Entscheidungsstichwort (Thema)

Verfahrensrecht/Abgabenordnung Bewertung Bewertung/Vermögen-/Erbschaft-/Schenkungsteuer

 

Leitsatz (amtlich)

Der Erwerber eines Grundstücks kann an Stelle des Veräußerers auf den Beginn desjenigen Kalenderjahrs, in dem er das Grundstück erwirbt, die Wertfortschreibung beantragen; den Antrag kann er nur innerhalb der Antragsfrist stellen, die für den Veräußerer gilt. Der Veräußerer ist, falls möglich, von Amts wegen zu dem Verfahren zuzuziehen.

 

Normenkette

AO § 225a Abs. 1, § 225a/2, §§ 240, 234, 241/3; BewG § 22 Abs. 1

 

Tatbestand

Streitig ist die Wertfortschreibung des Einheitswerts auf den 1. Januar 1951 für das gemischtgenutzte Grundstück X. Die Beschwerdeführerin (Bfin.) hat das Grundstück am 20. August 1951 käuflich erworben und die Lasten des Grundstücks vertraglich ab 1. September 1951 übernommen.

Das Grundstück war zum 1. Januar 1935 nach einem Vielfachen der Jahresrohmiete bewertet worden; der Einheitswert betrug 36.500 RM. Zum 1. Januar 1946 wurde dieser Wert auf 27.600 RM fortgeschrieben; die Bewertung erfolgte wieder mit einem Vielfachen der Jahresrohmiete, wobei wegen erlittener Kriegsschäden der Wert um 5 v. H. ermäßigt wurde. Zum 1. Januar 1949 wurde der Einheitswert erneut, und zwar wegen höherer Jahresrohmiete auf 34.700 RM fortgeschrieben; auch hierbei wurde der an sich maßgebende Wert wegen des erlittenen Kriegsschadens um 5 v. H. ermäßigt. Die letzte Fortschreibung ist in den Akten als "vorläufig; bezeichnet. Gründe, weshalb die Feststellung nur eine vorläufige sein sollte, sind nicht angegeben. Aus den Akten ist auch nicht zu ersehen, ob und wann der Feststellungsbescheid für endgültig erklärt worden ist. Die Rechtsvorgänger der Bfin. hatten ihrerseits beantragt, den Einheitswert wegen des hohen Alters des Gebäudes und wegen des Bombenschadens zum 1. Januar 1950 herabzusetzen. Dieser Antrag wurde abgelehnt, der dagegen eingelegte Einspruch jedoch später zurückgenommen.

Am 22. Oktober 1951, alsbald nach der übernahme des Grundstücks, beantragte die Bfin. ebenfalls, den Einheitswert des Grundstücks wegen der erlittenen Kriegsschäden herabzusetzen. Ein Zeitpunkt, für den die Herabsetzung des Einheitswerts begehrt wird, wurde nicht angegeben. Das Finanzamt behandelte den Antrag als Wertfortschreibungsantrag auf den 1. Januar 1951. Da aber nach seiner Berechnung der neue Wert auf diesen Stichtag um weniger als 1/10 vom Einheitswert des letzten Feststellungszeitpunkts (1. Januar 1949) abweichen würde, mithin die Voraussetzungen für eine Wertfortschreibung nicht gegeben wären, lehnte es den Antrag ab. Einspruch und Berufung blieben erfolglos. Beide Entscheidungen gehen davon aus, daß der Antrag eine Fortschreibung des Einheitswerts auf 33.000 DM bezweckt. Da der bestehende Einheitswert vom 1. Januar 1949 jedoch nur 34.700 RM betrage, sei die erforderliche Abweichung des Werts von 1/10 nicht erreicht und daher die Wertfortschreibung abzulehnen. Dabei hat die Vorinstanz noch ausgeführt, es brauche nicht geprüft zu werden, ob die Bfin. eine Wertfortschreibung schon auf den 1. Januar 1951 beantragen könne, obwohl sie das Grundstück erst nach diesem Zeitpunkt erworben habe; denn der Berufung sei aus sachlichen Gründen der Erfolg zu versagen. Außerdem hat die Vorinstanz ihr Urteil für endgültig erklärt, weil der Wert des Streitgegenstands 200 DM nicht übersteige.

 

Entscheidungsgründe

Die Rechtsbeschwerde (Rb.) führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und der Einspruchsentscheidung.

Nach § 6 Abs. 2 Satz 2 des Gesetzes über den Bundesfinanzhof vom 29. Juni 1950 (Bundesgesetzblatt - BGBl. - 1950 S. 257) - in Kraft getreten in Berlin an 27. Juni 1952 - in Verbindung mit § 286 Abs. 1 der Reichsabgabenordnung (AO) ist die Rb. gegen eine Berufungsentscheidung des Verwaltungsgerichts nur gegeben, wenn der Wert des Streitgegenstands der Rb. höher ist als 200 DM oder wenn das Verwaltungsgericht wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Streitsache die Rb. zugelassen hat. Im Rechtsmittelverfahren gegen Einheitswertbescheide ist nach dem Urteil des erkennenden Senats III 77/50 U vom 29. Mai 1951 (Bundessteuerblatt - BStBl. - 1951 III S. 138) der Streitwert auf 40 v. T. des streitigen Wertunterschieds zu bemessen. Im vorliegenden Fall hat die Bfin. Feststellung des Einheitswerts auf 29.000 DM verlangt. Der Wert des Streitgegenstands übersteigt daher 200 DM.

Nach § 225a Abs. 1 AO wird der Einheitswert u. a. wegen änderung in der Zurechnung des Gegenstands fortgeschrieben. In den Fällen der Fortschreibung werden grundsätzlich die Verhältnisse bei Beginn des Kalenderjahrs zugrunde gelegt, das auf die änderung folgt (ß 22 Abs. 2 Satz 1 des Bewertungsgesetzes - BewG -). Hieraus ergibt sich, daß der Bfin. das im Jahre 1951 erworbene Grundstück erst auf den 1. Januar 1952 zugerechnet werden kann; daß sie die Lasten des Grundstücks (darunter auch die Grundsteuer) vertraglich schon zum 1. September 1951 übernommen hat, ist steuerlich ohne Bedeutung. Zu entscheiden bleibt, ob die Bfin. bereits auf den Beginn des 1. Januar 1951 die Wertfortschreibung beantragen kann. Diese Frage kann nicht, wie es die Vorinstanz getan hat, übergangen werden.

Das Bewertungsgesetz und die Reichsabgabenordnung enthalten keine unmittelbare Vorschrift darüber, ob und inwieweit der Erwerber eines Grundstücks an Stelle des Veräußerers einen Antrag auf Wertfortschreibung stellen kann.

Der erkennende Senat hat in seinem Urteil III 183/52 U vom 10 April 1953 (BStBl. 1953 III S. 165) ausgesprochen, daß der Antrag auf Wertfortschreibung als rechtsmittelähnlicher Behelf anzusehen ist. Es liegt deshalb nahe zu prüfen, ob und inwieweit der Erwerber eines Grundstücks an Stelle des Veräußerers ein Rechtsmittel einlegen kann. Maßgebend ist vor allem die Vorschrift des § 240 Abs. 1 AO. Danach kann, wenn für ein Grundstück, nachdem darüber ein Feststellungsbescheid erlassen worden ist, eine Rechtsnachfolge eintritt, während eine Rechtsmittelfrist läuft, auch der Rechtsnachfolger das Rechtsmittel einlegen. Das bedeutet, daß der Erwerber eines Grundstücks von sich aus gegen einen Feststellungsbescheid Rechtsmittel einlegen kann, wenn im Zeitpunkt des Erwerbs die Rechtsmittelfrist noch nicht verstrichen ist. Darauf, ob der Veräußerer selbst vorher ein Rechtsmittel eingelegt hat oder nachher noch einlegt, kommt es nicht an. Es erscheint notwendig, den Erwerber eines Grundstücks hinsichtlich des Antrags auf Wertfortschreibung nicht schlechter zu stellen als im Rechtsmittelverfahren. Es kann vorkommen, daß der Veräußerer eines Grundstücks, insbesondere wenn die Veräußerung kurz nach dem Beginn eines Kalenderjahrs erfolgt, kein Interesse an einer möglichen Wertfortschreibung auf diesen Zeitpunkt mehr hat, wohl aber der Erwerber des Grundstücks. Das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis des Erwerbers erfordert, ihm die Möglichkeit einzuräumen, von sich Antrag auf Wertfortschreibung zu stellen. Eine selbständige Antragsfrist kann jedoch für ihn nicht gelten. Er muß den Antrag innerhalb der Frist stellen, die für den Veräußerer gilt. Der erkennende Senat kommt daher zu dem Ergebnis, daß der Erwerber eines Grundstücks auf den Beginn desjenigen Kalenderjahrs, in dem er das Grundstück erwirbt, an Stelle des Veräußerers die Wertfortschreibung beantragen kann, solange die Antragsfrist für den Veräußerer noch nicht abgelaufen ist (ß 225a Abs. 1 und 2 AO; § 22 Abs. 1 BewG).

In § 240 Abs. 2 AO werden für das Rechtsmittelverfahren die Folgerungen gezogen, die sich aus § 219 Abs. 2 AO ergeben. Auch im Rechtsmittelverfahren können, wenn es sich um die Feststellung des Einheitswerts für ein Grundstück handelt, nur einheitliche Entscheidungen getroffen werden. Die Rechtsmittelentscheidungen richten sich sowohl gegen den Rechtsvorgänger als auch gegen den Rechtsnachfolger. Demgemäß schreibt § 240 Abs. 2 AO vor, daß die Rechtsmittel verbunden werden, wenn der Rechtsvorgänger und der Rechtsnachfolger Rechtsmittel gleicher Art gegen einen Feststellungsbescheid einlegen. Legt nur der Rechtsvorgänger Rechtsmittel ein, so wird der Rechtsnachfolger, legt nur der Rechtsnachfolger Rechtsmittel ein, so wird, falls möglich, der Rechtsvorgänger zu dem Rechtsmittelverfahren von Amts wegen zugezogen, wenn sein Interesse durch die Entscheidung berührt wird und die Rechtsmittelbehörde Kenntnis von der Rechtsnachfolge hat. Entsprechendes muß auch für den Antrag auf Wertfortschreibung gelten. Die Veräußerer des Grundstücks müssen daher, auch im vorliegenden Fall, falls möglich, von Amts wegen zu dem Verfahren zugezogen werden, da ihr Interesse durch die Entscheidung berührt wird. Da die Vorinstanzen dies verkannt haben, waren die angefochtene Entscheidung und die Einspruchsentscheidung aufzuheben. Die Sache wird zweckmäßig an das Finanzamt zurückverwiesen.

 

Fundstellen

BStBl III 1953, 235

BFHE 57, 614

StRK, AO:225a R 4

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