Leitsatz (amtlich)

Über die für den Beginn des Achtjahreszeitraums nach § 10 a Abs. 4 Satz 1 EStG bedeutsame Frage nach der Art von Einkünften des Steuerpflichtigen in früheren Veranlagungszeiträumen ist erst und jeweils bei der Veranlagung des Jahres zu entscheiden, für das die Steuerbegünstigung des nicht entnommenen Gewinns beansprucht wird, es sei denn, daß die Besteuerungsgrundlagen gesondert festgestellt worden sind.

 

Normenkette

EStG 1969 § 10 a Abs. 4 S. 1

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) kam 1957 in die Bundesrepublik Deutschland; er und seine Ehefrau sind zur Inanspruchnahme von Rechten und Vergünstigungen nach dem BVFG berechtigt. Nach seiner Übersiedlung in die Bundesrepublik war der Kläger zunächst bei verschiedenen Krankenanstalten als angestellter Arzt tätig. Seit 1968 betreibt er eine eigene Klinik.

Nachdem der Kläger erstmals für 1968 die Steuerbegünstigung des nicht entnommenen Gewinns nach § 10 a EStG beansprucht und erhalten hatte, lehnte der Beklagte und Revisionskläger (FA) einen gleichen Antrag für das Streitjahr 1969 ab mit der Begründung, der Kläger habe erstmals 1961 Einkünfte aus selbständiger Arbeit in Höhe von 491 DM gehabt und als solche versteuert, deshalb sei der in § 10 a Abs. 4 Satz 1 EStG bestimmte Achtjahreszeitraum für die Inanspruchnahme der Vergünstigung mit dem Jahr 1968 abgelaufen.

Die Sprungklage gegen den entsprechenden Einkommensteuerbescheid für 1969 hatte Erfolg. Das FG führte in seiner in den EFG 1974, 257, veröffentlichten Entscheidung im wesentlichen aus:

Der Kläger habe erstmals 1961 Einkünfte aus selbständiger Arbeit gehabt. Davon sei nach dem bestandskräftig gewordenen Einkommensteuerbescheid für 1961 und der darin vorgenommenen Einordnung von Einkünften auszugehen, die der Kläger gegen sich gelten lassen müsse. Hiervon abgesehen habe das FG auch keinen Zweifel daran, daß die Einkünfte des Klägers aus einer ärztlichen Gutachtertätigkeit zutreffend als solche aus selbständiger Arbeit erklärt und vom FA so besteuert worden seien. Ebensowenig habe das FG entgegen dem Vorbringen des FA Bedenken, daß die vom Kläger in den folgenden Jahren neben seinen Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit erklärten weiteren Einkünfte ebenfalls Arbeitslohn gewesen und richtig besteuert worden seien.

Die in 1961 bezogenen Einkünfte aus selbständiger Arbeit in Höhe von 491 DM seien allerdings nicht geeignet, den Achtjahreszeitraum nach § 10 a Abs. 4 Satz 1 EStG beginnen zu lassen. Bei einer Auslegung dieser Vorschrift nach ihrem Sinn und Zweck müßten bei der Beurteilung solche Einkünfte ausscheiden, die wegen ihrer Geringfügigkeit und ihres Ausnahmecharakters nicht geeignet waren, etwas zur Eingliederung ihres Beziehers in das Wirtschaftsleben der Bundesrepublik beizutragen. Im Streitfall sei der Betrag von 491 DM unbedeutend; sein Ausnahmecharakter liege darin, daß es sich um Nebeneinkünfte eines Arbeitnehmers gehandelt habe, die sich in den folgenden Jahren in dieser Form nicht wiederholt und außerdem mit der Klinik, der späteren Erwerbsgrundlage des Klägers, in keinem Zusammenhang gestanden hätten.

Da der Achtjahreszeitraum erst mit dem Erwerb der Klinik begonnen habe, stehe dem Kläger die Steuerbegünstigung des nicht entnommenen Gewinns für 1969 zu.

Mit der Revision rügt das FA unrichtige Anwendung des § 10 a EStG und macht geltend, für den Beginn des Achtjahreszeitraums nach § 10 a Abs. 4 Satz 1 EStG komme es allein darauf an, ob ein Steuerpflichtiger aus dem begünstigten Personenkreis in einem Veranlagungszeitraum Einkünfte aus einer der nach § 10 a EStG privilegierten Einkunftsarten hatte; deren Höhe oder ein Zusammenhang mit der späteren Existenzgrundlage des Steuerpflichtigen sei unerheblich.

In der Revisionserwiderung wird vom Kläger unter Hinweis auf seine Ausführungen vor dem FG vorgebracht, er sei bei seiner Nebentätigkeit im Jahre 1961 unselbständig gewesen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des FA führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Streitsache an das FG.

1. Das FG ist einem Rechtsirrtum unterlegen, wenn es für die Frage, ob in einem früheren Veranlagungszeitraum Einkünfte aus einer der nach § 10 a EStG begünstigten Einkunftsarten bezogen wurden, von den bestandskräftig gewordenen Einkommensteuerbescheiden ausgegangen ist.

Für die Berechnung des in § 10 a Abs. 4 Satz 1 EStG bestimmten Achtjahreszeitraums kommt es u. a. darauf an, ob der die Steuerbegünstigung des nicht entnommenen Gewinns beanspruchende Steuerpflichtige in einem früheren Jahr Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft, Gewerbebetrieb oder selbständiger Arbeit hatte. Nach Auffassung des erkennenden Senats ist über die Einordnung von Einkünften in eine der genannten Einkunftsarten bei der Veranlagung des Jahres, für das die Steuerbegünstigung in Anspruch genommen wird, erneut zu befinden, wenn die Einkünfte ohne eine gesonderte Feststellung in einem Einkommensteuerbescheid angesetzt wurden. Unter dem Gesichtspunkt einer Arbeitsvereinfachung könnte es zwar zweckmäßig sein, die Einordnung von Einkünften in einem früheren Steuerbescheid maßgebend sein zu lassen. Es kann indessen nicht unberücksichtigt bleiben, daß der Ausspruch über die Art von Einkünften in einem Steuerbescheid - abgesehen von den Fällen, in denen Besteuerungsgrundlagen gesondert festgestellt werden - einen unselbständigen Teil des Bescheids darstellt und in der Regel nicht allein angegriffen werden kann, vor allem dann aus Rechtsgründen nicht, wenn der Steuerpflichtige durch die Einordnung von Einkünften und deren Höhe nicht beschwert war. Dies und die Überlegung, daß der Steuerpflichtige beim erstmaligen Erzielen von Einkünften meist nicht übersehen kann, welche steuerlichen Auswirkungen deren Art in späteren Jahren für ihn haben, gebieten es, über die Art von Einkünften in früheren Jahren, soweit dies für die Inanspruchnahme der Steuerbegünstigung des nicht entnommenen Gewinns von Bedeutung ist, erst und jeweils bei der Veranlagung des Jahres zu entscheiden, für das die Steuervergünstigung beansprucht wird.

2. Dem FG ist auch nicht zu folgen, wenn es angenommen hat, der Achtjahreszeitraum nach § 10 a Abs. 4 Satz 1 EStG beginne nicht, wenn die erstmalig erzielten Einkünfte aus den nach § 10 a EStG begünstigten Einkunftsarten geringfügig sind und aus einer Nebentätigkeit stammen.

Wie der Senat in seinem Urteil vom 7. Mai 1974 VIII R 113/73 (BFHE 112, 366, BStBl II 1974, 544) ausgesprochen hat, beginnt der Achtjahreszeitraum nach § 10 a Abs. 4 Satz 1 EStG mit dem Veranlagungszoitraum, in dem der Steuerpflichtige erstmals ein positivos oder negatives Betriebsergebnis bei den Einkunftsarten Land- und Forstwirtschaft, Gewerbebetrieb oder selbständige Arbeit hatte. Nach dem Beschluß des BVerfG vom 3. Februar 1975 1 BvR 281/74 (StRK, Einkommensteuergesetz, § 10 a, Rechtsspruch 165) ist diese Rechtsprechung zum Beginn des Achtjahreszeitraums verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Sie geht - wie das BVerfG ausgeführt hat - von der sprachlichen Bedeutung der Vorschrift aus, berücksichtigt deren Sinn und Zweck und hält sich damit im Rahmen anerkannter Auslegungsregeln. Es ist nach dieser Entscheidung verfassungsrechtlich auch nicht zu beanstanden, wenn der Gesetzgeber erkennbar davon ausgegangen ist, daß mögliche anfängliche Verluste für die Ingangsetzung der Achtjahresfrist des § 10 a Abs. 4 Satz 1 EStG kein Hindernis sein sollten. Mit dieser Auslegung der Vorschrift ist es nach Auffassung des erkennenden Senats nicht zu vereinbaren, für den Beginn des Begünstigungszeitraums auf weitere Merkmale wie Geringfügigkeit oder Ausnahmecharakter von Einkünften abzustellen. Weder der Wortlaut noch der Zweck der Vorschrift geben etwas dafür her, daß die Frist erst zu laufen beginne, wenn Einkünfte ab einer gewissen Größenordnung, aus einer Haupttätigkeit oder im Zusammenhang mit einer späteren Existenzgrundlage erzielt wurden. Dem Zweck der Vorschrift, den Beginn für einen Zeitraum festzulegen, innerhalb dessen eine Steuervergünstigung in Anspruch genommen werden kann, dient es eher, nur an objektive und leicht nachprüfbare Voraussetzungen anzuknüpfen, als den Fristbeginn von weiteren in der Person des einzelnen Steuerpflichtigen liegenden subjektiven Gegebenheiten abhängig zu machen, die - worauf das FA zutreffend hingewiesen hat - jederzeit abänderbar und damit schwer nachprüfbar sein oder auf Zufälligkeiten beruhen können. Wenn das FG für seine Auffassung in erster Linie auf den Zweck der Vorschrift über die Steuerbegünstigung des nicht entnommenen Gewinns insgesamt abgestellt hat, nämlich dem dort bezeichneten Personenkreis die Eingliederung in das wirtschaftliche Leben der Bundesrepublik zu erleichtern, dann wird dabei übersehen, daß es hierfür weniger auf den Beginn des Begünstigungszeitraums als vielmehr auf dessen Dauer ankommt. Dazu hat nach dem Spruch des BVerfG der Gesetzgeber eine Entscheidung getroffen, die als ausreichend und angemessen angesehen werden kann.

3. Die Vorentscheidung, die auf diesen Rechtsfehlern beruht, war aufzuheben. Der Senat kann nicht selbst entscheiden und verweist die Streitsache an das FG zurück.

Das FG ist zwar bei Prüfung der Frage, welche Art von Einkünften der Kläger in den früheren Jahren hatte, auch nach seiner Hilfsüberlegung zu dem Ergebnis gelangt, die Einkünfte aus der Gutachtertätigkeit in 1961 seien solche aus selbständiger Arbeit gewesen. Diese rechtliche Würdigung des FG ist jedoch mangels ausreichender Tatsachenfeststellungen nicht auf ihre Richtigkeit hin nachprüfbar. Der Umstand, wer für die Arbeiten liquidiert hat, reicht allein nicht aus, eine selbständige Tätigkeit anzunehmen. Dies ist um so weniger möglich, als der Kläger nach dem insoweit übereinstimmenden Vorbringen der Beteiligten in 1961 und den nachfolgenden Jahren gleichgeartete Nebentätigkeiten ausgeübt haben soll. Das FG muß diese Frage nach den notwendigen Feststellungen erneut prüfen und entscheiden.

 

Fundstellen

Haufe-Index 72493

BStBl II 1977, 868

BFHE 1978, 183

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