Leitsatz (amtlich)

Das Gericht des Mitgliedstaats, in dem der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens gestellt worden ist, bleibt für die Entscheidung über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens zuständig, wenn der Schuldner nach Antragstellung, aber vor der Eröffnung den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen in das Gebiet eines anderen Mitgliedstaats verlegt.

 

Normenkette

EuInsVO Art. 3 Abs. 1; InsO § 3

 

Verfahrensgang

LG Wuppertal (Beschluss vom 14.08.2002; Aktenzeichen 6 T 495/02)

AG Wuppertal (Beschluss vom 10.04.2002; Aktenzeichen 145 IN 489/01)

 

Tenor

Auf die Rechtsmittel der Schuldnerin werden der Beschluss der 6. Zivilkammer des LG Wuppertal vom 14.8.2002, berichtigt durch Beschluss vom 15.10.2003, und der Beschluss des AG - Insolvenzgericht - Wuppertal vom 10.4.2002 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Entscheidung - auch über die Kosten der Rechtsmittelverfahren - an das AG zurückverwiesen.

Der Wert des Beschwerdegegenstands wird auf 4.000 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I.

Die Schuldnerin betrieb in Form eines Einzelunternehmens einen Handel mit Telekommunikationsgeräten und Zubehör. Im Jahr 2001 stellte sie den Betrieb dieses Unternehmens ein und beantragte am 6.12.2001 die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen. Am 1.4.2002 verlegte sie ihren Wohnsitz nach Spanien, um dort zu leben und zu arbeiten.

Mit Beschluss vom 10.4.2002 hat das Insolvenzgericht die Eröffnung des Verfahrens mangels Masse abgelehnt. Die hiergegen gerichtete Beschwerde der Schuldnerin hat das LG mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens als unzulässig zurückgewiesen wird. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Schuldnerin.

II.

Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§§ 7, 6 Abs. 1, 34 Abs. 1 InsO, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO) und auch im Übrigen zulässig (§§ 574 Abs. 2 Nr. 1, 575 ZPO). Das Rechtsmittel ist begründet; es führt zur Aufhebung der vorinstanzlichen Entscheidungen und zur Zurückverweisung der Sache an das Insolvenzgericht.

1. Das Beschwerdegericht hat - in Übereinstimmung mit der Auffassung des Insolvenzgerichts in seinen Nichtabhilfebeschlüssen vom 10.7.2002 und vom 2.8.2002 - den Eröffnungsantrag der Schuldnerin mit der Begründung als unzulässig zurückgewiesen, dass die deutschen Gerichte gem. Art. 3 Abs. 1 EuInsVO international nicht zuständig seien, weil die Antragstellerin nach Antragstellung, aber vor einer Entscheidung über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens den Mittelpunkt ihrer hauptsächlichen Interessen nach Spanien verlegt habe.

2. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

a) Die Entscheidung über die Rechtsbeschwerde hängt, wie der Senat in seinem Vorlagebeschluss vom 27.11.2003 (BGH v. 27.11.2003 - IX ZB 418/02, BGHReport 2004, 418 = WM 2004, 247) ausgeführt hat, von der Frage ab, ob die deutsche internationale Zuständigkeit für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens erhalten bleibt, wenn der Schuldner nach Antragstellung, aber vor einer Eröffnung den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen in das Gebiet eines anderen Mitgliedstaats - hier nach Spanien - verlegt hat. Auf die Vorlage des Senats hat der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften mit Urteil vom 17.1.2006 (EuGH v. 17.1.2006 - C-1/04, ZIP 2006, 188) für Recht erkannt:

"Art. 3 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates vom 29.5.2000 über Insolvenzverfahren ist dahin auszulegen, dass das Gericht des Mitgliedstaats, in dessen Gebiet der Schuldner bei Stellung seines Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen hat, für die Entscheidung über die Eröffnung dieses Verfahrens zuständig bleibt, wenn der Schuldner nach Antragstellung, aber vor der Eröffnungsentscheidung den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen in das Gebiet eines anderen Mitgliedstaats verlegt."

b) An dieses Auslegungsergebnis ist der erkennende Senat gebunden. Der angefochtene Beschluss beruht rechtsfehlerhaft auf der entgegengesetzten Annahme, die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte sei erloschen, weil die Schuldnerin nach Antragstellung den Mittelpunkt ihrer hauptsächlichen Interessen nach Spanien verlegt habe.

III.

Der angefochtene Beschluss ist daher aufzuheben; die Sache ist - unter Aufhebung auch des erstinstanzlichen Beschlusses - zur erneuten Entscheidung an das Insolvenzgericht zurückzuverweisen (zu dieser Möglichkeit vgl. BGH v. 22.7.2004 - IX ZB 161/03, BGHZ 160, 176 [185] = BGHReport 2004, 1653 = MDR 2005, 173). Dieses wird hierbei auch das nach seiner Entscheidung vom 10.4.2002 eingegangene, an die Stelle des Antrags der Schuldnerin auf Verfahrenskostenstundung getretene Angebot, einen Verfahrenskostenvorschuss zu leisten, zu beachten haben (§ 26 Abs. 1 Satz 2 InsO).

 

Fundstellen

Haufe-Index 1487643

DStZ 2006, 424

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