Entscheidungsstichwort (Thema)

Sicherung des Existenzminimums des Schuldners. Höhe der Pfändungsfreigrenze

 

Leitsatz (redaktionell)

Das Interesse der Allgemeinheit und der Sozialhilfeträger sowie die Anpassung der Pfändungsfreigrenzen in § 850c ZPO ist dadurch zu schützen, dass möglichst wenig Sozialhilfe für den Schuldner aufzuwenden ist, um den – unter Umständen sogar erhöhten – Lebensunterhalt des Schuldners zu sichern.

 

Normenkette

ZPO § 850f Abs. 1

 

Verfahrensgang

LG Karlsruhe (Beschluss vom 30.06.2003)

 

Tenor

Dem Schuldner wird zur Durchführung der Rechtsbeschwerde unter Beiordnung von RA Dr. Nassall Prozesskostenhilfe bewilligt.

Auf die Rechtsbeschwerde des Schuldners wird der Beschluss der XI. Zivilkammer des LG Karlsruhe v. 30.6.2003 aufgehoben.

Die sofortige Beschwerde der Gläubigerin gegen den Beschluss des AG Karlsruhe v. 1.4.2003 wird zurückgewiesen.

Die Kosten der Rechtsmittelverfahren trägt die Gläubigerin.

Der Antrag des Schuldners auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist erledigt.

Wert des Beschwerdegegenstands: 3.067,68 Euro.

 

Gründe

I.

Das AG hat mit Beschl. v. 27.11.1996 zu Gunsten von Unterhaltsforderungen der Gläubigerin, der geschiedenen Ehefrau des Schuldners, dessen Ansprüche auf Rentenzahlung gegen die Drittschuldner zu 1) und 2) gepfändet. Mit Beschl. v. 3.7.1997 hat das Vollstreckungsgericht auf Antrag des Schuldners den pfändungsfreien Betrag auf 1.491,30 DM monatlich angehoben. Die Unterhaltsrückstände sind seit Februar 2003 getilgt, der Anspruch der Gläubigerin auf laufenden Unterhalt beläuft sich gegenwärtig auf 255,64 Euro.

Seit Ende Januar 2002 lebt der Schuldner in einem Seniorenzentrum. Die Renteneinkünfte des Schuldners betragen 727,70 Euro (BfA) und 511,14 Euro (VBL), zusammen 1.238,84 Euro. Sein Bedarf beläuft sich nach seiner Einstufung in die Pflegeklasse III seit dem 1.6.2002 auf monatlich 1.681,11 Euro. Nach Aufnahme des Schuldners in das Seniorenzentrum hat die Sozial- und Jugendbehörde der Stadt Karlsruhe rückwirkend zu dessen Rente Hilfe in besonderen Lebenslagen gewährt. Im Januar 2003 hat der Betreuer des Schuldners die Aufhebung des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses mit dem Ziel begehrt, den bei der VBL-Rente vorgenommenen Abzug des laufenden Unterhalts von 255,64 Euro zu beseitigen. Das AG hat mit Beschl. v. 1.4.2003 den pfändungsfreien Betrag auf 1.681,11 Euro mit der Begründung angehoben, die Einkünfte des Schuldners aus Versorgungsbezügen reichten nicht aus, den sozialhilferechtlichen Mehrbedarf zu decken.

Gegen diesen Beschluss hat sich die Gläubigerin mit der rechtzeitig eingelegten sofortigen Beschwerde gewandt, der das AG nicht abgeholfen hat. Die Gläubigerin hat geltend gemacht, sie sei auf Grund ihrer eigenen Altersrente von 846,17 Euro und laufenden Belastungen von 355,53 Euro dringend auf den Unterhalt angewiesen. Das LG hat den Beschluss des AG aufgehoben und den Antrag des Schuldners auf Anhebung des pfändungsfreien Betrags abgelehnt. Hiergegen wendet sich der Schuldner mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde.

Mit seinem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung begehrt er bis zur Entscheidung über die Rechtsbeschwerde die Hinterlegung des abgezogenen Unterhalts.

II.

Die gem. § 574 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 S. 2 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde des Schuldners ist begründet. Damit erledigt sich auch der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.

1. Nach Auffassung des Beschwerdegerichts lässt sich das Ziel des Antrags nach § 850 f Abs. 1 ZPO nicht mehr erreichen, das Existenzminimum des Schuldners zu sichern und das Eintreten des Sozialhilfeträgers zu verhindern, weil dieser in jedem Fall Zahlungen für den Schuldner erbringen müsse. In einem solchen Fall sei es dem Schuldner regelmäßig gleichgültig, wie hoch der Sozialhilfeanteil sei. Von seinen Einkünften habe er keinen direkten Vorteil, weil sie entweder von der Gläubigerin gepfändet oder zur Deckung der Sozialhilfeaufwendungen herangezogen würden. Dagegen sei Grund der Vollstreckung ein privilegierter Unterhaltsanspruch der geschiedenen Ehefrau nach § 850d ZPO. Unter diesen Umständen sei die dem Wortlaut des § 850 f Abs. 1 ZPO widersprechende und nur in Ausnahmefällen in Betracht kommende völlige Pfandfreigabe der Einkünfte des Schuldners nicht gerechtfertigt.

2. Die Rechtsbeschwerde meint dagegen, die Auffassung des Beschwerdegerichts laufe darauf hinaus, dass die Gläubigerin ihre titulierte Forderung auf Kosten des Sozialhilfeträgers befriedigen könne. Das Interesse der Allgemeinheit gehe auch dahin, für den Schuldner möglichst wenig Sozialhilfe aufwenden zu müssen, um den Lebensunterhalt des Sozialhilfeberechtigten zu sichern. Das Beschwerdegericht habe es im Übrigen unterlassen festzustellen, dass der Gläubigerin durch die Anhebung des pfändungsfreien Betrages ein Nachteil entstehen würde, der schwerer zu bewerten sei als der besondere Nachteil, der dem Schuldner aus dem Zusammentreffen der Pfändung mit seinen erhöhten Lasten erwachse.

3. Der Ansicht des Beschwerdegerichts ist nicht zu folgen.

a) Nach § 850 f Abs. 1 ZPO kann das Vollstreckungsgericht dem Schuldner auf Antrag von dem nach den Bestimmungen der § 850c, § 850d und § 850i ZPO pfändbaren Teil seines Arbeitseinkommens einen Teil belassen, wenn er nachweist, dass bei Anwendung der Pfändungsfreigrenzen entsprechend der Anlage zu § 850c ZPO der notwendige Lebensunterhalt für sich und die Personen, denen er Unterhalt zu gewähren hat, nicht gedeckt ist (Buchst. a) oder besondere Bedürfnisse aus persönlichen oder beruflichen Gründen es erfordern, die Pfändungsfreigrenze heraufzusetzen (Buchst. b), sofern überwiegende Belange des Gläubigers nicht entgegenstehen. Schon nach seinem Wortlaut gilt § 850 f Abs. 1 Buchst. a und b ZPO uneingeschränkt auch für die Vollstreckung von Ehegattenunterhalt. Die Bestimmung steht im Zusammenhang mit der des § 850d Abs. 1 S. 2 ZPO und geht der Regelung in § 850d Abs. 1 S. 3 ZPO vor (vgl. OLG Frankfurt v. 13.7.1999 - 26 W 52/99, OLGReport Frankfurt 1999, 301 = NJW-RR 2000, 220; Zöller/Stöber, ZPO, 24. Aufl., § 850d Rz. 10; Thomas/Putzo, ZPO, 25. Aufl., § 850 f Rz. 1; Hartmann in Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 62. Aufl., § 850 f Rz. 3; Stein/Jonas/Brehm, ZPO, 21. Aufl., § 850 f Rz. 7). Die Vorschrift soll im Interesse des Schuldners sicherstellen, dass diesem nach Durchführung der Pfändungsmaßnahme das Existenzminimum verbleibt. Sie soll zugleich im Interesse der Allgemeinheit, die die Mittel für ergänzende Sozialhilfeleistungen aufzubringen hat, verhindern, dass der Gläubiger zu ihren Lasten befriedigt wird. Der Pfändungsschutz nach § 850 f Abs. 1 ZPO ist zu gewähren, wenn die Vermeidung von Sozialhilfeleistungen oder besondere Bedürfnisse des Schuldners einen weiter gehenden Freibetrag erfordern und nicht überwiegende Belange des Gläubigers entgegenstehen (Stöber, Forderungspfändung, 13. Aufl., Rz. 1175a). Dies macht die Abwägung der Belange des Schuldners und des Gläubigers im Einzelfall erforderlich. Dabei kann auch zu berücksichtigen sein, ob der Gläubiger bei Anwendung des § 850 f Abs. 1 ZPO selbst in eine Notlage gerät (Zöller/Stöber, ZPO, 24. Aufl., § 850 f Rz. 7).

b) Nach diesem Maßstab ist es rechtlich nicht zu beanstanden, dass das AG angesichts des erhöhten Bedarfs des Schuldners den pfandfreien Betrages nach § 850 f Abs. 1 ZPO angehoben und das Einkommen des Schuldners derzeit pfändungsfrei gestellt hat.

aa) Der Schuldner lebt in einem Seniorenheim und ist hinsichtlich der Aufwendungen für den Heimaufenthalt und die Pflege in erheblichem Umfang und dauerhaft auf Hilfe in besonderen Lebenslagen angewiesen. Selbst bei vollständiger Freistellung seiner Einkünfte von der Pfändung nach § 850 f Abs. 1 ZPO kann das Eintreten des Sozialhilfeträgers nicht vermieden werden. Da jedoch die Vorschrift nicht nur ein Absinken des nach der Pfändung verbleibenden Einkommens des Schuldners unter den Sozialhilfesatz verhindern, sondern auch vermeiden soll, dass eine Befriedigung des Gläubigers auf Kosten der Allgemeinheit erfolgt, ist es auch von Bedeutung, in welchem Umfang die Allgemeinheit zum Lebensunterhalt des Schuldners beitragen muss, wenn dessen eigene, ihm dazu zur Verfügung stehenden Einkünfte infolge der Pfändung durch den Gläubiger geschmälert sind. Das Interesse der Allgemeinheit und der Sozialhilfeträger muss deshalb auch dahin gehen, möglichst wenig Sozialhilfe für den Schuldner aufzuwenden, um den - hier sogar erhöhten - Lebensunterhalt des Schuldners zu sichern. § 850 f Abs. 1 ZPO schützt damit das Interesse der Allgemeinheit und der Sozialhilfeträger ebenso wie die Anpassung der Pfändungsfreigrenzen in § 850c ZPO (vgl. Entwurf eines Siebten Gesetzes zur Änderung der Pfändungsfreigrenzen, BT-Drucks, 14/6812, 8 [9]).

bb) Demgegenüber kann nach den bisherigen Feststellungen - jedenfalls zurzeit - nicht davon ausgegangen werden, dass überwiegende Belange der Gläubigerin den Interessen der Allgemeinheit entgegenstehen. Sie hat lediglich vorgetragen, dass sie eine eigene Altersrente von 846,17 Euro erhält, von denen sie laufende Belastungen i. H. v. 355,53 Euro zu bestreiten habe. Damit fehlen nähere Angaben über ihre Lebens- und Vermögensverhältnisse, etwa, ob die Gläubigerin in einem Eigenheim lebt, ob sie Ersparnisse hat oder über Kapitaleinkünfte verfügt oder ob ihr Unterhaltsansprüche gegen Dritte zustehen. Ohne nähere Feststellungen überwiegt das Interesse der Allgemeinheit an einer Anhebung der Pfändungsfreigrenze, damit die Hilfe für die Heim- und Pflegekosten reduziert werden kann; allein der Umstand, dass der Gläubigerin ein titulierter Ehegattenunterhalt zusteht, führt zu keinem anderen Ergebnis. Deshalb kann hier dahingestellt bleiben, ob anders zu entscheiden wäre, wenn die Gläubigerin ohne den titulierten Ehegattenunterhalt auf Grund ihrer Einkommens- und Vermögensverhältnisse gezwungen sein sollte, selbst Sozialhilfe in Anspruch zu nehmen, nur um den für den Schuldner zuständigen Sozialhilfeträger zu entlasten. Hierüber wird ggf. das Vollstreckungsgericht auf Antrag neu zu befinden haben.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1117368

BGHR 2004, 629

FamRZ 2004, 621

FPR 2006, 113

InVo 2004, 374

FamRB 2004, 254

ZVI 2004, 179

JWO-FamR 2004, 81

NJOZ 2004, 1205

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