Entscheidungsstichwort (Thema)

Unternehmen ohne eigene Rechtsabteilung. Notwendige Hinzuziehung eines am Wohnort der auswärtigen Partei ansässigen Rechtsanwalts

 

Leitsatz (amtlich)

Ein eingehendes persönliches Mandantengespräch, das die Zuziehung eines am Wohn- oder Geschäftsort der auswärtigen Partei ansässigen Rechtsanwalts als zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig erscheinen lässt, kann nicht mit der Begründung als entbehrlich angesehen werden, einem Unternehmen, das nicht über eine eigene Rechtsabteilung verfügt, sei die Einrichtung einer solchen jedenfalls zuzumuten.

 

Normenkette

ZPO § 91 Abs. 2 S. 1

 

Verfahrensgang

LG Dortmund (Beschluss vom 19.09.2003)

AG Kamen

 

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde der Klägerin wird der Beschluss der 9. Zivilkammer des LG Dortmund v. 19.9.2003 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Beschwerdegericht zurückverwiesen.

Der Gegenstandswert der Rechtsbeschwerde beträgt 160,08 EUR.

 

Gründe

I. Die Klägerin hat als Versicherer der D. Spedition GmbH die Beklagte aus gem. § 67 VVG übergegangenem Recht auf Schadensersatz wegen nicht ordnungsgemäßer Durchführung eines Transportauftrags in Anspruch genommen. Sie hat einer an ihrem Geschäftssitz Hamburg ansässigen Rechtsanwältin Hauptvollmacht erteilt. Den Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem AG Kamen hat ein dort ansässiger Rechtsanwalt in Untervollmacht wahrgenommen. Die Klägerin, die mit ihrer Klage in vollem Umfang erfolgreich war, hat Festsetzung ihrer Kosten einschließlich der Kosten des Unterbevollmächtigten i. H. v. insgesamt 728,24 EUR beantragt.

Die Rechtspflegerin des AG hat mit Beschluss v. 14.7.2003 die der Klägerin zu erstattenden Kosten i. H. v. 568,16 EUR festgesetzt. Dabei hat sie neben den Gerichtskosten nur die Kosten eines am Sitz des Prozessgerichts ansässigen Rechtsanwalts sowie eine Informationspauschale i. H. v. 15 EUR als erstattungsfähige Kosten angesehen. Gegen diesen Beschluss, der ihr am 31.7.2003 zugestellt worden ist, hat die Klägerin am selben Tage sofortige Beschwerde eingelegt. Das LG hat die sofortige Beschwerde zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die vom Beschwerdegericht zugelassene Rechtsbeschwerde, mit der die Klägerin ihren Kostenfestsetzungsantrag hinsichtlich der Kosten des Unterbevollmächtigten weiterverfolgt.

II. Die gem. § 574 Abs. 1 Nr. 2 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist zulässig und begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht.

1. Die Erstattungsfähigkeit der Kosten, die einer Partei durch die Beauftragung eines unterbevollmächtigten Rechtsanwalts (§ 53 BRAGO) entstanden sind, richtet sich nach § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO (BGH, Beschl. v. 16.10.2002 - VIII ZB 30/02, MDR 2003, 233 = BGHReport 2003, 152 = NJW 2003, 898 [899]; Beschl. v. 11.11.2003 - VI ZB 41/03, Umdr. S. 5). Kosten eines Unterbevollmächtigten sind notwendige Kosten der Rechtsverfolgung oder -verteidigung im Sinne dieser Vorschrift, soweit durch die Tätigkeit des Unterbevollmächtigten erstattungsfähige Reisekosten des Hauptbevollmächtigten nach § 28 BRAGO erspart werden, die ansonsten bei der Wahrnehmung des Termins durch den Hauptbevollmächtigten entstanden und als solche erstattungsfähig wären (BGH v. 16.10.2002 - VIII ZB 30/02, MDR 2003, 233 = BGHReport 2003, 152 = NJW 2003, 898 [899]). Reisekosten des am Geschäftsort der Partei ansässigen Hauptbevollmächtigten sind nicht erstattungsfähig, wenn dessen Beauftragung nicht zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder -verteidigung erforderlich war, sondern ein am Ort des Prozessgerichts ansässiger Rechtsanwalt als Hauptbevollmächtigter hätte beauftragt werden müssen.

Dies ist nach der Rechtsprechung des BGH der Fall, wenn bereits zum Zeitpunkt der Beauftragung des Hauptbevollmächtigten feststeht, dass ein eingehendes Mandantengespräch für die Rechtsverfolgung oder -verteidigung nicht erforderlich sein wird (BGH v. 16.10.2002 - VIII ZB 30/02, MDR 2003, 233 = BGHReport 2003, 152 = NJW 2003, 898 [901]; Beschl. v. 10.4.2003 - I ZB 36/02, BGHReport 2003, 768 = MDR 2003, 1019 = GRUR 2003, 725 f. = WRP 2003, 894 - Auswärtiger Rechtsanwalt II; Beschl. v. 18.12.2003 - I ZB 18/03, BGHReport 2004, 637 = WRP 2004, 495 [496] - Auswärtiger Rechtsanwalt IV). Ein solches Mandantengespräch kann entbehrlich sein, wenn es sich bei der fraglichen Partei um ein Unternehmen handelt, das über eine eigene, die Sache bearbeitende Rechtsabteilung verfügt (vgl. BGH, Beschl. v. 18.12.2003 - I ZB 18/03, BGHReport 2004, 637 = WRP 2004, 495 [496] - Auswärtiger Rechtsanwalt IV, m. w. N.).

2. Das Beschwerdegericht hat diese Grundsätze im Ausgangspunkt nicht verkannt. Es ist allerdings von der Entbehrlichkeit eines eingehenden Mandantengesprächs ausgegangen, ohne Feststellungen dazu zu treffen, ob die Klägerin über eine die Sache bearbeitende Rechtsabteilung verfügt. Zur Begründung hat es angeführt, es sei unerheblich, ob die Klägerin über eine eigene Rechtsabteilung verfüge, welche die Sache bearbeitet habe, weil ihr jedenfalls die Einrichtung einer solchen zuzumuten sei. Es könne einer Partei nicht erlaubt werden, den Aufwand für an sich einzustellendes geschultes Personal auf ihre jeweilige Prozessgegner abzuwälzen, indem sie sich sog. Hausanwälte bediene und deren Kosten als Verkehrsanwälte erstattet verlange.

Dieser Auffassung kann, wie die Rechtsbeschwerde mit Recht rügt, nicht zugestimmt werden. Der BGH hat nach Erlass des angefochtenen Beschlusses entschieden, dass die Zuziehung eines am Wohn- oder Geschäftsort der auswärtigen Partei ansässigen Rechtsanwalts auch dann regelmäßig als zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig i. S. v. § 91 Abs. 2 S. 1 2. Halbs. ZPO anzusehen ist, wenn ein Haftpflichtversicherer Partei ist, der keine eigene Rechtsabteilung unterhält, sondern bei rechtlichen Schwierigkeiten einen Hausanwalt an seinem Geschäftsort beauftragt (BGH, Beschl. v. 11.11.2003 - VI ZB 41/03, MDR 2004, 539 = BGHReport 2004, 345, Umdr. S. 7, 8). Dies folgt daraus, dass es im Rahmen der Kostenerstattung auf die tatsächliche Organisation des Unternehmens der Partei ankommt und nicht darauf, welche Organisation das Gericht für zweckmäßig hält (BGH, Beschl. v. 11.11.2003 - VI ZB 41/03, MDR 2004, 539 = BGHReport 2004, 345, Umdr. S. 7, 8). Der Prozessgegner hat es hinzunehmen, dass er die erforderlichen Kosten eines als Hauptbevollmächtigten eingeschalteten Rechtsanwalts regelmäßig zu tragen hat, während die Kosten einer Rechtsabteilung nicht auf ihn abgewälzt werden könnten.

3. Der angefochtene Beschluss ist daher aufzuheben. Die Sache ist an das Beschwerdegericht zurückzuverweisen, damit es die erforderlichen Feststellungen dazu trifft, ob schon im Zeitpunkt der Beauftragung der Hauptbevollmächtigten feststand, dass ein eingehendes Mandantengespräch nicht erforderlich sein werde, weil die Klägerin über eine eigene Rechtsabteilung verfügt, die die Sache bearbeitet hat. Sollte die Klägerin nicht über eine eigene Rechtsabteilung verfügen, kann ein eingehendes persönliches Mandantengespräch auch dann entbehrlich gewesen sein, wenn die Sache von Mitarbeitern bearbeitet worden ist, die in der Lage waren, einen am Sitz des Prozessgerichts ansässigen Prozessbevollmächtigten umfassend schriftlich zu instruieren. Davon kann auszugehen sein, wenn es sich bei den mit der Sache befassten Mitarbeitern um rechtskundiges Personal handelt und der Rechtsstreit in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht keine besonderen Schwierigkeiten aufweist. Selbst bei Vorhandensein einer Rechtsabteilung kann eine sachgerechte und die Interessen der Partei vollständig wahrende Prozessführung die mündliche Besprechung tatsächlicher und rechtlicher Fragen mit dem Prozessbevollmächtigten allerdings erforderlich machen, wenn der zu beurteilende Fall Besonderheiten aufweist und es sich daher nicht um ein Routinegeschäft handelt (vgl. BGH, Beschl. v. 18.2.2003 - XI ZB 10/02, JurBüro 2003, 427 = AnwBl 2003, 311).

 

Fundstellen

Haufe-Index 1147593

BB 2004, 1023

NWB 2004, 1815

BGHR 2004, 920

NJW-RR 2004, 857

GRUR 2004, 623

JurBüro 2004, 433

ZAP 2004, 922

MDR 2004, 1138

Rpfleger 2004, 520

VersR 2005, 1305

WRP 2004, 777

AGS 2004, 358

GuT 2004, 133

RVGreport 2004, 236

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