Leitsatz (amtlich)

Die Zuziehung eines am Wohn- oder Geschäftsort der auswärtigen Partei ansässigen Rechtsanwalts ist auch dann regelmäßig als zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig i. S. v. § 91 Abs. 2 S. 1 2. Hs. ZPO anzusehen, wenn ein Haftpflichtversicherer Partei ist, der keine eigene Rechtsabteilung unterhält, sondern bei rechtlichen Schwierigkeiten einen Hausanwalt an seinem Geschäftsort beauftragt (sog. "Outsourcing").

 

Normenkette

ZPO § 91

 

Verfahrensgang

LG Dortmund (Beschluss vom 11.04.2003)

AG Unna

 

Tenor

Die Anschlussrechtsbeschwerde des Klägers wird zurückgewiesen.

Auf die Rechtsbeschwerde der Beklagten wird der Beschluss der 9. Zivilkammer des LG Dortmund v. 11.4.2003 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als zum Nachteil der Beklagten entschieden worden ist.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das LG zurückverwiesen.

Gegenstandswert: 140,07 Euro

 

Gründe

I.

Der Kläger hat die Beklagten nach einem Verkehrsunfall auf Schadensersatz in Anspruch genommen. Der Beklagte zu 1) ist der Fahrer des am Unfall beteiligten weiteren Fahrzeugs. Die Beklagte zu 2), sein Haftpflichtversicherer, unterhält keine eigene Rechtsabteilung. Sie hat einem an ihrem Geschäftssitz K. ansässigen Rechtsanwalt Hauptvollmacht erteilt. Den Termin zur mündlichen Verhandlung des Rechtsstreits vor dem AG U. hat ein dort ansässiger Rechtsanwalt in Untervollmacht wahrgenommen. Nachdem der Kläger mit der Klage in vollem Umfang unterlegen war, haben die Beklagten Antrag auf Kostenfestsetzung gestellt und u. a. die Kosten ihres Unterbevollmächtigten geltend gemacht.

Die Rechtspflegerin des AG hat diese Kosten in ihrem Kostenfestsetzungsbeschluss v. 22.1.2003 antragsgemäß i. H. v. 140,07 Euro berücksichtigt. Der Beschluss ist dem Kläger am 30.1.2003 zugestellt worden. Er hat am 13.2.2003 sofortige Beschwerde eingelegt, weil die Kosten des Unterbevollmächtigten nicht erstattungsfähig seien. Mit Beschl. v. 11.4.2003 hat das LG den angefochtenen Kostenfestsetzungsbeschluss abgeändert; die geltend gemachten Kosten des Unterbevollmächtigten seien nicht erstattungsfähig, soweit sie ersparte Informationskosten von 20,- Euro überstiegen. Hiergegen richtet sich die vom Beschwerdegericht zugelassene Rechtsbeschwerde der Beklagten. Der Kläger hat Anschlussrechtsbeschwerde eingelegt, mit der er sich gegen den Ansatz der 20,- Euro durch das Beschwerdegericht wendet. Insoweit seien gewöhnliche Geschäftsunkosten betroffen, die nicht erstattungsfähig seien.

II.

1. Das Beschwerdegericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt, die Kosten eines Unterbevollmächtigten seien zwar zu erstatten, soweit sie die durch seine Tätigkeit ersparten Reisekosten des Prozessbevollmächtigten nicht wesentlich überstiegen. Voraussetzung dafür sei aber, dass die Reisekosten des Hauptbevollmächtigten im Falle einer Terminswahrnehmung zu erstatten seien. Davon sei hier nicht auszugehen. Die Beklagte zu 2) benötige als Haftpflichtversicherer ausreichend geschultes Personal. Es könne ihr nicht erlaubt werden, den Aufwand für dieses Personal auf den Prozessgegner abzuwälzen, indem sie sich ihrer Hausanwälte bediene und deren Kosten als Verkehrsanwälte erstattet verlange. Sie hätte bei solchem Personal ohne vorherige anwaltliche Beratung einen Anwalt beim Prozessgericht beauftragen und unterrichten können. Die Beklagten seien deshalb so zu behandeln, als unterhalte die Beklagte zu 2) eine Rechtsabteilung. Die Berücksichtigung weiter gehender Kosten eines Verkehrsanwalts komme nicht in Betracht; sie seien nicht zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig. Fiktive Reisekosten könnten nicht anerkannt werden. Der hier gegebene Routinefall aus dem alltäglichen Geschäftsbereich eines Haftpflichtversicherers habe keiner Begründung eines persönlichen Vertrauensverhältnisses durch persönliche Kontaktaufnahme mit einem Rechtsanwalt bedurft. Besondere Umstände, die eine Erstattungsfähigkeit der Kosten eines Hausanwaltes ausnahmsweise rechtfertigen könnten, seien nicht zu erkennen.

2. Diese Erwägungen halten einer Überprüfung nicht stand.

a) Das Beschwerdegericht ist allerdings von dem zutreffenden rechtlichen Ansatz ausgegangen, dass sich die Erstattung von Kosten, die einer Partei durch die Beauftragung eines unterbevollmächtigten Rechtsanwalts entstanden sind, der an Stelle des Hauptbevollmächtigten (§ 53 BRAGO) die Vertretung in der mündlichen Verhandlung übernommen hat, nach der allgemeinen Vorschrift des § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO und nicht nach § 91 Abs. 2 S. 1 ZPO und auch nicht nach § 91 Abs. 2 S. 3 ZPO beurteilt (vgl. BGH, Beschl. v. 16.10.2002 - VIII ZB 30/02, MDR 2003, 233 = BGHReport 2003, 152 = NJW 2003, 898 [899]).

b) Zu Unrecht meint das Beschwerdegericht jedoch, die den Beklagten durch die Beauftragung des Unterbevollmächtigten nach §§ 53, 26 BRAGO entstandenen Kosten seien schon deshalb zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung nicht notwendig gewesen, weil die Beklagte sich als Haftpflichtversicherer so behandeln lassen müsse, als ob sie eine eigene Rechtsabteilung hätte; dann hätte sie sich zur Geringhaltung der Prozesskosten eines beim Prozessgericht in U. ansässigen Rechtsanwalts als Hauptbevollmächtigten bedienen müssen. Sie könne deshalb neben den Kosten eines Rechtsanwalts am Sitz des Prozessgerichts nur die für eine (fiktive) Ratserteilung seitens eines am Geschäftsort der Beklagten ansässigen Rechtsanwalts entstehenden Kosten i. H. v. 20,- Euro (vgl. § 20 Abs. 1 BRAGO) erstattet verlangen.

aa) Wie das Beschwerdegericht im Ausgangspunkt nicht verkennt, sind die Kosten eines - hier tatsächlich eingeschalteten - Unterbevollmächtigten, der für den am Wohn- oder Geschäftsort der Partei ansässigen Rechtsanwalt Termine beim Prozessgericht wahrnimmt, nur dann notwendige Kosten der Rechtsverteidigung i. S. v. § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO, soweit durch die Tätigkeit des Unterbevollmächtigten erstattungsfähige Reisekosten des Hauptbevollmächtigten nach § 28 BRAGO erspart werden, die ansonsten bei der Wahrnehmung des Termins durch den Hauptbevollmächtigten entstanden wären (vgl. BGH, Beschl. v. 16.10.2002 - VIII ZB 30/02, MDR 2003, 233 = BGHReport 2003, 152 = NJW 2003, 898 [899]; zustimmend u. a. Schütt, MDR 2003, 236; Madert, BGHReport 2003, 154 [155]; Enders, JurBüro 2003, 169 ff.).

bb) Notwendige Voraussetzung für die Erstattung von Kosten des Unterbevollmächtigten ist demnach zunächst, dass die dem Hauptbevollmächtigten im Falle eigener Terminswahrnehmung zustehenden Reisekosten dem Grunde nach zu erstatten sind. Das hat das Beschwerdegericht rechtsfehlerhaft verneint.

Die Beauftragung des in K. ansässigen Hauptbevollmächtigten durch die Beklagten stellte eine Maßnahme zweckentsprechender Rechtsverteidigung i. S. v. § 91 Abs. 2 S. 1 Hs. 2 ZPO dar. Zu Unrecht meint das Beschwerdegericht, die Beklagten hätten sich zur Kostenersparnis eines am Ort des Prozessgerichts in U. residierenden Rechtsanwalts als Hauptbevollmächtigten bedienen müssen.

Die Beurteilung der Frage, ob aufgewendete Prozesskosten zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendig waren, hat sich daran auszurichten, ob eine verständige und wirtschaftlich vernünftige Partei die die Kosten auslösende Maßnahme im damaligen Zeitpunkt (ex ante) als sachdienlich ansehen durfte. Dabei darf die Partei ihr berechtigtes Interesse verfolgen und die zur vollen Wahrnehmung ihrer Belange erforderlichen Schritte tun. Sie trifft lediglich die Obliegenheit, unter mehreren gleich gearteten Maßnahmen die kostengünstigere auszuwählen (vgl. BGH, Beschl. v. 16.10.2002 - VIII ZB 30/02, MDR 2003, 233 = BGHReport 2003, 152 = NJW 2003, 898 [900]).

(a) Wie der BGH (BGH, Beschl. v. 16.10.2002 - VIII ZB 30/02, MDR 2003, 233 = BGHReport 2003, 152 = NJW 2003, 898 [899]) bereits näher dargelegt hat, stellt die Hinzuziehung eines in der Nähe ihres Wohn- oder Geschäftsorts ansässigen Rechtsanwalts durch eine an einem auswärtigen Gericht verklagte Partei grundsätzlich eine Maßnahme zweckentsprechender Rechtsverteidigung dar.

(b) Eine Ausnahme von diesem Grundsatz kann nach der Rechtsprechung allerdings dann eingreifen, wenn bereits zum Zeitpunkt der Beauftragung des Hauptbevollmächtigten feststeht, dass ein eingehendes Mandantengespräch für die Rechtsverteidigung nicht erforderlich sein wird.

Auf diese Ausnahme will das Beschwerdegericht zurückgreifen, wenn es meint, der Beklagten zu 2) sei es zumutbar, eine eigene Rechtsabteilung zur Beurteilung der Aussichten der Rechtsverteidigung zu unterhalten. Die Voraussetzungen einer solchen Ausnahme liegen hier jedoch nicht vor. Wie der BGH in der mehrfach erwähnten Entscheidung bereits näher dargelegt hat (BGH, Beschl. v. 16.10.2002 - VIII ZB 30/02, MDR 2003, 233 = BGHReport 2003, 152 = NJW 2003, 898 [901]), kommt es u. a. bei gewerblichen Unternehmen mit einer eigenen Rechtsabteilung, die die Sache bearbeitet hat, in Betracht, dass ein eingehendes Mandantengespräch für die Prozessführung nicht erforderlich wird. Demgegenüber unterhält die Beklagte zu 2) unstreitig keine eigene Rechtsabteilung, sondern überträgt deren Aufgaben zumindest zum Teil auf den auch hier als Hauptbevollmächtigten eingeschalteten Rechtsanwalt ("Outsourcing") und im Übrigen auf ihre juristisch nicht geschulten Sachbearbeiter.

Entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts muss sich die Beklagte nicht so behandeln lassen, als ob sie eine eigene Rechtsabteilung hätte. Wenn das Beschwerdegericht meint, dass die Einrichtung einer solchen Abteilung bei Haftpflichtversicherern üblich und auch der Beklagten zu 2) zumutbar wäre, verkennt es, dass es im Rahmen des Kostenerstattungsrechts auf die tatsächliche Organisation eines Versicherers ankommt und nicht darauf, welche Organisation das Gericht für zweckmäßig hält. Für die gegenteilige Ansicht des Beschwerdegerichts enthält das Gesetz keine Ansatzpunkte. Wie der BGH in der mehrfach angesprochenen Entscheidung dargelegt hat, ist die Beauftragung eines in der Nähe des Wohn- oder Geschäftsortes seiner Partei ansässigen Hauptbevollmächtigten nur dann keine Maßnahme der zweckentsprechenden Rechtsverteidigung, wenn bei seiner Beauftragung feststeht, dass ein eingehendes Mandantengespräch für die Prozessführung nicht erforderlich sein wird. Diese Ausnahme von dem gesetzlich geregelten Grundsatz ist bewusst eng gefasst und lässt eine Ausweitung - wie sie das Beschwerdegericht vornehmen will - schon im Ansatz nicht zu.

Bei dieser Sachlage kann es nicht darauf ankommen, dass die Kosten einer Rechtsabteilung nicht auf den unterliegenden Gegner abgewälzt werden können, während dieser die anderenfalls erforderlichen Kosten eines Rechtsanwalts regelmäßig zu tragen hat. Das ist eine Folge der Organisation der Beklagten zu 2), die der Prozessgegner hinzunehmen hat.

Dass der Beklagte zu 1) als Privatperson ohnehin nicht verpflichtet war, einen Anwalt am Ort des Prozessgerichts zu beauftragen, mag richtig sein. Solange die Beklagte zu 2) jedoch für den Beklagten zu 1) den Rechtsstreit betreibt, hat das Beschwerdegericht zu Recht auf deren Verhältnisse abgestellt (vgl. § 10 Abs. 5 AKB).

3. Das Beschwerdegericht hat, von seinem Standpunkt aus folgerichtig, keine Feststellungen zur Höhe der dem Hauptbevollmächtigten der Beklagten im Falle der Wahrnehmung des Termins beim AG U. zustehenden Reisekosten getroffen. Im Rechtsbeschwerdeverfahren können diese Feststellungen nicht nachgeholt werden (§ 577 Abs. 2 Satz 4 ZPO i. V. m. § 559 ZPO). Der angefochtene Beschluss ist deshalb aufzuheben, soweit er zum Nachteil der Beklagten ergangen ist. Die Sache ist zur erneuten Entscheidung an das Beschwerdegericht zurückzuverweisen, um den Beklagten die Möglichkeit zu eröffnen, die Höhe der ersparten Reisekosten des Hauptbevollmächtigten glaubhaft zu machen (§ 577 Abs. 4 Satz 1, Abs. 5 ZPO).

4. Die Anschlussrechtsbeschwerde des Klägers ist statthaft und zulässig (§ 574 Abs. 4 S. 1, 2 ZPO); einen Mindestwert des Gegenstands der Anschlussrechtsbeschwerde sieht das Gesetz nicht vor (vgl. für die Rechtsbeschwerde BGH, Beschl. v. 28.5.2003 - XII ZB 165/02, MDR 2003, 1192 = BGHReport 2003, 968 = NJW 2003, 2531; v. 21.5.2003 - VIII ZB 133/02, BGHReport 2003, 971 = MDR 2003, 1130, jew. m. w. N.). In der Sache kann die Anschlussrechtsbeschwerde nach den obigen Ausführungen zur Rechtsbeschwerde keinen Erfolg haben.

Allerdings ist der Ansatz einer Ratsgebühr durch das Beschwerdegericht nicht gerechtfertigt. Wenn die erforderliche erneute Überprüfung durch das Beschwerdegericht ergibt, dass die Höhe der erstattungsfähigen ersparten Reisekosten des Hauptbevollmächtigten der Beklagten die Kosten des Unterbevollmächtigten der Beklagten nicht erreicht, war eine Terminsvertretung durch den Hauptbevollmächtigten die kostengünstigere Maßnahme. Eine Ratsgebühr wäre bei dieser Fallgestaltung nicht entstanden. Soweit die Einschaltung eines Unterbevollmächtigten kostengünstiger war, war eine gesondert abzurechnende Beratung durch den Hauptbevollmächtigten gleichfalls nicht veranlasst (vgl. §§ 20 Abs. 1 S. 1, 31 Abs. 1 Nr. 1 BRAGO).

In beiden Fällen übersteigen die erstattungsfähigen Kosten jedoch die vom Beschwerdegericht in Ansatz gebrachten 20,- Euro. Die Anschlussrechtsbeschwerde bleibt deshalb ohne Erfolg und ist zurückzuweisen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1090808

BGHR 2004, 345

EBE/BGH 2004, 11

FamRZ 2004, 362

NJW-RR 2004, 430

JurBüro 2005, 264

ZAP 2004, 230

MDR 2004, 539

NZV 2004, 180

Rpfleger 2004, 182

VersR 2004, 352

GuT 2004, 20

IVH 2004, 35

RENOpraxis 2004, 95

RVGreport 2004, 34

SVR 2004, 228

VRA 2004, 40

BRAK-Mitt. 2004, 90

KammerForum 2004, 59

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