Leitsatz (amtlich)

a) Bei Zahlungsklagen einer Gesellschaft gegen Nichtgesellschafter hat der Gesellschafter regelmäßig kein rechtliches Interesse i.S.d. § 66 Abs. 1 ZPO am Beitritt zum Rechtsstreit.

b) Die Zulässigkeit eines Beitritts zu Klage und Widerklage ist jeweils selbständig zu prüfen. Ein Beitritt auf Seiten einer Hauptpartei ist auch allein zur Klage oder allein zur Widerklage möglich.

 

Normenkette

ZPO § 66 Abs. 1

 

Verfahrensgang

OLG Hamburg (Beschluss vom 22.03.2016; Aktenzeichen 14 W 64/15)

LG Hamburg (Urteil vom 03.09.2015; Aktenzeichen 327 O 334/15)

 

Tenor

Die Rechtsbeschwerde der Nebenintervenientin gegen den Beschluss des 14. Zivilsenats des Hanseatischen OLG vom 22.3.2016 wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Der Streitwert für das Rechtsbeschwerdeverfahren wird auf 25.000 EUR festgesetzt.

 

Gründe

Rz. 1

I. Die Rechtsbeschwerdeführerin ist mit einer Beteiligungssumme i.H.v. 25.000 EUR Gesellschafterin der Klägerin zu 26), einer französischen Société Civile Immobilière (folgend SCI). Die Klägerin zu 26) ist eine von insgesamt über 30 Klägerinnen und Klägern, die gegen die Beklagten Schadensersatzansprüche wegen der angeblichen Verletzung anwaltlicher Pflichten eingeklagt haben.

Rz. 2

Die Rechtsbeschwerdeführerin hat mit Schriftsatz vom 29.4.2015 ihren Beitritt zum Rechtsstreit auf Seiten der Klägerin zu 26) und im Hinblick auf die Klage erklärt. Die Beklagten und die Kläger haben die Zurückweisung der Nebenintervention beantragt.

Rz. 3

Das LG hat mit Zwischenurteil die Nebenintervention zugelassen.

Rz. 4

Die hiergegen von den Klägern und Beklagten eingelegte sofortige Beschwerde hat Erfolg gehabt. Das OLG hat das Zwischenurteil abgeändert und die Nebenintervention der Rechtsbeschwerdeführerin zurückgewiesen.

Rz. 5

Im Ausgangsverfahren haben die Beklagten Widerklage gegen die Kläger wegen angeblicher Schadensersatzansprüche erhoben. Die Widerklage ist nach der Entscheidung des LG über die Zulassung der Nebenintervention zur Klage und vor der Beschlussfassung des OLG eingereicht worden.

Rz. 6

Mit der vom OLG zugelassenen Rechtsbeschwerde möchte die Nebenintervenientin die Wiederherstellung der landgerichtlichen Entscheidung erreichen.

Rz. 7

II. Die Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg.

Rz. 8

1. Das OLG hat ein rechtliches Interesse der Rechtsbeschwerdeführerin gem. § 66 Abs. 1 ZPO am Beitritt zur Klage der Klägerin zu 26) verneint. Sie sei zwar Gesellschafterin der Klägerin zu 26), einer französischen SCI. Ihr Interesse, am Aktivprozess der Gesellschaft teilzunehmen, bestehe allerdings nur in wirtschaftlicher Hinsicht, da der Ausgang des Prozesses nur den Wert ihres Gesellschaftsanteils beeinflussen könne. Die Nebenintervenientin verfolge deswegen kein rechtliches Interesse. Eine abweichende Beurteilung sei auch nicht aus dem Umstand gerechtfertigt, dass es sich vorliegend um einen Aktivprozess einer französischen SCI handele. Es sei nicht geltend gemacht worden, dass die Klägerin als Gesellschafterin den streitgegenständlichen Anspruch auch selbst einklagen könnte. Es liege auch weder ein Fall der Rechtskrafterstreckung vor, noch habe das Urteil im Ausgangsverfahren eine Gestaltungswirkung für die Rechtsbeschwerdeführerin. Dass die Rechtsbeschwerdeführerin im Falle des Unterliegens der Klägerin zu 26) ggf. als Gesellschafterin für die von der Klägerin zu 26) zu tragenden Prozesskosten haften müsse, rechtfertige es nicht, ein rechtliches Interesse am Beitritt zum Hauptprozess anzunehmen.

Rz. 9

2. Der Beschluss des OLG hält rechtlicher Nachprüfung stand. Zu Recht hat das Berufungsgericht ein rechtliches Interesse am Beitritt der Rechtsbeschwerdeführerin zur Klage der Klägerin zu 26) gem. § 66 Abs. 1 ZPO verneint. Bei Zahlungsklagen einer Gesellschaft gegen Nichtgesellschafter hat der Gesellschafter regelmäßig kein rechtliches Interesse i.S.d. § 66 Abs. 1 ZPO am Beitritt zum Rechtsstreit.

Rz. 10

a) Gemäß § 66 Abs. 1 ZPO kann derjenige, der ein rechtliches Interesse daran hat, dass in einem zwischen anderen Personen anhängigen Rechtsstreit eine Partei obsiegt, dieser Partei zum Zwecke ihrer Unterstützung beitreten. Dabei ist der Begriff des rechtlichen Interesses weit auszulegen (st.Rspr. BGH, Urt. v. 17.1.2006 - X ZR 236/01, BGHZ 166, 18 Rz. 7; Beschl. v. 18.11.2015 - VII ZB 2/15, WM 2016, 532 Rz. 11). Es ist erforderlich, dass der Nebenintervenient zu der unterstützten Partei oder zu dem Gegenstand des Rechtsstreits in einem Rechtsverhältnis steht, auf das die Entscheidung des Rechtsstreits durch ihren Inhalt oder ihre Vollstreckung unmittelbar oder auch nur mittelbar rechtlich einwirkt. Der bloße Wunsch eines Nebenintervenienten, der Rechtsstreit möge zugunsten einer Partei entschieden werden, stellt lediglich einen Umstand dar, der ein tatsächliches Interesse am Obsiegen einer Partei zu erklären vermag (BGH, Beschl. v. 10.2.2011 - I ZB 63/09, NJW-RR 2011, 907 Rz. 10; Beschl. v. 24.4.2006 - II ZB 16/05, ZIP 2006, 1218 Rz. 8, 12; Beschl. v. 18.11.2015 - VII ZB 2/15, BGHZ 207, 378 Rz. 11).

Rz. 11

Ein rechtliches Interesse für den Gesellschafter am Beitritt zu einem gegen die Gesellschaft geführten Prozess ist bei Personenhandelsgesellschaften wegen der Haftung nach §§ 128, 129, 161 Abs. 2 HGB anerkannt (BGH, Urt. v. 13.2.1974 - VIII ZR 147/72, BGHZ 62, 131, 133; RG, JW 1911, 817; OLG Hamburg ZIP 1988, 663; Mansel in Wieczorek/Schütze, ZPO, 4. Aufl., § 66 Rz. 71; Schultes in MünchKomm/ZPO, 5. Aufl., § 66 Rz. 9; Jacoby in Stein/Jonas, ZPO, 23. Aufl., § 66 Rz. 12, 29). Bei Zahlungsklagen der Gesellschaft gegen Nichtgesellschafter ist dagegen ein rechtliches Interesse i.S.d. § 66 Abs. 1 ZPO nicht gegeben. Das Interesse, die Vermögenssituation der Gesellschaft als Klägerin zu verbessern, um etwa höhere Tantiemen von der klagenden Gesellschaft oder als Gesellschafter einer Aktiengesellschaft aufgrund der verbesserten Vermögenssituation der Gesellschaft höhere Dividenden zu erhalten, ist ein rein wirtschaftliches und kein rechtliches (vgl. RGZ 83, 182, 184; OLG Rostock OLGReport Rostock 2002, 423, 424; OLG Schleswig ZIP 1999, 1760, 1761; Mansel in Wieczorek/Schütze, ZPO, 4. Aufl., § 66 Rz. 73; Schultes in MünchKomm/ZPO, 5. Aufl., § 66 Rz. 17; a.A. Henckel, Parteilehre und Streitgegenstand im Zivilprozess, 1961, S. 145; Gummert in Münchner Handbuch des Gesellschaftsrechts, Bd. 1, 4. Aufl., § 19 Rz. 37; Neubauer/Herchen in Münchner Handbuch des Gesellschaftsrechts, Bd. 1, 4. Aufl., § 70 Rz. 10).

Rz. 12

b) Im vorliegenden Fall liegt das Interesse der Rechtsbeschwerdeführerin darin, durch den Erfolg der Klage der Klägerin zu 26) deren Vermögenssituation zu verbessern, um den Wert ihres Geschäftsanteils an der Klägerin zu 26) zu erhöhen. Das ist ein rein wirtschaftliches Interesse und kein die Nebenintervention nach § 66 Abs. 1 ZPO rechtfertigendes rechtliches Interesse.

Rz. 13

c) Eine abweichende Beurteilung ergibt sich nicht aus dem Umstand, dass die Klägerin zu 26) eine französische SCI ist, deren Gesellschafterin die Rechtsbeschwerdeführerin ist. Auch die Rechtsbeschwerde stellt nicht in Frage, dass die Klägerin zu 26) nach dem maßgeblichen französischen Recht über ein eigenes Gesellschaftsvermögen verfügt und die Gesellschafter lediglich einen Geschäftsanteil halten (Part Sociale; Ferred/Sonnenberger, Das französische Zivilrecht, Bd. 2, 2. Aufl., 2 L 129; Melchers, BWNotZ 2000, 58, 60). Das Interesse der Rechtsbeschwerdeführerin als Gesellschafterin einer SCI ist nur rein wirtschaftlich.

Rz. 14

d) Der rechtlichen Nachprüfung stand hält ebenfalls die Auffassung des OLG, dass das rechtliche Interesse für die Nebenintervenientin nicht dadurch begründet werden kann, dass im Fall eines Unterliegens der Klägerin zu 26) im Klageverfahren ein Kostenerstattungsanspruch für die Beklagten entstehen kann, für den die Rechtsbeschwerdeführerin als Gesellschafterin der Klägerin zu 26) akzessorisch haften müsste. Das rechtliche Interesse i.S.d. § 66 Abs. 1 ZPO muss sich aus der Entscheidung in der Hauptsache ergeben. Das Interesse zur Vermeidung einer ungünstigen Kostenentscheidung zu Lasten der Hauptpartei genügt nicht. Es darf nicht erst durch den Rechtsstreit geschaffen werden, in dem der Beitritt erfolgen soll (Mansel in Wieczorek/Schütze, ZPO, 4. Aufl., § 66 Rz. 41; Jacoby in Stein/Jonas, ZPO, 23. Aufl., § 66 Rz. 21; Wieser, Das rechtliche Interesse des Nebenintervenienten, 1962, S. 40; vgl. auch RGZ 169, 50, 51 f.).

Rz. 15

e) Ohne Erfolg macht die Rechtsbeschwerde geltend, dass die einzelnen Gesellschafter einer personalisiert strukturierten Gesellschaft etwa einer OHG oder KG als Verletzte einer Untreuehandlung anzusehen seien und ihnen deswegen nach § 406e Abs. 1 StPO auch ein Akteneinsichtsrecht zustehe. Die Frage der Auslegung des Straftatbestandes der Untreue nach § 266 StGB und ein daraus im Strafverfahren folgendes Akteneinsichtsrecht gem. § 406e Abs. 1 StPO ist nicht gleichzusetzen mit dem Erfordernis eines rechtlichen Interesses gem. § 66 Abs. 1 ZPO am Obsiegen des Rechtsstreits der Gesellschaft gegenüber einem Nichtgesellschafter im Hinblick auf eine Schadensersatzforderung. Dass der Gesellschafter insoweit ein wirtschaftliches Interesse hat, steht außer Frage und nicht im Gegensatz zur Auslegung des Untreuetatbestandes des Strafgesetzbuches (vgl. BGH, Beschl. v. 23.2.2012 - 1 StR 586/11, NStZ 2013, 38 Rz. 10, 19), begründet aber aus sich heraus kein Recht zum Beitritt nach § 66 Abs. 1 ZPO.

Rz. 16

f) Ohne Erfolg macht die Rechtsbeschwerde geltend, das OLG habe die Widerklage der Beklagten nicht berücksichtigt. Die Rechtsbeschwerde meint zu Unrecht, es bestehe ein rechtliches Interesse am Beitritt zum Rechtsstreit, weil insoweit ein Passivprozess der Klägerin zu 26) als Beklagte der Widerklage vorliege und die Rechtsbeschwerdeführerin als Gesellschafterin der Klägerin zu 26) bei deren Unterliegen akzessorisch hafte.

Rz. 17

Es kann dahingestellt bleiben, ob die Nebenintervenientin ein rechtliches Interesse am Beitritt auf Seiten der Klägerin zu 26) im Hinblick auf die Widerklage hat. Der Beitritt zur Widerklage auf Seiten der Klägerin zu 26) als Widerbeklagte ist nicht Gegenstand des Rechtsbeschwerdeverfahrens. Zum Zeitpunkt der Beitrittserklärung der Rechtsbeschwerdeführerin und der Entscheidung über die Zulässigkeit der Nebenintervention durch das LG war die Widerklage noch nicht erhoben. Gegenstand der Entscheidung des LG und damit auch des Beschwerdeverfahrens war damit allein die Entscheidung über die Zulässigkeit der Nebenintervention zur Klage der Klägerin zu 26). Dementsprechend ist auch das Rechtsbeschwerdeverfahren auf die Überprüfung der Zulassungsentscheidung des Beitritts der Nebenintervenientin zur Klage der Klägerin zu 26) beschränkt.

Rz. 18

Auch wenn ein Beitritt zur Widerklage der Rechtsbeschwerdeführerin möglich ist, folgt daraus nicht, dass deswegen die Nebenintervention im Hinblick auf die Klage zulässig wird. Vielmehr ist die Zulässigkeit eines Beitritts zu Klage und Widerklage jeweils selbständig zu prüfen. Bei Klage und Widerklage handelt es sich um zwei selbständige Prozesse, die Kraft eines Parteiaktes zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung in einem Verfahren verbunden sind (Roth in Stein/Jonas, ZPO, 23. Aufl., § 33 Rz. 1; Patzina in MünchKomm/ZPO, 5. Aufl., § 33 Rz. 8). Ein Beitritt ist nicht nur unteilbar zu allen im Prozess anhängigen, sondern vielmehr auch möglich zu einzelnen Streitgegenständen (BGH, Beschl. v. 30.10.1959 - V ZR 204/57, BGHZ 31, 144, 146; Schultes in MünchKomm/ZPO, 5. Aufl., § 66 Rz. 20; Weth in Musielak/Voit, ZPO, 15. Aufl., § 66 Rz. 11). Dies gilt auch im Fall von Klage und Widerklage (Mansel in Wieczorek/Schütze, ZPO, 4. Aufl., § 66 Rz. 81; vgl. auch RG, Warneyer Rechtsprechung 1919, 31 f.; Jacoby in Stein/Jonas, ZPO, 23. Aufl., § 66 Rz. 15).

 

Fundstellen

Haufe-Index 12036142

BGHZ 2019, 155

BB 2018, 2188

DB 2018, 2297

DB 2018, 7

DStR 2018, 12

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