Leitsatz (amtlich)

Für die Frage, in welchem Umfang ein auf einem Grundstück befindliches Gebäude als beschädigt im Sinn des § 1 Ziff. 2, § 3 Abs. 2 Buchst. a des Berliner Gesetzes über Grunderwerbsteuerbefreiung für den sozialen Wohnungsbau und den Wiederaufbau von Trümmergrundstücken vom 7. Juli 1953 (GVBl Berlin 1953 S. 595) anzusehen ist, ist in aller Regel nicht die Bewohnbarkeit, sondern der Substanzverlust entscheidend.

 

Normenkette

GrESWGBE 1/2; GrESWGBE 3/2/a

 

Tatbestand

Die Beschwerdeführerin (Bfin.) erwarb am 1. Mai 1953 ein in Berlin belegenes Grundstück. Auf diesem Grundstück befand sich ein beschädigtes Wohngebäude. Das Gebäude wurde von der Bfin. wiederhergestellt. Die baupolizeiliche Gebrauchsabnahmebesichtigung fand am 28. September 1953 statt.

Streitig ist, ob die Steuerbefreiung des § 1 Ziff. 2 des Gesetzes über Grunderwerbsteuerbefreiung für den sozialen Wohnungsbau und den Wiederaufbau von Trümmergrundstücken vom 7. Juli 1953 (Gesetz- und Verordnungsblatt für Berlin - GVBl Berlin - 1953 S. 595), in Kraft getreten mit Wirkung ab 1. Januar 1953, anwendbar ist. Nach dieser Vorschrift ist von der Besteuerung ausgenommen: der Erwerb eines Grundstücks mit zerstörten oder beschädigten Gebäuden (Trümmergrundstück), wenn der Erwerber auf dem Grundstück innerhalb von drei Jahren seit Entstehung der Steuerschuld ein Gebäude als Dauerbau errichtet. Dies gilt jedoch nach § 3 Abs. 2 Buchstabe a des bezeichneten Gesetzes bei beschädigten Gebäuden nur dann, wenn das Gebäude im Zeitpunkt der Entstehung der Steuerschuld zu mehr als 50 v. H. beschädigt war.

Während eine am 9. Oktober 1951 durchgeführte Schadenserhebung des Amtes für Stadtplanung des Bezirksamtes Berlin-Wilmersdorf einen Schadensgrad von 24,9 v. H. ergab, hat die Bfin. ein Schreiben des Architekten vom 25. Juni 1954 vorgelegt, nach dem das Wohnhaus vor Inangriffnahme der Bauarbeiten über der Kellergeschoßdecke nicht bewohnbar und zu etwa 85 bis 90 v. H. zerstört gewesen sei. Die Baugesellschaft bescheinigt in einem Schreiben vom 28. Juni 1954, sie habe bei der ersten Besichtigung des Gebäudes festgestellt, daß im Erdgeschoß und im ersten Obergeschoß fast sämtliche Fenster zugemauert und die Mittelwände eingedrückt waren und daß das Haus unter keinen Umständen bewohnbar gewesen sei. In einem Schreiben vom 16. März 1954 führte das Stadtplanungsamt ergänzend aus, es sei unwahrscheinlich, daß in der Zeit vom 9. Oktober 1951 bis zum 1. Mai 1953 ein derartig weitgehender Verfall des Wohngebäudes eingetreten sei, daß sich der Schadensgrad auf mehr als 50 v. H. erhöht habe.

Das Finanzamt hat die Anwendbarkeit der bezeichneten Steuerbefreiung verneint und die Bfin. auf Zahlung von Grunderwerbsteuer in Anspruch genommen. Einspruch und Berufung wurden als unbegründet zurückgewiesen.

 

Entscheidungsgründe

Auch die Rechtsbeschwerde (Rb.) ist ohne Erfolg.

I. - Unstreitig ist, daß das in Betracht kommende Wohngebäude im Zeitpunkt des Erwerbsvorgangs unbewohnbar war. Der Vorinstanz ist aber darin zuzustimmen, daß als Beschädigung im Sinne des § 1 Ziff. 2 des Gesetzes über Grunderwerbsteuerbefreiung für den sozialen Wohnungsbau und den Wiederaufbau von Trümmergrundstücken vom 7. Juli 1953 (GVBl Berlin 1953 S. 595) in Verbindung mit § 3 Abs. 2 Buchstabe a dieser Vorschrift nur ein Substanzverlust, nicht aber lediglich eine Beeinträchtigung der Bewohnbarkeit zu verstehen ist. Zweck der Steuerbegünstigung war die Förderung des sozialen Wohnungsbaus. Im § 1 Ziff. 1 der bezeichneten Vorschrift ist der Erwerb unbebauter Grundstücke begünstigt, wenn der Erwerber darauf unter den dort bestimmten Voraussetzungen Wohnungen errichtet. Es bedarf keiner Begründung, daß in diesen Fällen unter Schaffung von Wohnungen nur die Schaffung der Substanz eines Wohngebäudes zu verstehen ist. In der Ziff. 2 des § 1 wird die Steuerbegünstigung der Ziff. 1 auf den Erwerb zerstörter Grundstücke ausgedehnt, um zu verhindern, daß infolge der Steuervergünstigung nur unbebauter Grund und Boden bebaut wird, die vorhandenen Ruinengrundstücke aber unwiederhergestellt bleiben. Daß auch in diesen Fällen als Errichtung von Gebäuden nur die Schaffung der Substanz von Wohngebäuden angesehen werden kann, ist zweifelsfrei. In der Ziff. 2 ist außerdem unter gewissen Voraussetzungen der Erwerb beschädigter Gebäude gleichfalls steuerbegünstigt. Damit wird erreicht, daß der Erwerb eines Grundstücks mit beschädigtem Gebäude, an dem weitgehend Wiederherstellungsarbeiten notwendig sind, dem Erwerb zerstörter Gebäude gleichgestellt wird. Schon daraus, daß in derselben Ziffer des § 1 sowohl vom Erwerb zerstörter als auch vom Erwerb beschädigter Gebäude gesprochen wird, muß gefolgert werden, daß es in den Fällen der Beschädigung ebenfalls darauf ankommt, in welchem Ausmaß die Substanz des Gebäudes eine Einbuße erlitten hat. Für die abweichende Auffassung der Bfin., nach der in diesen Fällen die Bewohnbarkeit des Gebäudes entscheidend sein soll, fehlt ein innerer Grund. Anzunehmen ist vielmehr, daß dies ausdrücklich bestimmt worden wäre, wenn es bei Schaffung der Befreiungsvorschrift - und zwar entgegen der Regelung in den vorerwähnten anderen Fällen - beabsichtigt gewesen wäre.

Bei Schaffung der bezeichneten Befreiungsvorschriften war offensichtlich die Erwägung maßgebend, daß der Erwerber, der ein Wohngebäude neu errichtet und damit zur Schaffung von Wohnraum erhebliche Aufwendungen macht, durch Befreiung von der Grunderwerbsteuer begünstigt werden soll. Die gleiche Begünstigung sollte auch dann eintreten, wenn der Erwerber zwar kein Wohngebäude neu errichtet, aber ein in seiner Substanz erheblich beschädigtes Gebäude wiederherstellt. Würde es in den letztgenannten Fällen lediglich auf die Bewohnbarkeit ankommen, so wäre es möglich, daß bereits bei weniger wesentlichen Beschädigungen, die zur Unbewohnbarkeit des Gebäudes geführt haben, z. B. bei der Zerstörung von Fenstern und Türen, die Steuervergünstigung eintritt, während bei wesentlich umfangreicheren Schäden die Steuervergünstigung nicht Platz greifen würde, wenn das Gebäude trotz der Schäden zu mehr als 50 v. H. bewohnbar wäre. Es liegt auf der Hand, daß eine derartige Regelung, die zu erheblichen Ungleichmäßigkeiten in der steuerlichen Behandlung der verschiedenen Erwerbsvorgänge führen würde, nicht gewollt sein kann. Zwar ist möglich, daß auch der Erwerber, der ein weniger stark beschädigtes Gebäude wieder instand setzt, nicht unwesentliche Aufwendungen leistet. Diese Aufwendungen wurden jedoch offenbar bei Schaffung des Gesetzes nicht als derart belastend erachtet, daß dem Erwerber nicht dennoch die Entrichtung der Grunderwerbsteuer zugemutet werden kann. Als Grenze dafür, wann die Steuerbefreiung noch eintreten soll und wann nicht mehr, wurde ein Schadensgrad von 50 v. H. angesehen.

Für die Richtigkeit dieser Auslegung sprechen auch sprachliche Erwägungen. Im Sprachsinn ist von einer "Beschädigung" nur dann die Rede, wenn eine Substanzbeschädigung vorliegt. Soweit dagegen lediglich Beeinträchtigungen in der Bewohnbarkeit eines Gebäudes gegeben sind, wird nicht von der Beschädigung des Gebäudes gesprochen. Gründe für die Annahme, daß bei Abfassung des in Betracht kommenden Gesetzes vom Sprachgebrauch abgewichen werden sollte, sind nicht ersichtlich.

Schließlich sei auf die Verwaltungsanordnung vom 6. Februar 1957 zur Ausführung des Gesetzes über Grunderwerbsteuerbefreiung für den sozialen Wohnungsbau und den Wiederaufbau von Trümmergrundstücken in der Fassung vom 30. Mai 1956 - GVBl Berlin S. 539 ff. - (Steuer und Zollblatt für Berlin - StuZBl Bln. - 1957 S. 235) hingewiesen. Dort ist zu § 3 des Gesetzes vom 30. Mai 1956 unter anderem ausgeführt, daß für die Beurteilung, in welchem Grade die auf einem Grundstück befindlichen Gebäude als beschädigt im Sinn des § 1 Ziff. 2 des Gesetzes gelten, ihr Zustand im Hinblick auf ihre Verwendbarkeit für den Wiederaufbau (die Wiederherstellung) maßgebend ist. Die in Betracht kommende Regelung im Gesetz vom 30. Mai 1956 stimmt wörtlich mit der entsprechenden Vorschrift des im Streitfall anwendbaren Gesetzes vom 7. Juli 1953 überein. Richtig ist zwar, daß Verwaltungsvorschriften die Steuergerichte nicht binden. Sie bestätigen aber immerhin, daß auch der Senator für Finanzen in Berlin die hier fraglichen Vorschriften in dem vorbezeichneten Sinn auslegt.

II. - Zu Unrecht macht die Bfin. geltend, daß die Auslegung des § 3 Abs. 2 des Gesetzes vom 7. Juli 1953 durch die Vorinstanz mit § 3 Abs. 1 dieses Gesetzes nicht vereinbar sei. § 3 Abs. 1 betrifft die Frage, wann ein Gebäude als zerstört anzusehen ist. Nach dieser Vorschrift gilt ein Gebäude dann als zerstört, wenn oberhalb des Kellergeschosses auf die Dauer benutzbarer Raum nicht vorhanden ist. Ist ein oberhalb des Kellergeschosses "auf die Dauer" benutzbarer Raum nicht vorhanden, so gelten die Vorschriften über den steuerbegünstigten Erwerb von Grundstücken "mit beschädigten Gebäuden". Daß im Streitfall auch ein beschädigtes Gebäude im Sinn des § 1 Ziff. 2 des bezeichneten Gesetzes nicht vorliegt, weil die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 dieses Gesetzes nicht gegeben sind, ist bereits dargelegt worden.

III. - Das Verwaltungsgericht hat festgestellt, daß das Gebäude zu weniger als 50 v. H. beschädigt war. Diese Feststellung des Verwaltungsgerichts liegt auf tatsächlichem Gebiet. Tatsächliche Feststellungen der Finanzgerichte (hier des Verwaltungsgerichts Berlin) sind nach der an das Urteil des Reichsfinanzhofs VI v A 27/24 vom 29. Oktober 1925 (Slg. Bd. 14 S. 350) anknüpfenden ständigen Rechtsprechung der höchsten Steuergerichte gemäß § 288 Ziff. 1, § 296 Abs. 1 der Reichsabgabenordnung (AO) für den Senat bindend, wenn das Finanzgericht, was hier der Fall ist, auf Grund der ihm zustehenden freien Beweiswürdigung ohne Rechtsirrtum, ohne Verstoß gegen den klaren Inhalt der Akten und ohne Verstoß gegen Verfahrensvorschriften zu dem gewonnenen Ergebnis kommen konnte. Das Verwaltungsgericht stützt sich für seine tatsächlichen Feststellungen auf zwei Schreiben des Amtes für Stadtplanung vom 18. Dezember 1953 und vom 16. März 1954. Gründe besonderer Art, die es rechtfertigen, den Ausführungen des Amtes für Stadtplanung nicht zu folgen, sind aus den Akten nicht ersichtlich. Das Stadtplanungsamt hat den Schadensgrad nach dem Stand vom 9. Oktober 1951 lediglich auf 24,9 v. H. festgestellt. Während der Zeit zwischen diesem Tag und dem Erwerb des Grundstücks durch die Bfin. müßte demnach eine ganz wesentliche Schadenserhöhung eingetreten sein, wenn die Beschädigung im Zeitpunkt des Erwerbsvorgangs mehr als 50 v. H. betragen hätte. Anhaltspunkte dafür, daß dieser Fall eingetreten ist, sind aus den Akten nicht zu ersehen.

Das Schreiben der Baugesellschaft vom 28. Juni 1954 ergibt lediglich, daß das Haus nicht bewohnbar war. Die Unbewohnbarkeit des Hauses wird jedoch von keiner Seite bestritten. Darüber, in welchem Umfang die Substanz des Gebäudes beschädigt war, ist aus diesem Schreiben nichts zu entnehmen. Allerdings wird in dem Schreiben des Architekten vom 25. Juni 1954 ausgeführt, daß das Grundstück zu ca 85 bis 90 v. H. zerstört war. Wenn die Vorinstanz dieser Auffassung nicht folgte, so ist auch dies nicht zu beanstanden. Das von der Bfin. zu den Akten gereichte Lichtbild läßt keinesfalls auf eine Beschädigung des Gebäudes in Höhe von 85 bis 90 v. H. schließen. Daß Fenster und Türen des Gebäudes eingedrückt waren, Innenwände fehlten, die Installation nicht mehr vorhanden war und auch andere Mängel bestanden, ist unstreitig. Rückschlüsse auf einen Schadensgrad von mehr als 50 v. H. sind daraus aber nicht ohne weiteres möglich, zumal dazu auch das Lichtbild sowie die Einheitswerte vor und nach der Wiederherstellung des Gebäudes keine Veranlassung geben.

Die Rb. war somit als unbegründet zurückzuweisen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 408787

BStBl III 1957, 357

BFHE 1958, 327

BFHE 65, 327

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