Leitsatz (amtlich)

Ein Spruchverfahren, das nach dem Delisting einer börsennotierten Gesellschaft anhängig geworden ist, erledigt sich in der Hauptsache, wenn marktenge Aktien der Gesellschaft, die zwischenzeitlich im Freiverkehr gehandelt werden konnten, nach 4,5 Monaten erneut in einem organisierten Markt zum Handel zugelassen worden sind. Verfassungsrechtliche Erwägungen erfordern in einem solchen Fall nicht die Fortführung des Verfahrens, wenn das Delisting keine erkennbar negativen Auswirkungen auf den Börsenkurs gezeitigt hat.

 

Verfahrensgang

LG München I (Beschluss vom 27.11.2003; Aktenzeichen 5 HKO 5774/03)

 

Tenor

I. Der Beschluss des LG München I vom 27.11.2003 wird aufgehoben.

II. Die Anträge auf gerichtliche Festsetzung einer Barabfindung für die Minderheitsaktionäre der Antragsgegnerin zu 1) werden zurückgewiesen.

III. Die Antragsteller zu 1) mit 4) als Gesamtschuldner einerseits und die Antragsgegnerin zu 1) andererseits tragen jeweils die Hälfte der Gerichtskosten. Die Antragsteller zu 1) mit 4) tragen als Gesamtschuldner die außergerichtlichen Kosten der Antragsgegnerin zu 2). Die Antragsgegnerin zu 1) trägt die Hälfte der außergerichtlichen Kosten der Antragsteller zu 1) mit 4) und die des Antragstellers zu 5) ganz. Die Antragsgegnerin zu 1) trägt die Vergütung und die Auslagen des Vertreters der nicht am Verfahren beteiligten Minderheitsaktionäre.

IV. Der Geschäftswert beider Instanzen wird auf 200.000 Euro festgesetzt.

 

Gründe

I.1. Die Antragsgegnerin zu 1) ist eine inzwischen wieder börsennotierte Aktiengesellschaft mit einem Grundkapital von 11.520.000 Euro, das je zur Hälfte aus Inhaber-Stammaktien und stimmrechtslosen Vorzugsaktien besteht. Die Antragsgegnerin zu 2) hält einen Anteil von ca. 98 % der Stamm- und von ca. 79 % der Vorzugsaktien. Am 28.1.2003 beantragte die Antragsgegnerin zu 1) durch ihren Vorstand mit Zustimmung des Aufsichtsrats bei der Bayerischen Börse den Widerruf der Zulassung ihrer Aktien zum Börsenhandel im amtlichen Markt. Ein Beschluss der Hauptversammlung der Antragsgegnerin zu 1), der die Ermächtigung für die Anbringung dieses Antrags beinhaltet hätte, bestand nicht. Auch gab die Antragsgegnerin zu 2) kein Angebot für den Kauf der Aktien der Minderheitsaktionäre ab. Die Bayerische Börse widerrief die Zulassung der Aktien zum Börsenhandel zum Ablauf des 28.2.2003. Seit 1.3.2003 wurden die Aktien der Antragsgegnerin zu 1) im Freiverkehr der Bayerischen Börse gehandelt. Mit Schriftsatz vom 25.3.2003 beantragte die Antragstellerin zu 1), die den Minderheitsaktionären zu gewährende angemessene Barabfindung durch Einräumung eines entsprechenden Pflichtangebotes für den Erwerb der Aktien an der Antragsgegnerin zu 1) durch gerichtliche Entscheidung festzusetzen. Die Festsetzung sollte unter entsprechender Anwendung der Vorschriften über das Spruchverfahren erfolgen. Nach Bekanntmachung der Anhängigkeit dieses Verfahrens im Bundesanzeiger stellten die Antragsteller zu 2) mit 5) sowie der Vertreter der außenstehenden Aktionäre entsprechende Anträge, wobei der Antragsteller zu 5) die Antragsgegnerin zu 2) in seinen Antrag nicht einbezog.

Am 14.7.2003 ließ der Zulassungsausschuss der Bayerischen Börse die Aktien der Antragsgegnerin zu 1) zum Börsenhandel im geregelten Markt zu. Seit 16.7.2003 werden in diesem Marktsegment für diese Aktien wieder Preise festgestellt.

Das LG hat nach mündlicher Verhandlung am 27.11.2003 mit Teilbeschluss die Zulässigkeit der Anträge im Verfahren nach § 306 AktG analog bejaht (LG München v. 27.11.2003 - 5 HK O 5774/03, DB 2004, 242 ff.). Hiergegen richten sich die Beschwerden der beiden Antragsgegnerinnen. Sie machen die Unzulässigkeit des Verfahrens, zumindest jedoch seine Erledigung geltend.

2. Das LG hat die Zulässigkeit eines Verfahrens auf gerichtliche Festsetzung eines Abfindungsbetrages angenommen, da den Aktionären durch den Rückzug der Gesellschaft aus dem amtlichen Markt die Möglichkeit genommen worden sei, den Wert der Aktien jederzeit durch Veräußerung zu realisieren. Zur Gewährleistung eines wirksamen Eigentumsschutzes sei mangels gesetzlicher Bestimmungen die bestehende Regelungslücke durch die analoge Anwendung der Vorschriften über das Spruchverfahren zu schließen. Der Statthaftigkeit des Antrags stehe auch nicht entgegen, dass die Antragsgegnerinnen kein Pflichtangebot gemacht hätten und die Delisting-Entscheidung nicht von der Hauptversammlung getroffen worden sei. Ferner fehle den Anträgen nicht das Rechtsschutzbedürfnis, da die Wiederzulassung der Aktien zum Börsenhandel in einem anderen Marktsegment eine einmal eingetretene Eigentumsbeeinträchtigung nicht rückgängig machen könne, wenn bereits ein Spruchverfahren rechtshängig gemacht worden sei. Bezüglich der Passivlegitimation hat das LG zwischen den beiden Antragsgegnerinnen nicht differenziert.

II.1. Die Beschwerden sind als einfache Beschwerden statthaft. Das LG hat sachgerecht zunächst über die Zulässigkeit des Verfahrens entschieden. Eine solche die Antragsgegnerinnen beschwer...

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