgl. Eickmann in MünchKomm/ZPO, 2. Aufl., § 807 Rz. 24; Musielak/Becker, ZPO, 3. Aufl., § 807 Rz. 7; LG Detmold v. 28.11.1986 - 2 T 461/86, Rpfleger 1987, 165). Der Gläubiger braucht auf die inhaltliche Richtigkeit einer solchen nicht im Verfahren nach § 807 ZPO oder § 284 AO abgegebenen eidesstattlichen Versicherung nicht zu vertrauen. Die nach anderen Verfahrensvorschriften abgegebene eidesstattliche Versicherung kann anderen Zwecken dienen als einer vollständigen Offenbarung der Vermögenswerte des Schuldners und der eventuell anfechtbaren Rechtshandlungen nach § 807 Abs. 2 S. 1 ZPO. Es besteht auch die Möglichkeit, dass im Verfahren nach § 807 ZPO eine Erörterung des Vermögensverzeichnisses durch den Gerichtsvollzieher mit dem Schuldner oder die Ausübung des Fragerechts durch den Gläubiger doch zu einer Feststellung von pfändbaren Vermögenswerten führen.

Für den Ausnahmefall, dass der Gläubiger sichere Kenntnis von den Vermögenswerten des Schuldners hat, trägt dieser die Darlegungs- und Beweislast. Im vorliegenden Fall hat die Schuldnerin ein rechtsmissbräuchliches Verlangen des Gläubigers nicht hinreichend dargetan. Nach ihrem Vortrag bleibt schon unklar, ob sie von der Finanzbehörde zu einer vollständigen Offenbarung ihrer Vermögensverhältnisse aufgefordert worden ist. Dies lässt die Möglichkeit offen, dass die Finanzbehörde nur die Glaubhaftmachung bestimmter Tatsachen zur Vermögenslage der Schuldnerin gefordert hat, eine umfassende Pflicht zur Aufdeckung aller Vermögenswerte oder ggf. anfechtbarer Rechtsgeschäfte also gerade nicht bestand. Darüber hinaus sind aber auch die vorstehend dargelegten allgemeinen Bedenken gegen die Richtigkeit und Vollständigkeit eines nicht nach § 807 ZPO eidesstattlich versicherten Vermögensverzeichnisses hier nicht ausgeräumt.

 

Fundstellen

BFH/NV Beilage 2004, 385

DStR 2004, 1265

NJW 2004, 2905

BGHR 2004, 1388

FamRZ 2004, 1555

JurBüro 2004, 620

WM 2004, 1482

InVo 2004, 420

KKZ 2005, 150

MDR 2004, 1258

Rpfleger 2004, 577

ZVI 2004, 515

BFH/NV-Beilage 2004, 385

GK/Bay 2005, 121

ProzRB 2004, 267

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