Leitsatz (amtlich)

1. Gewährung von Primärrechtsschutz bei unterbliebenem Vergabeverfahren.

2. Zur Anwendung des Vergaberechts auf Aufträge über Forschungs- und Entwicklungsdienstleistungen (hier: vertiefte historische Erkundung von Rüstungsaltlastverdachtsstandorten).

 

Normenkette

GWB § 100 Abs. 2 Buchst. n), § 107 Abs. 2 und 3

 

Verfahrensgang

Vergabekammer Südbayern (Beschluss vom 27.09.2002; Aktenzeichen 120.3-3194.1-36-08/02)

 

Tenor

I. Die sofortige Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss der Vergabekammer Südbayern vom 27.9.2002 wird zurückgewiesen.

II. Der Antragsgegner hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen. Etwaige Aufwendungen der Beigeladenen trägt diese selbst.

III. Der Geschäftswert des Beschwerdeverfahrens wird auf 55.000 Euro festgesetzt.

 

Gründe

I. Der Antragsgegner betreibt durch das zuständige Landesministerium seit 1994 das Projekt „Untersuchung der Rüstungsaltlastverdachtsstandorte in Bayern”. Das Projekt gliedert sich in drei Phasen. Gegenstand der von 1994 bis 1996 durchgeführten ersten Phase (Teilprojekt 1a) war die „Bestandsaufnahme und Prioritätensetzung”. Darauf aufbauend wurden in der zweiten Phase (Teilprojekt 1b) in den Jahren 1997 bis 2001 die einer hohen Priorität zugeordneten Standorte einer „vertieften historischen Erkundung” zugeführt. In der noch ausstehenden dritten Phase (Teilprojekt 1c) soll die „vertiefte historische Erkundung” von 109 Verdachtsstandorten niederer Priorität durchgeführt werden. Wesentliche Inhalte der Teilprojekte 1b und 1c waren bzw. sind u.a. vertiefte Archivrecherchen und Zeitzeugenbefragungen, multitemporale Luftbildauswertungen, Rekonstruktion der Nutzungsgeschichte sowie Ausweisung, Abgrenzung und Bewertung von Verdachtsflächen innerhalb der Verdachtsstandorte. Gegenstand des Nachprüfungsverfahrens ist die beabsichtigte Auftragsvergabe des Teilprojekts 1c.

Der Antragsgegner suchte im Herbst 2001 durch Anzeigen in verschiedenen Fachzeitschriften nach Ingenieurbüros und Labors mit Erfahrung in der Bearbeitung von Rüstungsaltlasten. Zudem wurde über die Internetseite des Ministeriums zur Bewerbung für das Projekt, das im Forschungsplan des Ministeriums eingestellt ist, aufgefordert. Mit Schreiben vom 8.5.2002 forderte der Antragsgegner vier Unternehmen zur Abgabe eines Angebots bis 17.6.2002 auf. Dem Schreiben war ein 24-seitiges Leistungsverzeichnis mit acht Anlagen sowie ein Vertragsentwurf beigefügt. Drei Firmen, darunter die Antragstellerin und die Beigeladene (die bisherige Auftragnehmerin für die Teilprojekte 1a und 1b), gaben Angebote ab, die am 19.6.2002 eröffnet wurden. Am 25. und 26.7.2002 fanden mit drei Firmen gestaffelte Bietergespräche statt.

Nach Prüfung und Wertung der Angebote entschied sich der Antragsgegner, den Auftrag auf das Angebot der Beigeladenen zu erteilen. Im Vergabevermerk vom 29.7.2002 ist u.a. ausgeführt, dass die Angebote der Antragstellerin und der Beigeladenen eine identische, fachlich sehr hohe Qualität aufwiesen, weshalb eine Entscheidung nach Qualitätskriterien nicht greife. Während für die Beigeladene die große Erfahrung und die hohe Qualität der Arbeit aus Phase 1a und 1b sprächen, könnten sich die durch die Antragstellerin eingebrachten neuen Ideen durchaus belebend für das Projekt erweisen. Das wirtschaftlichste Angebot sei das der Beigeladenen, das (mit deutlichem Abstand zum nächsthöheren Angebot der Antragstellerin) preislich am günstigsten sei.

Mit Schreiben vom 29.7.2002 teilte der Antragsgegner der Antragstellerin mit, dass die Entscheidung aufgrund fachlicher und finanzieller Erwägungen zugunsten eines Mitbewerbers getroffen worden sei, dessen Angebot sich in der Gesamtsicht als das wirtschaftlichste darstelle.

Mit Anwaltsschriftsatz vom 6.8.2002 rügte die Antragstellerin insbesondere, dass kein förmliches Vergabeverfahren durchgeführt worden sei. Es sei nicht erkennbar, nach welcher Verdingungsordnung der Auftrag vergeben werde und welche Kriterien für die Zuschlagserteilung maßgeblich seien. Weiterhin wurde gerügt, dass die Beigeladene aufgrund der Vorkenntnisse aus den ersten beiden Phasen einen Wettbewerbsvorteil habe.

Mit Anwaltsschriftsatz vom 12.8.2002 beantragte die Antragstellerin die Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens, das sie im Wesentlichen auf die unterbliebene Ausschreibung sowie auf Verstöße gegen das Diskriminierungsverbot und den Grundsatz der Chancengleichheit stützt. Sie ist der Auffassung, dass Chancengleichheit nur dadurch hätte hergestellt werden können, dass sämtlichen Bietern die bei der Beigeladenen bereits vorhandenen Informationen zur Verfügung gestellt worden wären. So habe die Antragstellerin das Honorar für die Leistung „Auswertung von Angriffsreports” und die Leistung „Luftbilddetailauswertung” nicht kalkulieren können, da ihr nicht bekannt sei, in welchem prozentualen Umfange die einzelnen Grundstücke betroffen seien. Für andere Bieter als die Beigeladene hätte die Abgabe eines Festpreisangebots ein ungewöhnliches Wagnis dargestellt.

Der Antragsgegner steht auf...

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