Orientierungssatz

1. Die Voraussetzung für den Erlaß eines Rechtsentscheids durch den Bundesgerichtshof sind nicht gegeben, wenn das vorlegende Oberlandesgericht verkennt, daß eine von ihm in Abweichung von der Rechtsprechung eines anderen Oberlandesgerichts für unbedenklich gehaltene Formularklausel in einem Mietvertrag im konkreten Ausgangsfall im Zusammenhang mit einer anderen Vertragsklausel steht, und daß das Zusammenwirken der Klauseln zu einer auch vom vorlegenden Gericht angenommenen Unwirksamkeit der Gesamtregelung führt.

2. Demgemäß stellt sich die Frage: "Ist die vorformulierte Mietvertragsbestimmung, nach der der Mieter sich verpflichtet, die Schönheitsreparaturen wenn erforderlich, mindestens aber in den in einem Fristenplan festgelegten Zeiträumen fachgerecht ausführen zu lassen, bei unrenoviert übergebenen Wohnungen entgegen dem Rechtsentscheid des OLG Stuttgart vom 17.2.1989 (8 REMiet 2/88)" (vergleiche OLG Stuttgart, 1989-02-17, 8 REMiet 2/88, NJW 1989, 520) "auch dahingehend auslegbar, daß mit ihr eine erst ab Mietbeginn laufende Regelung getroffen worden ist mit der Rechtsfolge, daß die Mietvertragsbestimmung nicht stets nach AGBG § 9 unwirksam ist" nicht, wenn im Ausgangsfall in einer anderen Formularklausel des Mietvertrages der Mieter bereits ausdrücklich zur Renovierung der Wohnung bei Beginn des Mietverhältnisses verpflichtet wird, und das vorlegende Oberlandesgericht von der Rechtsprechung anderer Instanzgerichte insoweit nicht abweichen will, als es auch die Gesamtregelung, dh das Zusammenwirken der beiden Klauseln, für unwirksam hält.

 

Normenkette

AGBG § 9; BGB § 535

 

Tenor

Ein Rechtsentscheid ergeht nicht.

 

Gründe

I. Mit Formularvertrag vom 4. Mai 1984 mietete der Beklagte vom Rechtsvorgänger der Klägerin eine bei Vertragsbeginn unrenovierte Wohnung an. Der Vertrag enthält hinsichtlich der Renovierungsarbeiten und Schönheitsreparaturen u.a. folgende vorgedruckte Bestimmungen:

„§ 15 Zustand der Mieträume

2. Der Mieter verpflichtet sich, vor seinem Einzug oder, falls dies nicht möglich ist, bis spätestens zum 30.06.1984 folgende Arbeiten auf seine Kosten an den Mieträumen vornehmen zu lassen: Renovierung der Wohnung.

(Datum und die Worte „Renovierung der Wohnung” sind in den vorgedruckten Text mit Schreibmaschine eingefügt.)

3. …

§ 16 Instandhaltung und Instandsetzung der Mieträume

4. Der Mieter ist insbesondere verpflichtet, auf seine Kosten die Schönheitsreparaturen (das Tapezieren, Anstreichen oder Kalken der Wände und Decken, das Streichen der Fußböden, Heizkörper einschließlich Heizrohre, der Innentüren sowie der Fenster und Außentüren von innen), in den Mieträumen, wenn erforderlich, mindestens aber in dem nachstehenden Turnus fachgerecht auszuführen ….

Der Turnus beträgt: Bei Küche, Bad und Toilette – zwei Jahre, bei allen übrigen Räumen – fünf Jahre.

Weist der Mieter jedoch nach, daß die letzten Schönheitsreparaturen innerhalb der oben genannten Fristen – zurückgerechnet vom Zeitpunkt der Beendigung des Mietverhältnisses -durchgeführt worden sind, und befindet sich die Wohnung in einem einer normalen Abnutzung entsprechenden Zustand, so muß er sich anteilig an den Kosten beteiligen, die aufzuwenden wären, wenn die Wohnung im Zeitpunkt der Vertragsbeendigung renoviert würde; dasselbe gilt, wenn und soweit bei Vertragsbeendigung die obigen Fristen seit Beginn des Mietverhältnisses noch nicht vollendet sind.”

Bei Beendigung des Mietverhältnisses am 30. Oktober 1989 führte der Beklagte keine Schönheitsreparaturen durch. Mit der Klage verlangt die Klägerin Schadensersatz wegen nicht durchgeführter Schönheitsreparaturen sowie die Erstattung aufgewendeter Gutachterkosten.

Der Beklagte trägt vor, er sei nicht zur Durchführung von Schönheitsreparaturen verpflichtet. Er habe die Wohnung bei Einzug und zuletzt 1987 renoviert. Die vertragliche Regelung in § 16 Nr. 4 des Mietvertrages sei unwirksam.

Das Amtsgericht Frankfurt am Main hat die Klage im Anschluß an einen Rechtsentscheid des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 17. Februar 1989 (NJW-RR 1989, 520 = WuM 1989, 121 = ZMR 1989, 176) mit der Begründung abgewiesen, die Formularklausel über Schönheitsreparaturen verstoße in der hier vorliegenden Ausgestaltung gegen § 9 AGBG.

Das auf die Berufung der Klägerin mit der Sache befaßte Landgericht möchte der Klage stattgeben. Der Beklagte habe nicht bewiesen, daß er 1987 Schönheitsreparaturen durchgeführt habe. Die Frist zur Durchführung von Schönheitsreparaturen sei nach dem vorgesehenen Turnus verstrichen. Der Klage sei deshalb stattzugeben, wenn die in § 16 Nr. 4 enthaltene Klausel wirksam sei. An dieser Beurteilung sieht sich das Landgericht durch den erwähnten Rechtsentscheid des Oberlandesgerichts Stuttgart gehindert. Es hat deshalb dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main folgende Frage zum Rechtsentscheid vorgelegt:

„Ist die vorformulierte Mietvertragsbestimmung, nach der der Mieter sich verpflichtet, die Schönheitsreparaturen wenn erforderlich, mindestens aber in den in einem Fristenplan festgelegten Zeiträumen fachgerecht ausführen zu lassen, bei unrenoviert übergebenen Wohnungen entgegen dem Rechtsentscheid des OLG Stuttgart vom 17.02.1989 (8 RE Miet 2/88) auch dahin auslegbar, daß mit ihr eine erst ab Mietbeginn laufende Regelung getroffen worden ist mit der Rechtsfolge, daß die Mietvertragsbestimmung nicht stets nach § 9 AGBG unwirksam ist, insbesondere unter Berücksichtigung der Ausführungen des BGH im Beschluß vom 11.07.1990 (Neg. RE).”

Das Oberlandesgericht (WuM 1992, 419 f.), möchte ebenfalls von der Auffassung des Oberlandesgerichts Stuttgart abweichen und hat deshalb dem Bundesgerichtshof folgende Rechtsfrage zur Entscheidung vorgelegt:

„Ist die vorformulierte Mietvertragsbestimmung, nach der der Mieter sich verpflichtet, die Schönheitsreparaturen wenn erforderlich, mindestens aber in den in einem Fristenplan festgelegten Zeiträumen fachgerecht ausführen zu lassen, bei unrenoviert übergebenen Wohnungen entgegen dem Rechtsentscheid des OLG Stuttgart vom 17. Februar 1989 (8 RE Miet 2/88) unter Berücksichtigung der Ausführungen des Bundesgerichtshofs in seinem Beschluß vom 11. Juli 1990 (VIII ARZ 1/90) auch dahin auslegbar, daß mit ihr eine erst ab Mietbeginn laufende Regelung getroffen worden ist mit der Rechtsfolge, daß die Mietvertragsbestimmung nicht stets nach § 9 AGBG unwirksam ist?”

Zur Begründung führt das Oberlandesgericht aus, eine Schönheitsreparaturenklausel in der vorliegenden Ausgestaltung, die sowohl eine Bedarfsregelung als auch einen Fristenplan enthalte, umfasse entgegen der Auffassung des Oberlandesgerichts Stuttgart keine Verpflichtung zu einer Anfangsrenovierung. Vielmehr sei eine Auslegung dahin möglich, daß die Fristen erst während des Mietverhältnisses zu laufen begännen und die Bedarfsregelung einen vorvertraglichen Zeitraum nicht einschließe. Die Auslegung könne nicht ohne Berücksichtigung der im Mietvertrag für Schönheitsreparaturen getroffenen weiteren Regelungen erfolgen. Die Regelung, daß bei Ende des Mietverhältnisses anteilige Zahlungen auf künftige Renovierungskosten zu erbringen seien, deute darauf hin, daß der Vermieter vom Mietnachfolger nicht für die gleiche Zeit anteilige Renovierungsleistungen erwarte und vom jetzigen Mieter auch nicht entsprechende Leistungen für seinen Mietvorgänger fordere. Die weithin übliche Überwälzung von Schönheitsreparaturen pflege nur im angemessenen Umfang zu erfolgen. Dazu gehöre der vom Vormieter verursachte Renovierungsbedarf nicht. Wolle ein Vermieter auch ihn auf den Mieter abwälzen, bedürfe es einer ausdrücklichen und unmißverständlichen Regelung.

II. Die Voraussetzungen für den Erlaß eines Rechtsentscheids liegen nicht vor.

1. Zwar betrifft die Vorlage eine Rechtsfrage aus einem Mietvertragsverhältnis über Wohnraum, über die das Landgericht als Berufungsgericht zu entscheiden hat (§ 541 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Ihrer Zulässigkeit steht auch nicht entgegen, daß das Oberlandesgericht die ihm vorgelegte Rechtsfrage – bei deckungsgleichem Inhalt – anders gefaßt oder weil es ausdrücklich eine Auslegungsfrage zum Gegenstand seiner Vorlage gemacht hat (vgl. Senatsbeschluß vom 11. Juli 1990 – VIII ARZ 1/90 = NJW 1990, 3142 unter a = ZMR 1990, 449 = WuM 1990, 415 m. w. Nachw.).

2. Durchgreifende Bedenken bestehen jedoch dagegen, daß das Oberlandesgericht ihre Erheblichkeit bejaht. Die Entscheidung des Ausgangsfalles erfordert eine Beantwortung der Vorlagefrage nicht. Die rechtliche Würdigung der vorlegenden Gerichte berücksichtigt die Besonderheiten der Vertragsgestaltung im konkreten Ausgangsfall nicht vollständig, denn der Beklagte war gemäß § 15 Nr. 2 des Vertrages bereits ausdrücklich zur Renovierung der Wohnung bei Beginn des Mietverhältnisses verpflichtet. Ob § 16 Nr. 4 des Vertrages eine erst ab Mietbeginn laufende Regelung trifft, ist deshalb, soweit es um die Ermittlung der inhaltlichen Tragweite der insgesamt auf den Mieter überwälzten Renovierungspflichten geht, ohne Belang. Selbst wenn diese Klausel – für sich allein genommen – im Sinne des vorlegenden Oberlandesgerichts auszulegen wäre, stünde fest, daß neben den von ihr erfaßten turnusmäßigen Schönheitsreparaturen auch der bei Beginn des Mietverhältnisses angefallene Renovierungsbedarf zu Lasten des Mieters gehen sollte. Daß mit der Anfangsrenovierung gemäß § 15 Nr. 2 andere als die in § 16 Nr. 4 aufgezählten Arbeiten gemeint gewesen sein könnten, ist nicht ersichtlich. Auch wenn beide Regelungen in zwei aufeinanderfolgenden Paragraphen mit unterschiedlichen Überschriften (§ 15 Zustand der Mieträume – § 16 Instandhaltung und Instandsetzung der Mieträume) enthalten sind, müssen sie ihrer Bestimmung wegen als zusammengehörig gewertet werden. Das gilt unabhängig davon, ob § 15 Nr. 2 – wie § 16 Nr. 4 – eine Formularklausel ist, oder auf individueller Vereinbarung beruht. Bei der Prüfung einer Klausel nach § 9 AGBG ist der gesamte Vertragsinhalt einschließlich seiner Individualteile zu würdigen (BGH, Urteil vom 17. Januar 1989 – XI ZR 54/88 = WM 1989, 126; Urteil vom 9. November 1989 – IX ZR 269/87 = NJW 1990, 761; Urteil vom 16. Mai 1990 – VIII ZR 245/89 = WM 1990, 1339; Urteil vom 15. Oktober 1991 – XI ZR 192/90 = WM 1991, 1944; Urteil vom 5. November 1991 – XI ZR 246/90 = WM 1991, 2055). Das Oberlandesgericht hätte berücksichtigen müssen, daß auch jeweils für sich unbedenkliche Klauseln einen Summierungseffekt haben und in ihrer Gesamtwirkung zu einer unangemessenen Benachteiligung führen können (MünchKomm/Kötz, BGB, z. Aufl., § 9 AGBG Rdnr. 4; Soergel/Stein, BGB, 12. Aufl., § 9 AGBG Rdnr. 7; Brandner in Ulmer/Brandner/Hensen, AGBG, 6. Aufl., § 9 Rdnr. 81; Wolf in Wolf/Horn/Lindacher, AGBG, z. Aufl., § 9 Rdnr. 133). Zu beachten war mithin, daß die §§ 15 Nr. 2, 16 Nr. 4 des Mietvertrages eine Gesamtregelung enthalten, die neben der Überwälzung der laufenden Schönheitsreparaturen nach Fristenplan oder Bedarf auch zur Einbeziehung vorvertraglichen Renovierungsaufwandes führt. Eine derartige Vertragsgestaltung – formularmäßig herbeigeführt – ist nach der Auffassung des Oberlandesgerichts Stuttgart im Rechtsentscheid vom 17. Februar 1989 unwirksam (ebenso Rechtsentscheide des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 28. August 1984 – 8 RE Miet 4/83 = NJW 1984, 2585 = ZMR 1984, 406 und vom 6. März 1986 – RE Miet 4/84 = NJW 1986, 2115 = ZMR 1986, 237). Die erwähnten Rechtsentscheide des Oberlandesgerichts Stuttgart beziehen sich ersichtlich nicht allein auf Vertragsgestaltungen, bei denen die Verpflichtung zur Anfangsrenovierung – nach der im Beschluß vom 17. Februar 1989 vertretenen Auslegung – aus einer „Bedarfsklausel” resultiert, sondern erfassen auch andere formularmäßige Vertragsgestaltungen, mithin insbesondere solche, bei denen der Mieter ausdrücklich zu einer Anfangsrenovierung verpflichtet wird (vgl. hierzu auch Blümmel GE 1986, 980 zu den Rechtsentscheiden vom 6. März 1986 und vom 28. August 1984 a.a.O. sowie KG Berlin, GE 1986, 1167). Von dieser Auffassung, die, wie dargelegt, auch gelten muß, wenn die Gesamtregelung aus einem Individual- (§ 15 Nr. 2) und einem Formularteil (§ 16 Nr. 4) besteht, will das Oberlandesgericht in Übereinstimmung mit dem Landgericht aber gerade nicht abweichen. Es hat vielmehr ausgeführt, „in solchen Fällen” müßten „mietvertragliche Regelungen dieser Art bis zu einem gegenteiligen Rechtsentscheid des Bundesgerichtshofs als unwirksam behandelt werden”. Bei vollständiger Ausschöpfung des Sachverhalts erweist sich somit, daß die rechtsfehlerhaft allein auf das Verständnis des § 16 Nr. 4 reduzierte Vorlagefrage sich im Ausgangsfall nicht stellt.

 

Fundstellen

Haufe-Index 538018

NJW 1993, 532

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