Leitsatz (amtlich)

›Auch wenn ein Richter in einer Hauptverhandlung abgelehnt wird, gelten für das Ablehnungsverfahren weder der Grundsatz der Öffentlichkeit noch das Gebot der Anwesenheit des Angeklagten.‹

 

Verfahrensgang

LG Oldenburg

 

Gründe

Die Nachprüfung des angefochtenen Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigungen hat keinen zur Urteilsaufhebung nötigenden Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO).

Ergänzend zu den Ausführungen des Generalbundesanwalts in dessen Antragsschriften bemerkt der Senat:

1. Zu den Verfahrensbeschwerden der Angeklagten S. und T..

a) Die Rügen der Verletzung des Öffentlichkeitsgrundsatzes (§ 338 Nr. 6 StPO) dringen auch insoweit nicht durch, als es um das nach (teilweisem) Ausschluß der Öffentlichkeit nach § 172 Nr. 1 a GVG gestellte Ablehnungsgesuch gegen die Richter der erkennenden Strafkammer geht. Das Ablehnungsverfahren ist materiell gesehen nicht Teil der vom Öffentlichkeitsprinzip bestimmten Hauptverhandlung, sondern ein selbständiges, eigenen Regeln unterliegendes Verfahren, das der Sache nach zum Gerichtsverfassungsrecht gehört (vgl. Roxin, Strafverfahrensrecht 23. Aufl. § 9, 1 = S. 38) und für das Öffentlichkeit gesetzlich nicht vorgeschrieben ist. Dies hat der Senat im Anschluß an die Rechtsprechung des Reichsgerichts (RGSt 21, 250, 251; 58, 286, 288) für den Fall der Bekanntgabe des ein Ablehnungsgesuch zurückweisenden Gerichtsbeschlusses bereits entschieden (Urteil vom 23. April 1980 - 3 StR 434/79 (S) = BGH bei Pfeiffer NStZ 1982, 188 - insoweit in BGHSt 29, 258 nicht abgedruckt; vgl. ferner Pfeiffer/Fischer StPO 1995 § 26 Rdn. 1; Wassermann in AK-StPO 1988 § 27 Rdn. 2; Burhoff, Handbuch für die strafrechtliche Hauptverhandlung 1995 S. 12). Teil des Ablehnungsverfahrens, für das der Öffentlichkeitsgrundsatz nicht gilt, sind darüber hinaus die in den Stellungnahmen der übrigen Verfahrensbeteiligten bestehende Verhandlung über das Ablehnungsgesuch sowie die Einholung und Bekanntgabe dienstlicher Äußerungen. Dazu gehört aber auch die Anbringung des Ablehnungsgesuchs selbst, wie die das Ablehnungsverfahren betreffende Vorschrift des § 26 StPO mit ihren Regelungen über die Formalien des Ablehnungsgesuchs und seiner Anbringung zeigt. Anderes folgt nicht daraus, daß es der Gesetzgeber in § 26 Abs. 1 Satz 2 StPO (i.d.F. von Art. 4 des Verbrechensbekämpfungsgesetzes vom 28. Oktober 1994, BGBl I S. 3186) für notwendig erachtet hat, das Ablehnungsgesuch von der in der Hauptverhandlung geltenden, durch das Verbrechensbekämpfungsgesetz neu eingeführten Bestimmung des § 257 a StPO ausdrücklich auszunehmen. Diese Neuregelung in § 26 Abs. 1 Satz 2 StPO hat lediglich klarstellende Bedeutung. Mit ihr soll für den Fall eines gelegentlich einer Hauptverhandlung gestellten Ablehnungsgesuchs zum Ausdruck gebracht werden, daß die in § 257 a StPO vorgesehene Anordnung schriftlicher Antragstellung nach Meinung des Gesetzgebers der Durchsetzung des Gebots unverzüglicher Geltendmachung des Ablehnungsgrunds (§ 25 Abs. 2 Nr. 2 StPO) zuwiderlaufen könnte und deshalb dafür nicht gelten soll (BT-Drucks. 12/6853 S. 32, 34). Die nach den Vorschriften über die richterliche Ablehnung gegebene Möglichkeit der Anbringung des Ablehnungsgesuchs in der Hauptverhandlung rechtfertigt nicht die Annahme, daß das Ablehnungsgesuch damit notwendig allen zwingenden Regeln über die Hauptverhandlung unterliegt (vgl. auch Wendisch in Löwe-Rosenberg StPO 24. Aufl. § 26 Rdn. 4; Rudolphi in SK-StPO § 26 Rdn. 2). Daß die Richterablehnung in der Hauptverhandlung geschieht, hat vielmehr für die Hauptverhandlung nur eine zufällige, unwesentliche (akzidentielle) Bedeutung. Die materielle Abschichtung des Ablehnungsgesuchs von der Hauptverhandlung und seine Zugehörigkeit zum eigenständigen, vom Öffentlichkeitsprinzip befreiten Ablehnungsverfahren finden nicht zuletzt darin ihren Ausdruck, daß das Ablehnungsgesuch zur Wahrung des Unverzüglichkeitsgebots in § 25 Abs. 2 Nr. 2 StPO bei längeren Hauptverhandlungsunterbrechungen außerhalb der Hauptverhandlung und damit unabhängig von ihr gestellt werden muß (vgl. BGH NStZ 1982, 291, 292; 1991, 50; 1993, 141).

b) Daß das Ablehnungsgesuch in Abwesenheit der nach § 247 StPO von der Hauptverhandlung ausgeschlossenen Angeklagten gestellt und darüber durch Abgabe und Entgegennahme von Stellungnahmen anderer Verfahrensbeteiligter verhandelt worden ist, begründet nicht den absoluten Revisionsgrund des § 338 Nr. 5 StPO. Wird das Ablehnungsverfahren formal bei andauernder Hauptverhandlung durchgeführt, stellt es wegen seiner (sachlichen) Selbständigkeit keinen wesentlichen Teil der Hauptverhandlung dar, wie dies nach der Rechtsprechung für den absoluten Revisionsgrund des § 338 Nr. 5 StPO vorauszusetzen ist (vgl. BGHSt 26, 84, 91 mit weiteren Rechtsprechungsnachweisen). Zwar gilt generell, daß die Gründe für die Besorgnis richterlicher Befangenheit auf die Person des Angeklagten bezogen sein müssen und unter Berücksichtigung seiner Sicht festzustellen sind, ein eigenständiges Ablehnungsrecht des Verteidigers mithin nicht besteht. Daraus folgt jedoch nicht, daß das Ablehnungsrecht unter Ausschluß einer Vertretung durch den Verteidiger höchstpersönlichen Charakter hätte und daß die Angeklagten deshalb bei der Antragstellung hätten anwesend sein müssen (vgl. Wendisch in Löwe-Rosenberg StPO 24. Aufl. § 26 Rdn. 4).

c) Die Angeklagten S. und T. haben auch insoweit keinen Erfolg, als sie beanstanden, daß sie nach ihrer vorübergehenden Wiederzulassung zur Hauptverhandlung und vor Verkündung des das Ablehnungsgesuch zurückweisenden Gerichtsbeschlusses nicht über das vorausgegangene Ablehnungsverfahren gemäß § 247 Satz 4 StPO unterrichtet worden sind. Dabei kommt es nicht darauf an, ob § 247 Satz 4 StPO wegen der Eigenständigkeit des Ablehnungsverfahrens keine Anwendung findet. Rechtliches Gehör ist den Angeklagten durch die Anwesenheit ihrer Verteidiger gewährt worden. Ein Fall, in dem die Wahrnehmung dieses Rechts durch den Verteidiger nicht ausreicht, liegt nicht vor. Selbst wenn ein Verstoß gegen § 247 Satz 4 StPO begründet wäre, ist auszuschließen, daß das Urteil darauf beruht. Denn die Angeklagten hatten nach Bekanntgabe des ihr Gesuch zurückweisenden Beschlusses die Möglichkeit, ihr Ablehnungsgesuch unter Berufung auf die unterbliebenen Mitteilungen zu erneuern (BGHSt 21, 85, 87; BGH, Urteil vom 29. November 1977 - 1 StR 419/77).

d) Die auf die Verletzung des § 258 Abs. 2 und 3 StPO gestützten Rügen bleiben jedenfalls deshalb erfolglos, weil der Senat ausschließen kann, daß das Urteil auf einem etwaigen Verfahrensverstoß beruht. Nachdem die Strafkammer eine Verfahrensbeschränkung nach § 154 a Abs. 2 StPO auf den Vorwurf der versuchten schweren räuberischen Erpressung selbst angesprochen und die Staatsanwaltschaft einen entsprechenden Antrag gestellt hatte, drängte es sich unter den gegebenen Umständen für die Angeklagten und ihre Verteidiger auf, sich auf diese Möglichkeit einzustellen und sie bei ihren dann folgenden Schlußvorträgen und der Wahrnehmung des letzten Worts zu berücksichtigen.

2. Zu den Sachrügen.

Der von der Strafkammer festgestellte Sachverhalt ist hinsichtlich der Angeklagten S. und T. rechtlich als ein einheitlicher, in einem gestreckten Handlungsablauf mittäterschaftlich begangener Versuch der schweren räuberischen Erpressung (§§ 253, 255, 250 Abs. 1 Nr. 1 StGB) im Sinne einer den Besonderheiten des Erpressungstatbestandes entsprechenden Bewertungseinheit (tatbestandlicher Handlungseinheit) zu beurteilen. Spätestens mit dem Geschehen in und vor dem Bistro "Royal" war die Grenze von der Vorbereitungshandlung zum Versuch unter den erschwerenden Voraussetzungen des § 250 Abs. 1 Nr. 1 StGB überschritten. Der Versuch dauerte im Zeitpunkt des polizeilichen Zugriffs noch an. Die mit der Revision des Angeklagten T. vertretene Auffassung, daß die einzelnen Teilakte des Geschehens jeweils getrennt auf die Tatbestandserfüllung im Sinne einer versuchten schweren räuberischen Erpressung hin zu prüfen und eine Zusammenfassung zu einem Versuch im Sinne natürlicher Handlungseinheit nur möglich sei, wenn jeder Teilakt die Voraussetzungen einer versuchten schweren räuberischen Erpressung erfüllte, hält der Senat nicht für zutreffend. Zureichende Anhaltspunkte dafür, daß die Strafkammer diese rechtlichen Fragen anders als der Senat gewertet hätte, bestehen nicht. Die zeitliche Ausdehnung und die besondere Hartnäckigkeit des auf Zahlung der Spielschulden gerichteten, sich steigernden Verhaltens sowie das wiederholte Mitführen einer Schußwaffe konnten unabhängig davon, ob in jeder Geschehensphase auch jeweils die tatbestandlichen Voraussetzungen der versuchten schweren räuberischen Erpressung erfüllt oder wieder erfüllt waren, als Ausdruck erhöhter krimineller Intensität und Gefährlichkeit ohne Verstoß gegen § 46 Abs. 3 StGB strafschärfend gewertet werden.

Die Bezugnahme im Urteil auf während der Hauptverhandlung ergangene Beschlußentscheidungen der Strafkammer war zwar auch insoweit grundsätzlich unzulässig, als es die Frage einer Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit des Angeklagten T. infolge Spielsucht (und nicht nur die im Verwerfungsantrag des Generalbundesanwalts erörterte Glaubwürdigkeit des Zeugen G.) angeht (vgl. BGH, Urteil vom 25. Oktober 1995 - 3 StR 391/95 = BGHR StPO § 267 I 1 Bezugnahme 2). Ein durchgreifender sachlichrechtlicher Mangel liegt darin jedoch nicht, weil die Verständlichkeit und sachlichrechtliche Nachprüfbarkeit des Urteils darunter nicht leiden. Nach dem geschilderten Sachverhalt und den Mitteilungen zur Person des Angeklagten T. bestand jedenfalls aus sachlichrechtlichen Gründen kein genügender Anlaß, die Frage einer erheblichen Verminderung der Schuldfähigkeit infolge Spielsucht zu erörtern. Hinweise darauf, daß ein Täter seine Einkünfte aus gewerbsmäßigem Falschspiel erzielt, legen die Annahme einer Spielsucht gerade nicht nahe.

 

Fundstellen

Haufe-Index 2993403

NJW 1996, 2382

NStZ 1996, 398

wistra 1996, 304

MDR 1996, 951

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge