Leitsatz (amtlich)

Für das Insolvenzverfahren einer GmbH, die ihre werbende Tätigkeit bereits vor Stellung des Insolvenzantrags eingestellt hatte, ist das Insolvenzgericht ausschließlich zuständig, in dessen Bezirk die Schuldnerin ihren satzungsmäßig festgelegten Sitz hat. Unmaßgeblich ist eine nur zum Zwecke der Abwicklung vorgenommene Verlegung des Verwaltungssitzes, wenn am neuen Ort eine selbständige wirtschaftliche Tätigkeit nicht mehr stattfindet (Bestätigung von BayObLG v. 28.3.2001 – 4Z AR 23/01, NZI 2001, 372).

 

Normenkette

ZPO § 36 Abs. 1 Nr. 6; InsO § 3 Abs. 1 S. 2, § 5 Abs. 1 S. 1

 

Verfahrensgang

AG München (Beschluss vom 09.05.2003; Aktenzeichen 1509 IN 1351/03)

AG Berlin-Charlottenburg (Aktenzeichen 105 IN 2826/03)

 

Tenor

Zuständig ist das AG München – Insolvenzgericht.

 

Gründe

I. Die Schuldnerin ist eine im Handelsregister des AG München eingetragene GmbH. Mit notariellem Vertrag vom 2.4.2003 erwarb der jetzige Geschäftsführer der Gesellschaft M. von den bisherigen Gesellschaftern A. und B. sämtliche Geschäftsanteile und hielt sofort eine Gesellschafterversammlung ab, in der er die als Geschäftsführer bestellten Gesellschafter A. und B. abberief, ihnen Entlastung erteilte und sich selbst zum neuen Geschäftsführer bestellte. Eine Anmeldung zum Handelsregister erfolgte nicht. M. beantragte mit einem an das AG München gerichteten Schreiben der Schuldnerin vom 6.5.2003, eingegangen am 7.5.2003, die Eröffnung des Insolvenzverfahrens und zugleich die Verweisung an das AG Berlin-Charlottenburg. Er führte aus, er habe mit Übernahme der Geschäftsanteile das Gewerbe wegen völliger Betriebseinstellung abgemeldet, die Geschäftsräume aufgegeben, den Mitarbeitern gekündigt und sämtliche Geschäftsunterlagen an seinen in Berlin gelegenen Nebenwohnsitz verbracht, von wo aus er die Abwicklung der Gesellschaft unter Einschaltung der x-GmbH vornehmen wolle.

Das AG München – Insolvenzgericht – hat sich ohne jede Ermittlung mit Beschluss vom 9.5.2003 für örtlich unzuständig erklärt und das Verfahren an das AG Charlottenburg – Insolvenzgericht – verwiesen. Über das Gesetzeszitat „§§ 3, 4 InsO, § 281 ZPO” hinaus ist der Beschluss mit keiner Begründung versehen. Das AG Charlottenburg – Insolvenzgericht – hat sich mit der Schuldnerin mitgeteiltem Beschluss vom 16.6.2003 ebenfalls für örtlich unzuständig erklärt und die Akten dem OLG München zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vorgelegt, das die Akten an das BayObLG weitergeleitet hat. Zur Begründung hat das AG Charlottenburg u.a. ausgeführt, das AG München habe entgegen § 5 Abs. 1 S. 1 InsO keine maßgeblichen Feststellungen zur örtlichen Zuständigkeit getroffen und die Sache unter Hinweis auf § 3 Abs. 1 S. 2 InsO an das AG Charlottenburg verwiesen, obwohl noch völlig unklar gewesen sei, wo der Mittelpunkt der wirtschaftlichen Tätigkeit der Schuldnerin zum Zeitpunkt der Antragsstellung gelegen sei. Ein solcher könne im Bezirk des AG Charlottenburg nicht festgestellt werden. Der Antragsteller habe aktive Abwicklungsmaßnahmen im Bezirk des AG Charlottenburg nicht behauptet, sondern lediglich pauschal einen Katalog denkbarer Abwicklungstätigkeiten aufgelistet, die unter Einschaltung der x-GmbH beabsichtigt seien. Die Firma x-GmbH Unternehmensberatung/Wirtschaftsdienste Berlin habe wiederholt in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung unter der Rubrik „Beteiligungen und Geldverkehr” folgendes Inserat veröffentlicht:

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Beim AG Charlottenburg seien ca. 60 Verfahren bekannt, in denen unter Einschaltung der x-GmbH Gesellschaftsanteile abgetreten und neue Geschäftsführer bestellt würden, von denen Insolvenzantrag gestellt, aber weitere Aktivität nicht entwickelt würde. Aus den gesamten Umständen ergäben sich schwerwiegende Indizien dafür, dass es sich um Fälle einer Zuständigkeitserschleichung handle, deren Ziel es sei, die ehemaligen Gesellschafter und Geschäftsführer der Aufmerksamkeit der Gläubiger am früheren Firmensitz zu entziehen, ihren Namen nicht durch Veröffentlichung in der Lokalpresse zu belasten und dem räumlich entfernten Insolvenzgericht die Aufklärung etwaiger Anfechtungs- und Haftungsansprüche zu erschweren.

II.1. Das BayObLG ist zur Entscheidung des negativen Zuständigkeitsstreits zwischen dem zunächst befassten bayerischen AG München und dem Berliner AG Charlottenburg gem. § 4 InsO, § 36 Abs. 2 ZPO, § 9 EGZPO berufen.

2. Die Voraussetzungen für die gerichtliche Bestimmung des zuständigen Gerichts gem. § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO liegen vor. Sowohl das AG München als auch ...

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