Entscheidungsstichwort (Thema)

Nummernüberprüfung bei Telefaxversand

 

Leitsatz (amtlich)

Wird die Telefaxnummer aus dem konkreten Aktenvorgang handschriftlich auf den zu versendenden Schriftsatz übertragen, genügt es zur Überprüfung auf mögliche Eingabefehler, die gewählte Empfängernummer mit der übertragenen Nummer abzugleichen (Anschluss an BGH, Beschl. v. 22.6.2004 - VI ZB 14/04, BGHReport 2004, 1582 = MDR 2004, 1374 = VersR 2005, 573).

 

Normenkette

ZPO § 233

 

Verfahrensgang

LG Kassel (Beschluss vom 14.09.2006; Aktenzeichen 1 S 268/06)

AG Korbach (Urteil vom 23.05.2006; Aktenzeichen 3 C 365/04 (70))

 

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des Beklagten wird der Beschluss der 1. Zivilkammer des LG Kassel vom 14.9.2006 aufgehoben.

Dem Beklagten wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist gewährt.

Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Gegenstandswert der Rechtsbeschwerde: 3.579,04 EUR

 

Gründe

I.

[1] Mit Urteil des AG K. vom 23.5.2006 ist der Beklagte verurteilt worden, an die Klägerin 3.579,04 EUR nebst Zinsen zu zahlen. Das Urteil ist seinem Prozessbevollmächtigten am 6.6.2006 zugestellt worden. Am 3.7.2006 hat der Beklagte Berufung zum LG K. eingelegt. Mit Schriftsatz vom Montag, den 7.8.2006, hat der Beklagte die Berufung begründet. Der Schriftsatz trägt im Kopf auf S. 1 die Telefax-Nummer des AG K., die jedoch als Telefax-Nummer des LG K. bezeichnet ist. Dieser Schriftsatz ist vorab per Fax am 7.8.2006 um 17.03 Uhr beim AG K. eingegangen. Dieses hat ihn am 11.8.2006 an das LG weitergeleitet, nachdem bis zu diesem Zeitpunkt kein Eingang des Originalschreibens beim AG bekannt wurde. Das Original des Schriftsatzes ist am 9.8.2006 beim LG eingegangen. Mit Verfügung vom selben Tag wies der Vorsitzende des Berufungsgerichts den Beklagten darauf hin, dass die Begründung der Berufung nicht innerhalb der bis 7.8.2006 laufenden Frist, sondern erst am 9.8.2006 beim Berufungsgericht eingegangen sei und deshalb beabsichtigt sei, die Berufung gem. § 522 Abs. 1 ZPO zu verwerfen. Mit Schriftsatz vom 18.8.2006, beim Berufungsgericht eingegangen am 21.8.2006 hat der Beklagte beantragt, ihm Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist zu gewähren. Der bearbeitende Rechtsanwalt habe die Begründung mit der ausdrücklichen Verfügung diktiert, eine Übersendung solle vorab per Telefax zur Fristwahrung erfolgen. Hierauf habe die erfahrene und zuverlässige Mitarbeiterin H. über dem Anschriftenfeld des LG K. den Aufdruck "per Telefax" und die folgende Telefax-Nummer angebracht. Dabei sei es zu der fehlerhaften Auswahl der Telefax-Nummer gekommen. H. habe sich bei der Ermittlung der Teilnehmernummer auf die in der Akte befindliche gerichtliche Korrespondenz verlassen; sie gehe davon aus, dass sie ein Schreiben des AG K. aufgeschlagen habe, was ihr aber entgangen sei.

[2] Auf weitere Verfügung des Vorsitzenden vom 21.8.2006 hat der Prozessbevollmächtigte des Beklagten am 6.9.2006 dargelegt, nach den Organisationsvorgaben seines Büros im Zusammenhang mit der Übermittlung fristgebundener Schriftsätze mittels Telefax sei auf dem zu versendenden Schriftsatz über der Empfängeranschrift der Zusatz "per Telefax" und dann die jeweilige Teilnehmernummer aufzunehmen. Die Büromitarbeiterin, die den Schriftsatz angefertigt habe, sei auch für die Übersendung per Telefax zuständig gewesen. Nach Versendung habe die Mitarbeiterin anhand des Sendeberichts zu kontrollieren gehabt, ob die Empfängernummer mit der auf dem Schriftsatz übereinstimme. Weiter sei zu kontrollieren gewesen, ob auf dem Sendebericht für die ordnungsgemäße Übermittlung ein "ok" angegeben sei und ob die Seitenzahl mit der des Schriftsatzes übereinstimme. Bei fristwahrenden Schriftsätzen erfolge die Versendung per Fax durch Auszubildende immer unter Aufsicht der zuständigen Mitarbeiterin. Das Telefax und der Sendebericht würden zur Akte genommen. Nach Beendigung des Vorgangs lasse die Mitarbeiterin durch die Auszubildenden nochmals den Sendebericht überprüfen und kontrolliere abschließend erneut alle Schritte. Anschließend werde der Schriftsatz im Original mit den notwendigen Abschriften auf den Postweg gebracht. Erst dann melde sich die Mitarbeiterin beim bearbeitenden Rechtsanwalt um mitzuteilen, dass der Schriftsatz per Fax versandt und das Original auf dem Postwege sei. Auf die Frage der Mitarbeiterin, ob die Frist im Fristenkalender gestrichen werden könne, erkundige sich der Anwalt, ob durch Kontrolle des Sendeberichts sichergestellt sei, dass eine ordnungsgemäße Versendung des Faxschreibens erfolgt sei. Erst nach Bestätigung erfolge die anwaltliche Anordnung, die Frist zu streichen.

[3] Das Berufungsgericht hat den Antrag des Beklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zurückgewiesen und die Berufung wegen verspäteter Begründung verworfen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, der Prozessbevollmächtigte des Beklagten habe den Bürokräften die Ermittlung der Telefax-Nummer und die Versendung des fristgebundenen Schriftsatzes durch Telefax übertragen, ohne nähere Vorgaben zur Überprüfung der zu verwendenden Fax-Nummer im erforderlichen Umfang zu geben. Zwar sei dem Anwalt nicht vorzuwerfen, dass er den mit einer falschen Telefax-Nummer versehenen Schriftsatz vor der Versendung unterzeichnet habe. Er habe jedoch dafür Sorge tragen müsse, dass die per Telefax übermittelten Schriftsätze auch auf die Verwendung einer zutreffenden Empfänger-Nummer überprüft werden. Eine solche Überprüfung sei nicht glaubhaft gemacht.

[4] Dieser Beschluss des Berufungsgerichts vom 14.9.2006 ist dem Beklagten am 20.9.2006 zugestellt worden. Am 16.10.2006 hat der Beklagte Rechtsbeschwerde eingelegt und sogleich begründet.

II.

[5] 1. Die nach §§ 574 Abs. 1 Nr. 1, 522 Abs. 1 Satz 4, 238 Abs. 2 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist zulässig. Eine Entscheidung des BGH ist zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO) geboten. Der angefochtene Beschluss verletzt den Beklagten in seinem verfassungsrechtlich gewährleisteten Anspruch auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (vgl. Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip - Art. 20 Abs. 3 GG). Dieser verbietet es, einer Partei die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aufgrund von Anforderungen an die Sorgfaltspflicht ihres Prozessbevollmächtigten zu versagen, die nach höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht verlangt werden und mit denen sie nicht rechnen musste (vgl. Senat, Beschl. v. 14.2.2006 - VI ZB 44/05, BGHReport 2006, 811 = MDR 2006, 899 = VersR 2006, 860, 861; BVerfGE 79, 372, 376 f.; BVerfG v. 14.12.2001 - 1 BvR 1009/01, NJW-RR 2002, 1004).

[6] 2. Allerdings geht das Berufungsgericht ohne Rechtsfehler davon aus, dass die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu versagen ist, wenn den Prozessbevollmächtigten des Antragstellers ein Verschulden an der Versäumung der Frist trifft (§§ 233, 85 Abs. 2 ZPO). Soweit es jedoch eine schuldhaft unzulängliche Organisation des Prozessbevollmächtigten bei der Ausgangskontrolle der Berufungsbegründung bejaht, überspannt es die an die Sorgfaltspflichten des Anwalts zu stellenden Anforderungen.

[7] a) Im Ausgangspunkt ohne Rechtsfehler nimmt das Berufungsgericht an, dass der Anwalt die Telefax-Übermittlung eines fristwahrenden Schriftsatzes im Rahmen einer nötigen Sicherheit gewährleistenden Büroorganisation einer ausreichend ausgebildeten, zuverlässigen und - wenn nötig - hinreichend überwachten Anwaltsgehilfin überlassen darf und die von dieser verwendete Fax-Nummer auch dann, wenn sie vor der Unterzeichnung des Schriftsatzes in diesen eingefügt wurde, nicht selbst auf ihre Richtigkeit überprüfen muss.

[8] b) Es entspricht ferner der st.Rspr. des BGH, dass ein Anwalt grundsätzlich verpflichtet ist, für eine Büroorganisation zu sorgen, die eine Überprüfung der durch Telefax übermittelten fristgebundenen Schriftsätze auch auf die Verwendung der zutreffenden Empfängernummer hin gewährleistet. Dazu muss bei der erforderlichen Ausgangskontrolle in der Regel ein Sendebericht ausgedruckt und auch auf die Richtigkeit der verwendeten Empfängernummer überprüft werden (vgl. Senatsbeschluss v. 22.6.2004 - VI ZB 14/04, BGHReport 2004, 1582 = MDR 2004, 1374 = VersR 2005, 573; BGH, Beschl. v. 10.5.2006 - XII ZB 267/04, CR 2006, 673 - BGHReport 2006, 1121; BAGE 79, 379, 382 - jeweils m.w.N.).

[9] Das Berufungsgericht überspannt die hier dem Prozessbevollmächtigten des Beklagten obliegende Sorgfaltspflicht hinsichtlich der Organisation einer Ausgangskontrolle, wenn es eine Überprüfung der Übermittlung auf Eingabefehler für nicht ausreichend hält und auch im hier zu entscheidenden Fall eine Überprüfung der richtigen Ermittlung der Telefax-Nummer verlangt.

[10] Zwar ist dem Berufungsgericht zuzugeben, dass eine Überprüfung hinsichtlich der Telefax-Nummer, die sich nach Einsetzen der Nummer auf dem zu übermittelnden Schriftsatz darauf beschränkt, dass die auf dem Schriftsatz eingesetzte Nummer mit der zur Versendung angegebenen Nummer übereinstimmt, einen Fehler beim Einsetzen der Nummer auf dem Schriftsatz nicht aufzeigen kann. Ein bei der Ermittlung der Telefax-Nummer aufgetretener Fehler kann sich in der Folge fortsetzen, wenn nicht anhand anderer Verzeichnisse gesondert überprüft wird, ob es sich bei der verwendeten Telefax-Nummer um diejenige des zuständigen Berufungsgerichts handelt. Aus diesem Grund ist nach st.Rspr. des BGH anerkannt, dass sich die im Rahmen der Ausgangskontrolle gebotene Überprüfung des Sendeberichts bei einer Übermittlung fristgebundener Schriftsätze per Telefax jedenfalls dann auch darauf zu erstrecken hat, ob die zutreffende Fax-Nummer des Empfangsgerichts angewählt wurde (zuletzt BGH, Beschl. v. 10.5.2006 - XII ZB 267/04, BGHReport 2006, 1121 = CR 2006, 673 - a.a.O.), wenn die Fax-Nummer des Berufungsgerichts von einer Büroangestellten aus einem amtlichen Verzeichnis selbständig zu ermitteln war.

[11] Der hier zu entscheidende Fall ist jedoch anders gelagert. Die zur Übermittlung verwendete Fax-Nummer war unmittelbar aus einem Schreiben des Berufungsgerichts in der Akte zu entnehmen und in dem zu versendenden Schriftsatz einzufügen. In einem solchen Fall ist das besonders hohe Verwechslungsrisiko, das bei der Auswahl aus elektronischen oder buchmäßig erfassten Dateien besteht, erheblich verringert. Das gestattet es, die Sorgfaltsanforderungen an die Ausgangskontrolle zu verringern und eine Überprüfung der verwendeten Fax-Nummer auf Übereinstimmung mit der aus der Akte entnommenen, im Schriftsatz festgehaltenen Telefax-Nummer zu beschränken. In solchen Fällen reicht es deshalb aus, mögliche Eingabefehler zu korrigieren, indem die gewählte Empfänger-Nummer mit der zuvor in den Schriftsatz eingefügten Nummer abgeglichen wird (vgl. Senat, Beschl. v. 22.6.2004 - VI ZB 14/04, BGHReport 2004, 1582 = MDR 2004, 1374 - a.a.O.).

[12] 3. Der Beklagte hat durch die Vorlage der eidesstattlichen Versicherung H. vom 16.8.2006 glaubhaft gemacht, dass in der Akte Schreiben des Berufungsgerichts vorhanden waren. Dass infolge eines Versehens die Fachangestellte die Telefax-Nummer des AG anstelle der des LG aus einem Schriftstück in der Akte ausgewählt und in den Schriftsatz eingefügt hat, gereicht dem Prozessbevollmächtigten des Beklagten nicht zum Verschulden.

[13] 4. Nach allem ist dem Beklagten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Die Sache ist an das Berufungsgericht zur Entscheidung über die Berufung zurückzuverweisen, das auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens zu entscheiden haben wird.

 

Fundstellen

BB 2007, 689

NJW 2007, 1690

BGHR 2007, 461

EBE/BGH 2007, 99

FamRZ 2007, 721

JurBüro 2007, 447

MDR 2007, 686

VersR 2008, 272

MIR 2007, 105

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