Entscheidungsstichwort (Thema)

Anwendbarkeit des § 119 Abs. 1 Nr. 1 GVG bei Anwendung ausländischen Rechts zur Prüfung einer Vorfrage und ausdrücklicher Erwähnung des angewendeten ausländischen Rechtssatzes

 

Leitsatz (amtlich)

a) Eine die Zuständigkeit des OLG begründende Anwendung ausländischen Rechts kann auch in seiner Anwendung bei einer Vorfrage liegen.

b) Eine ausdrückliche Feststellung ausländischen Rechts i.S.v. § 119 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. c GVG liegt grundsätzlich nur vor, wenn das Urteil des AG förmlich feststellt, dass ausländisches Recht angewendet worden ist, oder wenn es die angewendeten Vorschriften oder Rechtssätze des zugrunde gelegten ausländischen Rechts ausdrücklich bezeichnet.

 

Normenkette

GVG § 119 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. c

 

Verfahrensgang

OLG Celle (Beschluss vom 19.07.2006; Aktenzeichen 16 U 142/06)

AG Celle (Urteil vom 12.04.2006; Aktenzeichen 14 C 1081/05)

 

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des Beklagten wird der Beschluss des 16. Zivilsenats des OLG Celle vom 19.7.2006 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Entscheidung an die 9. Zivilkammer des LG Lüneburg zurückverwiesen.

Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 5.000 EUR.

 

Gründe

I.

[1] Am 26.10.2004 verkaufte der Beklagte dem Kläger mit privatschriftlichem Vertrag für 75.000 EUR eine in dem türkischen Ort A. gelegene Eigentumswohnung. In dem Vertrag war eine Anzahlung von 5.000 EUR vorgesehen, die der Kläger zahlte und jetzt unter Hinweis auf die Formnichtigkeit des Vertrags zurückverlangt.

[2] Das AG hat der Klage mit dem Beklagten am 18.4.2006 zugestellten Urteil stattgegeben. Dagegen hat der Beklagte am 12.5.2006 bei dem LG Berufung eingelegt und diese am 19.6.2006, einem Montag, begründet. Nach einem Hinweis des LG auf die Berufungszuständigkeit des OLG nach § 119 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. c GVG hat der Beklagte am 29.6.2006 auch Berufung bei dem OLG eingelegt und diese mit einem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand verbunden. Das OLG hat den Antrag auf Wiedereinsetzung zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Beklagten.

II.

[3] 1. Die Rechtsbeschwerde ist nach §§ 574 Abs. 1 Nr. 1, 522 Abs. 1 Satz 4, 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig.

[4] a) Die Fortbildung des Rechts erfordert eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts (§ 574 Abs. 2 ZPO). In Literatur und Rechtsprechung ist umstritten, welche Anforderungen an die Anwendung ausländischen Rechts und die ausdrückliche Feststellung dieses Umstands zu stellen sind, die nach § 119 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. c GVG die Berufungszuständigkeit des OLG begründen. Höchstrichterliche Leitsätze, an denen sich die Praxis ausrichten könnte, fehlen. Das rechtfertigt die Zulassung (BGH v. 4.7.2002 - V ZB 16/02, BGHZ 151, 221, 225 = BGHReport 2002, 948 = MDR 2002, 1207).

[5] b) Der Zulässigkeit der Rechtsbeschwerde steht nicht entgegen, dass der Beklagte die Berufung sowohl bei dem LG als auch bei dem OLG eingelegt hat. Die mehrfache Einlegung eines Rechtsmittels ändert nämlich nichts daran, dass dieses der Partei nur einmal zusteht und über dieses Rechtsmittel auch nur einmal entschieden werden kann (BGHZ 45, 380, 383 f.). Das gilt auch dann, wenn, wie hier, das Rechtsmittel bei unterschiedlichen Gerichten eingelegt worden ist. Deshalb ist die Berufung des Beklagten durch das OLG auch insoweit verworfen worden, als sie bei dem LG eingelegt worden ist.

[6] 2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet.

[7] a) Das OLG durfte die an sich statthafte Berufung des Beklagten nach § 522 Abs. 1 Satz 2 ZPO nur verwerfen, wenn sie nicht form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden war. Da der Beklagte seine Berufung sowohl bei dem LG als auch bei dem OLG eingelegt hat, kam eine Verwerfung nur in Betracht, wenn weder die bei dem LG noch die bei dem OLG eingereichte Berufungsschrift rechtzeitig und dem Beklagte auch nicht Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren war. Daran fehlt es.

[8] b) Für die Entscheidung über die Berufung ist das LG, nicht das OLG zuständig.

[9] aa) Zur Entscheidung über die Berufung gegen ein Urteil des AG ist nach § 72 GVG grundsätzlich das LG berufen. Etwas anderes gilt, soweit hier von Interesse, nach § 119 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. c GVG nur, wenn das AG ausländisches Recht angewendet und dies ausdrücklich festgestellt hat.

[10] bb) Das AG hat als Grundlage des geltend gemachten Anspruchs § 812 Abs. 1 BGB angenommen. Es hat diese Norm unmittelbar angewendet und nicht - unter Anwendung türkischen internationalen Privatrechts - im Wege einer Rückverweisung (Art. 4 Abs. 1 Satz 2 EGBGB) auf das deutsche Recht. Das lag auch nahe, weil es den Vorvertrag, dessen Zweck verfehlt worden sein soll, ebenfalls nach deutschem Recht beurteilt hat (Art. 38 Abs. 1 EGBGB). Deshalb braucht hier nicht entschieden zu werden, ob die Anwendung ausländischen internationalen Privatrechts als Anwendung ausländischen Rechts i.S.v. § 119 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. c GVG zu bewerten wäre (ablehnend: Thomas/Putzo/Hüßtege, ZPO, 27. Aufl., § 119 GVG Rz. 15; Schwartze in: Meyer-Seitz/Hannich, ZPO-Reform 2002, S. 6 Rz. 12; befürwortend: Brand/Karpenstein, NJW 2005, 1319, 1320; Kroiß, Das neue Zivilprozessrecht, 2001, S. 58 Rz. 9). Die Anwendung ausländischen Rechts kann hier nur darin liegen, dass das AG bei der Prüfung der Vorfrage, ob der Kaufvertrag der Parteien wirksam ist, gemeint hat, der Vertrag sei sowohl nach deutschem als auch nach türkischem Recht unwirksam.

[11] cc) Ob die Anwendung ausländischen Rechts bei der Prüfung einer Vorfrage zur Bejahung von § 119 Abs. 1 Nr. 1 GVG ausreicht, ist umstritten. Teilweise wird die Ansicht vertreten, eine die Berufungszuständigkeit des OLG begründende Anwendung ausländischen Rechts liege nur vor, wenn das AG ausländisches Recht bei der Prüfung der Hauptfrage angewendet habe (OLG Hamm OLGReport Hamm 2002, 426 f.; Kissel/Mayer, GVG, 4. Aufl., § 119 Rz. 27e; Thomas/Putzo/Hüßtege, a.a.O., § 119 GVG Rz. 16). Andere halten, wie das OLG im vorliegenden Fall, die Anwendung ausländischen Rechts auch bei der Prüfung einer Vorfrage für ausreichend (Zöller/Gummer, ZPO, 26. Aufl., § 119 GVG Rz. 16; wohl auch MünchKomm/ZPO/Wolf, 2. Aufl., Erg.-Bd. § 119 Rz. 9).

[12] dd) Der Senat entscheidet die Frage im zweiten Sinne. Der Wortlaut der Vorschrift ist offen und erlaubt beide Auslegungen. Für die zweite Auslegung spricht der Zweck der Vorschrift. Die Verlagerung der Berufungszuständigkeit in Fällen mit Auslandsbezug auf die OLG soll nach den Vorstellungen des Gesetzgebers dem Umstand Rechnung tragen, dass durch die Internationalisierung des Rechts und durch den zunehmenden grenzüberschreitenden Rechtsverkehr ein großes Bedürfnis nach Rechtssicherheit durch eine obergerichtliche Rechtsprechung besteht (vgl. Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses zu dem ZPO-Reformgesetz in BT-Drucks. 14/6036, 119). Auch soll sie eine Spezialisierung erleichtern (Schwartze in: Meyer-Seitz/Hannich, a.a.O., S. 4 Rz. 5). Bei dieser Zielrichtung der Vorschrift kann es nicht darauf ankommen, an welcher Stelle der Prüfung ausländisches Recht angewendet wird. Maßgeblich muss vielmehr sein, dass sich das AG mit dem ausländischen Recht befasst und seine Beurteilung des ausländischen Rechts die Entscheidung trägt (MünchKomm/ZPO/Wolf, a.a.O.).

[13] Hier hat sich das AG mit der Frage befasst, ob der Vertrag der Parteien ein nach türkischem Recht wirksamer Kaufvertrag war. Ob seine Beurteilung des türkischen Rechts seine Entscheidung trägt, ist zweifelhaft. Das AG qualifiziert den Vertrag der Parteien nämlich als Vorvertrag, den es ausdrücklich dem deutschen Recht unterstellt, was nach Art. 28 Abs. 3 EGBGB nur möglich ist, wenn er trotz seines Gegenstands, einer in der Türkei belegenen Eigentumswohnung, engere Bindungen zu Deutschland hat. Dass dies bei einer Qualifikation als Kaufvertrag, auf dessen Abschluss der Vorvertrag nach Meinung des AG zielte, anders sein könnte, ist nicht ersichtlich. Dann aber käme es auf die Beurteilung des türkischen Rechts nicht an. Dies kann aber letztlich offen bleiben.

[14] ee) Wenn man in den Ausführungen des AG zum türkischen Recht eine Anwendung ausländischen Rechts i.S.v. § 119 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. c GVG sähe, führte das allein nicht zur Zuständigkeit des OLG. Diese setzt nach der genannten Vorschrift vielmehr zusätzlich voraus, dass das AG die Anwendung ausländischen Rechts ausdrücklich festgestellt hat.

[15] (1) Was dazu erforderlich ist, ist umstritten. Teilweise wird eine ausdrückliche Feststellung verlangt, dass ausländisches Recht angewendet worden ist (Schwartze in: Meyer-Seitz/Hannich, a.a.O., S. 7 Rz. 14). Nach einer Gegenansicht genügt es, wenn die Entscheidungsgründe einen ausländischen Rechtssatz als entscheidungserheblich erkennen lassen (Kissel/Mayer, a.a.O., § 119 Rz. 27e; MünchKomm/ZPO/Wolf, a.a.O., § 119 GVG Rz. 10; Zöller/Gummer, a.a.O., § 119 GVG Rz. 16). Nach einer vermittelnden Ansicht muss jedenfalls der angewendete ausländische Rechtssatz ausdrücklich erwähnt werden (Thomas/Putzo, Hüßtege, a.a.O., § 119 GVG Rz. 17).

[16] (2) Dieser dritten Meinung folgt der Senat. § 119 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. c GVG verlangt eine "ausdrückliche" Feststellung. Das lässt seinem Wortsinn nach erwarten, dass in dem Urteilstenor oder in den Entscheidungsgründen förmlich festgestellt wird, dass ausländisches Recht angewendet worden ist. Mit dem Wortlaut wäre es auch noch vereinbar, wenn das Urteil eine solche förmliche Feststellung nicht enthält, den geltend gemachten Anspruch oder eine seiner Voraussetzungen nach ausdrücklich genannten Vorschriften oder ungeschriebenen Rechtssätzen eines bestimmten ausländischen Rechts behandelt. Die Grenze des Wortlauts ist aber erreicht, wenn das Urteil weder eine förmliche Feststellung der Anwendung ausländischen Rechts enthält noch die Rechtsvorschriften oder Rechtsgrundsätze bezeichnet, die es angewendet haben will. Für ein enges Verständnis der Norm spricht auch der Vergleich mit § 547 Nr. 6 ZPO. Danach liegt ein absoluter Revisionsgrund vor, wenn ein Urteil entgegen den Bestimmungen der Zivilprozessordnung nicht mit Gründen versehen ist. Das ist auch dann der Fall, wenn die unterlegene Partei den Gründen nicht eindeutig entnehmen kann, ob das Berufungsgericht revisibles Bundesrecht oder nicht revisibles ausländisches Recht zugrunde gelegt hat (BGH, Urt. v. 23.10.1980 - III ZR 70/79, IPRspr. 1980 Nr. 3 S. 7; Urt. v. 3.5.1988 - X ZR 99/86, MDR 1988, 962 = NJW 1988, 3097; MünchKomm/ZPO/Wenzel, a.a.O., § 547 Rz. 17; Wieczorek/Schütze/Prütting, ZPO, 3. Aufl., § 547 Rz. 48). Das ist in der Regel ohne die Bezeichnung der einschlägigen Normen des ausländischen Rechts nicht möglich (BGH, Urt. v. 3.5.1988, a.a.O.). Dass der strikter gefasste § 119 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. c GVG geringere Anforderungen stellen soll, vermag nicht einzuleuchten.

[17] Ein solches Verständnis widerspräche auch dem Zweck dieses zusätzlichen Erfordernisses. Der Gesetzgeber hat hiermit nämlich sicherstellen wollen, dass die Vorschrift dem aus dem Rechtsstaatsprinzip abzuleitenden Gebot der Rechtsmittelklarheit, wonach Rechtsbehelfe "in der geschriebenen Rechtsordnung" geregelt und in ihren Voraussetzungen für die Bürger klar erkennbar sein müssen (s. dazu Plenarentscheidung des BVerfG v. 30.4.2003 - 1 PBvU 1/02, MDR 2003, 886 = NJW 2003, 1924, 1928), genügt (Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses zu dem ZPO-Reformgesetz in BT-Drucks. 14/6036, 119). Das lässt sich nur erreichen, wenn dieses Erfordernis eng und formal verstanden wird. Andernfalls führte die Zuständigkeitsregelung in § 119 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. c GVG zu einer auch verfassungsrechtlich nicht mehr hinnehmbaren Rechtsunsicherheit (so Brand/Karpenstein, NJW 2005, 1319, 1320), weil sie den Zugang zu dem an sich gegebenen Rechtsmittel der Berufung in einer mit Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigenden Weise erschwerte. Das Erfordernis, entweder die Anwendung ausländischen Rechts festzustellen oder die angewendeten ausländischen Rechtsnormen und Rechtssätze ausdrücklich zu benennen, kann dazu führen, dass das OLG nicht zuständig ist, obwohl man den Entscheidungsgründen des amtsgerichtlichen Urteils entnehmen kann, dass es ausländisches Recht angewendet hat. Das muss aber im Interesse einer für den Rechtsanwender einfach und sicher nachvollziehbaren Handhabung der Vorschrift in Kauf genommen werden.

[18] (3) Gemessen an diesen Vorgaben scheitert eine Zuständigkeit des OLG hier jedenfalls an der fehlenden ausdrücklichen Feststellung der Anwendung ausländischen Rechts. Das Urteil des AG stellt nicht fest, dass ausländisches Recht angewendet wurde. Es nennt auch keine Vorschrift und keinen ungeschriebenen Rechtssatz des türkischen Rechts. Damit fehlte es an einer ausdrücklichen Feststellung. Das LG blieb daher zuständig.

[19] c) Die bei dem LG eingelegte Berufung ist form- und fristgerecht.

[20] d) Die bei dem OLG eingereichte Berufung des Beklagten ist damit gegenstandslos (BGHZ 45, 380, 383 f.). Die Frage, ob dem Beklagten im Hinblick auf ihre verspätete Einreichung Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren wäre, stellt sich nicht.

III.

[21] Die Sache ist nach §§ 522 Abs. 1 Satz 4, 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO zur erneuten Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Das ist hier indessen nicht das OLG, das seine Zuständigkeit irrig angenommen hat, sondern das LG.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1697741

NJW 2007, 1211

BGHR 2007, 354

EBE/BGH 2007

WM 2007, 520

MDR 2007, 905

RIW 2007, 310

VersR 2007, 664

PA 2007, 103

TranspR 2007, 130

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