Veräußerungsfreibetrag: Verschiedene Veräußerungsobjekte

Wird eine betriebliche Sachgesamtheit veräußert oder aufgegeben, erhält der Steuerpflichtige einmal im Leben auf Antrag einen Freibetrag. Gilt dies auch, wenn der Steuerpflichtige solche Gewinne aus verschiedenen Veräußerungsobjekten bzw. Einkunftsarten erzielt hat? Und wie sieht es mit Gewinnen aus der Veräußerung von "wesentlichen" Beteiligungen an einer Kapitalgesellschaft aus?

Voraussetzungen und Zweck des Freibetrags nach § 16 Abs. 4 EStG

Hat der Steuerpflichtige das 55. Lebensjahr vollendet oder ist er im sozialversicherungsrechtlichen Sinne dauernd berufsunfähig, so wird nach § 16 Abs. 4 Satz 1 EStG der Gewinn aus der Veräußerung oder Aufgabe z.B. eines Betriebs oder Mitunternehmeranteils auf Antrag zur Einkommensteuer nur herangezogen, soweit er 45.000 EUR übersteigt. Der Freibetrag ist dem Steuerpflichtigen nur einmal zu gewähren (§ 16 Abs. 4 Satz 2 EStG). Er ermäßigt sich um den Betrag, um den der Veräußerungsgewinn 136.000 EUR übersteigt (§ 16 Abs. 4 Satz 3 EStG). Der Freibetrag wird danach nicht mehr gewährt, wenn der Gewinn mehr als 181.000 EUR beträgt.

Veräußerungs- und Aufgabegewinne sind somit unter bestimmten Voraussetzungen steuerlich privilegiert. Mit dem Freibetrag soll ein "Härteausgleich für die punktuelle Besteuerung der – teilweise über einen längeren Zeitraum entstandenen – stillen Reserven" geschaffen werden (BFH, Beschluss v. 19.7.1993, GrS 2/92, BStBl 1993 II S. 897 Rn. 68).

Freibetrag nach § 16 Abs. 4 EStG wird nur einmal im Leben gewährt

Der Freibetrag ist dem Steuerpflichtigen nur einmal zu gewähren (§ 16 Abs. 4 Satz 2 EStG). "Einmal" bedeutet in diesem Zusammenhang: nur einmal im Leben. Veräußerungs- und Aufgabefreibeträge, die für Betriebsveräußerungen oder -aufgaben vor dem 1.1.1996 in Anspruch genommen wurden, werden nicht angerechnet. Die Begünstigung nach § 16 Abs. 4 EStG ist personenbezogen. Jeder Ehegatte hat – auch im Falle der Zusammenveranlagung – jeweils einmal im Leben die Möglichkeit, den Freibetrag zu erlangen.

Keine Anwendung des § 16 Abs. 4 KStG auf Kapitalgesellschaften

Der Freibetrag des § 16 Abs. 4 EStG findet auf Kapitalgesellschaften keine Anwendung. Denn der Freibetrag wegen Alters oder Berufsunfähigkeit ist eine personenbezogene Vergünstigung, die von Kapitalgesellschaften naturgemäß nicht in Anspruch genommen werden kann.

Kann der Freibetrag für alle 3 Gewinneinkunftsarten je einmal gewährt werden?

Fraglich war, ob der Freibetrag nach § 16 Abs. 4 EStG für jede der 3 Gewinneinkunftsarten (Gewerbebetrieb, Betrieb eines selbstständig Tätigen sowie land- und forstwirtschaftlicher Betrieb) je einmal im Leben des Steuerpflichtigen zu gewähren ist. Wenn dies zu bejahen wäre, könnte ein Steuerpflichtiger, der z.B. einen Gewinn aus der Veräußerung eines Kommanditanteils an einer gewerblich tätigen KG und einen Gewinn aus der Veräußerung einer freiberuflichen Praxis erzielt hat, sowohl den Freibetrag für den gewerblichen Mitunternehmeranteil nach § 16 Abs. 4 EStG als auch den Freibetrag für den freiberuflichen Mitunternehmeranteil nach § 18 Abs. 3 Satz 2 EStG i.V. mit § 16 Abs. 4 EStG beanspruchen.

Der BFH hat entschieden, dass die in § 16 Abs. 4 Satz 2 EStG normierte Einschränkung, wonach der Veräußerungsfreibetrag nur einmal im Leben eines Steuerpflichtigen in Anspruch genommen werden kann, einkünfteübergreifend auszulegen ist. Daher verbraucht die Inanspruchnahme des Veräußerungsfreibetrags für einen freiberuflichen Veräußerungsgewinn nach § 18 Abs. 3 EStG die Steuervergünstigung z.B. nicht nur für einen weiteren Veräußerungsgewinn derselben Einkunftsart, sondern auch für einen späteren gewerblichen Veräußerungsgewinn.

Wahlrecht bei mehreren Veräußerungsgewinnen innerhalb desselben Veranlagungszeitraums

Der Freibetrag nach § 16 Abs. 4 EStG kann nach dem Gesetzeswortlaut ("nur einmal zu gewähren") auch bei Veräußerung oder Aufgabe mehrerer Betriebe, Teilbetriebe oder Mitunternehmeranteile innerhalb desselben Veranlagungszeitraums nur für einen einzigen Veräußerungs- oder Aufgabegewinn in Anspruch genommen werden (BFH, Urteil v. 27.10.2015, X R 44/13, BStBl 2018 II S. 278 Rn. 30). Hat der Steuerpflichtige in einem Veranlagungszeitraum mehrere selbständige Betriebe oder einen Teilbetrieb und einen Mitunternehmeranteil veräußert, kann er zwar den Freibetrag nur einmal beanspruchen, er kann jedoch wählen, bei welchem Objekt er den Freibetrag abziehen will (R 16 Abs. 13 Satz 7 EStR).

Freibetrag nach § 17 Abs. 3 EStG bei Veräußerung von Kapitalgesellschaftsanteilen

Zu den Einkünften aus Gewerbebetrieb gehört nach § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG auch der Gewinn aus der Veräußerung von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft, wenn der Veräußerer innerhalb der letzten 5 Jahre am Kapital der Gesellschaft unmittelbar oder mittelbar zu mindestens 1 % beteiligt war. Der Veräußerungsgewinn wird zur Einkommensteuer nur herangezogen, soweit er den Teil von 9.060 EUR übersteigt, der dem veräußerten Anteil an der Kapitalgesellschaft entspricht (§ 17 Abs. 3 Satz 1 EStG). Der Freibetrag ermäßigt sich um den Betrag, um den der Veräußerungsgewinn den Teil von 36.100 EUR übersteigt, der dem veräußerten Anteil an der Kapitalgesellschaft entspricht (§ 17 Abs. 3 Satz 2 EStG). Die Vorschrift gilt nur, wenn die Anteile an der Kapitalgesellschaft zum Privatvermögen gehören.

Veräußert ein Steuerpflichtiger innerhalb eines Veranlagungszeitraums mehrmals Anteile an derselben Kapitalgesellschaft, werden diese bei der Ermittlung des Gewinns und des zu gewährenden Freibetrags zusammengerechnet (Schmidt/Levedag, EStG, 41. Aufl. 2022, § 17 Rn. 202 unter Hinweis auf eine andere Auffassung). Veräußert ein Steuerpflichtiger innerhalb eines Veranlagungszeitraums Anteile an unterschiedlichen Kapitalgesellschaften, ist der Freibetrag mehrfach, d.h. für jede Gesellschaft gesondert, zu gewähren.

Schlagworte zum Thema:  Veräußerungsgewinn, Einkommensteuer