Entscheidungsstichwort (Thema)

Umsatzsteuer

 

Leitsatz (amtlich)

Die für die Bremer Toto und Lotto GmbH (früher Bremer Sport- Toto-GmbH und Bremer Lotto-GmbH) tätigen Bezirksleiter sind nicht deren Arbeitnehmer, sondern Unternehmer im Sinne des UStG.

 

Normenkette

UStG § 2 Abs. 1, 2 Ziff. 1

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Stpfl.) war im Jahr 1959 von der Bremer Sport-Toto-GmbH und der Bremer Lotto-GmbH - später Bremer Toto und Lotto GmbH - (GmbH) als Bezirksleiter auf Provisionsbasis eingesetzt. Seine Tätigkeit beruhte auf den Verträgen vom 1. Juni 1956 und 1. Juli 1959.

Der Beklagte und Revisionskläger (FA) zog den Stpfl. als Unternehmer mit den Provisionen und Gebühren als Bezirksleiter zur Umsatzsteuer heran.

Der Einspruch wurde, von einer geringfügigen Herabsetzung der Umsatzsteuer abgesehen, als unbegründet zurückgewiesen, nachdem das FA eine Auskunft der GmbH über Einzelheiten der tatsächlichen Gestaltung und Durchführung der Verträge mit dem Stpfl. und anderen Bezirksleitern eingeholt hatte.

Auf die Berufung hob das Finanzgericht (FG) die Einspruchsentscheidung und den Steuerbescheid auf. Die Vorinstanz kam nach einer Darstellung der Aufgaben der Stpfl. auf Grund der Verträge mit der GmbH zu dem Ergebnis, daß das Gesamtbild überwiegend für eine Eingliederung in das Unternehmen der GmbH spreche, zumal dem Stpfl. eine unternehmerische Initiative nicht zugestanden habe.

Die Rb. des FA, mit der Verletzung von Bundesrecht gerügt und beantragt wird, die Vorentscheidung aufzuheben, ist nach §§ 184 Abs. 2, 115 ff. FGO als Revision zu behandeln.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung. Das FG hat für die Frage, ob eine natürliche Person selbständig oder nicht selbständig im Sinne des § 2 Abs. 2 Ziff. 1 UStG ist, zutreffend das Urteil des BFH I 200/59 S vom 3. Oktober 1961 (BFH 73, 827, BStBl III 1961, 567) herangezogen, dem sich der erkennende Senat im Urteil V 133/59 U vom 12. April 1962 (BFH 74, 699, BStBl III 1962, 259) angeschlossen hat. Es hat jedoch die in diesen Urteilen aufgestellten Grundsätze nicht beachtet. Außerdem fehlen konkrete Ausführungen darüber, aus welchen Gründen der Stpfl. mit den ihm von der GmbH übertragenen Aufgaben derart in diese eingegliedert war, daß er deren Weisungen nach Ort, Zeit sowie Art und Weise seiner Tätigkeit zu folgen verpflichtet war. Ob im einzelnen Fall eine derartige Unterordnung unter den geschäftlichen Willen eines Unternehmers vorliegt, richtet sich nicht nach einzelnen Tätigkeitsmerkmalen, sondern nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse, zu dem auch die berufliche Stellung gegenüber dem Auftraggeber gehört. Das FG hat das insoweit rechtserhebliche Innenverhältnis zwischen dem Stpfl. und der GmbH nicht gewürdigt und dem Unternehmerwagnis nicht die ihm nach der Rechtsprechung zukommende Bedeutung beigemessen. Die Vorentscheidung ist daher wegen Rechtsirrtums aufzuheben.

Die Sache ist spruchreif. Der Senat kann den vom FG festgestellten Sachverhalt und die aktenkundigen Tatsachen, die im Urteil der Vorinstanz im einzelnen nicht angeführt sind, in entsprechender Anwendung der zivilprozessualen Regelung (§ 155 FGO, § 561 Abs. 1 ZPO) zur Begründung seiner Entscheidung heranziehen.

In den Verträgen vom 1. Juni 1956 und 1. Juli 1959 wurde vereinbart, daß der Stpfl. als Bezirksleiter im Rahmen des Organisationsplanes und auf Grund der Geschäftsordnung weisungsgebunden, im übrigen aber selbständiger Kaufmann im Sinne des HGB ist, ohne zu dieser in ein Angestelltenverhältnis zu treten. Diese Fassungen deuten daraufhin, daß die Vertragschließenden ein Arbeitnehmerverhältnis nicht begründen wollten. Für die steuerrechtliche Beurteilung des Rechtsverhältnisses kommt es zwar nicht entscheidend auf die von den Vertragsparteien gewählten Erklärungen und Bezeichnungen, auch wenn diese nicht ganz bedeutungslos sind, sondern auf den wirklichen Willen der Beteiligten an. Es ist also darauf abzustellen, ob die bürgerlich-rechtliche Bezeichnung das von den Vertragschließenden Gewollte und wirtschaftlich Angestrebte zutreffend wiedergibt und in der Gestaltung der tatsächlichen Verhältnisse zum Ausdruck kommt. Dies ist zu bejahen.

Die GmbH hat unstreitig Lohnabzugsbeträge von den Bezügen ihrer Bezirksleiter nicht einbehalten, die Entgelte für deren Tätigkeit nicht der Lohnsummensteuer unterworfen, den Bezirksleiter - im Gegensatz zu den Angestellten im Innendienst - Sondervergütungen für Urlaub, zu Weihnachten usw. nicht gewährt und buchmäßig die Bezüge der Bezirksleiter als Provisionen und die der Angestellten als Personalkosten getrennt ausgewiesen. Sie hat damit die tatsächlichen Verhältnisse von ihrer Seite aus so gestaltet, wie dies der Wortlaut der Vereinbarungen vorsieht.

Entsprechend seiner im Vertrag vorgesehenen Stellung als selbständiger Kaufmann hat der Stpfl. in seinen Umsatzsteuererklärungen für die Jahre 1956 bis 1959 ebenso wie in seiner Gewerbesteuererklärung 1959 als Art des Unternehmens (Gewerbebetriebs) Handelsvertretungen oder Handelsvertreter angegeben und den Gewinn nach § 5 EStG durch Vermögensvergleich ermittelt. Den Gesamtbetrag der für seine Leistungen gegenüber der GmbH vereinnahmten Entgelte hat er in voller Höhe als steuerpflichtigen Umsatz erklärt.

Diese Umstände lassen erkennen, daß sowohl der Stpfl. als auch die GmbH bei der tatsächlichen Durchführung der Verträge davon ausgegangen sind, ein Arbeitnehmerverhältnis liege nicht vor.

Weitere vertragliche Vereinbarungen, die nicht nur formal getroffen, sondern tatsächlich erfüllt wurden, sprechen ebenfalls für die Selbständigkeit des Stpfl. Er mußte eine genügende Zahl von Hilfskräften beschäftigen und diese nach den Richtlinien der GmbH auf seine Kosten entlohnen, für die Benutzung der Auswertungsräume der GmbH ein Entgelt zahlen bzw. für solche Räume auf seine Kosten sorgen oder ein eigenes Wettbüro unterhalten, für eine fehlerfreie Auswertung - auch durch seine Erfüllungsgehilfen - und damit für übersehene Gewinne haften sowie eine Kautionsversicherung für diese Fälle abschließen bzw. eine Kaution bei der GmbH hinterlegen. Ferner war er verpflichtet, einen geeigneten Stellvertreter zu bestellen, diesem das Gehalt aus eigenen Mitteln zu zahlen und in der GmbH vorzustellen.

Diese Bedingungen in den Verträgen mit der GmbH hat der Stpfl. nach seinem Vorbringen erfüllt. Der Gewinn- und Verlustrechnung für die Zeit vom 1. Januar bis 31. Dezember 1959 ist dies ebenfalls zu entnehmen. Er hat danach u. a. Beträge für Gehälter, sonstige Personalkosten, Miete, allgemeine Unkosten und für übersehene Gewinne aufgewendet.

Der Stpfl. betrachtete sich demnach in übereinstimmung mit der GmbH nicht als deren Arbeitnehmer, sondern als selbständigen Unternehmer, wie es vertraglich vereinbart war, und zwar ohne daß ein wirtschaftlicher Druck auf ihn ausgeübt wurde. Er hat dazu auch nicht vorgetragen, von der GmbH verlangt zu haben, als Arbeitnehmer anerkannt und behandelt zu werden und daß diese seinem Begehren nicht nachgekommen sei.

Das Innenverhältnis zwischen dem Stpfl. und der GmbH auf Grund der Bezirksleiter-Verträge, das maßgebend ist für die Frage, ob eine Angestellten- oder Unternehmertätigkeit vorliegt, läßt eindeutig erkennen, daß eine selbständige berufliche Tätigkeit des Stpfl. gewollt war und auch tatsächlich gestaltet worden ist. Diese von den Vertragschließenden in den Vereinbarungen zum Ausdruck gebrachte Beurteilung ihrer Vertragsverhältnisse ist auch steuerrechtlich bedeutungsvoll und spricht für eine Selbständigkeit des Stpfl. im Sinne des UStG. Dem entspricht auch, daß der Stpfl. ohne festes Gehalt für seine Tätigkeit durch Provisionen entlohnt worden ist. Zwar ist die Art der Entlohnung nicht allein ausschlaggebend, aber im Zusammenhang mit anderen für die Selbständigkeit sprechenden Merkmalen ein weiteres Anzeichen dafür. Dies gilt auch für die Regelung, nach der dem Stpfl. ein Anspruch auf bezahlten Urlaub nicht zustand. Schließlich hatte er auch wirtschaftlich ein Unternehmerwagnis zu tragen durch Beschäftigung eigener Arbeitnehmer, entgeltliche Benutzung des Auswertungsraums, Haftung für übersehene Gewinne und insbesondere durch die übernahme aller mit der Bezirksleiterstellung verbundenen Unkosten, deren Höhe er nach den Erfordernissen seiner Aufgaben selbst bestimmen konnte. Bei Einnahmen aus Provisionen, Auswertungs- und Bearbeitungsgebühren von rd. ... DM betrugen die geltend gemachten Aufwendungen etwa ... DM (70 v. H.). Darunter sind neben Kfz.-Kosten u. a. enthalten Gehälter, sonstige Personalkosten, Miete, Nebenkosten des Geldverkehrs, gezahlte Provisionen, Bürobedarf, allgemeine Unkosten und Ersatz übersehener Gewinne. Kosten dieser Art sind, auch wenn sie dem Grunde nach vertraglich bedingt sind, nicht Aufwendungen zur Erwerbung, Sicherung und Erhaltung der Einnahmen eines Arbeitnehmers (§ 9 EStG), sondern typische Betriebsausgaben eines Unternehmers, der im Rahmen seiner Aufgaben selbst über die Höhe der Unkosten entscheiden und durch Auswahl zuverlässiger Hilfskräfte sowie durch eigene intensive Arbeit Schadensersatzansprüche vermeiden kann. Dem steht nicht entgegen, daß der Stpfl. als Bezirksleiter nicht unter seinem Namen oder eigener Firma, sondern unter Lotto-Toto, Bezirksleiter (Nr. der Bezirksstelle) auftrat. Sachlich lag dadurch nicht eine Geschäfts- oder Verwaltungsstelle der GmbH vor, sondern es handelte sich wirtschaftlich um den vom Stpfl. als Bezirksleiter auf eigene Rechnung geführten Betrieb, dem nicht die Unkosten erstattet, sondern Provisionen in angemessener, allgemein gültiger Höhe gewährt wurden.

Auf die Art der Tätigkeit des Stpfl., aus der das FG dessen Eingliederung in den Organismus der GmbH hergeleitet hat, kommt es nach der zitierten neueren Rechtsprechung des BFH nicht an, da das Gesamtbild der beruflichen Stellung - wie oben ausgeführt - entscheidend ist. Aus den vom Stpfl. vertraglich übernommenen Geschäften als Bezirksleiter ergibt sich zwangsläufig eine gewisse Gebundenheit an allgemeine Weisungen durch den Organisationsplan und die Geschäftsordnung, durch die die Art und der Umfang der Aufgaben zum reibungslosen Ablauf des Geschäftsbetriebs der GmbH festgelegt wurden. Dies bedeutet jedoch nicht, daß der Stpfl. wegen der Erledigung der übernommenen Aufgaben nach Zeit und Ort gebunden war. Er mußte der GmbH den Erfolg seiner und seiner Hilfskräfte Arbeit zu bestimmten Terminen vorlegen, war aber nicht, wie ein Arbeitnehmer verpflichtet, die Aufgaben zu vorgeschriebenen Dienstzeiten persönlich zu erfüllen. Er konnte und in bestimmten Fällen mußte er sich vertreten lassen und auch Hilfskräfte beschäftigen, um seine vertraglich übernommenen Aufgaben zeitgerecht zu erledigen.

Seine Tätigkeit als Bezirksleiter war also die eines selbständigen Unternehmers.

Der Stpfl., der für das Streitjahr 1959 durch Abgabe der Umsatzsteuererklärung und für die Vorjahre durch Hinnahme der Umsatzsteuerfestsetzungen entsprechend seinen Erklärungen seine Unternehmereigenschaft selbst bejaht hat, kann, da sich seine rechtlichen Beziehungen zur GmbH oder die tatsächliche Gestaltung der Verträge nicht geändert haben, nunmehr seine Umsatzsteuerpflicht lediglich unter Hinweis auf das Urteil des BFH IV 49/58 U vom 15. Juni 1960 (BFH 71, 270, BStBl III 1960, 349) nicht zum Erfolg verneinen. Seiner Meinung, diese Entscheidung sei auch der umsatzsteuerrechtlichen Beurteilung zugrunde zu legen, vermag sich der Senat nicht anzuschließen.

Der IV. Senat ging - entsprechend der damaligen Rechtsprechung - von dem Gesamtbild der Tätigkeit und nicht von dem Gesamtbild der beruflichen Stellung des Rechtsmittelführers aus. Er stellte im übrigen seine Entscheidung im wesentlichen darauf ab, daß es an einer Beteiligung am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr nach § 1 Abs. 1 GewStDV 1955 fehle. In dem Urteil des erkennenden Senats V 262/53 U vom 3. Juni 1954 (BFH 59, 75, BStBl III 1954, 238) wird zu dem Begriff der gewerblichen Tätigkeit im Sinne des § 2 Abs. 1 UStG ausgeführt, daß es sich um einen Sonderbegriff des Umsatzsteuerrechts handele, der eine Beteiligung am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr nicht erfordere. Die Ausführungen in dem die Gewerbesteuerpflicht eines Bezirksstellenleiters betreffenden Urteil IV 49/58 U vom 15. Juni 1960 (a. a. O.) sind demnach nicht für die Umsatzsteuer zu übernehmen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 412498

BStBl III 1967, 523

BFHE 1967, 45

BFHE 89, 45

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