Entscheidungsstichwort (Thema)

Verfahrenskostenhilfe bei in der Hauptsache zweifelhaften Rechtsfragen

 

Leitsatz (redaktionell)

Bei in der Hauptsache zweifelhaften Rechtsfragen hat das Gericht Prozesskosten-, bzw. Verfahrenshilfe zu bewilligen, um die Klärung der Frage nicht in das summarische Verfahren zu verlagern.

 

Normenkette

GG Art. 1 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3

 

Verfahrensgang

Brandenburgisches OLG (Beschluss vom 26.11.2012; Aktenzeichen 9 UF 64/12)

AG Guben (Entscheidung vom 16.02.2012; Aktenzeichen 30 F 168/10)

 

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des 1. Senats für Familiensachen des OLG Brandenburg vom 26.11.2012 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens - an das OLG zurückverwiesen.

 

Gründe

I.

Rz. 1

Die Antragstellerin hat von dem Antragsgegner, ihrem geschiedenen Ehemann, Rückzahlung eines Darlehens verlangt. Das AG hat den Antrag abgewiesen. Die Antragstellerin hat Verfahrenskostenhilfe für eine beabsichtigte Beschwerde beantragt und den Verfahrenskostenhilfeantrag am letzten Tag der Beschwerdefrist beim OLG eingereicht.

Rz. 2

Das OLG hat den Verfahrenskostenhilfeantrag zurückgewiesen und die Rechtsbeschwerde zugelassen.

II.

Rz. 3

Die Rechtsbeschwerde führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und Zurückverweisung an das OLG.

Rz. 4

1. Nach Auffassung des OLG ist der Verfahrenskostenhilfeantrag beim dafür nicht zuständigen Rechtsmittelgericht eingereicht worden. Die in Literatur und Rechtsprechung umstrittene Frage, bei welchem Gericht der Verfahrenskostenhilfeantrag für die Beschwerde nach § 58 ff. FamFG einzureichen sei, sei dahin zu beantworten, dass Verfahrensgericht i.S.v. §§ 113 Abs. 1 FamFG, 117 Abs. 1 Satz 1 ZPO nicht das Rechtsmittelgericht sein könne, weil das Verfahren bei diesem weder anhängig sei noch anhängig gemacht werden solle. Die Bewilligung der Verfahrenskostenhilfe könne auch nicht mit dem Argument erreicht werden, dass eine bisher höchstrichterlich noch ungeklärte Rechtsfrage im Raum stehe. Denn es mangele bereits an einem formal ordnungsmäßigen Verfahrenskostenhilfegesuch. Im Übrigen sei durch die Zulassung der Rechtsbeschwerde die Möglichkeit einer höchstrichterlichen Klärung eröffnet.

Rz. 5

2. Die nach § 574 ZPO statthafte und auch sonst zulässige Rechtsbeschwerde ist bereits deswegen begründet, weil das OLG die in der Rechtsprechung und Literatur umstrittene Frage, ob vor der gesetzlichen Neuregelung in § 64 Abs. 1 Satz 2 FamFG das Verfahrenskostenhilfegesuch beim AG oder beim OLG einzureichen war und ob ggf. eine Wiedereinsetzung in Betracht kommt, nicht in das Verfahrenskostenhilfeverfahren verlagern durfte (vgl. - zum umgekehrten Fall des beim AG eingereichten Verfahrenskostenhilfegesuchs - BGH v. 12.12.2012 - XII ZB 190/12, FamRZ 2013, 369).

Rz. 6

Wenn in der Hauptsache eine zweifelhafte Rechtsfrage zu klären ist, darf nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG wie des BGH die Klärung der Frage nicht in das Prozesskostenhilfeverfahren (Verfahrenskostenhilfeverfahren) verlagert werden. Die in Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG verbürgte Rechtsschutzgleichheit gebietet im Fall zweifelhafter Rechtsfragen, die Erfolgsaussicht zu bejahen und dem Antragsteller Prozesskostenhilfe zu gewähren, denn das Hauptverfahren eröffnet erheblich bessere Möglichkeiten der Entwicklung und Darstellung des eigenen Rechtsstandpunktes (BVerfGE 81, 347). Das nur einer summarischen Prüfung unterliegende Prozesskostenhilfeverfahren hat demgegenüber nicht den Zweck, über zweifelhafte Rechtsfragen vorweg zu entscheiden (BVerfG FamRZ 2002, 665; BGH v. 4.5.2011 - XII ZB 69/11, FamRZ 2011, 1137 Rz. 8; v. 17.3.2004 - XII ZB 192/02, NJW 2004, 2022 m.w.N.). Bei zweifelhaften Rechtsfragen hat das Gericht demnach Prozesskostenhilfe bzw. Verfahrenskostenhilfe zu bewilligen, auch wenn es der Auffassung ist, dass die Rechtsfrage zu Ungunsten des Antragstellers zu entscheiden ist.

Rz. 7

Die Rechtsbeschwerde bringt zu Recht vor, dass entgegen der Annahme des OLG auch nicht deshalb etwas anderes gilt, weil allein die Frage zu beantworten sei, ob ein formal ordnungsgemäßes Verfahrenskostenhilfegesuch vorliege. Vielmehr hat das OLG über die Erfolgsaussichten der beabsichtigten Beschwerde entschieden und diese aus Gründen verneint, die der höchstrichterlichen Klärung bedürfen und nicht in das Verfahrenskostenhilfeverfahren verlagert werden dürfen.

 

Fundstellen

FamRZ 2013, 1799

NJW-RR 2014, 131

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