Entscheidungsstichwort (Thema)

Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer

 

Leitsatz (amtlich)

Ein nach § 16 Abs. 2 EStG errechneter Veräußerungsgewinn kann für die Entscheidung, ob er über oder unter der Besteuerungsfreigrenze des § 16 Abs. 4 EStG liegt, nicht um den Betriebsverlust des laufenden Jahres vermindert werden.

Wird der Gewerbebetrieb einer Personengesellschaft im ganzen veräußert, so beträgt die Besteuerungsfreigrenze nach § 16 Abs. 4 EStG für den gesamten Veräußerungsgewinn der Gesellschaft 10.000 DM. Bei überschreitung dieser Grenze ist daher für die einzelnen Gesellschafter die Steuerpflicht nach der genannten Vorschrift gegeben.

 

Normenkette

EStG § 16 Abs. 1-2, 4

 

Tatbestand

Streitig ist, ob ein Veräußerungsgewinn mit einem laufenden Betriebsverlust in der Weise aufgerechnet werden kann, daß dadurch der Veräußerungsgewinn unter die Besteuerungsfreigrenze des § 16 Abs. 4 EStG sinkt.

Die Bfin. war Kommanditistin einer Kommanditgesellschaft. Der Betrieb der KG wurde im Jahre 1955 geschlossen und veräußert. Der Veräußerungsgewinn betrug unstreitig 10.191 DM. Aus dem laufenden Geschäft ergab sich unstreitig ein Verlust von 2.884 DM. Auf Grund der einheitlichen Feststellung für 1955 entfallen auf die Bfin. 50 v. H. des laufenden Verlustes mit 1.442 DM und 50 v. H. des Veräußerungsgewinns mit 5.095 DM. Bei der Einkommensteuerveranlagung 1955 hat das Finanzamt neben Einkünften aus Vermietung und Verpachtung als Gewinn aus Gewerbebetrieb 3.653 DM angesetzt. Den Antrag der Bfin., den Veräußerungsgewinn nach § 34 Abs. 1 und Abs. 2 Ziff. 1 EStG im Steuersatz zu begünstigen, hat das Finanzamt abgelehnt, weil das Einkommen 6.000 DM nicht übersteige.

Mit ihrem Rechtsmittel gegen den Einkommensteuerbescheid 1955 begehrt die Bfin. Freistellung von der Einkommensteuer für 1955, und zwar mit dem Antrag, den Veräußerungsgewinn mit dem laufenden Betriebsverlust zu verrechnen und den dann verbleibenden Rest des Veräußerungsgewinns nach § 16 Abs. 4 EStG steuerfrei zu lassen. Die Bfin. ist der Auffassung, nach Ausgleich des Verlustes von 2.884 DM mit dem Veräußerungsgewinn von 10.191 DM bleibe nur ein Veräußerungsgewinn von 7.307 DM, der nicht mehr der Steuerpflicht unterliege. Die Verrechnung des Veräußerungsgewinns mit dem laufenden Verlust müsse in der von ihr geforderten Weise erfolgen, weil der Veräußerungsgewinn nichts anderes sei als die Zusammenfassung der in der laufenden Bilanz nicht aufgelösten Reserven. Der Veräußerungsgewinn sei ein Bestandteil des letzten Geschäftsjahresergebnisses, der nur deshalb von dem laufenden Ergebnis abgespaltet werde, um die Vergünstigung des § 34 EStG auszunutzen. Im übrigen aber gehe die Vorschrift des Verlustausgleichs nach § 2 Abs. 2 EStG vor. Die Heraustrennung des Veräußerungsgewinns solle für den Steuerpflichtigen eine Vergünstigung bedeuten; es sei deshalb der für den Steuerpflichtigen günstigste Weg der Aufrechnung zu wählen.

Die Berufung hätte keinen Erfolg. Das Finanzgericht führte aus, die außerordentlichen Einkünfte in Höhe von 5.095 DM seien nach § 34 EStG nicht steuerbegünstigt, weil das Einkommen, in dem sie enthalten seien, unstreitig 6.000 DM nicht übersteige. Wohl aber seien diese außerordentlichen Einkünfte nach § 16 Abs. 4 EStG steuerpflichtig, weil ihr Betrag bei dem Anteil der Bfin. von 50 v. H. am Betriebsvermögen den entsprechenden Teil von 10.000 DM (5.000 DM) übersteige. Durch den eindeutigen Wortlaut des § 16 Abs. 4 EStG habe der Gesetzgeber bestimmt, in welchen Grenzen der Veräußerungsgewinn steuerfrei und wann er steuerpflichtig sein solle. Der klaren Fassung sei zu entnehmen, daß für die Frage, ob der Grenzbetrag unterschritten sei, allein das Ergebnis der Berechnung nach § 16 Abs. 2 EStG maßgebend sei. Die Vorschrift des § 16 Abs. 4 EStG stehe in einem unlösbaren Zusammenhang mit der Vorschrift des Absatzes 2. Dem Finanzamt sei daher darin beizustimmen, daß das laufende Geschäftsergebnis die Höhe des Veräußerungsgewinns nicht beeinflussen könne.

 

Entscheidungsgründe

Die Rb. ist nicht begründet.

Der Veräußerungsgewinn gehört zwar - wie sich aus der Fassung des § 16 Abs. 1 EStG eindeutig ergibt - genauso wie der laufende Gewinn des betreffenden Jahres zu den gewerblichen Einkünften des Steuerpflichtigen, da die Veräußerung, deren Entgelt er bildet, im allgemeinen den letzten Geschäftsvorfall in der gewerblichen Betätigung des betreffenden Steuerpflichtigen darstellt. Diese Zugehörigkeit des Veräußerungsgewinns zu den gewerblichen Einkünften des betreffenden Jahres kann bei der Inanspruchnahme des begünstigten Steuertarifs nach § 34 Abs. 1 und 2 EStG für die Entscheidung der Frage bedeutsam sein, ob der Veräußerungsgewinn nur dann vor der Festsetzung des begünstigten Steuertarifs um den Betriebsverlust des laufenden Jahres zu mindern ist, wenn keine anderen Einkünfte vorhanden sind, mit denen der laufende Betriebsverlust ausgeglichen werden kann, oder ob das auch zu geschehen hätte, wenn andere Einkünfte für den Ausgleich vorhanden wären (vgl. hierzu Blümich-Falk, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, 8. Auflage, Anmerkung 7 zu § 34 S. 1646).

Für die Frage hingegen, ob ein bestimmter Veräußerungsgewinn über oder unter der Besteuerungsfreigrenze des § 16 Abs. 4 EStG liegt, ist es ohne jede Bedeutung, ob der Betrieb im laufenden Jahre Verluste oder Gewinne hatte. Denn die Höhe des Veräußerungsgewinns errechnet sich nach § 16 Abs. 2 EStG allein aus dem Betrag, um den der Veräußerungspreis nach Abzug der Veräußerungskosten den Wert des Betriebsvermögens im Zeitpunkt der Veräußerung übersteigt; sie ist also eine von den betrieblichen Verlusten und Gewinnen des laufenden Jahres unabhängige Größe. Vermindert man diese gesetzlich genau fixierte Größe des Veräußerungsgewinns um den laufenden Betriebsverlust, so erhält man zwar das abschließende Gesamtbetriebsergebnis des letzten Geschäftsjahres, aber keinen Veräußerungsgewinn, der für die Besteuerungsfreigrenze des § 16 Abs. 4 EStG nach dem Gesetz allein maßgebend ist.

Im vorliegenden Fall wurde der ganze Gewerbebetrieb einer Kommanditgesellschaft veräußert. Infolgedessen beträgt die Freigrenze für den Veräußerungsgewinn gemäß § 16 Abs. 4 EStG 10.000 DM. Die Vorinstanz irrt, wenn sie glaubt, für die Bfin. als Kommanditistin sei entsprechend ihrem 50%igen Anteil an der Gesellschaft eine gesonderte Freigrenze von 5.000 DM zu berechnen, wie es bei der Einzelveräußerung des 50%igen Anteils eines Gesellschafters zu geschehen hätte, der als Mitunternehmer des Betriebs anzusehen wäre (vgl. Urteil des Reichsfinanzhofs VI 406/40 vom 15. Januar 1941, RStBl 1941 S. 410, und das vom Bundesfinanzhof bestätigte Urteil des Finanzgerichts Nürnberg III 310/56 vom 20. Dezember 1956 in Deutsche Steuer-Zeitung 1957, Ausgabe B, S. 229). Da bei der Veräußerung des ganzen Gewerbebetriebs unstreitig ein Veräußerungsgewinn von 10.191 DM erzielt wurde, der also die Freigrenze von 10.000 DM überschreitet, entfällt für den gesamten Veräußerungsgewinn des Betriebs und damit für die einzelnen Gesellschafter die Steuerfreiheit gemäß § 16 Abs. 4 EStG.

Erst nachdem feststeht, daß der Veräußerungsgewinn der KG der Besteuerung unterliegt, weil er mehr als 10.000 DM beträgt, kann bei der Veranlagung des einzelnen Gesellschafters zur Berechnung seines steuerpflichtigen Einkommens der auf ihn entfallende Anteil am Veräußerungsgewinn mit dem auf ihn entfallenden Anteil am Betriebsverlust des laufenden Jahres aufgerechnet werden, soweit nicht auf Grund der beantragten Steuervergünstigung des § 34 EStG eine Aufrechnung des laufenden Betriebsverlustes mit anderen Einkünften als richtig angesehen wird. Auf diese Frage braucht aber der Senat im Falle der Bfin. nicht einzugehen, da ihr Einkommen im Streitjahr 6.000 DM nicht übersteigt und § 34 EStG deshalb keine Anwendung findet.

Der Bfin. ist allerdings zuzugeben, daß der Reichsfinanzhof in dem Urteil VI A 1331/32 vom 11. Oktober 1934 (RStBl 1935 S. 613) in einem Fall, für den noch das EStG 1925 Geltung hatte, den Standpunkt vertreten hat, der angefallene Veräußerungsgewinn sei vor der Entscheidung, ob er der Höhe nach über oder unter der Steuerfreigrenze liege, um einen etwaigen Verlust aus dem laufenden Betrieb zu kürzen. Der erkennende Senat vermag jedoch dieser Auffassung nicht beizutreten, da sie offensichtlich - wie das Finanzgericht zutreffend hervorgehoben hat - dem klaren Wortlaut des § 16 EStG widerspricht.

Die Rb. mußte daher als unbegründet zurückgewiesen werden.

 

Fundstellen

Haufe-Index 410130

BStBl III 1961, 421

BFHE 1962, 423

BFHE 73, 423

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