1.2.1 Grundsätze

Das Wohnungseigentumsgesetz sieht grundsätzlich und abschließend 2 Modalitäten kollektiver Willensbildung in der Wohnungseigentümergemeinschaft vor: die Vereinbarung und den Beschluss.

Soweit die Wohnungseigentümer von den gesetzlichen Bestimmungen abweichende Regelungen durch Vereinbarung treffen können, stellen diese Vereinbarungen (hier in erster Linie die Gemeinschaftsordnung) zwingendes Recht innerhalb der jeweiligen Wohnungseigentümergemeinschaft dar. Wenn nach den gesetzlichen Bestimmungen zwar eine Beschlusskompetenz besteht, der betreffende Regelungsbereich aber Gegenstand einer Vereinbarung ist, kann er zunächst und grundsätzlich nicht durch Beschluss geändert werden. Es bedarf vielmehr einer entsprechenden Vereinbarung.[1] In solchen Fällen bestehen jedoch 2 äußerst praxisrelevante Ausnahmen:

  • Die Vereinbarung selbst lässt ihre Änderung durch Beschlussfassung zu (vereinbarte Öffnungsklausel) oder
  • das Gesetz lässt eine Abänderung von Vereinbarungen durch Beschluss ausdrücklich zu (gesetzliche Öffnungsklausel).[2]

Beschlussnichtigkeit

Gem. § 23 Abs. 4 WEG ist ein Beschluss nichtig, wenn er gegen eine Rechtsvorschrift verstößt, auf deren Einhaltung rechtswirksam nicht verzichtet werden kann. Diese "Generalklausel" einer Beschlussnichtigkeit beantwortet die Frage, wann ein Beschluss tatsächlich nichtig ist, nicht im Einzelnen. Unabdingbare Rechtsvorschriften ergeben sich nämlich entweder aus den zwingenden Bestimmungen und Grundsätzen des WEG oder aus den Normen des übrigen Privat- oder öffentlichen Rechts, insbesondere aus § 134 BGB (Verstoß gegen gesetzliches Verbot) und § 138 BGB (sittenwidriges Rechtsgeschäft).

1.2.1.1 "Können" und "Dürfen" unterscheiden

Die Antwort auf die Frage nach der Anfechtbarkeit oder Nichtigkeit eines Beschlusses, der auf Grundlage des Gesetzes gefasst werden soll, richtet sich danach, ob den Wohnungseigentümern eine entsprechende Beschlusskompetenz eingeräumt ist und wie weit diese Kompetenz reicht. Werden die Grenzen der eingeräumten Beschlusskompetenz eingehalten, ist ein auf Grundlage der entsprechenden gesetzlichen Norm gefasster Beschluss grundsätzlich nur anfechtbar – soweit der Beschluss nicht an Nichtigkeitsgründen leidet, die nichts mit der Frage der Beschlusskompetenz zu tun haben, wie beispielsweise die bewusste Nichteinladung von Wohnungseigentümern, ein völlig unbestimmter Beschlussinhalt oder ein in sich widersprüchlicher Beschlusswortlaut.

 
Hinweis

Unterscheidung

Um zu erkennen, wie weit die den Wohnungseigentümern eingeräumte Kompetenz zur Beschlussfassung tatsächlich reicht und ein darüber hinaus gehender Beschluss mangels Beschlusskompetenz nichtig wäre, sind im Gesetzestext die Wörter "dürfen" und "können" zu unterscheiden.[1]

Bedeutung des Wortes "dürfen"

§ 20 Abs. 4 WEG sieht auszugsweise vor: "Bauliche Veränderungen, die die Wohnanlage grundlegend umgestalten oder einen Wohnungseigentümer ohne sein Einverständnis gegenüber anderen unbillig benachteiligen, dürfen nicht beschlossen … werden ...". Das Wort "dürfen" verdeutlicht, dass den Wohnungseigentümern eine Beschlusskompetenz eingeräumt ist, auch wenn die weiteren Einschränkungen überschritten bzw. missachtet werden, die letztlich die Grenzen billigen Ermessens oder auch ordnungsmäßiger Verwaltung im Rahmen einer Beschlussanfechtung aufzeigen. Auch dann, wenn ein Beschluss über eine Maßnahme der baulichen Veränderung einzelne Wohnungseigentümer unbillig benachteiligt oder die Wohnanlage grundlegend umgestaltet, ist er lediglich anfechtbar.

Bedeutung des Wortes "können"

Gemäß § 16 Abs. 2 Satz 2 WEG "können" die Wohnungseigentümer "für einzelne Kosten oder bestimmte Arten von Kosten eine von [§ 16 Abs. 2] Satz 1 oder von einer Vereinbarung abweichende Verteilung beschließen". Mit dem Wort "können" wird die Grenze der Beschlusskompetenz definiert. Übertragen auf eine Kostenverteilungsänderung, kann also nur eine solche beschlossen werden, die sich auf einzelne Kosten oder bestimmte Arten von Kosten bezieht. Eine darüber hinausgehende Änderung des Kostenverteilungsschlüssels hätte die Beschlussnichtigkeit zur Folge. Würden die Wohnungseigentümer also den geltenden Kostenverteilungsschlüssel grundsätzlich abändern, wäre der Beschluss nichtig. Den Wohnungseigentümern ist zwar in beiden Fällen eine Beschlusskompetenz eingeräumt, wird diese aber überschritten, führt dies im Fall des "Könnens" zur Beschlussnichtigkeit und im Fall des "Dürfens" nur zur Anfechtbarkeit des Beschlusses.

Verwalterbestellung

Ein weiteres anschauliches Beispiel stellt die Modifizierung in § 26 Abs. 2 Satz 1 WEG bezüglich der Verwalterbestellung dar. Durch Ersetzen des Wortes "dürfen" im alten Gesetzestext durch das Wort "können", hat der Gesetzgeber im Rahmen des WEMoG dem Umstand Rechnung getragen, dass eine Verwalterbestellung über die jeweilige gesetzlich mögliche Höchstdauer der Bestellung zur Tei...

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