Entscheidungsstichwort (Thema)

Einkommensteuer/Lohnsteuer/Kirchensteuer Verfahrensrecht/Abgabenordnung Bewertung Bewertung/Vermögen-/Erbschaft-/Schenkungsteuer

 

Leitsatz (amtlich)

Ist dem überlebenden Ehegatten in einem gemeinschaftlichen Testament der Ehegatten lebenslänglicher Nießbrauch an den Erbteilen der Miterben eingeräumt und er außerdem zum Testamentsvollstrecker ernannt, so wird dadurch noch nicht wirtschaftliches Eigentum des überlebenden Ehegatten an den Erbteilen der Miterben begründet.

 

Normenkette

StAnpG § 11 Ziff. 4; AO § 225a Abs. 1; BewG § 22

 

Tatbestand

Es handelt sich um die Zurechnung des Einheitswerts des Grundstücks in X. auf den 21. Juni 1948. Eingetragene Eigentümer des Grundstücks waren August L. und Berta L. je zur Hälfte. In dem gemeinsamen Testament der Eheleute L. ist bestimmt: "Auf den Tod des zuerst Sterbenden schließen wir eine Auseinandersetzung des Nachlasses aus bis zum Tode oder bis zur Wiederverheiratung des überlebenden Gatten. Letzterer hat an den Erbteilen der Abkömmlinge die lebenslängliche Nutznießung und Verwaltung. Der überlebende Ehegatte wird zum Testamentsvollstrecker ernannt mit allen einem solchen zustehenden Rechten und Pflichten. Er ist in der Eingehung von Verbindlichkeiten nicht beschränkt." Der Ehemann L. ist am 3. Januar 1940, seine Witwe am 1. September 1950 verstorben. Gesetzliche Erben der letzteren sind: die Tochter Maria L., an Stelle des gefallenen Sohnes Karl dessen Tochter Helga und der Sohn Dr. Walter L. Das Finanzamt hat den ganzen Einheitswert des Grundstücks für den 21. Juni 1948 der Witwe L. als wirtschaftlicher Eigentümerin des Grundstücks zugerechnet. Die Kinder bzw. Enkelin (künftig nur als "die Kinder" bezeichnet) bestreiten die Richtigkeit dieser Auffassung. Nach ihrer Ansicht waren am Währungsstichtag Eigentümer des Grundstücks ihre Mutter (bzw. Großmutter, künftig nur als "Mutter" bezeichnet) zu 5/8 und die Kinder zu je 1/8. Einspruch und Berufung der Kinder sind erfolglos geblieben. Das Finanzgericht führt in seinem Urteil aus: Grundstückseigentümer seien am Währungsstichtag nach bürgerlichem Recht die Witwe (Berufungsführerin) zu 6/8 und die Kinder zu 3/8 gewesen. Der Streit gehe lediglich um die Zurechnung der den Kindern bürgerlich-rechtlich gehörenden 3/8-Anteile. Durch die Stellung des unbeschränkten Testamentsvollstreckers in Verbindung mit lebenslänglichem Nießbrauch unter Ausschluß der Auseinandersetzung seien der Witwe (Berufungsführerin) die wesentlichen Eigentumsrechte an dem Grundstück übertragen worden. Sie habe dadurch die Stellung eines Eigenbesitzers erlangt. Gemäß § 11 Ziff. 4 des Steueranpassungsgesetzes (StAnpG) müsse ihr dafür das Grundstück in vollem Umfange zugerechnet werden.

 

Entscheidungsgründe

Die Rechtsbeschwerde rügt rechtsirrtümliche Anwendung des § 11 Ziff. 4 a. a. O.

Sie ist begründet. Zunächst ist richtigzustellen, daß die bereits 1950 verstorbene Witwe nicht die Berufungsführerin ist. Das Rechtsmittel ist vielmehr von den Kindern und gesetzlichen Erben eingelegt worden. Sie sind auch die Beschwerdeführer (Bf.). In der Sache selbst geht es darum, ob auch die den Bfn. als Erben zugefallenen 3/8-Anteile am Grundstück nach den Verhältnissen vom 21. Juni 1948 ihrer Mutter zugerechnet werden können. Die Vorbehörden haben diese Frage zu Unrecht bejaht. Nach § 11 Ziff. 4 a. a. O. werden Wirtschaftsgüter, die jemand in Eigenbesitz hat, dem Eigenbesitzer zugerechnet. Eigenbesitzer ist, wer ein Wirtschaftsgut als ihm gehörig besitzt. Die Mutter war am Stichtag entgegen der Ansicht des Finanzgerichts nicht Eigenbesitzer der 3/8-Anteile der Kinder. Ihr lebenslänglicher Nießbrauch verschafft ihr nicht die Stellung eines Eigenbesitzers und wirtschaftlichen Eigentümers am gesamten Grundstück. Es fragt sich lediglich, ob durch das Hinzutreten der Befugnisse eines Testamentsvollstreckers wirtschaftliches Eigentum der Mutter an dem gesamten Grundstück zur Entstehung gelangt ist. Nach Auffassung des Finanzgerichts hat das Zusammentreffen des Nießbrauchs mit der Testamentsvollstreckung das bürgerlich-rechtliche Eigentum der Kinder an ihren Grundstücksanteilen derart ausgehöhlt, daß ihnen außer dem formalen Eigentumsrecht nichts verblieben, die wirtschaftliche Sachherrschaft hingegen in vollem Umfang auf die Mutter übergegangen ist. Dieser Auffassung kann nicht zugestimmt werden. Das Finanzgericht beurteilt die Möglichkeiten und Befugnisse des Testamentsvollstreckers nicht zutreffend. Herr des Nachlasses ist der Erbe, der Testamentsvollstrecker nur Verwalter. Seine Stellung beruht auf der übertragung eines Vertrauensamtes gemäß den Anordnungen des Erblassers (Palandt, BGB 11. Auflage Einführung vor § 2197 Anmerkung 1). Er hat den letzten Willen des Erblassers zur Ausführung zu bringen (ß 2203 BGB). Gemäß § 2205 a. a. O. ist der Testamentsvollstrecker zu unentgeltlichen Verfügungen nur insoweit berechtigt, als diese einer sittlichen Pflicht oder einer auf den Anstand zu nehmenden Rücksicht entsprechen. Darüber hinausgehende unentgeltliche Verfügungen des Testamentsvollstreckers werden auch nicht durch Zustimmung der Erben gültig. Nach § 2215 a. a. O. ist der Testamentsvollstrecker zur Aufstellung eines Nachlaßverzeichnisses und Mitteilung an den Erben verpflichtet. Er hat die Verpflichtung zur ordnungsmäßigen Verwaltung (ß 2216 a. a. O.). Nach § 2218 a. a. O. finden auf das Verhältnis des Testamentsvollstreckers zum Erben für den Auftrag geltende Vorschriften Anwendung. Bei schuldhafter Pflichtverletzung ist der Testamentsvollstrecker schadensersatzpflichtig (ß 2219 a. a. O.). Er kann von seinen Verpflichtungen nach den §§ 2215, 2216, 2218, 2219 a. a. O. auch nicht durch den Erblasser befreit werden (ß 2220 a. a. O.). Ebensowenig kann dieser ihn zu unentgeltlichen Verfügungen über den Rahmen des § 2205 Satz 2 a. a. O. hinaus ermächtigen (BGB, Kommentar von Reichsgerichtsräten § 2205 Anmerkung 4). Bei wichtigem Grund kann der Testamentsvollstrecker durch das Nachlaßgericht entlassen werden (ß 2227 a. a. O.). überblick man diese Regelung der Aufgaben und Befugnisse des Testamentsvollstreckers, so kann der Auffassung des Finanzgerichts nicht beigepflichtet werden, daß der Testamentsvollstrecker als Eigenbesitzer der Nachlaßgegenstände anzusehen ist, und daß im Streitfalle den Erben wegen völliger Aushöhlung der einem Eigentümer zustehenden Machtbefugnisse nur das inhaltslos gewordene formale Eigentumsrecht verblieben sei. Auf das Urteil des Bundesfinanzhofs III 225/51 U vom 25. Oktober 1951 (Slg. Bd. 55 S. 567, Bundessteuerblatt - BStBl. - 1951 Teil III S. 229) wird Bezug genommen. Das von der Vorinstanz angeführte Urteil des Reichsfinanzhofs III 43/42 vom 19. März 1942 (Slg. Bd. 51 S. 295, Reichssteuerblatt - RStBl. - 1942 S. 542) vermag die angefochtene Entscheidung nicht zu rechtfertigen. Dieses Urteil führt lediglich aus, daß in dem dort entschiedenen Fall die Bfin. durch Erwerb des Nießbrauchs an den Anteilen der Kinder am Betriebsvermögen verbunden mit einem lebenslänglichen Verwaltungsrecht, unter weitgehenden Vollmachten wirtschaftlich eine Stellung erlangt habe, die der Stellung eines Eigenbesitzers recht nahe komme. Daraus folgt aber nicht, daß der Reichsfinanzhof Eigenbesitz am Betriebsvermögen bejaht habe. Es ergibt sich im übrigen aus den Urteilsgründen, daß der Reichsfinanzhof bei der Bewertung des Nießbrauchrechts verblieben und nicht zu der Auffassung gelangt ist, daß in jenem Falle die Witwe wirtschaftliches Eigentum am Betriebsvermögen erlangt habe. Hiernach waren das angefochtene Urteil, die Einspruchsentscheidung und der ihr zugrunde liegende Zurechnungsfortschreibungsbescheid auf den 21. Juni 1948 aufzuheben. Der Einheitswert wird für den 21. Juni 1948 zu 5/8 auf die (1950 verstorbene) Witwe L und zu je 1/8 auf die Tochter Maria L, die Enkelin Helga L, vertreten durch ihre Mutter, und den Sohn Dr. Walter L fortgeschrieben.

 

Fundstellen

BStBl III 1954, 250

BFHE 1955, 107

BFHE 59, 107

StRK, :11 R 11

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