Leitsatz (amtlich)

Die Durchführung von weiteren Ermittlungen in einem Betreuungsverfahren setzt hinreichende Anhaltspunkte dafür voraus, dass Betreuungsbedarf besteht oder die Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts in Betracht kommt (im Anschluss an BGH v. 18.3.2015 - XII ZB 370/14, FamRZ 2015, 844).

 

Normenkette

FamFG §§ 26, 278 Abs. 1 S. 1, § 280 Abs. 1 S. 1

 

Verfahrensgang

LG Düsseldorf (Beschluss vom 14.03.2017; Aktenzeichen 19 T 13/17)

AG Neuss (Entscheidung vom 21.11.2016; Aktenzeichen 116 XVII 165/16 P)

 

Tenor

Der Antrag der weiteren Beteiligten zu 1) auf Verfahrenskostenhilfe wird abgelehnt, weil ihre Rechtsverfolgung keine hinreichende Erfolgsaussicht bietet.

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 19. Zivilkammer des LG Düsseldorf vom 14.3.2017 wird auf Kosten der weiteren Beteiligten zu 1) zurückgewiesen.

Wert: 5.000 EUR

 

Gründe

I.

Rz. 1

Die Schwester des Betroffenen, die Beteiligte zu 1), wendet sich gegen die Ablehnung der von ihr angeregten Bestellung eines Betreuers für ihren Bruder.

Rz. 2

Im September 2016 hat die Beteiligte zu 1) beim AG angeregt, für ihren Bruder eine Betreuung einzurichten, weil dieser an einer psychischen Störung leide. Das AG hat die zuständige Betreuungsstelle um eine Stellungnahme gebeten und nach deren Eingang die Bestellung eines Betreuers abgelehnt. Die dagegen eingelegte Beschwerde der Beteiligten zu 1) hat das LG zurückgewiesen, weil die Voraussetzungen für eine Betreuungseinrichtung nicht vorlägen. Ausweislich der Stellungnahme der Betreuungsbehörde sei der Betroffene in der Lage, seine Angelegenheiten selbst zu regeln. Eine kognitive Einschränkung bestehe nicht. Er sei bei der Anhörung durch die Betreuungsstelle geordnet und umfassend orientiert gewesen. Auch aus seinem Stellungnahmeschreiben im Beschwerdeverfahren ergebe sich nichts Gegenteiliges.

Rz. 3

Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Beteiligten zu 1).

II.

Rz. 4

Die Rechtsbeschwerde ist unbegründet. Die Ausführungen des LG halten der rechtlichen Überprüfung und insb. der von der Rechtsbeschwerde erhobenen Rüge, das LG habe der aus § 26 FamFG folgenden Amtsermittlungspflicht nicht genügt, stand.

Rz. 5

1. Ohne Erfolg macht die Rechtsbeschwerde geltend, das LG habe die Einrichtung einer Betreuung nicht ablehnen dürfen, ohne den Betroffenen persönlich anzuhören.

Rz. 6

a) Die Vorschrift des § 278 Abs. 1 Satz 1 FamFG ordnet eine persönliche Anhörung nur vor der Bestellung eines Betreuers oder der Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts für den Betroffenen an. Damit ist allerdings nicht die Aussage verbunden, dass es einer Anhörung dann, wenn es nicht zur Betreuerbestellung oder Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts kommt, generell nicht bedarf. Denn die persönliche Anhörung dient nicht nur der Gewährung rechtlichen Gehörs (vgl. § 34 Abs. 1 Nr. 1 FamFG), sondern hat - wie sich auch aus § 278 Abs. 1 Satz 2 FamFG ergibt - vor allem den Zweck, dem Gericht einen unmittelbaren Eindruck von dem Betroffenen zu verschaffen. Ihr kommt damit auch in den Fällen, in denen sie nicht durch Gesetz vorgeschrieben ist (§ 34 Abs. 1 Nr. 2 FamFG), eine zentrale Stellung im Rahmen der gem. § 26 FamFG in einem Betreuungsverfahren von Amts wegen durchzuführenden Ermittlungen zu (BGH v. 29.6.2016 - XII ZB 603/15, FamRZ 2016, 1663 Rz. 16; v. 29.1.2014 - XII ZB 519/13, FamRZ 2014, 652 Rz. 15 m.w.N.).

Rz. 7

Wird dem Betroffenen ohne die erforderlichen Ermittlungen die Bestellung eines Betreuers versagt, so wird ihm der durch das Betreuungsrecht gewährleistete Erwachsenenschutz ohne ausreichende Grundlage entzogen (vgl. BGH v. 29.1.2014 - XII ZB 519/13, FamRZ 2014, 652 Rz. 15 m.w.N.). Auf der anderen Seite ist in den Blick zu nehmen, dass die Durchführung von Ermittlungsmaßnahmen in einem Betreuungsverfahren hinreichende Anhaltspunkte dafür voraussetzt, dass Betreuungsbedarf besteht oder die Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts in Betracht kommt. Denn schon die Prüfung einer Betreuungsbedürftigkeit kann für den Betroffenen eine erhebliche Belastung darstellen und mit ihr kann zudem eine stigmatisierende Wirkung verbunden sein, wenn Dritte hiervon Kenntnis erlangen (vgl. BGH v. 18.3.2015 - XII ZB 370/14, FamRZ 2015, 844 Rz. 13 m.w.N.).

Rz. 8

Über Art und Umfang dieser Ermittlungen entscheidet der Tatrichter nach pflichtgemäßem Ermessen. Das Rechtsbeschwerdegericht hat lediglich nachzuprüfen, ob das Beschwerdegericht die Grenzen seines Ermessens eingehalten hat, ferner, ob es von zutreffenden Tatsachenfeststellungen ausgegangen ist (BGH, Beschl. v. 29.1.2014 - XII ZB 519/13, FamRZ 2014, 652 Rz. 16 m.w.N.).

Rz. 9

b) Bei Anlegung dieses Maßstabs ist es rechtlich nicht zu beanstanden, dass das LG - wie auch das AG - den Betroffenen nicht angehört hat. Jedenfalls nach der zwar sehr knappen, aber eindeutigen und auf ein ausführliches Gespräch mit dem Betroffenen gestützten Stellungnahme der Betreuungsbehörde, dass eine rechtliche Betreuung nicht erforderlich sei, fehlte es an hinreichenden Anhaltspunkten für eine Fortführung der Ermittlungen.

Rz. 10

Solche ergaben sich auch nicht aus den schriftlichen Stellungnahmen seiner Schwester, die nach ihren eigenen Angaben seit Jahrzehnten keinen persönlichen Kontakt zu ihrem Bruder hat. Sie schilderte vor allem ihre verschiedenen - auch mittels Anzeigeerstattungen und vor Gerichten ausgetragenen - Streitigkeiten mit dem Betroffenen. Angelegenheiten, die er nicht selbst besorgen könnte, ergaben sich aus diesen Ausführungen jedoch unabhängig davon, ob der Betroffene tatsächlich unter der von seiner Schwester behaupteten psychischen Erkrankung leidet, nicht. Dies gilt auch für den Bereich der Vermögenssorge, zumal die behaupteten Schulden i.H.v. 300.000 EUR zum einen für einen Hausbau angefallen sein sollen und zum anderen nach der Darstellung der Beteiligten zu 1) nicht den Betroffenen, sondern sie selbst belasten. Die von der Rechtsbeschwerde in Bezug genommenen Schreiben der Beteiligten zu 1) sprechen eher dafür, dass es ihr mit der Betreuungsanregung vor allem darum ging, den Betroffenen in dem Geschwisterstreit durch einen familienfremden Betreuer kontrollieren zu lassen und auf diese Weise selbst den von ihr so bezeichneten Rechtsfrieden zu erlangen. Dementsprechend hat das AG in seinem Nichtabhilfebeschluss auch zutreffend angemerkt, "dass die Anregung zur Einrichtung einer Betreuung auf sachfremden Erwägungen" beruhe.

Rz. 11

2. Nicht anders verhält es sich mit der Rüge der Rechtsbeschwerde, das LG habe nicht ohne Einholung eines Sachverständigengutachtens entscheiden dürfen.

Rz. 12

§ 280 Abs. 1 Satz 1 FamFG verpflichtet nach seinem Wortlaut das Gericht nur dann zur Einholung eines Sachverständigengutachtens, wenn das Verfahren mit einer Betreuerbestellung oder der Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts endet. Wird davon abgesehen, ist die Einholung eines Gutachtens nach § 280 Abs. 1 Satz 1 FamFG nicht zwingend erforderlich. Das Gericht hat daher vor der Anordnung der Gutachtenerstattung zu prüfen, ob es das Verfahren im Hinblick auf eine Betreuerbestellung oder die Anordnung eines Einwilligungsvorbehaltes weiter betreiben will, wofür es ebenfalls entsprechender hinreichender Anhaltspunkte bedarf (BGH, Beschl. v. 18.3.2015 - XII ZB 370/14, FamRZ 2015, 844 Rz. 13 m.w.N.). Solche waren hier nach der rechtlich nicht zu beanstandenden Einschätzung des LG aber nicht gegeben.

Rz. 13

3. Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen (§ 74 Abs. 7 FamFG).

 

Fundstellen

Haufe-Index 11261854

FamRZ 2017, 1962

FuR 2017, 689

FGPrax 2018, 27

JurBüro 2017, 669

BtPrax 2017, 252

JZ 2018, 16

MDR 2017, 1305

RPsych (R&P) 2018, 32

NZFam 2017, 973

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